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… zum Logos XCVII

Tagesmail vom 05.08.2022

… zum Logos XCVII,

Lob der deutschen Männerfreundschaft. Niemand lobt besser als ein böser Russe, der solche Freundschaft für sich missbraucht. Deutsch-russische Männerfreundschaft ist unzerbrechlich.

„Der wahre Freund allein
Ist doch das höchste Gut auf Erden
Ein Freund, ein guter Freund
Das ist das Beste, was es gibt auf der Welt
Ein Freund bleibt immer Freund
Und wenn die ganze Welt zusammenfällt
Ein Freund bleibt immer dir Freund
Und wenn auch die ganze, die schlechte, die wacklige, die alberne Welt vor den Augen zusammenfällt“.

Wem der große Wurf gelungen,
Eines Freundes Freund zu sein;
Und wer’s nie gekonnt,
der stehle weinend sich aus diesem Bund!

„Gute Freunde kann niemand trennen
Gute Freunde sind nie allein
Weil sie eines im Leben können
Füreinander da zu sein
Gute Freunde kann niemand trennen
Gute Freunde sind nie allein
Weil sie eines im Leben können
Füreinander da zu sein
Lass doch die andern reden
Was kann uns schon geschehn
Wir werden heut und morgen
Nicht auseinander gehen.“ (Franz Beckenbauer)

Früher waren Feinde nötig, um Freundschaft zu lernen. Der Andere war alles, was Ich nicht war. Ohne Feindschaft keine Freundschaft, sagte Carl Schmitt.

Heute sind die Völker zusammengewachsen, sie hassen sich nicht mehr. Sie spüren das gemeinsame Schicksal, das ihnen bevorsteht.

Würden sie zusammenhalten, hätten sie noch eine Chance – gemeinsam könnten sie das rettende Ufer noch erreichen. Wenn nicht, wird es brenzlich:

O Welt, ich muß dich lassen,
ich fahr dahin mein Straßen
ins ewig Vaterland.

Doch dies gilt nur für die Überflüssigen. Die Besten scheuen keine Anstrengung, um dem Elend der Massen zu entkommen. Was den Vielzuvielen verboten ist – über Utopien nachzudenken –, das lassen sie sich nicht nehmen: sie entwerfen Utopien allein für sich, die Auserwählten.

„Gegenwärtig entstehen Bunkerstädte für die post-apokalyptische Gemeinschaft der Superreichen.“ (Stefan Selke, Wunschland)

Utopien sind nur für die Superreichen. Den Massen sind sie streng verboten. Die Schreibergarden der Reichen verbieten ihren Lesern jegliche Flucht aus dem Diesseits in ein perfektes Jenseits – doch die Utopien der Reichen bejubeln sie mit Inbrunst.

Oben herrscht Konkurrenz, doch Konkurrenz der Eliten verbindet. Wen diese ablehnen oder hassen, das sind die Massen der Verlorenen. Konkurrierend bewundern sich die Reichen, denn sie sitzen im selben rettenden Boot – wie sie glauben:

„Zu streben, zu suchen, zu finden und nicht zu ruhen“ in einem „unabschließbaren Prozess; denn an jedem Ziel beginnt eine neue Sinnsuche des ewigen Fragens und mitreißenden Unbehagens. Die Entwicklungsmöglichkeiten sind dabei so grenzenlos wie das Universum“, behauptet die NASA, „its not enough!“ Die Magie des Wunschlands besteht darin, dabei immer wieder an den eigenen Ansprüchen zu scheitern und dennoch weiterzumachen.“ (zit. bei Selke)

Nein, das ist kein Wunschevangelium für die Primitiven, die Unbeweglichen, die von der Vergangenheit für immer Geprägten, für die Anhänger der Statik: was gut ist, muss immer gut sein.

Zu den Fußkranken und Lahmen gehörten früher auch Kaiser und Edelleute aus „unterentwickelten Ländern“:

„In einem Antwortschreiben erklärte der chinesische Kaiser, er habe „erfinderische Gegenstände niemals geschätzt“ und er habe auch „nicht den geringsten Bedarf an den Erzeugnissen Englands“.“

Das war das Todesurteil für das unbeweglich in sich ruhende „Reich der Mitte“. Heute haben sie die ruhelosen Prinzipien des Feindes übernommen: das Unterwegssein ist alles.

Es waren nicht nur habgierige Krämer Englands, die das weise China ruinierten, auch die Faszination Hegels für das traditionelle China hielt sich in Grenzen:

„Als Hegel erklärte, warum China aus der Weltgeschichte herausgefallen war, verwies er auf die Gleichgültigkeit gegenüber der Erforschung der Meere. Und just von der See her sollten europäische Mächte bald darauf Chinas Schwäche erkunden und in seinen Wunden bohren.“ (Pankaj Mishra)

Was nicht Schritt hält mit dem Fortschritt, wird von diesem verschlungen. Niemand kann sich ausruhen, niemand darf eine Pause machen. Wer den Satz sagen würde: verweile Augenblick, du bist so schön, der wäre verloren.

Es geht um die Verbesserung der humanen Qualitäten der Menschheit – allein durch Technik. Wer Humanität auf humane Weise voranbringen will, sollte sich rechtzeitig in Sicherheit bringen. Denn für ihn gilt:

„In Anlehnung“ an Pierre-Joseph Proudhon heißt es bei Carl Schmitt: „Wer Menschheit sagt, will betrügen“.

Humanität mit humanen Mitteln – absolut verboten. Weshalb die Politiker immer mehr dazu übergehen, ihre humanen Parteienparolen zu tilgen und auf die Entwicklung intelligenter Utopiemaschinen zu setzen.

In einer ZDF-Sendung von Claus Kleber beschrieb ein humanistischer Professor die gegenwärtige Lage:

„Wir erleben, wie die Technik Systeme für einen Machtzuwachs von autoritären Herrschern baut. Einige sitzen in der Industrie wie Zuckerberg, andere lenken Staaten, wie Donald Trump oder Viktor Orban. Oder man kann die Liste runtergehen, Jinping in China. Die Mächtigen werden ihre Macht nicht wieder hergeben. Gleichzeitig zerstören wir die Institutionen in der Mitte: die Medien, die Parlamente, die wir brauchen, um die Mächtigen zu kontrollieren. Wenn das so weitergeht, fallen wir zurück in eine neue feudale Welt. Mit wenigen Mächtigen ganz oben und hier unten sind wir ihnen ausgeliefert.“

Die Macher der digitalen Revolution, meint Kleber, sind „mittlerweilen auf Augenhöhe mit den Führern von Völkern und Staaten.“

Natürlich gibt es Kritiker dieser Entwicklung. Zu ihnen gehört Jaron Lanier, ein Tech-Guru:

„Ich finde, die Menschheit vor dem Untergang zu retten, indem sie raus in den Weltraum flieht, das ist eine ziemlich erbärmliche, traurige, kaltherzige Option. Wir müssen andere Wege finden, um mit Hilfe der Technik zu überleben. Am besten, indem wir Technologie als kulturelles Projekt verstehen und nicht als Werkzeug für immer mehr Macht.“

Ohne Technik scheint‘s auch beim Guru nicht zu gehen. Wie sähe denn der politische Weg der Humanität mit humanen Mitteln aus? Keine Antwort aus dem unendlichen Weltall.

Ohnehin wäre solche Hinterwäldlerei zum Scheitern verurteilt. Denn:

„Der Instinkt, der Technik und Fortschritt stoppen will, das ist doch rückwärtsgewandt. Die Erde, die Menschheit, alles soll so bleiben wie jetzt? So ticken wir einfach nicht. Vielleicht weg von diesem Planeten, zu anderen. Vielleicht raus aus unserem Körper. Vielleicht ist das, was wir heute physisch sind, nur eine vorübergehende Phase. Vielleicht enden wir mal als, ich weiß auch nicht, als intelligente Cloud irgendwo zwischen den Sternen. Klar müssen wir überlegen, was eine gute Sache wird, was eine schlechte. Aber wir können doch nicht versprechen, dass nie mehr etwas Schlechtes passiert. Dann müssten wir aufhören, Neues zu versuchen und blieben als Menschheit einfach stehen. Und das müssen wir doch wirklich alle vermeiden“ – spricht ein technischer Visionär namens Chris Anderson.

Visionen in der Technik sind erlaubt und erwünscht, in der Politik gelten sie als platonisch-faschistisch.

Kleber fasst aus seiner Sicht die Debatte zusammen:

„Was hier mit einer Selbstverständlichkeit verhandelt wird, als ginge es bloß um Technik, bestimmt die Zukunft der Menschheit. Ob sie es will oder nicht. Unentrinnbar. Egal, ob die Macher Musk, Zuckerberg, Peter Thiel oder Jeff Bezos heißen. Wer so etwas unternimmt, ist uns allen Rechenschaft schuldig. Es wäre verheerend, das einfach über sich ergehen zu lassen.“

Ein kleiner Widerspruch, Herr Kleber: entweder ist der Fortschritt unentrinnbar, dann sind wir ihm gnadenlos ausgeliefert – oder wir können was dagegen tun, dann ist er nicht unentrinnbar.

Die Mehrheit der Medien gehört jenen Propheten, die uns ständig einbläuen: was auf uns zukommt, ist unausweichlich. Die Edelschreiber schreiben nicht, was ist, sondern was sein wird – als wären sie Propheten der Heilsgeschichte.

Schröder und Putin, zwei unzertrennliche Freunde, heißen wahrlich nicht Zuckerberg und Musk. Doch auch sie haben Visionen von der Zukunft, die sie weit über die dumpfen Massen erheben:

Schröder: „Mein Eindruck ist: Es gibt in Russland wirkliche Einkreisungsängste, die aus der Geschichte gespeist sind. Und die haben ja leider auch ihre Berechtigung. Die Europäische Union ist nicht in Gefahr. Die Europäer hingegen laufen Gefahr, ihre Eigenständigkeit preiszugeben, wenn sie sich allein auf Amerika verlassen. Die Amerikaner sind sehr verunsichert, ob sie noch die alleinige Weltmacht sind. Und wenn eine solche Macht im Inneren unsicher wird, gibt es außenpolitische Probleme. In Wahrheit führen die USA gerade mit China eine Auseinandersetzung um die wirkliche Führungsrolle in der Welt. Nicht mit Russland, das doch ökonomisch gar nicht mithalten kann. Dieser Konflikt ist aus meiner Warte ein Teil einer geopolitischen Auseinandersetzung. Ich glaube aber, dass auch der Westen – wenn es ihn überhaupt noch so gibt – einen schweren Fehler begeht und sich zu einseitig auf Amerika stützt.“ (STERN.de)

Mit anderen Worten: Putin hat erkannt, dass die jetzige Weltordnung unter amerikanischer Vorherrschaft unhaltbar geworden ist. Alle, die daran festhalten, werden sich selbst in die Knie schießen. Also muss er die Welt in Brand setzen, um das Neue und Westenfeindliche zu etablieren.

Deutschland dürfe sich nicht einseitig auf die Seite der Ukraine stellen, sondern sollte auf Verhandlungen setzen – in denen auch er, Schröder, ein Wörtchen mitreden könnte. Seine Freundschaft mit Putin qualifiziere ihn dazu. Leider würden die Deutschen dieses nicht zur Kenntnis nehmen – und ihn maßlos attackieren.

Und was ist mit dem Krieg? Hat Schröder seinen Freund als Massenmörder zur Rede gestellt? Hat er ihn aufgefordert, den Krieg sofort zu beenden – oder er würde seine Freundschaft vor aller Welt kündigen?

„Ich halte diesen Krieg für einen Fehler der russischen Regierung. Das habe ich auch öffentlich gesagt. Aber ich muss deswegen nicht ständig den Empörer spielen, das können andere tun.“

Schröder zeigt sich unberührt. Fehler könnten jedem unterlaufen, was soll das moralische Getöse? Er denke nicht daran, den ständigen Empörer zu spielen.

„Wem würde das helfen? Wenn Sie sich mal die Probleme anschauen, die wirklich relevant sind, so sind sie lösbar.“

Für emotionale Empörung ist er nicht zuständig. Das können andere tun, die vor lauter Selbstgerechtigkeit nicht mehr laufen könnten. Es ginge um harte Probleme, die aber lösbar seien. Und hier könne er vielleicht einen Beitrag leisten – und habe das Geseire des Tugendmobs nicht verdient. Er ist der coole Weltbetrachter von Oben, der sich von Spießeraspekten nicht das Denken verbieten lasse.

Ist der Ex-Kanzler mit diesen Gedanken ein verantwortungsloser Einzelgänger? Auf keinen Fall. Solche amoralischen Sätze kann man jeden Tag in bestimmten Gazetten lesen. Und dort bleibt die Entrüstung aus.

Was aber ist mit der verlangten Empörung über das Menschen-Abschlachten in der Ukraine?

Hier muss müsse realistisch bleiben, Weltpolitik habe sich noch nie aus humanen Gründen vorwärts bewegt. Interessen erfordern andere Mittel als emotionale Sentimentalitäten.

Das ist keine andere Politik als die seiner Nachfolgerin – nur ohne demütige Dauermaskerade.

Deutsche Medien lassen ihre verdienten Politiker nicht einfach im Regen stehen. War Schröder nicht einer der verdienstvollsten Politiker Deutschlands? Hat er nicht dem amerikanischen Krieg gegen den Irak abgesagt? Hat er nicht das wirtschaftliche Tief der Nation mit Mut vor den eigenen Freunden behoben? Auf Kosten der Schwachen und Armen, dem einstigen Stammpublikum der Proletenpartei? Das konnte nur ein SPD-Kanzler, der keine Furcht hatte vor den eigenen Wählern.

Kommt nicht immer mit Hitler, das wird lästig. Putin ist kein Hitler, Schröder kein Hitlerfreund. Die SZ wiegelt ab:

„Er blamiert sich halt. Wenn er das vergnüglich findet: seine Sache.“ (Sueddeutsche.de)

Schröder ist kein Bösewicht, er weigerte sich, am amerikanischen Krieg gegen den Irak teilzunehmen. Er rettete die deutsche Wirtschaft – auf Kosten unserer Schwächsten. Wie tapfer, die Armen zu prügeln, um die Sünden der Erfolgreichen zu tilgen.

Schröder, Mitläufer der kapitalistischen Heilsgeschichte, folgt tapfer seinem neoliberalen Vorbild Blair, der nur eine Versagerschicht kennt: die Erfolglosen, Faulenzer und Versager.

Die Sieger hingegen werden nicht müde, es den Armen heimzuzahlen. Ihr triumphierendes Motto lautet seit Adam Smith:

„Alles für uns selbst und nichts für andere, scheint zu allen Zeiten die elende Devise der Herrschenden gewesen zu sein. Nun hielten sie es für einen großen Vorzug, nicht mehr an andere abgeben zu müssen.“

Beide, Schröder und Putin, kommen ganz von unten. Sie wissen, wie es ist, sich durchzuquälen durch die Massen der Mitbewerber, um nach oben zukommen. Gerade deshalb distanzieren sie sich vom moralinsauren Gerede von Krethi und Plethi und bewahren einen kühlen Kopf. Auch sie wollen eine ganz andere Zukunft als die jetzige Gegenwart.

Auch sie wollen eine bessere Zukunft, nicht anders als die Silicon-Valley-Genies. Aber nicht unbedingt durch Intelligenzmaschinen, sondern durch coole Gewaltherrschaft der Welteliten über die endlosen Massen.

Sie verstehen sich blindlings, die beiden Emporkömmlinge, die sich mühsam einen Platz an der Sonne erobert haben.

Deutschland lässt seine Stars nicht im Regen stehen. BASF und VW bleiben Favoriten der Wohlstandsgarantie. Wir beten, indem wir unseren Reichtum zählen. Und wo bleiben die Armen? Sie verschwinden im Dunkeln:

„Die Zahlen stellen die Armut eher verharmlosend dar. So wird nur die relative Einkommensarmut berücksichtigt und nicht die absolute Armut. Besonders finanzschwache Gruppen sind in der Statistik gar nicht enthalten, denn es geht bloß um Armut im Haushaltskontext. Obdachlose oder Menschen, die in Notunterkünften leben, bleiben zum Beispiel außen vor. Mein größter Kritikpunkt ist, dass der Reichtum in Deutschland nicht erhoben wird. Man sieht in den Zahlen nicht die soziale Ungleichheit. Gerade in der Pandemie hat diese sich aber verschärft. Der Staat muss dem Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes gerecht werden und nicht nach dem neoliberalen Leistungsprinzip die Reichen noch mehr begünstigen.“ (TAZ.de)

Neoliberales Leistungsprinzip? Kennen die Deutschen nicht. Kein Politiker von Rang nimmt solche Ekelbegriffe in den Mund.

Fortsetzung folgt.