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… zum Logos LXXIX

Tagesmail vom 10.06.2022

… zum Logos LXXIX,

Titus Gebel, Freund und Gesinnungsgenosse Peter Thiels, hat der Menschheit folgendes zu verkünden:

„Über Jahrtausende war das Privileg außergewöhnlichen Reichtums lediglich politischen Herrschern vorbehalten. Erst in den letzten Jahrzehnten ist es möglich geworden, dass weltweit mehr Menschen diesen Reichtum erreichen. Wie? Durch die insgesamt größere wirtschaftliche Freiheit. Heute gibt es 2153 Milliardäre auf der Welt.
Reiche Einzelpersonen erfüllen gesellschaftlich eine wichtige Aufgabe. Sie können neue Ideen verwirklichen, die für die meisten von uns unerreichbar sind, wie etwa die Raumfahrt. Wenn sie scheitern, geschieht es auf eigne Kosten. Aber wenn sie erfolgreich sind, können diese Unternehmungen die Menschheit voranbringen.
„Zum ersten Mal in der Geschichte bekommt die Idee der Freiheit eine Chance, zusammen mit ihrem Friedenskern unverfälscht realisiert zu werden.“ (Philosoph Puster)
Es gibt auch Menschen, die im Wissen um die Fehlbarkeit der anderen die Meinung vertreten, dass man Menschen zu ihrem Glück zwingen oder vor sich selbst schützen müsse. Die fordern, dass der Staat den Menschen die Lebensrisiken abnehmen, Vermögen umverteilen und umfassende Gerechtigkeit herstellen solle. Die fordern, dass sich alle einer großen Sache unterordnen müssten, weil nur so die Menschheit gerettet werden könne. Die glauben, dass die Mehrheit das Recht habe, allen vorzuschreiben, wie sie zu leben hätten.
Liebe Politiker, liebe Meinungsmacher, liebe Weltverbesserer. Wir möchten in Frieden und Freiheit leben. Wir können für uns selber sorgen. Wir wollen in Ruhe gelassen werden. Verstehen Sie das nicht?“

Die Geldelite beginnt sich abzusondern von den planetarischen Versager-Massen. Was Titus Gebel beschreibt, ist an bestimmten Punkten der Welt schon Wirklichkeit geworden.

An den bezauberndsten Orten der Welt erheben sich private Städte mit exzellenten Villen und Gebäuden, umrundet von undurchdringlichen Mauern und Zäunen. In der Karibik beispielsweise. Am besten dort, wo politische Gemeinwesen am Boden liegen und korrupte Herrscher keinen Wert auf stabile Demokratien legen.

„Was hier passiert, ist so verrückt, dass man es erst glaubt, wenn man da war. Seit einigen Jahren wagen ein paar Libertäre ein Experiment: eine Stadt mit eigenen Regeln und Gesetzen aufzubauen, ohne vom sie umgebenden Staat behelligt zu werden. Unter den Gründern und Investoren sind bekannte Namen aus dem Silicon Valley: Patti Friedman, Enkel des Ökonomen Milton Friedman, oder Paypal-Mitgründer Peter Thiel, der kürzlich durch sein Engagement von Österreich Altkanzler Kurz Schlagzeilen machte. Einer der Vordenker der Privatstadt kommt aus Deutschland: Titus Gebel, Ex-Vorstandsvorsitzender der Deutschen Rohstoff AG, der mit seinem Buch „Freie Privatstädte: Mehr Wettbewerb im wichtigsten Markt der Welt“ ein Standardwerk zum Thema verfasst hat. Dass Honduras für den ersten privaten Stadtstaat auserkoren wurde, ist kein Zufall. Seit Jahrzehnten ist das Land im Würgegriff korrupter Eliten. Ausufernde Bürokratie, Drogenhandel und Gewalt verhindern seit je einen Aufschwung. Hinzu kommen die ständigen Eingriffe des Militärs. Orlando Hernández, der Präsident, der den Privatstadtbefürwortern die Tür geöffnet hatte, ließ sich nach seiner ersten Amtszeit verfassungswidrig erneut aufstellen. Gebel war früher in der FDP und nach eigener Aussage „mit mehreren Bundesministern befreundet“. Seine Enttäuschung über die Politik sitzt tief. Die FDP sei eine „Umverteilungspartei“ geworden wie alle anderen, sagt er. Der Sozialstaat? Überholt. Beamte und Sozialhilfeempfänger? Sollten ihr Wahlrecht verlieren, um „Interessenkonflikte zu vermeiden“. Einwanderer hat Gebel einmal „alimentierungsbedürftige Neukunden“ genannt. Und Gebels Wunsch nach Experimenten kommt offenbar zur rechten Zeit. Die Friedrich-Ebert-Stiftung fand 2019 heraus, dass 53 Prozent der Deutschen mit dem Funktionieren der Demokratie unzufrieden seien. Ideen wie Privatstädte treffen also einen wunden Punkt. Der Kampf um das bessere System ist eröffnet.“ (TAGESSPIEGEL.de)

Die betuchten Pioniere der wahren Freiheit, die die zwangsbeglückende Standarddemokratie nicht mehr ertragen, nennen sich Libertäre. Soll klingen wie Liberale, ist aber nur das Gegenteil.

Titus Gebel war Mitglied der FDP. Die aber war immer mehr in die Nähe der Sozialdemokraten gerückt, die – auf Kosten des Staates – vor allem Versager und Überflüssige unterstützten, welche glauben, ihr Glück verantwortungs- und mühelos als Geschenk zu erhalten. Fälschlicherweise nannten sie dies: Liberté oder Liberalismus.

Wahre Freiheit hingegen ist für die Libertären die Fähigkeit, durch eigenes Bemühen das Leben so einzurichten, wie sie sich selbst ihre Freiheit vorgestellt hatten, unabhängig von Mehrheiten, Institutionen und Staatsorganen.

Die totale Unabhängigkeit von alles bestimmenden Mächten sei schon immer der wahre Sinn des Liberalismus gewesen, behaupten sie. Leider sei dieser Sinn im Verlauf der immer stärker gewordenen Mitspracherechte der Schwachen fast abhandengekommen.

Libertär ist für sie die Wiederherstellung der ursprünglichen Liberté.

Hat es diese grenzenlose Freiheit je gegeben? Ja, als Kampfbegriff der Starken in der athenischen Polis, die die „Vorherrschaft der Schwachen“ rücksichtslos bekämpften.

Für das „Naturrecht der Starken“ war das „Naturrecht der Schwachen“ – oder das Recht der Mehrheit – die wahre Pest der Menschheit. Das Mehrheitsprinzip beruht auf dem Naturrecht der Schwachen, denn Mehrheiten bestehen zumeist aus den Schwächeren der Polis. Die Vornehmen und Reichen sind winzige Eliten.

Der zermürbende Kampf zwischen Oben und Unten, Eliten und Pöbel, war nicht die kleinste Ursache des Verfalls der Demokratie. Heute könnte das Hauen und Stechen zwischen Ober- und Unterschichten erneut zum Verfall der Demokratie beitragen – wenn, wenn nicht zuvor kleinere Klimakrisen, Vernichtungskriege oder weltweite Hungerkatastrophen diesem Verfall zuvorkommen.

Gleichwohl gibt es einen winzigen Unterschied zwischen griechischer Antike und Moderne. Damals wussten die Philosophen noch, was echte Freiheit ist. Heute gehören die Intellektuellen und Edelschreiber mehrheitlich zu jenen, die eine verantwortliche, also moralische Freiheit, am lautesten zum Teufel wünschen.

Welcher Libertäre könnte, ohne zu zögern, folgende Sätze unterschreiben.

„Freiheit ist nicht Willkür des Einzelnen, sondern die freie Haltung des Mannes (die Freiheit der gleichberechtigten Frau folgte erst im Hellenismus), der sich aus eigenem Willen der Gemeinschaft einfügt und sich auch ohne äußeren Zwang dem Gesetz unterordnet. Die freie Gestaltung des Privatlebens paart sich in Athen mit politischem Sinn. Die Wahrnehmung der persönlichen Belange hindert niemanden, sich genügend politisches Verständnis anzueignen, um in der Volksversammlung einen guten Rat zu geben. Jeder Athener kannte die Verantwortung, mit all seinen Kräften der Wohlfahrt des Ganzen zu dienen, von der auch die eigene abhängt. Die militärischen und politischen Leistungen stellen in den Augen des mündigen Atheners noch den eigentlichen Zweck des Staates vor.“ (Pohlenz, Hellenismus)

Das folgende Zitat trifft nicht unbedingt unsre Geschmacksnerven, dennoch sollte man es in Ruhe auf sich wirken lassen:

„Wir lieben das Schöne im Verein mit Schlichtheit. Und wir lieben das Wissen ohne Einbuße von Kraft.“

Wissen ist Kraft? Das war für Francis Bacon zu schwach: Wissen ist Macht, und ist es das nicht, kann uns alles Wissen gestohlen bleiben.

Das Schöne in Schlichtheit, das in sich selbst ruht? Wer sich heute nicht ruhelos entwickelt, nicht jede Grenze verwirft, der soll sich in den Urwald zurückziehen und mit den Eingeborenen Rundtänze vollführen. Als Leitbild der Moderne taugt er nicht.

Die Begierden des Zeitgenossen kommen nie zur Ruhe, begnügen sich nie mit Schlichtheit, sondern türmen Komplexitäten übereinander wie beim Turmbau zu Babel. Dort hätten sie es beinahe geschafft, am Himmel anzuklopfen, wenn – wenn nicht plötzlich dem Schöpfer eingefallen wäre, die Sprache der lästigen Erdlinge heillos zu verwirren.

Gerade kommen wir von Pfingsten, wo der himmlische Geist die Folgen der babylonischen Begriffsverwirrung durch eine neue Sprache zu heilen versuchte. Allerdings mit seltsamen Folgen:

„Wir hören sie in unsern Sprachen die großen Taten Gottes verkünden. Sie entsetzten sich aber alle und waren ratlos und sprachen einer zu dem andern: Was will das werden? Andere aber hatten ihren Spott und sprachen: Sie sind voll süßen Weins.“

Wissen ohne Macht wäre heute Bildung um ihrer selbst willen, die von der Moderne verachtet wird. Solches ist heute vollständig verboten. Das darf es nicht geben. Wissen muss stets in technischen Fortschritt transformiert werden, alles andere wäre trügerische Selbstbeweihräucherung.

Der moderne Liberalismus musste sich noch tatsächlich vom absolutistischen Staat losreißen. Demokratien nämlich gab es damals noch nicht. Heute muss sich keine freiheitliche Regung als Loslösung vom Staat definieren.

Denn, streng genommen gibt es keinen Staat in einer vitalen Volksherrschaft. Die inflationäre Verwendung des Begriffes Staat zeigt, dass die noch immer jungen Demokratien sich ohne Kontrast eines obrigkeitlichen Staates nicht denken können.

Die Regierung ist die Vollstreckungsinstanz des Willens der Bevölkerung. Wer sich gegen staatliche Interventionen wehrt, muss sich mit mündigen Bürgern auseinandersetzen, die diese Regierung gewählt haben. Schert sich eine Regierung nicht mehr um den Willen ihrer Wähler, müsste sie vom Souverän sofort in die Wüste geschickt werden.

Was in stabilen Demokratien passiert, ist das Ergebnis der Auseinandersetzungen verschiedener Meinungen und rivalisierender Schichten, kein Wille einer Obrigkeit, der als Wille des Volkes daherkommt.

Der Vernichtungskampf des Neoliberalismus gegen alles Staatliche ist nichts anderes als ein Kampf gegen die Demokratie selbst oder gegen den kollektiven Willen des Souveräns.

Die libertären Städte der Reichen sind keine Demokratien mehr, sondern Minderheitendiktaturen der Habgierigen – die so verblendet sind, dass sie mit ihrem Rückzug auf Inseln des Mammons sich in Bälde selbst zerstören werden.

Denn die jetzigen Gigantokrisen lassen sich nur in globaler Gemeinschaft oder gar nicht bewältigen.

Es ist falsch, dass der klassische Liberalismus ohne soziale Komponente gewesen und ohne Gerechtigkeit ausgekommen wäre. Die Aufklärung als Mutter des Liberalismus mag viele Fehler gehabt haben, eine volksfeindliche Bewegung war sie nicht und hatte stets die Emanzipation des Volkes im Kopf:

„Der frühe deutsche Liberalismus wollte nicht nur den Rechts- und Verfassungsstaat, er dachte sozial. Die frühliberale Utopie der „klassenlosen Bürgergesellschaft“ zielte auf einen Zustand, in dem jeder sein gesichertes Auskommen haben sollte – ohne zu große Vermögensunterschiede, die der erstrebten Gesellschaft als unverträglich galten.“ (Langewiesche, Liberalismus in Deutschland)

Warum hat Gerechtigkeit heute keine Chance mehr? Weil die Nationen sich als Wettkämpfer verstehen, die ihre Konkurrenten in den Schatten stellen müssen. Und die wirksamsten Fighter im Kampf sind nun mal die Industriemoloche, die man pfleglich behandeln muss, dass sie nicht in ein anderes Land flüchten.

Weshalb man sie niemals durch „Übergewinnabschöpfung“ schädigen darf. Wer sie durch Gerechtigkeitsfisimatenten schwächen wollte, würde sich stets ins eigene Bein schießen. Denn je schwächer das nationale Endergebnis, je minimaler die Summen, die verteilt werden könnten.

Deshalb muss man BASF & Co pfleglicher und schonender behandeln als die Hartz4-Meuten, die ohnehin nichts bringen. Hat die Welt schon verstanden, dass der Putin-Krieg auch ein Ergebnis der endlosen Wirtschaftskonkurrenz zwischen Ost und West, zwischen Demokratien und autoritären Despotien ist?

Der ganzen Welt drohen Hungersnöte. Denn die Ukraine lieferte einen riesigen Anteil des nötigen Weizens, um die elementaren Bedürfnisse der Völker zu stillen. Transport-Schiffe werden torpediert, internationale Lieferketten beschädigt. Immer weniger Fahrer in Deutschland wollen die riesigen Trucker fahren, um das Notwendige in alle Winkel der Republik zu liefern.

Und was geschieht in der jetzigen Stunde der Not? Die Lebensmittelfirmen reiben sich die Hände und nutzen die Krise kaltlächelnd zur Erhöhung ihres unfasslichen Profits.

Während an der Basis die Hilfsbereitschaft der „einfachen Leute“ gegen die ukrainischen Flüchtlinge Erstaunenswertes leistet, kriegen die Lebensmittelfirmen den Rachen nicht voll.

War all dies nicht absehbar? Lautete die herrschende Meinung der Führungsschichten nicht seit langem: Mächtige können sich alles leisten – nur keine skrupulöse Moral der Fürsorge und Gerechtigkeit?

Inhumanität ist das Credo derer, die bei uns das Sagen haben. Wen wundert es noch, dass sie den Unterstützungsrufern ihrer Bewunderer folgen und – ohne Rücksicht auf Verluste – das marode Schiff vorwärts jagen?

Womit aber wollen die Verächter der Moral diese ersetzen? Durch kalte, rationale Interessen. Interessen sind Schmiermittel, die die Rädchen der Gesamtmaschine am Laufen halten. Moralische Eingriffe hingegen gefährden den mechanischen Lauf der Rädchen.

Denn sie müssen die Konstruktionsfehler suchen, die den Erfindern unterlaufen sind. Im Falle eines Schöpfergottes hieße das: Großer Meister, wieder einmal war es nicht „sehr gut“, was du uns da serviert hast. Ständig müssen wir deiner Liederlichkeit hinterherrennen und die allergröbsten Fehler zu vermeiden suchen.

Erstaunlich, wie armselig die moderne Kritik an der Moral daherkommt. Sie ist nicht mal fähig, zu erklären, in wessen Namen sie selbst spricht. Müsste es nicht eine bessre Moral sein, in deren Namen die „besserwissende“ Moral der Gutmenschen als hohler Tand entlarvt wird?

Ein völlig moralfreies Handeln gibt es nicht. Es gibt nur die Wahl zwischen guten und schlechten Moralen. Die guten stehen im universellen Dienst der Menschheit, die schlechten im Dienst jener gottgleichen Ichs, die der Welt befehlen:

Du sollst keine anderen Ichs haben neben mir.

Jeder Mensch folgt einer persönlichen Moral. Ob bewusst oder untergründig, durchdacht oder wirr und widersprüchlich: die Aufgabe des mündigen Menschen ist die Selbsterhellung seines Ichs.

Genau dies wird heute von allen Seiten torpediert. Wer Licht in die Geheimnisse seines Ichs bringen will, müsste die Vergangenheit erforschen. Denn die Vergangenheit war die Zeit seines Werdens. Doch der moderne Mensch will nicht durch eigenes Bemühen geworden, er will dem Kairos der Zeit perfekt entsprungen sein. Das nennt er: er kann sich jederzeit neu erfinden.

Wer den Akt seiner Taufe als Erneuerung seines Ichs erlebte, ist überzeugt, dass er diesen Akt nach Belieben wiederholen kann. Schaut nicht zurück, schaut nach vorne: dieser himmlische Imperativ hat die selbsterarbeitete Reife seiner Persönlichkeit am Boden zerstört.

Wie Messner sich von jeder Besteigung eines unbezwungenen Massivs einen genialen Geistesblitz erwartet, so erwarten die Führer der Menschheit täglich eine neue Offenbarung, um die alte und verbrauchte Erde endgültig unter ihren Erfindungen zu begraben und die winzige Gruppe der Erwählten ins Universum zu schießen.

Fortsetzung folgt.