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… zum Logos XIV

Tagesmail vom 03.01.2022

… zum Logos XIV,

Fanfarengeschmetter zum neuen Jahr:

das deutsche Mutterland ist im letzten Jahr um 7,7 Billionen Euro reicher geworden – eine Zahl mit 12 Nullen.

Sollte die Welt morgen untergehen, hätten die Deutschen nichts zu befürchten. Sie müssten nur riesige Mengen Geldes in das Neue Reich hinübertragen, das der HERR den Seinen bereitgestellt hat. Und das Reich wird sich wie ein unfassbares Paradies aus Gold und Edelsteinen präsentieren:

„Und dieses Reich war aus reinem Gold, gleich reinem Glas. Die Grundsteine waren geschmückt mit allerlei Edelsteinen. Der erste Grundstein war ein Jaspis, der zweite ein Saphir, der dritte ein Chalzedon, der vierte ein Smaragd, der fünfte ein Sardonyx, der sechste ein Sarder, der siebente ein Chrysolith, der achte ein Beryll, der neunte ein Topas, der zehnte ein Chrysopras, der elfte ein Hyazinth, der zwölfte ein Amethyst. Und die zwölf Tore waren zwölf Perlen, ein jedes Tor war aus einer einzigen Perle, und die Straße der Stadt war aus reinem Gold wie durchscheinendes Glas.“

Wovor Angst, ihr Erwählten des Herrn? Stoßt ab das Alte, das Neue erwartet sehnsüchtig eure Ankunft.

Also unterließen sie es, das Alte in letzter Sekunde zu retten, überließen es dem finalen Verfall und wanderten unter Jauchzen und Frohlocken ins ewige Reich der Untoten.

Schon steht der neue Führer vor den Toren, um das törichte Volk der Germanen nicht auf den letzten Metern dem Antichrist zu überlassen: eine ideale Persönlichkeit aus deutschen Urideen und amerikanischem Wagemut mit Namen: Peter Thiel.

„Neue Ideen sind gefährlich. Aber wir werden sie brauchen für unsere Rettung. Wir sollten auch nicht vergessen, dass die Parole des Antichrist „Frieden und Sicherheit“ lautet. Und heute müssen wir eher den Antichrist fürchten als Armageddon.“ (WELT.de)

Frieden und Sicherheit sind für Thiel die Parolen des Antichrist, der das Kommen des Christus verhindern will. Also muss jener bekämpft werden, indem Unfrieden und Katastrophen vorbereitet werden. Zuerst bittere Not, weltweites Elend und Endzeitschlachten, dann erst das ewige Reich des Friedens für die Erwählten und das höllische Feuer für die Verworfenen.

„Dann werden zwei auf dem Felde sein; einer wird angenommen und einer wird zurückgelassen. Zwei werden mit dem Mühlstein mahlen: eine wird zurückgelassen.
Sogleich aber nach der Bedrängnis jener Tage wird die Sonne sich verfinstern und der Mond seinen Schein verlieren, und die Sterne werden vom Himmel fallen und die Kräfte der Himmel werden ins Wanken kommen. Und dann wird erscheinen das Zeichen des Menschensohns am Himmel. Und dann werden wehklagen alle Stämme der Erde und werden sehen den Menschensohn kommen auf den Wolken des Himmels. Und wer auf dem Dach ist, der steige nicht hinunter, etwas aus seinem Hause zu holen; und wer auf dem Feld ist, der kehre nicht zurück, seinen Mantel zu holen. Weh aber den Schwangeren und den Stillenden in jenen Tagen! Bittet aber, dass eure Flucht nicht geschehe im Winter oder am Sabbat. Denn es wird dann eine große Bedrängnis sein, wie sie nicht gewesen ist vom Anfang der Welt bis jetzt und auch nicht wieder werden wird. Und wenn jene Tage nicht verkürzt würden, so würde kein Mensch gerettet werden.“

Die Apokalypse hat nichts zu tun mit Demokratie, diesem jämmerlichen Erzeugnis der Gottlosen. Also verabscheut auch der Feind des Antichrists alles, was an heidnische Demokratie erinnern könnte.

Freiheit und Demokratie hält Thiel für unvereinbar. Wettbewerb sei etwas für Verlierer, weshalb er Firmengründern rät, durch innovative Technologien Monopole aufzubauen, die er entgegen der klassischen Sichtweise als Fortschrittmotoren propagiert. Dabei unterscheidet er zwischen „kreativen Monopolen“ und „illegalen Tyrannen oder Lieblingen der Regierung“, die keine Monopolrenten verdient hätten. Seine Thesen wirken als intellektuelle Rückendeckung für Technologiekonzerne, die eine dominante, marktbeherrschende Stellung anstreben, indem sie Konkurrenten kaufen oder vernichten. Dies gilt insbesondere für die Gedankenwelt des Silicon Valley, die Thiel mit seinen Ideen entscheidend geprägt hat. Hierzu zählt auch die von ihm gelobte Praxis, Behörden gegenüber zu lügen, um sich deren Einfluss zu entziehen, da aus seiner Sicht „Firmen über Staaten“ stünden.“ (Wiki)

Alles, was nach Staat riecht, ist ein Feind allmächtiger Wirtschafts-Monopole, die das Schicksal der Menschheit allein in die Hände nehmen wollen. Staaten als gewählte Regierungen der Völker sind im Endreich der Monopol-Tyranneien nicht geduldet.

Wie nennt man Regierungen, die nicht demokratisch sind? Totalitäre Regimes, Faschismen? Bitte nicht gleich übertreiben mit faschistoiden Harmlosigkeiten!

Kann man in brandgefährlichen Krisenzeiten noch übertreiben? Wäre nicht umgekehrt alles Verharmlosen und Untertreiben lebensgefährlich?

„Gleichzeitig zur Cryosphäre zerstört die Menschheit gerade große Teile der Biosphäre. Tatsächlich ist das sechste Massenaussterben der Erdgeschichte bereits in vollem Gang, da ist sich die Fachwelt einig. Der letzte Vorfall, der zu einem vergleichbaren Artensterben führte, war der Einschlag eines Asteroiden im heutigen Mexiko, der vor 66 Millionen Jahren die Dinosaurier ausrottete. Das ist der Vergleichsmaßstab, aber diesmal sind wir der Asteroid. Und nein, das ist keine Übertreibung. Nichts könnte so schrill und plump sein wie die Realität.“ Kommentiert Christian Stöcker in SPIEGEL.de.

Und nun geschieht etwas, das man als Skandal bezeichnen müsste – wenn der Begriff nicht schon längst abgenutzt wäre.

Nicht zum ersten Mal präsentiert ein deutscher Medienverlag den deutsch-amerikanischen Faschisten als Vorbild für die deutsche Politik:

„Thiel ist neben seinem Freund Elon Musk die faszinierendste Figur unter Amerikas Tech-Milliardären. „Global Strategist“ kann Österreichs ehemaliger Kanzler Sebastian Kurz künftig auf seine Visitenkarte schreiben. Als solcher wird er künftig den deutschstämmigen US-Milliardär Peter Thiel beraten. Thiel ist Philosoph, ein Bücherwurm. Die westliche Kultur sieht er im Niedergang. Er ist ständig auf der Suche nach „dem Bewahrenswerten“.“ (BILD.de)

Thiel ist kein ordinärer Faschist, sondern ein christlicher, der mit Hilfe einer apokalyptischen Genietechnik die Natur endgültig zerstören will, um durch Wunder über Wunder das Neue herzuzaubern. Naturwissenschaft und Technik erniedrigt er zu Mägden der Heilsgeschichte.

Er verhöhnt das „Bullerbü“ der ökologischen FFF-Jugend. Eine weitere Verachtung all dessen, was für Heranwachsende und Kinder lebensnotwendig ist. Die chinesische Überwachungsdiktatur will er – mit gleichen Waffen niederkämpfen.

Deutschland war einmal genial, doch heute sei es selbstgefällig und ambitionslos geworden. Dennoch setzt Thiel auf neue Ideen aus Deutschland, offensichtlich glaubt er nicht mehr an den amerikanischen Traum von Silicon Valley.

Den Inbegriff neuer Ideen aus Old Germany verkörpert er selbst, der amerikanischen Technizismus mit urdeutscher Schwärmerei über das Ende der Geschichte verbinden will. Hat er vergessen, dass die Deutschen erst vor kurzem den christlichen Traum vom dritten oder tausendjährigen Reich mit Vernichtungsmethoden in eine schreckliche Realität verwandelten?

Dabei müsste er gar nicht nach Deutschland blicken, um die Auserwähltheit des christlichen Westens zu betonen. Im Gegensatz zu den Deutschen schämen sich die Amerikaner ihrer Endzeitfantasien nicht, in denen sie, wie in allen Dingen, eine auserwählte Rolle spielen.

Sie sind das exzeptionelle Land, das sich alles erlauben darf, was anderen Ländern verboten ist.

Dieser Exzeptionalismus ist die Ursünde der amerikanischen Demokratie seit ihrer Geburt, gezeugt durch die seltsame Paarung graecophiler Gentlemen mit puritanischen Griechenhassern.

Amerika, lange Zeit die erste Demokratie der Welt, der Deutschland alles zu verdanken hat, besitzt zwei völlig konträre Seiten. Der neue Kontinent lebte das Vorbild einer freien Polis, die sich gleichwohl als zweites Jerusalem auf Erden betrachtete.

Das christliche Element duckte sich gekonnt, solange das neue Imperium an Macht und Ansehen zunahm. Doch immer, wenn Amerika ins Trudeln geriet, muckten die biblizistischen Kräfte auf und rüsteten sich zum Empfang des wiederkehrenden Herrn. So auch heute, wo die erste Macht der Welt seit Jahrzehnten an Einfluss verliert.

Christliche und jüdische Fundamentalisten riefen die neokonservative Bewegung ins Leben, die keinen Wert mehr legte auf den Bau eines demokratischen Weltdorfes, sondern die Vorzugsstellung einer exzeptionellen Lieblingsnation Gottes mit Biegen und Brechen durchsetzen wollte.

Das UN-Parlament der Völker wurde zur Seite geschoben, die Grundregeln der UN-Charta sträflich vernachlässigt. Auserwählte dürfen alles, die anderen nichts.

Die außerordentliche Leistung der Sowjetrussen, ihr totalitäres Riesenreich mit friedlichen Mitteln zu beenden und zu zerlegen – ohne einen Dritten Weltkrieg zu beginnen –, wurde in Amerika höhnisch als Niederlage im Kalten Krieg verachtet.

Putins anfänglich beste Absichten, Russland in eine Demokratie zu verwandeln, wurde durch diesen gehässigen Hohn gestoppt und ins Gegenteil einer immer feindseliger werdenden gedemütigten Nation verwandelt. Nina Chruschtschowa, Enkelin des Nikita Chruschtschow, analysiert präzise die heutige Malaise, die von keinem westlichen Experten auch nur mit einem Wörtchen erwähnt wird:

„Mit ihrer Ignoranz gegenüber den russischen Bedenken hinsichtlich der Nato stärken die USA und Europa die Unterstützung für Putin. Lediglich vier Prozent der russischen Bevölkerung gibt dem Kreml die Schuld am jüngsten Truppenaufmarsch, der Rest macht die USA oder die Ukraine dafür verantwortlich. Wenn sich der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj im Kampfanzug präsentiert und das Militär lobt oder auf eine feste Zusage hinsichtlich einer Nato-Mitgliedschaft seines Landes drängt, übermittelt er damit den gewöhnlichen Menschen in Russland die Botschaft, dass an ihrer Grenze eine Sicherheitsbedrohung besteht – und dabei handelt es sich nicht um die dort aufmarschierenden russischen Truppen. Die ukrainische Politik verstärkt diesen Eindruck noch, wenn sie verkündet, das Land müsse sich auf eine gewaltvolle Rückeroberung der Krim vorbereiten. Während die „exzeptionellen” USA ihre eigenen strategischen Interessen ohne „die damit verbundenen Folgen” durchsetzen konnten, wie es ein Autor formulierte, ist es nun möglicherweise an der Zeit, neue Variablen zu berücksichtigen – nämlich, dass die Russen ihr Land ebenfalls als exzeptionell betrachten.“ Amerika besteht auf seinem „Exzeptionalismus“ – seiner Ausnahmestellung. Der Rest der Welt muss sich an Regeln halten.“ (TAGESSPIEGEL.de)

Noam Chomsky war einer der wenigen selbstkritischen Stimmen in Amerika:

„Noam Chomsky weist darauf hin, dass bereits 1630 John Winthrop in seiner Predigt Model of Christian Charity die den Evangelien entlehnte Formulierung „Stadt auf dem Hügel“ verwandte, als er die Zukunft einer neuen, „von Gott bestimmten“ Nation entwarf. Winthrop war Gouverneur der Massachusetts Bay Colony, die 1629 in ihrem Siegel einen Indianer zeigt, der die englischen Puritaner bat, ihm zu Hilfe „herüberzukommen“, d. h. seine Seele durch die Bekehrung zum Christentum zu retten.[3] Über die Doktrin des Manifest Destiny („offensichtliche Bestimmung“) des 19. Jahrhunderts habe sich das Sendungsbewusstsein für Christentum, Demokratie und Menschenrechte nach amerikanischer Prägung entwickelt, das der Rechtfertigung eines skrupellosen Imperialismus diene.“ (Wiki)

Es wäre an der Zeit, aus deutscher oder europäischer Sicht Amerika einer grundsätzlichen Kritik zu unterziehen. Das vorbildliche Amerika muss streng unterschieden werden von demokratiefeindlichen Umtrieben der Apokalyptiker. Nicht in Deutschland, in Amerika begann die schärfste ökologische, wirtschaftliche und feministische Kritik an der westlichen Welt. Namen wie Marylin French, Lewis Mumford, Carolyn Merchant, Rachel Carson, Noam Chomsky uva sind hier nicht mehr bekannt.

Deutschland, unaufrichtig und feige, ist unfähig, seine besten Freunde zu kritisieren. Das sieht man an der blinden Kritiklosigkeit gegenüber Israel, getarnt als verlogene Holocaust-Buße und an der mimetischen Übernahme fast der gesamten amerikanischen Kultur und Sprache, ohne den kleinsten eigenständigen Beitrag zur Klärung der Weltlage zu liefern.

Aus Deutschland gibt es kein einziges Konzept zur Friedensgestaltung der Welt. Wenn aber Krieg droht, verlässt man sich ängstlich auf den Schutz des Großen Freundes.

Nicht Trump war der Erfinder des Slogans: America first, sondern der Erwählungsglaube der calvinistischen Ursiedler. Die verhängnisvolle Rolle einer christlichen Politik will man in Deutschland nicht wahrhaben – und ist dennoch über den christlichen Schirm Amerikas über die Weltpolitik beruhigt.

Nicht anders als bei uns, wo man die fromme Politik einer Ex-Kanzlerin weder wahrhaben noch untersuchen will, aber im Grunde des Herzens beruhigt ist über die Hand des Himmels über dem deutschen Wirtschaftswachstum.

Durch alle Ritzen des Gebäudes dringen christliche Elemente zurück ins Bewusstsein der Menschen, die die unlösbar scheinenden Konflikte der Klimakatastrophe nutzen, um ihre Unentbehrlichkeit zu demonstrieren. Der Niedergang der Welt ist die Chance der Überwelt.

Auch die Naturwissenschaften sind durchdrungen von Glaubensfragen, die sie mit Erkenntnisfragen verwechseln. Ist Big-Bang der wahre Ursprung des Universums?

Die erste Naturwissenschaftlerin antwortet:

„Die Alternative wäre wohl, dass Raum und Zeit irgendwann aus dem Nichts entstanden sind. Damit würde die Frage „Was kam davor?“ schlicht keinen Sinn ergeben. Mein intuitives Vorstellungsvermögen steigt an dieser Stelle aus. Als Physikerin kann ich mich zwar auf Gleichungen berufen, um einen solchen Prozess zu beschreiben. Aber mir anschaulich vorzustellen, was es bedeutet, dass die Zeit beginnt, das fällt mir schwer. Genauso, glaube ich, werden Menschen eines Tages – ob in zehn oder in zehntausend Jahren – eine Theorie entwickeln, die schlüssig erklärt, wo unsere Welt herkommt. Ob sich diese Antwort dann für uns intuitiv oder richtig anfühlen wird, weiß ich nicht. Vielleicht wird sie Aussagen über die Zeit vor dem Urknall treffen, die wir uns schlicht nicht vorstellen können. Aber ich bin zuversichtlich, dass wir es eines Tages herausfinden werden.“ (ZEIT.de)

Die Frage nach dem Ursprung ist unbeantwortbar. Kaum hat man einen Ursprung wahrgenommen, kommt unausweichlich die nächste Frage: und was ist der Ursprung des Ursprungs? Die Begründung der Begründung wird zum unendlichen Regress.

Jeder Anfang, den man zum wahren erklärt, ist eine Glaubensangelegenheit. Das wusste bereits Aristoteles. Moderne Naturwissenschaftler glauben, auf Auseinandersetzung mit der Philosophie verzichten zu können. Das infantilisiert die Astronomie zur mathematischen Konstruktion eines Ersatzhimmels, der über die Belange der Menschheit erhaben ist.

Hier zeigt sich die Sackgasse, in der sich die Naturwissenschaft befindet, die das Universum wie ein allmächtiger Creator neu erfinden will.

Der zweite Naturwissenschaftler, ein christlicher Prediger:

„Mir persönlich hat das Buch Genesis dabei geholfen. Die Frage nach dem Ursprung ist ja nicht neu, Menschen haben sie sich schon vor Tausenden Jahren gestellt. Es wäre arrogant, diese alten Weisheiten einfach beiseite zu wischen, wie das heute viele Menschen tun. Ich weiß schon: Was ich heute aus dem Alten Testament herauslese, haben die Schreiber damals vielleicht gar nicht so bedacht. Aber das ist doch auch bei Kunstwerken so: Ein gutes Kunstwerk geht oft über den Künstler hinaus. Es entfaltet sich in jeder Zeit im Dialog mit der Betrachterin und ihrem Wissen und ihren Erfahrungen neu.“

Die Bibel ist keine Schöpfung eines Künstlers, sondern wortwörtliches Diktat Gottes in die Feder schreibkundiger Frommer. Wer sie verstehen und ihren Weisungen folgen will, muss den wörtlichen Text zur Kenntnis nehmen. Alles andere ist hybride Freigeisterei, kein Ernstnehmen des Buchstabens.

Der fromme Wissenschaftler begeht denselben Fehler wie die Theologen, die – seit Schleiermacher – die Texte nach ihrem modernen Belieben drehen und wenden, wie sie wollen.

Inspirieren lassen kann man sich von allem, doch subjektive Anmaßungen über eine objektive Offenbarung sind, in den Augen der Fundamentalisten, eine Sünde.

Auch profane Texte können nicht nach Belieben verändert werden, sondern müssen textgetreu interpretiert werden. Alles andere wäre ein Vergehen an den Intentionen des Verfassers.

Ausgerechnet einen göttlichen Text glauben die Frommen nach Belieben verändern und deuten zu dürfen. Das führt zu postmodernen Subjektivismen, die keinen objektiven Glauben begründen können. Das Christentum wird zum Abrakadabra unendlicher Glaubensmeinungen.

Alles, was man persönlich für richtig hält, kann man plötzlich als Gottes Willen darstellen. Dann kann es keine Denkweise mehr geben, die sich nicht als unfehlbarer Glauben darstellen ließe. Unendlich viele Meinungen, die sich allesamt für unfehlbar halten, obgleich sie sich alle fundamental widersprechen, sind ein Alptraum für jedes logische Denken.

Zwischen Glauben und Vernunft gibt es keine Verständigung. Mit Hilfe ihrer mathematischen Strenge erniedrigt sich die moderne Wissenschaft zur Magd des Glaubens. Der ursprüngliche und unlösbare Zwist zwischen autonomem Denken und fremder Offenbarung wird mit faulen Methoden zum Schein überbrückt.

Die Naturwissenschaften verspielen ihr Renommee. Der Glaube plustert sich auf, die Erkenntnis der Vernunft unter das Regiment unfehlbarer Kirchen heimgeholt zu haben.

Ein neues Jahr beginnt. Warum verharren die Mächtigen in unbeweglicher Geistesträgheit und unterlassen alles, was ihre dringende Pflicht wäre: die Klimakatastrophe zu bekämpfen und die Menschheit zu retten?

Weil sie sich für unbefugt halten, das Schicksal des Menschen aus eigener Kraft zu meistern. Es ist wie bei jenem Menschen in einer Kurzgeschichte Kafkas, der endlos auf die kaiserliche Botschaft wartet:

„Du aber sitzt an deinem Fenster und erträumst sie dir, wenn der Abend kommt.“

Fortsetzung folgt.