Kategorien
Tagesmail

… zum Logos XXX

Tagesmail vom 09.02.2022

… zum Logos XXX,

Hep! Hep! Hep! Hierosolyma est perdita, Jerusalem ist verloren.

Das waren die Hetzrufe der Antisemiten seit 1819:

„Eine in Danzig veröffentlichte „Proclamation“ beschuldigte alle Juden im Stil eines Kreuzzug-Aufrufs als „Christusmörder“ und endete mit den Sätzen:

 „… noch haben wir Macht über ihnen und die Gewalt ist in unseren Händen, darum laßt uns jetzt ihr sich selbst gefälltes Urtheil an sie vollstrecken laut dem wie sie geschrieen: Sein Blut komme über uns und unsere Kinder! Auf! wer getauft ist, es gilt der heiligsten Sache, fürchtet nichts und zögert keine Stunde, den Streit für des Glaubens Ehre zu wagen. Diese Juden, die hier unter uns leben, die sich wie verzehrende Heuschrecken unter uns verbreiten, und die das ganze preußische Christenthum dem Umsturz drohen, das sind Kinder derer die da schrieen: kreutzige, kreutzige. Nun auf zur Rache! Unser Kampfgeschrei sey Hepp! Hepp! Hepp! Aller Juden Tod und Verderben, Ihr müßt fliehen oder sterben!““

Aus einem studentischen Schmählied jener Zeiten:

„Der Deutsche will euch ferner nicht,
Ihr habt euch schlecht betragen,
Ihr leistet keine Bürgerpflicht,
helft keine Last uns tragen,
Ihr zeiget weder Ehr noch Muth,
kauft gerne das gestohlne Gut
drum ruft des Volkes Stimme laut:
Fort mit dem Juden – ausgehaut!“

Der unendliche Kampf gegen den Judenhass soll auch zu keinem Ergebnis führen. Kann es denn zur Beendigung eines Konflikts kommen, wenn alle Beteiligten kein Interesse für Verständigung zeigen?

Muss nicht jede Behandlung einer Seuche sich mit den Ursachen beschäftigen, um nach der Diagnose eine angemessene Therapie zu finden?

Nicht so im Fight gegen das uralte Übel der Christen in Deutschland und im ganzen christlichen Westen. Heute gibt es nur Scheingefechte, die Resolutheit vortäuschen sollen.

Ist Kritik an Israel ein verborgener Antisemitismus? Kann man die palästinafeindliche Politik des israelischen Staates mit der Apartheidspolitik des Burenstaates, den Holocaust mit kolonialen Völkermorden vergleichen? Ist vergleichen identisch mit gleichsetzen, identifizieren?

Man redet um den heißen Brei herum. Vergleiche, die erklären sollen, führen selbst zu endlosen Streitigkeiten. Je heftiger die Ersatzgefechte, umso mehr verschwindet das Objekt des Zerwürfnisses im Nebel.

Auf zu neuen Reizbegriffen, die den Kern des Streits immer mehr verschwinden lassen. So wird der Streit zum Dauergezänk, der zur wachsenden Bedrohung der Juden führt.

Die steigende Verwirrung wird von der Bevölkerung als Strategie empfunden, um die Feindschaft als unlösbares Problem zu deklarieren. Wieder ein Konflikt, der der Lösungskapazität des sündigen Menschen widersteht. Die Zufriedenheit jener, die den homo sapiens für einen Rohrkrepierer halten, steigt unaufhörlich. Sie beklagen die charakterliche Gebrechlichkeit des Menschen und fühlen sich bestätigt, wenn sie seine humanen Visionen für Nonsens erklären können.

„Die niederländisch stämmigen Buren waren durch den Calvinismus geprägt, der Johannes Calvins Prädestinationslehre weiterentwickelte. Zur religiösen Legitimation der Apartheid wurden Stellen aus dem Alten Testament wie Dtn 23,3 EU oder Jos 23,9-13 EU herangezogen.“

„Kein Entmannter oder Verschnittener soll in die Gemeinde des HERRN kommen. Es soll auch kein Mischling in die Gemeinde des HERRN kommen; auch seine Nachkommenschaft bis ins zehnte Glied soll nicht in die Gemeinde des HERRN kommen. Die Ammoniter und Moabiter sollen nicht in die Gemeinde des HERRN kommen, auch nicht ihre Nachkommen bis ins zehnte Glied.“ (Dtn 23, 3)

„Der HERR hat vor euch große und mächtige Völker vertrieben, und niemand hat euch widerstanden bis auf diesen Tag. Ein Einziger von euch jagt tausend; denn der HERR, euer Gott, streitet für euch, wie er euch zugesagt hat. Darum achtet ernstlich darauf um eures Lebens willen, dass ihr den HERRN, euren Gott, lieb habt. Denn wenn ihr euch abwendet und diesen Völkern, die noch übrig sind, anhangt und euch mit ihnen verheiratet, dass ihr euch unter sie mengt und sie sich unter euch, so wisst, dass der HERR, euer Gott, nicht mehr diese Völker vor euch vertreiben wird, sondern sie werden euch zum Fallstrick und Netz werden und zur Geißel an euren Seiten und zum Stachel in euren Augen, bis ihr ausgerottet seid aus diesem guten Land, das euch der HERR, euer Gott, gegeben hat.“(Jos 23, 9 ff)

Ist Calvinismus mit Rassenhass vereinbar?

Erste Antwort: „Mit zentralen Aussagen Calvins, für den eine Unterscheidung zwischen arm und reich, Freien und Sklaven, Frauen und Männern sowie Rassen bzw. Nationalitäten in der Kirche undenkbar war (siehe Gal 3,26-29 EU), ist eine theologische Rechtfertigung der Apartheid … nicht vereinbar.“

Begründung: „Denn ihr seid alle durch den Glauben Gottes Kinder in Christus Jesus. Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen. Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus. Gehört ihr aber Christus an, so seid ihr ja Abrahams Kinder und nach der Verheißung Erbe.“ (Galater)

Zweite Antwort: Wenn der Herr selbst die Völker separiert, darf es der Mensch auch. Die Galater-Stelle wird stets herangezogen, um die Gleichberechtigung aller Menschen aus christlicher Sicht zu begründen. Zu Unrecht. Nicht die Gleichheit aller Menschen wird bestätigt, sondern nur die Gleichheit der Gläubigen: „denn ihr alle, die ihr getauft seid …“ Zudem werden die Gläubigen als Kinder und Erben Abrahams bezeichnet. Womit auf sie die obigen Stellen des Alten Testaments zutreffen: auserwählte Kinder Gottes haben mit Heiden nichts gemein.

Wir sehen das Grundprinzip christlicher Deutungskünste: zu allen Dingen des Daseins findet man widersprechende Textstellen in der Schrift. Sämtliche Taten der Menschen, ob gute oder böse, können durch antinomische Stellen legitimiert werden. Die Bibel ist ein Füllhorn der Beglaubigung aller wünschbaren Taten oder Untaten.

Von Amnesty wurde Israel beschuldigt, gegenüber den Palästinensern eine Apartheidspolitik durchzuführen. Das wurde der bislang untadeligen Menschenrechtsorganisation übel genommen. Hinter falschen Anschuldigungen vermuteten die Kritiker nicht nur antiisraelische, sondern antisemitische Motive.

Generell: Anschuldigungen mögen falsch sein: sind sie deshalb automatisch antisemitisch?

Keineswegs: selbst, wenn sie gehässig oder feindselig erschienen, könnte man antisemitische Ressentiments nur vermuten. Verwendungen vorbelasteter Begriffe können nur verdächtige Symptome sein. Jeder Verdacht wird heute zum unfehlbaren Schuldspruch. Streitgespräche zwischen Anklägern und Beschuldigten gibt es nicht. Einen jüdisch-christlichen Dialog sucht man vergeblich.

Naheliegende Gründe der antiisraelischen Aggressionen könnten auch sein: die vergebliche Kritik an einem Staat, der ein fremdes Volk weiträumig von seinem Land vertrieben und viele von ihnen zu Menschen zweiter Klasse entrechtet hat. Weil keine Kritik der Völker an Israel Wirkungen zeigte und Israel unbelehrbar schien, wuchs der Hass gegen eine unfehlbar scheinende Regierung.

Ihr störrisches Verhalten wäre ein klarer Verstoß gegen die Menschenrechte der UN-Charta. Dem Staate Israel müsste man keineswegs die Existenzberechtigung absprechen, um dennoch heftige Abneigungsgefühle zu entwickeln.

Das eine wäre eine in juristische Formeln gegossene Apartheid oder eine Zweiklassengesellschaft. Das andere eine religiöse Atmosphäre, die keinen Zweifel ließe an der Minderwertigkeit der Besiegten.

Alfred Grosser fasst die Stimmung dieser religiösen Verachtung der Besiegten zusammen:

„Das Schlimmste sind rechtsextreme israelische Flugblätter, die während des Kriegs ebenfalls in den Militärbasen kursierten. Die Autoren eines dieser Pamphlete bezeichnen sich als Schüler des Rabbiners Yitzhak Ginsburg, der den bereits erwähnten Massenmörder Baruch Goldstein hoch verehrt hat. Darin heißt es, die Soldaten bräuchten sich keine Sorgen um die Bevölkerung zu machen, die „uns umringt und uns schadet.“ Vielmehr sollten sie dem tradierten Prinzip folgen „Töte den, der kommt, um dich zu töten.“ (Von Auschwitz nach Jerusalem)

Palästinenser sind keine wahren Menschen. Das Recht auf das uralte Land „unserer“ Väter: steht ihnen nicht zu. Solche an Menschenhass nicht zu überbietenden Äußerungen der Ultraorthodoxen werden hierzulande nicht zur Kenntnis genommen. Dabei bestimmen sie immer mehr die reguläre Politik Jerusalems.

Wie die südafrikanische Apartheid von biblischen Texten der Überlegenheit der Frommen über die Unfrommen abgeleitet wurde, ebenso werden Palästinenser von jüdischen Erwählten zur minderwertigen Rasse degradiert.

„Alle Welt redet über Antisemitismus und Apartheid. Nur die palästinensische Seite nicht. Nachdenklich machte mich eine Bekannte, deren Familie in Nablus lebt: „Typisch deutsch. Man streitet über Begriffe. Als ob das für meine Familie drüben etwas ändert, ob es Apartheid heißt oder nicht. Am Ende des Tages interessiert sich keiner für uns.“ (Frankfurter-Rundschau.de)

Selbst wenn Amnesty die falschen rechtlichen Maßstäbe gewählt hätte, könnte sie die politische Diskriminierung als gefühlte Degradierung korrekt wiedergegeben haben.

Wie steht‘s nun um den Vorwurf der Apartheid? Trifft er zu, wäre er tatsächlich antisemitisch?

In Israel trifft er nicht zu, behauptet ein Professor für internationales Recht in Jerusalem:

„Im Staat Israel hätten die palästinensischen Bürger dieselben Rechte wie jüdische, sagt Shany. Es gebe zudem seriöse Bemühungen, die Integration in vielen Bereichen voranzubringen. »Von einer konsequenten Unterdrückung seit 1948 kann nicht die Rede sein.«“ (SPIEGEL.de)

„Auch was Gaza betrifft, ist der Amnesty-Bericht ungenau. Zwar befinde sich der Gazastreifen ganz sicher in einem Belagerungszustand, sagt Yuval Shany, und Israel hat Gaza in vielen Bereichen abgesperrt. »Doch ›Apartheid‹ kann nur dort stattfinden, wo es eine Besatzung gibt. Die gibt es in Gaza nicht mehr. Ganz anders verhält es sich mit dem Westjordanland. Viele Vorwürfe, die Amnesty macht, sind, wenn man auf das Gebiet blickt, das Israel mit den biblischen Namen Judäa und Samaria bezeichnet, nicht von der Hand zu weisen. Israel verstößt gegen Menschenrechte, es verstößt auch nach gängigem Recht gegen die Auflagen, die der Staat als Besatzungsmacht zu befolgen hätte, etwa die verbotene Besiedlung besetzter Gebiete. Palästinensisches Land wird enteignet, die Palästinenser selbst können in bestimmten Gegenden nicht bauen, müssen Gebiete verlassen, die willkürlich zu »militärischen Sperrzonen« deklariert werden. Diese und viele andere Schikanen und Rechtsbrüche sind seit Jahrzehnten dokumentiert. Es gibt also genug anzuprangern.“

Nun zur entscheidenden Frage:

„Ist also, wie viele Freunde Israels behaupten, Amnestys »Apartheid«-Bericht antisemitisch? »Er ist antiisraelisch, keine Frage. Er ist ganz gewiss pro-palästinensisch. Das bedeutet aber nicht, dass er antisemitisch ist«, beurteilt Yuval Shany mit Nachdruck.“

Eine differenzierte Bewertung der Amnesty-Behauptungen, die israelkritische Thesen nicht automatisch mit Antisemitismus gleichsetzt, wird hierzulande nicht zur Kenntnis genommen. So wenig wie die Äußerungen vieler Israelis, die die Politik ihrer Regierung ablehnen.

„Jüdische Selbsthasser“ werden von korrekt hassenden deutschen Medien ignoriert. Wer kennt hier schon die Namen Uri Avnery, Moshe Zimmermann, Moshe Zuckermann, Amira Hass, Norman Finkelstein uva, die sich mit aller Kraft für eine israelische Demokratie einsetzten und alle Menschenrechtsverletzungen unbestechlich anprangerten?

Wie konnte das junge Israel, das mit höchsten Erwartungen einer humanen Gesellschaft gestartet war, in wenigen Jahren derart seinen Idealen untreu werden? Die Kibbuzim wollten eine autarke und gleichberechtigte Wirtschaftsweise, die jeden kapitalistischen Einfluss strikt ablehnte. Heute ist Israel eines der kapitalistischsten Länder der Welt mit immensen Klassenunterschieden.

Die Zionisten der ersten Stunde waren zumeist Atheisten und lehnten jede Infizierung durch religiöse Intoleranz ab. Heute nähert sich das Land in beängstigenden Maß einer theokratischen Alleinherrschaft.

Ari Shavit beschreibt in seinem bemerkenswerten Buch „Mein gelobtes Land“ die steigende religiöse Influenz in seiner Heimat. Am Anfang war es so:

„Im Kibbuz kamen wir uns vor wie junge Götter. Wir waren kräftig, sahen gut aus und waren braun gebrannt. Wie stolze jüdische Beduinen streiften wir barfuß durch die Felder, wir fuhren Traktoren und stellten den Mädchen nach. Wir waren die neuen starken Juden, die nach dem Tod der alten und schwachen Juden zum Leben erwacht waren. Wir verachteten die Diaspora und schauten auf die dekadenten Städter von Tel Aviv hinab. Wir waren das, was der Psychoanalytiker Bruno Bettelheim als „Kinder eines Traumes“ bezeichnet hatte.“

Als die Überlebenden des Holocaust in Israel ankamen, wurden sie als „Seifenstückchen“ verhöhnt.

Und wie ist es heute? Das sogenannte Wunder Israel basiere auf Verleugnung der Realität.

„Der Staat, in den ich hineingeboren wurde, hat Palästina ausgelöscht. Palästinensische Dörfer sind von Bulldozern dem Erdboden gleichgemacht worden. Mithilfe von Gesetzen hat man Palästinensern die Staatsbürgerschaft aberkannt und ihr Heimatland für nicht existent erklärt. Die Bürger des jungen Israel haben Palästina aus ihrem Gedächtnis, ihrem Denken und Empfinden verbannt. Die palästinensische Tragödie wird von der ganzen Welt marginalisiert und bagatellisiert. Die Tatsache, dass 700 000 Menschen ihre Heime und ihre Heimat verloren haben, wird einfach ausgeblendet. Bei der Geschäftemacherei mit der internationalen Gemeinschaft wird aus taktischen Gründen immer wieder an die Tragödie des europäischen Judentums erinnert, man bedient sich ihrer. Doch innerhalb von Israel gibt man dem Holocaust keinen Raum. Man erwartet von den Überlebenden, dass sie ihre Geschichte für sich behalten. Um zu überleben, streifen sie die Vergangenheit ab. Um zu funktionieren, passen sie sich an, verwandeln sich in Menschen der Tat mit einer rigiden und deformierten Persönlichkeit und ohne seelische Tiefe. Sie kreieren eine laute, veräußerlichte Art zu leben, die mit dem Zurschaustellen einer forcierten Heiterkeit einhergeht. Real sind es vier Dinge, die geleugnet werden: die palästinensische Vergangenheit, die palästinensische Katastrophe, die jüdische Vergangenheit und jüdische Katastrophe. Vier verschiedene Formen von Amnesie.“

Heute mag vieles politisch ritualisiert sein, um die leidvolle Vergangenheit der Juden für Machtzwecke einzusetzen. Doch innerlich ist der zionistische Gründergeist fast nirgendwo mehr zu finden.

Gewiss war es keine realistische Erwartung, dass der Gründergeist sich ewig erhalten könne. Gerade deshalb müsste Israel seinen Verfall selbstkritisch reflektieren, um ihn nach Kräften zu stoppen.

Ari Shavits Beschreibung der innerisraelischen Dekadenz ähnelt in vielem der parallelen deutschen Verwilderung. Die Deutschen wollten ihre Gräueltaten nie vergessen. Heute feiern sie seelenlose Gedenktage, attackieren die humane Moral – um heuchelnd zu bekennen: Nie wieder.

Wie kann die Lehre aus dem Holocaust anders sein als sich den Geboten der Menschlichkeit zu verpflichten? In ihrem christogenen Selbstverständnis waren die Nationalsozialisten die vorbildlichsten Täter der göttlichen Gebote. Im Auftrag ihres Gottes sollten sie die Verworfenen ausreuten und den Erwählten ein himmlisches Drittes Reich installieren.

Aus demokratischer Sicht hingegen waren die Nazis Vertreter einer Herrenklasse, die alles Minderwertige gnadenlos vernichtete.

Shavits Buch war aus dem Jahre 2013. Die „Gespräche über Gott und die Welt“ von Jeshajahu Leibowitz stammt aus dem Jahre 1993. Seine Analysen sind kaum weniger deprimierend als die von Shavit:

„Überhaupt hat Israel aufgehört, ein Staat für das jüdische Volk zu sein. Israel ist zu einem Machtmittel zur Erhaltung einer Gewaltherrschaft über ein anderes Volk geworden. Die Probleme des jüdischen Volkes werden im Rahmen des Staates nicht behandelt. Israel ist kein Staat, der eine Armee unterhält, es ist eine Armee, die einen Staat besitzt. Die Welt bringt heute dem Staate Israel keinerlei Achtung und Wertschätzung mehr entgegen, von aufrichtiger Sympathien erst gar nicht zu sprechen, so wie es in den ersten Jahren der Staatsgründung noch weithin üblich war.“

Es kann keine Rede davon sein, dass Israel schon von Anfang an der Menschenrechtsverletzungen bezichtigt worden wäre. Im Gegenteil, viele junge Deutsche verbrachten eine gewisse Zeit in den Kibbuzim und kamen begeistert zurück. Erst nach Ermordung des Friedenspolitikers Rabin und dem Sieg im 6-Tage-Krieg kippte die Stimmung und verwandelte sich in Abneigung und verständnislose Aggressionen. Aus Israel, dem Land der Träume, war das Gegenteil geworden.

Für israelische Selbstkritiker sind die sogenannten Judenfreunde der Springerpresse nichts als sekundäre Antisemiten. Den Hass gegen Juden haben sie ersetzt durch den Hass gegen die Palästinenser: kaum weniger erträglich für Demokraten, die für Palästinenser die gleichen Rechte fordern.

Wo immer auf der Welt die Menschenwürde verletzt wird, wird gleichzeitig auch Deine Würde verletzt, der Du diese Zeilen liest. Und dieser verschobene Menschenhass soll die Quintessenz der bedingungslosen Loyalität sein unter dem Motto: Nie wieder? Deutschland im bigotten Wahn.

Wie anders und befreiend klingt das Résumé von Avraham Burg in seinem Buch: „Hitler besiegen“:

„Vor allem aber werden wir gemeinsam mit den zivilisierten Ländern in vorderster Linie im weltweiten Kampf gegen Hass stehen, wo immer er auch sein mag. Es wird keine Verse mehr geben: „Gieß deinen Zorn aus über die Heiden, die dich nicht kennen, über jedes Reich, das deinen Namen nicht anruft.“

Das waren winzige Fragmente zu einem riesigen Problem, das in Deutschland nicht zur Kenntnis genommen wird. Antisemitismus entstand in Auseinandersetzung des christlichen Erlösers mit den Pharisäern und Schriftgestellten seines Volkes. Ergo ist das Problem ein religiöses. Die Deutschen jedoch wollen von Religion nichts hören. Weder von ihrer christlichen, geschweige von der jüdischen.

Rassismus, Neid und andere Verfluchungen der Juden sind säkulare Erbschaften des Hasses gegen das auserwählte Volk. Die Deutschen wollten selbst die Auserwählten sein. Also mussten die Konkurrenten ausgeschaltet werden, damit das Land der Dichter und Denker zum wahren messianischen Volk aufsteigen konnte.

Das haben sie bis zum heutigen Tag nicht verstanden. Um wirklich zu verstehen, müssten sie sich in aller Betroffenheit erinnern und nicht nur tote Rituale zelebrieren.

Die Pflicht zu erinnern sei vorbei, schrieb der deutsche Historiker Wolfgang Reinhard – und forderte das Recht auf Vergessen. Unsere politische Kultur nähme sonst Schaden.

Das entspricht dem Zeitgeist des Fortschritts, jede Vergangenheit zu beerdigen, um sich nur noch der perfekten Zukunft zu widmen. Reinhard:

„Das Alltagsgedächtnis ist der Ort des Vergessens. Zur aktuellen Erinnerungskultur gehört spiegelbildlich die Beseitigung störender Erinnerungen.“

Der deutsche Kampf gegen Antisemitismus ist zur Farce verkommen, die judenfeindliche Bedrohungen verschärft, anstatt sie zu bekämpfen.

Fortsetzung folgt.