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Tagesmail vom 13.07.2022

… zum Logos XCIII,

Zak Dychtwald, amerikanischer Journalist, mit China vertraut, schrieb im Jahre 2018 in seinem Buch „Young China – Wie eine neue Generation ihr Land und die ganze Welt erobert“:

„Die junge Generation weist ein Merkmal auf, das sie grundlegend und beinahe schockierend deutlich von allen anderen Millenials unterscheidet, noch dazu , wenn man sich vor Augen hält, wie viele Mitglieder diese Generation in China hat: Die chinesischen Millenials sind in einer Welt aufgewachsen , die sich um ein Vielfaches schneller verändert hat als unsere. Diese junge Generation von Chinesen hat erlebt, wie sich ihr Land vom „kranken Mann Asiens“ in eine Weltmacht verwandelte, die den USA, die lange ein unerreichbares Vorbild waren, in einem Handelskrieg auf Augenhöhe gegenübersteht.“

Die jungen Chinesen sind weltoffen und stolz auf ihr riesiges Land, das den Westen in vielen Dingen überholt hat. Klimawandel ist für sie noch nicht das größte Problem.

„Die jungen Chinesen sind sich der Tatsache bewusst, dass ihre Regierung alles andere als vollkommen ist, aber sie sind stolz auf die Leistungen ihres Landes in den vergangenen Jahrzehnten.“

Aber die junge Generation sehnt sich nach Freiheit. Wie steht sie zu Greta Thunberg und der FFF-Bewegung? Wird es bald zu einer ähnlichen Protestbewegung bei ihnen kommen?

„Nein. Meine Freunde in China bezeichnen solche Anliegen oft als Luxusfragen, die sich die Chinesen – die noch immer hart arbeiten müssen – immer noch nicht leisten können.“

Zak Dychtwald setzt seine Hoffnung vielmehr – auf die Deutschen.

„Ich hatte das Glück, Deutsche zu meinen Freunden zu zählen. Seit fünf Jahren beobachte ich die Entwicklungen in Deutschland, in der Hoffnung, dass es die globale Führungsrolle übernimmt, die ich eigentlich von meinem eigenen Land erwarte. Ich bin dankbar für die Reife, die Deutschland auf der Weltbühne beweist.“

Was wissen wir über China? Stellen wir uns vor, dieser weltoffenen Jugend würde es gelingen, den eisernen Überwachungsring der älteren Generation zu zerbrechen und eine freie Gesellschaft zu schaffen? Die Weltpolitik würde sich über Nacht verändern.

China wäre nicht länger Unterstützer des kriegslüsternen Putin und würde dem Westen zeigen, was echte Demokratie ist – ohne göttlich-teuflische heilsgeschichtliche Hintergründe und ohne unumkehrbare Entwicklung auf eine finale Katastrophe.

Die Vernunft der altchinesischen Philosophie würde Einzug halten und dem maroden Westen ganz neue Perspektiven vermitteln. Zwar würde der christliche Westen glauben, die humanen Begriffe der chinesischen Meister zu kennen. Viele klingen ähnlich, manche geradezu identisch.

Dennoch wären sie anders als die westlichen: sie wären Früchte der menschlichen Autonomie und hätten keine Wurzeln in himmlischen Ergüssen und Offenbarungen.

Der Mensch hat sie erdacht, der Mensch muss sie in Taten übersetzen. Keine übermenschliche Stelle kommt ihnen zu Hilfe. Keine göttliche Stimme macht ihnen Vorschriften, kein Himmel belohnt die Gehorsamen, keine Hölle bestraft die Rebellen.

„Dse-gung fragte: Gibt es ein Wort, das für das ganze Leben als Richtschnur dienen könnte? Der Meister sprach: Wie wäre es mit gegenseitigem Verstehen? Fünf Dinge muss man überall unter dem Himmel üben, um wahrhaft menschlich zu sein.

Man muss großherzig sein – so wird das Volk gewonnen.
Verlässlich – so vertraut das Volk.
Beflissen – so gedeiht das Werk.
Gerecht – so fügt das Volk sich freudig.
Milde – so vermag man die Menschen zu lenken.“

Hören Deutsche diese Sätze, sind sie enttäuscht und lästern: sind das nicht Tugenden von Spießern und Gutmenschen? Solche abgewetzten Begriffe sollen uns aus dem Chaos helfen?

Langsam, da fehlt noch eine Kleinigkeit:

„Der Fürst fragte den Meister. Was würdet Ihr zuerst tun?

Der Meister sprach: Unbedingt die Bezeichnungen richtig stellen. Sind die Bezeichnungen nicht richtig gestellt, so entspricht, was man sagt, nicht den Tatsachen. Entspricht, was man sagt, nicht den Tatsachen, so werden die Handlungen der Regierung ohne Erfolg bleiben – dann werden Züchtigungen und Strafen ohne Maß erteilt. Werden Züchtigungen und Strafen ohne Maß erteilt, so weiß das Volk nicht mehr aus noch ein. Darum bezeichnet der edle Mensch die Dinge so, dass er zu Recht davon reden und dass er das, wovor er redet, auch zu Recht durchführen kann. Denn der edle Mensch gestattet sich in allem, was er sagt, keinerlei Leichtfertigkeit.“

Da ertönt eine schrille deutsche Stimme: Was sind das für einfältige Märchen, die uns hier aufgetischt werden? Es gibt keine eindeutigen oder objektiven Begriffe. Jeder Mensch hat seine individuellen Eindrücke und Empfindungen, also ist auch seine Sprache subjektiv. Da gibt es nichts richtig zu stellen. Was dem einen richtig erscheint, muss der andere noch lange nicht für wahr halten.

Wenn Begriffe nicht eindeutig sind und jeder seine Privatsprache spricht: wie soll man da miteinander reden, streiten und sich verständigen – was Demokratien eigentlich auszeichnen sollte?

Die endlosen Begriffsverwirrungen haben die Moderne ruiniert, strenge Streitgespräche funktionieren nicht, sie werden nicht einmal gewollt.

Demokratie ist für die einen das beste und rationalste Gemeinwesen, für die anderen nur ein machtgieriger Staat, dessen Kompetenzen immer mehr eingeschränkt werden müssen, damit die Reichen ungehindert ihren Reibach machen können.

Links und rechts, linksradikal und rechtsradikal haben 100e Bedeutungen. Für die einen ist links das gerechteste System, für die anderen die Maskerade einer Zwangsbeglückung.

Gerechtigkeit ist für die einen die höchste Auszeichnung eines Staates, für die anderen ist es die Tarnung eines Faschismus.

Liberal ist für die einen Verantwortung in Freiheit, für die andern die Erlaubnis zur asozialen Zügellosigkeit.

Fortschritt ist für die einen das Beste, was der Menschheit passieren kann, für die anderen die Lizenz zur Naturzerstörung.

Konservativ ist für die einen das Festhalten des Alten, das sich bewährt hat, für die anderen das Klammern an die Macht, gleichgültig, ob sie gut oder schlecht war; für die Dritten schließlich das demokratische Mäntelchen für eine undemokratische Herrschaft der Kleriker.

Progressiv ist für die einen eine bessere Zukunft, für die anderen die Erlaubnis, alles Alte platt zu machen, gleichgültig, ob es sich bewährt hat oder nicht.

Moral ist für die einen pure Scheinheiligkeit, denn in der Politik ginge es nur um knallharte Interessen, für die anderen ist es die Formel für humane Verbesserung einer abschüssigen Volksherrschaft.

Wirtschaftswachstum ist für die einen der Inbegriff einer Wohlstandsgesellschaft, für die anderen die nimmersatte Gier der Reichen und Naturzerstörer.

Globalisierung ist für die einen die wirtschaftliche Vernetzung der Welt, um allen Völkern zu nützen, für die anderen eine raffinierte Methode, um unter wohlklingenden Phrasen die schwachen Länder auszubeuten und die reichen zu mästen.

Soziale Marktwirtschaft ist für die einen ein Beitrag des Staates, um gerechtere Verhältnisse herzustellen, für andere ein Verweichlichen der Faulenzer auf Kosten der Fleißigen und Tüchtigen.

Familie ist für die einen ein notwendiges Übel, um dem Kapitalismus Nachwuchs zuzuführen, die aber so schnell wie möglich atomisiert werden muss, damit familiäre Bindungen nicht den Zugriff der Industrie auf die Abhängigen erschweren; für die anderen die vitale Lebensgemeinschaft aller Menschen, um ihnen eine verlässliche Gruppe zu bieten, in der sie – Mensch sein dürfen.

Karriere ist für die einen das Nonplusultra eines tüchtigen Egoisten, für die anderen der Inbegriff eines kalten, asozialen Machtstrebens.

Kirche ist für die einen der notwendige Hintergrund einer verlässlichen Moralgesellschaft, für die anderen ein antidemokratisches Relikt.

Opposition ist für die einen eine notwendige kritische Korrektur jeder Volksherrschaft, für die anderen – Mist.

Individuum ist für die einen eine Persönlichkeit, die Würde hat, verflochten mit anderen Persönlichkeiten, die Würde haben; für die anderen ein asozialer Einzelgänger, der nur seine eigenen Interessen kennt.

Und so weiter. In Deutschland gibt es keine gemeinsamen Begriffe, man will auch keine. Es könnte ja Klarheit aufkommen im täglichen Politgeschäft. Welch ein Horror!

Sprache als objektives Mitteilungsinstrument der Menschen ist das Produkt einer gemeinsamen Vernunft – in allen Aufklärungsepochen der Menschheit.

Sprache als heilloses Zerrüttungsinstrument vernunftloser Wesen, die auf eine Offenbarungssprache angewiesen sind, um sich mit der Hilfe Himmels zu verständigen, ist das Kennzeichen überirdischer Religionen.

Sprache als soziales Geschenk der Natur, um zueinander zu finden und sich zu bestärken, ist das Kennzeichen einer vernunftgeleiteten Naturverbundenheit.

Vernunft und Offenbarung sind die beiden großen Rivalen in der Entwicklung des Abendlandes. Insofern es noch leidlich funktionierende Volksherrschaften gibt, hat sich die Vernunft durchgesetzt, insofern Demokratien immer in Gefahr sind, zu verfallen und zu vermodern, hat sich der Geist der Popen durchgesetzt.

Momentan sind die Demokratien dabei, die Achtung der Menschen- und Völkerrechte zu zerstören, um zur Herrschaft antinomischer Gottesgesetze zurückzukehren. Antinomisch heißt, Gott kann seine Gesetze nach Belieben human oder antihuman definieren.

Allmächtig, wie er ist, kann er seine Moral und Gesetze in beliebigen Widersprüchen formulieren – sodass in religiös dominierten Staaten nicht die Vernunft das Sagen hat, sondern die unfehlbaren Vertreter des Himmels.

Autonome, selbstbestimmte, Menschen kann man daran erkennen, dass sie beim Auslegen der Gesetze ihren eigenen Verstand benutzen. Heteronome oder ferngeleitete Menschen denken nicht selbst, sondern sind ihren Autoritäten hörig. Selbstdenken ist für sie eine Sünde wider den Himmel.

Der momentane Weltkonflikt der Völker ist ein grundsätzlicher Streit zwischen autonom sein wollenden Völkern und solchen, die ihren Despoten und Popen untertan sind.

Starke, unkontrollierte Regenten wie Trump, Bolsonaro, Erdogan oder Putin halten sich für die irdische Verkörperung antinomischer Götter. Ihnen ist alles erlaubt, für sie gibt es keine klaren Regeln, an die sich halten müssen.

Um ihre Naturkrisen zu bewältigen, müsste die Menschheit zusammenhalten. Sie müsste der regulativen Kraft ihrer Vernunft folgen, um den exorbitanten Gefahren des Planeten zu begegnen. Denn sie wissen: was sie nicht tun, wird von niemandem getan. Kein Gott, kein überirdisch Wesen wird herabsteigen, um sie zu retten.

Despoten, die sich für göttergleich und unfehlbar halten, ignorieren die Gefahren der Welt. Sie sind überzeugt, dass es keine Probleme gibt, die sie nicht lösen können – vorausgesetzt, ihre Untertanen gehorchen ihnen aufs Wort.

Zak Dychtwald verdanken wir viele wertvolle Erkenntnisse über China, seine hohe Einschätzung der Deutschen aber führt in die Irre. Deutschlands Politik scheint nur reif, wenn man sie aus der Ferne beurteilt. Näher besehen imitiert sie nur notdürftig die demokratischen Regeln, die sie von ihren Befreiern übernehmen musste.

Was verlässliche und rationale Begriffe sind, davon haben die deutschen Politiker und Intellektuellen keine Ahnung. Ihre Reden – sofern sie sich, selten genug, an ihr Volk wenden – schillern in allen Regenbogenfarben. Noch lieber verstummen sie.

Wenn‘s hochkommt, geben sie Audienzen. Strenge Streitgespräche müssen sie keine fürchten. Der jetzige Kanzler unternimmt gerade eine Audienzreise durch sein Volk. Ausgewählte Menschen dürfen Fragen stellen, mehr nicht. Sie erhalten huldvolle Antworten, die sie nicht mehr in Frage stellen dürfen.

War die luxuriöse Heirat des FDP-Vorsitzenden kein arroganter Affront gegen das wirtschaftlich belastete Volk? „Liebe ist das Schönste auf der Welt, stört sie nicht, solange es ihr nicht gefällt.“ So oder so ähnlich klang die selbstgefällige Antwort.

Doch es ging nicht um die Berechtigung einer Liebeshochzeit, es ging um das dreiste Zelebrieren einer Angeberkaste.

Wer hatte die ZuschauerInnen bei Scholz ausgesucht? Die Presse. Nach welchen Kriterien da wohl ausgesucht wurde?

So tourt der Kanzler durch Deutschland, um das Publikum mit seinem plötzlich entdeckten Landesvater-Charme zu besäuseln.

Die altchinesische Kultur, sofern sie wieder zur Geltung käme, hat noch mehr zu bieten als die notwendige Klärung der Begriffe. Sie entdeckt die Risse und Spaltungen der Gesellschaft:

„Wo es Gerechtigkeit gibt in der Welt, da ist Leben, und wo es Ungerechtigkeit gibt, da ist Tod. Wo es Gerechtigkeit gibt, da ist Ordnung, und wo Ungerechtigkeit ist, da ist Unordnung. Wenn Menschen im Reiche sich nicht gegenseitig lieben, überwältigen die Starken die Schwachen, verhöhnen die Reichen die Armen, lästern die Vornehmen die Einfachen und die Schlauen betrügen die Dummen. Alles Elend, Übergriffe, Unzufriedenheit und Hass in der Welt haben ihren Ursprung in dem Mangel an gegenseitiger Liebe.“

Nächstenliebe als Allheilmittel aller irdischen Probleme: haben das nicht auch die Christen? Wer genauer hinschaut, was die Folgen der Nächstenliebe sind, muss die Frage verneinen:

Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen.
Selig sind, die reinen Herzens sind; denn sie werden Gott schauen.
Selig sind, die Frieden stiften; denn sie werden Gottes Kinder heißen.
Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihrer ist das Himmelreich.
So lasst euer Licht leuchten vor den Leuten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen.

Wo werden die guten Taten der Frommen belohnt? Im Jenseits. Das eigentliche Leben der Gläubigen beginnt nach dem Tode – im Reich der Himmel. Das Diesseits ist nicht mehr zu retten – da können sie lieben, wie sie wollen. Eine Politik der Humanisierung der Welt kennen die Jenseitssucher nicht.

„Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern wir suchen die zukünftige.“

Wir aber gehen zu den chinesischen Weisen, die diese Welt in eine Heimstatt der Menschen verwandeln wollten:

„Wenn man andere Staaten wie den eigenen betrachtet, andere Familien wie die eigene und andere Menschen wie sich selbst, dann werden wir keine Kriege miteinander führen und die Menschen werden sich keinen Schaden mehr zufügen.“

Fortsetzung folgt.