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Tagesmail vom 08.06.2022

… zum Logos LXXVIII,

Merkels Lieblingsalpinist heißt Reinhold Messner. Reinhold ist neidisch und eifersüchtig auf Greta, die Anregerin der FFF-Jugend. Er wäre gern der Anführer der Widerständler gegen die Naturvernichtung in aller Welt. Am liebsten würde er der schwedischen Göre die Worte an den Kopf knallen:

„Mein liebes Mädchen, es ist wichtig, was du sagst und tust, aber bedenke, dass wir alle aus diesem Reichtum schöpfen! Inzwischen steht hinter ihr längst eine Maschinerie, die sie nicht mehr steuern kann. Die Haltung gegenüber der Natur hat sich geändert, der Respekt ist verloren gegangen. Ich gebe die Hauptschuld dem Tourismus all inclusive. Nur die Eroberung des Weltalls durch Touristen finde ich noch bedenklicher. Da werden 50 Millionen pro Kopf investiert, nur um für wenige Stunden ins All zu fliegen – wie absurd ist das denn? Ich würde es nicht mal machen, wenn man mir das schenkt! Wissenschaft im All und auf dem Mars, okay, aber wer soll da leben? Und wofür das Ganze? Der Mensch wird nicht auf dem Mond und dem Mars leben können. Unser Habitat ist die Erde, um die müssen wir uns kümmern! Das hat doch weniger mit Abenteuer zu tun, dabei geht es um den Kick. Der Abenteurer, wie ich ihn kenne, geht in die Wildnis. Dabei kommt es nicht auf Schnelligkeit oder Ähnliches an, es geht nur ums Überleben. Meinen Eltern gegenüber ist das, was ich getan habe, unverantwortlich. Auch meiner Familie gegenüber war es nicht zu rechtfertigen. Aber es war mein Leben und ich stehe dazu. Wir alle haben das Recht, unser eigenes Leben zu leben.“ (Berliner-Zeitung.de)

Die seltsame Kritik wird unversehens zur Selbstkritik, ohne dass der Abenteurer es bemerkt:

„Meinen Eltern gegenüber ist das, was ich getan habe, unverantwortlich. Auch meiner Familie gegenüber war es nicht zu rechtfertigen. Aber es war mein Leben und ich stehe dazu. Wir alle haben das Recht, unser eigenes Leben zu leben.“

Im Gewand des Naturfreundes ist Messner ein neoliberaler Triumphator der Berge, der seinen eigenen Rausch sucht – ohne Rücksicht auf die Interessen anderer. Nicht mal die Gefühle seiner Familie zählen. Ich – und die Berge, sonst nichts.

In sich ruhende Natur: das ertrug er nicht. Jungfräuliche Natur, die da stolz und unberührbar in den Himmel ragte, musste von Menschen bezwungen und defloriert werden – koste es, was es wollte. Das Risiko, das Nochnicht ist der Orgasmus der gesättigten Moderne.

Messner weiß es nicht: mit seinem Risiko, dem Grundsatz des Nochnicht, ist er ein Gesinnungsgefährte von Ernst Blochs Philosophie der Hoffnung:

„Bereits als junger Philosoph interessiert sich Bloch für das „Utopische“ und das „Noch-nicht“. Das „Mögliche“, das, was noch nicht ist, wird zum Zentrum seines Denkens. Seine Aufmerksamkeit richtet sich auf die Vielzahl von Möglichkeiten, die in historischen Augenblicken aufgehoben sind, von denen sich aber nur eine durchsetzt. Die Frage, was aus den anderen, unrealisiert gebliebenen Möglichkeiten wird, lässt Bloch nicht los. Etwas fehlt, was das ist, weiß man nicht – steht in ‚Mahagonny‘ – einer der tiefsten Sätze von Brecht, in zwei Worten. Was ist das Etwas? Es darf nicht ausgepinselt werden, dann stelle ich es als seiend dar, es darf aber auch nicht so eliminiert werden, als ob das nicht wirklich, im praktischen Sinn, das wäre, dass man sagen könnte: es geht um die Wurst.“

Messner widerlegt die marxistischen Hoffnungsdenker Bloch und Brecht. Bei Brecht darf das Nochnicht nicht konkret werden. Mitteninne zwischen Hoffen und Verzweifeln muss es verharren. Das Prinzip Hoffnung muss Hoffnung bleiben, es darf nie realisiert werden. Messner aber hat seine Hoffnungen bereits alle realisiert.

Die Fata Morgana muss immer im selben verheißenden und verführerischen Abstand bleiben, damit die Karawane nicht müde wird und aufgibt. Unterwegs sein, nie zur Ruhe und Erfüllung kommen: das ist der Sinn des lebenslangen Wanderns auf Erden.

Messner hingegen hat alle Massive bestiegen, alle Gipfel entjungfert. Das Weib Natur muss vom Mann gezeichnet sein. Und wenn das männlich signierte Weib untergeht, hat es bewiesen, dass es der männlichen Grandiosität nicht gewachsen war: es musste untergehen. Der unvergleichliche Mann hingegen wird weiterwandern ins Universum. Dort hat das Weib nichts zu suchen, es ist erdgebunden.

Wozu brauchen Marsbezwinger noch Frauen? Haben sie keine Maschinen, die den Frauen überlegen sein werden?

„Ob etwas nützlich ist, ist irrelevant. Sehen Sie, das ist der Kern der Aufklärung.“

Solche Geistesblitze auf dem Gipfel eines 8000ers, die mit der Wirklichkeit nichts zu tun haben?

Die Aufklärung wollte dem Menschen nützen: a) durch Unterwerfung der Natur, um ihm Macht zu verschaffen, b) durch Humanisierung seines Lebens, um weltweiten Frieden zu erwirken.

Das war die Ambiguität der Aufklärung: ihre Vorderseite war human und religionskritisch, ihre Rückseite naturfeindlich, weil sie auf die Macht des Wissens setzte. Heute müsste die Aufklärung über sich selbst aufgeklärt werden, damit sie wieder zum Motor der erdumfassenden Menschlichkeit werden könnte.

Adorno und Horkheimer erklärten die Aufklärung für totalitär. Würde das nicht bedeuten, dass sie – streng genommen – die Vorläuferin des NS-Regimes hätte sein müssen?

„Herrschaft, auch die der Vernunft, hat laut Horkheimer/Adorno etwas Unversöhnliches, weil sie den Verstand durchsetzen will – und auch muss, wenn nicht Willkür regieren soll. „Aufklärung ist totalitär“, heißt es einmal, an anderer Stelle steht sogar, Aufklärung sei ein „Diktator“. Und doch muss sie regieren, wenn Menschen nicht ins Zeitalter der alten Barbarei zurückfallen wollen.“ (WELT.de)

Trotz Verurteilung der Aufklärung als totalitär kam Adorno in seiner öffentlichen Wirksamkeit nicht ohne diesen Begriff aus. Denn sein Anliegen war, das deutsche Volk aus seiner Unmündigkeit zu befreien, damit es nie mehr den Versuchungen eines totalitären Machtversprechens anheimfallen würde.

Zudem waren die Deutschen während des Dritten Reiches fast vollständig isoliert gewesen und hatten keine Ahnung, was sich sonst in der Welt abgespielt hatte. Die Entwicklung der Sozialwissenschaften in Nordamerika beispielsweise hatten sie total verpasst. Was ist Soziologie, was Verhaltenspsychologie, Statistik, empirische Untersuchungen?

Welchen Sinn hatte es, die Bevölkerung – vor allem die Studenten – über die neueste Entwicklung der Wissenschaft aufzuklären, wenn man Aufklärung als totalitär verwirft? Was ist das für eine Kritik am Menschen, die diesen in Gänze vernichtet? Ist das nicht das Todesurteil einer Jenseitsreligion? Mit Kritik, die die irdischen Verhältnisse verbessern will, hat eine Erlöserreligion nichts zu tun.

Doch die Frankfurter waren vernarrt in Widersprüche, weshalb sie Anbeter von Hegel und Marx blieben. Gleichwohl war ihnen die Zuversicht auf eine heilsgeschichtliche Revolution verloren gegangen, weshalb Adorno sein Hauptwerk „Negative Dialektik“ nannte: unvollständige Dialektik. Das Ziel jeder förderlichen Kritik, eine freie und friedliche Menschheit, ging verloren.

Horkheimer übernahm Schopenhauers Pessimismus, Adorno fiel zurück ins Religiöse. Nur im Licht der Erlösung zeige sich der Sinn des Lebens: dieser Marxismus entlarvte seine wahren Wurzeln aus christlicher Herkunft.

Die Vernichtungsformel „es gibt kein richtiges Leben im falschen“ klingt so erdenfeindlich wie die Sehnsucht nach dem Jenseits. Wie aber kann der Mensch Widerstand leisten, wenn alles auf Erden falsch sein soll?

Dieses sich tiefsinnig gebende ständige Widersprechen war eine Verfallsform der Philosophie, die einerseits von einem sinnvollen Leben träumte, andererseits an diese Möglichkeit nicht mehr glaubte.

Der Wirrwarr, der sich jeder logischen Eindeutigkeit verweigerte, war ein Hauptgrund des Verfalls der Studentenrevolution. Die Studenten nahmen Abschied von ihren jugendlichen Träumen und wirren Gedanken und wurden zu führenden Intellektuellen des Landes, die aus ihrem Scheitern nur noch die Schlussfolgerungen ziehen konnten: Anpassen, Anpassen.

Auch die großen Parteien verfielen. Nur noch die Grünen hatten die Kraft, ihren ökologischen Widerstand in einer neuen Partei zu bündeln. Doch auch sie kuschten vor dem Heiligen und wählten deren Formel „Die Schöpfung bewahren“ zu ihrer Erkennungsmarke.

Das noch heute herrschende Parteienspektrum war komplett. Keine Partei kam aus ohne Anbindung ans Religiöse. Dennoch wollte niemand etwas von den Kirchen wissen, geschweige heilige Schriften lesen, um ihren Naturbegriff zu überprüfen.

Die C-Parteien verfielen dem biblizistischen Charme der amerikanischen Sieger, kehrten problemlos zur Theologie zurück und schluckten die infame Lüge vom Widerstand der Kirchen gegen das NS-Regime.

Die SPD bastelte sich das Credo vom Urchristentum als einer sozialen Revolution. Selbst die Liberalen betrachteten Freiheit und Toleranz als Früchte des Glaubens. Im Mittelpunkt des Liberalismus stand der Begriff des Individualismus. Der Mensch ist kein Gruppenwesen, schon gar nicht das Mitglied einer uniformen Masse.

Das einmalige, stolze Ich und die Polis, in der man sich anpassen muss: sind diese beiden Elemente überhaupt vereinbar?

Wie lassen sich selbstbewusste Ichs zu einer schlagkräftigen Partei zusammenschmieden? Das ist das Problem der FDP bis heute. In der Antike gab es dieses Problem nicht – wenn wir Bertrand Russell folgen wollen:

„Die griechischen Philosophen bis einschließlich Aristoteles waren keine Individualisten in dem Sinne, in dem ich diesen Ausdruck gebrauchen möchte. Für sie war der Mensch im wesentlichen Mitglied einer Gemeinschaft. Platos Staat beispielsweise will den guten Staat, nicht das gute Einzelwesen definieren. Mit dem Verlust der politischen Freiheit von der Zeit Alexanders an entwickelte sich der Individualismus und wurde von den Kynikern und Stoikern vertreten. Nach der stoischen Philosophie konnte der Mensch unbeeinflusst von seinen sozialen Verhältnissen ein tugendhaftes Leben führen. Das war auch die Auffassung des Christentums, zumal, bevor es die Oberhand über den Staat gewann.“ (Philosophie des Abendlands)

Ziemlich ungenaue Auskünfte. Alexander hatte die griechische Polis in ein Weltreich unter der Herrschaft eines Einzelnen verwandelt, welches aber noch so tolerant war, dass alle Religionen und Weltanschauungen akzeptiert wurden. Da es den Philosophen gelang, die römischen Eliten für sich einzunehmen, gewannen sie einen großen Einfluss in der Politik, der sich in dem bekannten Spruch niederschlug: die Verlierer besiegten die Gewinner.

Die Massen blieben von dieser neuen Bildung unberührt. Sie wurden zunehmend ausgebeutet und führten ein sinnloses Leben. In dieses Chaos drang das Christentum ein und gab den Menschen Seelennahrung. Es konnte nicht ausbleiben, dass die neuen Priester immer größeren Einfluss gewannen und schließlich die Herrschaft über das römische Reich übernahmen. Die Kirche wurde zur theokratischen Despotin Europas.

Russells Definition des Individualismus führt in die Irre. Die Griechen verstanden es sehr wohl, das freie Ich mit einem Gemeinschafts-ICH zu einem zoon politicon zu verbinden. Kein Mensch musste sich vor Gott oder einer Kirche verantworten, unabhängig konnte er seine Meinung bilden und in den demokratischen Prozess einbringen.

Wohl haben Demokraten sich zu verantworten, aber nur vor gleichberechtigten Demokraten. Ebenso aber hat auch die Polis sich vor dem Einzelnen zu verantworten, wenn er sich durch sie beschädigt fühlt. Sokrates musste dem Volksgericht Rede und Antwort stehen. Seine Apologie war zugleich eine scharfe Kritik an der Polis.

Solches war dem Ich der frühen Moderne trotz erster Aufklärungswellen nicht möglich. Denn es gab noch keine Demokratien, wo Gemeinschaftsgeist und Selbstbestimmung eine streitbare Polarität hätten bilden können.

Das Ich riss sich los – und schwebte allein im Universum. Das Ich denke, also bin ich, war noch viel zu theologisch bestimmt, als dass es politisch hätte sein können. Denkend musste sich Descartes‘ Ich selbst aus Nichts erschaffen.

Welch ein Größenwahn, der in der deutschen Philosophie zur gottgleichen Schöpferkraft entartete. Bei den deutschen Idealisten entstand das moderne Subjekt eines endlosen Fortschritts, das sich Erde und Weltall untertan machen sollte.

Das griechische Ich kannte keine Pflicht, sich gottgleich zu verstehen. Es verstand sich als individuellen Pol, der in der Gesellschaft seinen Gegenpol sah, mit dem er sich auseinandersetzen konnte – von dem er sich aber auch streitend distanzieren musste, wenn die Polis Gefahr lief, sich in eine Elitenregierung oder gar in eine Tyrannei zu verwandeln.

„Der frühe Liberalismus war auf intellektuellem wie auf ökonomischem Gebiet individualistisch, jedoch gefühlsmäßig oder moralisch nicht selbstbewusst.“ (ebenda)

Der Kapitalismus wäre nicht entstanden, wenn es dem emanzipierten Ich nicht geglückt wäre, den Moralkanon entscheidend zu verändern. Was bislang als sündig galt – Habgier, Eigensucht – wurde zur neuen Moral einer Wirtschaft, die die Führungsschichten immer reicher und die Abhängigen immer ärmer machte. Die traditionelle Moral wurde auf den Kopf gestellt.

Wie konnte die Gemeinschaft intakt bleiben, wenn jeder Einzelne nur an sich, aber nie an das Wohlergehen des Ganzen denken durfte? Adam Smith hatte dafür noch einen Gott: die unsichtbare Hand.

Seine weniger gottesfürchtigen Nachfolger ließen diese Hand verschwinden und bestimmten: in der Wirtschaft regieren eherne Naturgesetze, in die niemand moralisch hineinpfuschen kann.

Eiserne Gesetze sind das Äußerste, was der Mensch zur Existenzsicherung von der Natur kriegen kann. Wer sich diesen Profit-Gesetzen der Starken unterwirft, wird den Wettbewerb aller Einzelnen gewinnen.

Das war die Abdankung aller autonomen Menschenmoral zugunsten einer ferngesteuerten Naturmoral.

Der Mensch als Geistwesen, das selbst über sich bestimmt, wurde abgesetzt. Ab jetzt galten fremde Gesetze der Natur, die dem Menschen zeigten, welchem Kurs er zu folgen hatte.

Bei Hegel war es der Objektive Geist – oder der Geist Gottes –, bei Marx waren es materielle Verhältnisse oder die ökonomisierte Natur, die den Menschen ihres Weges führten.

Wer von diesen Deutungen profitierte und mit ihnen seine Überlegenheit gewann, sah keine Nötigung, diese zu verändern. Die Erfolgreichen dieser Welt fühlen sich identisch mit den Gesetzen, die ihnen diesen Erfolg bescheren. Das hat sich bis heute nicht geändert.

Messner ist ein Pionier dieser Saga der erfolgreichen Naturvernichter. Seltsamerweise versteht er sich als Freund der Natur – obgleich er die gefährlichen Hochgebirge erschloss und die Massen hinter sich herlockte:

„Die Haltung gegenüber der Natur hat sich geändert, der Respekt ist verloren gegangen. Ich gebe die Hauptschuld dem Tourismus all inclusive.“

Was eigentlich bezweckt er mit seiner bergsteigenden Rekordsucht?

„Meine Generation fand noch echte Abenteuer! Diese verschwinden langsam, leider. Weil man alles absichern kann. Es gibt kaum noch Wildnis. Jeder Punkt dieser Erde wird von Satelliten aufgenommen, erreichbar, sichtbar gemacht.“

Mit anderen Worten: die Gefahren der Abenteuer waren früher viel gefährlicher als heute, wo man alles technisch absichern kann.

Was heutige Kletterer als Abenteuer bezeichnen, nennt Messner abschätzig Kick:

„Das hat doch weniger mit Abenteuer zu tun, dabei geht es um den Kick. Der Abenteurer, wie ich ihn kenne, geht in die Wildnis. Dabei kommt es nicht auf Schnelligkeit oder Ähnliches an, es geht nur ums Überleben. Damit meine ich aber echte Wildnis.“

Messner hat nichts unterlassen, um die einst unberührte Wildnis der Berggiganten für die Massen zu erschließen. Jetzt beklagt er die Situation, die er selbst herbeigeführt hat. Je mehr die Wildnis durch ihn und seine Pionierfreunde zurückgedrängt wird, umso mehr vermissen sie eben diese. Für ihn zählt allein das Vabanque- Spiel auf Leben und Tod. Wer nicht dem Tod ins Auge schaut, der hat das Leben nicht verdient.

Diese nekrophile Rekordsucht – eine Variante der Gottebenbildlichkeit – wird den Menschen das Überleben auf Erden kosten.

Was Messner in den Bergen vollstreckt, exekutieren die Neoliberalen in der weltweiten Wirtschaft. Wer nicht das Nichts wagt, wird Alles verlieren. Heilige Greta, hilf uns aus der Not!

Fortsetzung folgt.