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… zum Logos XCII

Tagesmail vom 11.07.2022

… zum Logos XCII,

„… und freue dich der Frau deiner Jugend. Sie ist lieblich wie eine Gazelle und holdselig wie ein Reh. Lass dich von ihrer Anmut allezeit sättigen und ergötze dich allewege an ihrer Liebe.“

Die Mächtigen sind die wahren Klugen und Verständigen. Werden die Zeiten unerträglich, predigen sie dem Volk nicht leichtfertig Hoffnung: sie machen es selber vor, sie leben Hoffnung. Sie zelebrieren wahre Lebensfreude – auf Sylt, der Insel der Seligen, wo die Erwählten auf Adelers Flügeln aus den Wolken herunterschweben.

„Langes Leben ist in ihrer Rechten, in ihrer Linken Reichtum und Ehre. Ihre Wege sind Wege der Wonne und all ihre Pfade sind Wohlfahrt.“

Wohlfahrt ist ihr Programm, wer reich ist, soll noch reicher werden. Wer arm ist, ist selbst schuld.

„Reichtum und Ehre ist bei mir, stattliches Gut und gerechter Lohn … Dass ich denen, die mich lieben, Reichtum gebe und ihre Schatzkammern fülle.“

„Lässige Hand bringt Armut, fleissige Hand schafft Reichtum. Dem Reichen sind seine Güter eine feste Burg, den Dürftigen wird ihre Armut zum Verderben. Die Hand der Fleissigen kommt zur Herrschaft, die lässige aber muss Frondienst tun. Der Arme ist auch seinem Nächsten verhasst, der Reiche aber hat viele Freunde. Reichtum verschafft viele neue Freunde, aber der Arme wird von seinem Freunde verlassen. Faulheit versenkt in tiefen Schlaf; und ein lässiger Mensch muss Hunger leiden. Der Lohn der Gottesfurcht ist Reichtum und Ehre und Leben. Der Reiche hat die Armen in seiner Gewalt.“

Und wie freut man sich des Lebens?

„Da merkte ich, dass es unter ihnen nichts Besseres gibt, als fröhlich zu sein und es gut zu haben im Leben. Dass aber ein Mensch essen und trinken kann und sich gütlich tun bei all seiner Mühsal, auch das ist eine Gabe Gottes.“

Doch was, wenn Krieg ist und die Menschen sich gegenseitig schlachten?

„Lieben hat seine Zeit und Hassen hat seine Zeit. Der Krieg hat seine Zeit und der Friede hat seine Zeit. Siehe, was ich Gutes gesehen habe: dass es fein sei, wenn man isst und trinkt und guten Mutes ist bei allem Mühen, das einer sich macht unter der Sonne sein Leben lang, das Gott ihm gibt; denn das ist sein Teil. Denn wenn Gott einem Menschen Reichtum und Güter gibt und lässt ihn davon essen und trinken und sein Teil nehmen und fröhlich sein bei seinem Mühen, so ist das eine Gottesgabe.“

Der Kluge freit das Weib seiner Jugend in der Kirche, dem Tempel der Frommen. Doch von der Gemeinde der Frommen hält er nichts, längst hat er die Kirche verlassen. Auch kein frommer Pope hält die Predigt, sondern ein Philosoph namens Sloterdijk – der den Mächtigen die Füße küsst. Auch ein Spaßmacher namens Nuhr darf die Gäste erheitern – rebellisch verweigert er die Krawatte.

Aber, fragen die Frommen, darf man in der Kirche heiraten, wenn man sie ablehnt?

Wenn es die Schrift selbst empfiehlt:

„Sei nicht überfromm und gebärde dich nicht gar zu weise: warum willst du dich zugrunde richten? Sei auch nicht zu gottlos und sei kein Tor. Gut ist es, wenn du an dem einen festhältst und auch von dem andern nicht lässest; denn wer Gott fürchtet, entgeht dem allen.“

Nicht übertreiben im Frommsein und Guthandeln, das war auch das Motto der Pastorentochter, die die Verse des Predigers auswendig kannte. Nur gut und vorbildlich sein, bringt nichts. Man muss sich auch bekleckern können.

„Denn es gibt keinen Frommen auf Erden, der nur Gutes täte und niemals fehlte. Achte auch nicht auf alles, was geredet wird, damit du nicht hörst, wie dein Knecht dir flucht.“

Vor allem, rede selbst nicht zu viel, dann kannst du nicht viel Falsches reden:

„Sei nicht vorschnell mit deinem Munde und dein Herz übereile sich nicht, etwas vor Gott zu reden, denn Gott ist im Himmel und du bist auf Erden, darum mache nicht viele Worte. Denn wie Träume kommen bei vielen Geschäften, so törichtes Gerede bei vielen Worten. Denn wo viele Worte sind, ist auch viel Nichtiges.“

Das ist der Grund, warum unsere Politiker fromm sind, aber nicht zu fromm, dass sie reden, aber nicht zu viel reden. Sie bevorzugen das Schweigen, damit sie mit ihrem Plappern den Herrn nicht veräppeln.

Alles in allem nehmen sie das Irdische nicht zu ernst.

„Denn es ist alles so nichtig! spricht der Prediger. Es ist alles umsonst. Denn …

„Gleichwie du nicht weißt, welchen Weg der Wind nimmt und wie die Gebeine im Mutterleibe bereitet werden, so kannst du auch Gottes Tun nicht wissen, der alles wirkt. Am Morgen säe deinen Samen, und lass deine Hand bis zum Abend nicht ruhen; denn du weißt nicht, was geraten wird, ob dies oder das oder ob beides miteinander gut gerät. Es ist das Licht süß, und den Augen lieblich, die Sonne zu sehen. Denn wenn ein Mensch viele Jahre lebt, so sei er fröhlich in ihnen allen und denke an die finstern Tage, dass es viele sein werden; denn alles, was kommt, ist eitel.“

Das Eitle und Irdische darf man nicht zu ernst nehmen. Denn nicht der Mensch entscheidet über die Dinge, sondern der Herr. Menschliches Mühen ist Haschen nach Wind:

„Wiederum sah ich, wie es unter der Sonne zugeht: Zum Laufen hilft nicht schnell sein, zum Kampf hilft nicht stark sein, zur Nahrung hilft nicht geschickt sein, zum Reichtum hilft nicht klug sein; dass einer angenehm sei, dazu hilft nicht, dass er etwas gut kann, sondern alles liegt an Zeit und Glück. Auch weiß der Mensch seine Zeit nicht, sondern wie die Fische gefangen werden mit dem verderblichen Netz und wie die Vögel mit dem Garn gefangen werden, so werden auch die Menschen verstrickt zur bösen Zeit, wenn sie plötzlich über sie fällt.“

Manche Ausleger sprechen von einem Rückfall des Predigers in heidnisches Denken, denn die lineare Heilszeit sei aufgegeben zugunsten der zyklischen Zeit der Hellenen.

Doch der Glaubensabfall ist nur halbherzig. Denn der Prediger ist töricht und ohne Erkenntnis der Natur – der alle Vernunft geraubt wurde. In der Welt der Frommen gibt es keine Kausalitäten, keine Naturgesetze, keine Weisheit des Kosmos: das Gegenteil hellenistischer Vernunft.

Beim Prediger ist alles trüb und undurchsichtig. Hier ist – festhalten – die geistige Heimat Hayeks, eines alttestamentarischen Propheten des Neoliberalismus.

Reich und mächtig wird nicht der Kenner der Wirtschaftsgesetze, denn es gibt keine. Nicht der logisch Denkende, denn die Natur ist nicht rational. Nicht der Entdecker ökonomischer Kausalitäten, denn natürliche Ursachen und Wirkungen sind nicht.

Hier gewinnt nur derjenige, der sich der Zeit und dem Zufall unterwirft. Diese hermetische Abhängigkeit vom zufälligen Glück, das man nicht verdient hat, nennen andere biblische Schriftsteller – Glauben.

Nicht ratio herrscht in der modernen Wirtschaft, sondern der blinde Glaube an blinde Zufälligkeiten.

Eben lebten wir noch im Paradies, jetzt wendet sich das Blättchen.

Der Krieg ist über uns gekommen, (noch) nicht mit Waffen, aber mit Teuerung, Verknappung, Elend und Hungersnöten in der ganzen Welt.

Wir reiben uns die Augen und wissen nicht, was uns geschieht.

Zeit und Zufall geschieht mit uns.

Fremdgesteuertes Geschick beherrscht uns.

Heilsgeschichte terrorisiert uns.

Wir aber schließen die Augen und betäuben uns mit Glauben:

Herr! schicke, was du willst,
Ein Liebes oder Leides;
Ich bin vergnügt, daß Beides
Aus Deinen Händen quillt.

Wollest mit Freuden
Und wollest mit Leiden
Mich nicht überschütten!
Doch in der Mitten
Liegt holdes Bescheiden.

Fortsetzung folgt.