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… zum Logos LXVI

Tagesmail vom 09.05.2022

… zum Logos LXVI,

„Was ists denn, dass der Mensch so viel will? Was soll denn die Unendlichkeit in seiner Brust?“ (Hölderlin)

Wer gegen Krieg ist, muss gegen alles grenzenlose Wachstum sein, welches Natur zerstört und die Grenzen menschlicher Lebensgrundlagen vernichtet. Wer stets mehr will, will überhaupt nichts mehr.

Die Moderne will ins Grenzenlose, heißt, sie will ins Nichts. Flucht ins Weltall ist der Totenschein für die Erde. Propagandisten der Flucht gelten auf Erden als Heilsbringer, obgleich sie Totengräber der Erde sind.

Pazifisten lieben den Frieden der begrenzten Natur und jene Menschen, die ihre Begrenztheit nicht als Behinderung ihrer Daseinsfreude empfinden.

O Natur! an deiner Schönheit Lichte,
Ohne Müh und Zwang entfalteten
Sich der Liebe königliche Früchte,
Wie die Ernten in Arkadien.   (An die Natur, Hölderlin)

„Du preist die Männer, welche die Bürger gefeiert und ihr Verlangen gestillt haben. Und die Menschen sagen, jene hätten die Stadt groß gemacht, weil sie nicht sehen, dass der krankhaft geschwollene Zustand des Staates auf diese Staatsmänner zurückzuführen ist. Sie haben nämlich die Stadt mit Häfen und Schiffswerften angefüllt, aber keinen Raum für Gerechtigkeit und Mäßigung gelassen.“ (Sokrates im Gorgias)

Wo Übermaß zu herrschen beginnt, endet die Friedensperiode des Menschen. Es beginnt der Kampf gegen das Maß im Namen der Maßlosigkeit. Die bäuerliche Epoche des Maßes endet, die Stadt wird zum Zentrum der Maßlosigkeit. Hier beginnt die Moderne, das Zeitalter der unstillbaren Begierde.

„Obwohl die Stadt von ihren frühesten Anfängen an Schutz und Sicherheit zu bieten schien, barg sie daneben die Erwartung nicht nur äußerer Angriffe, sondern auch verstärkter Kämpfe im Innern. Tausend kleine Kriege wurden auf dem Marktplatz ausgetragen, vor Gericht oder auf der Rennbahn. Machtausübung in jeglicher Gestalt wurde zum Wesen der Zivilisation. Die Stadt wurde zum Schauplatz von Angriff, Verteidigung, Herrschaft, Eroberung und – Knechtschaft.

Nicht verwunderlich, dass die Menschen der Frühzeit auf das vor-städtische Zeitalter als das Goldene Zeitalter zurückblickten – oder jeden Fortschritt in der Metallbearbeitung als eine Verschlechterung der Lebensabsichten betrachteten. Städte, befangen in der neuen Ausweitung ihrer Macht, verloren den Sinn für das Maß. Die Anbetung der Macht gefiel sich in der Schaustellung ihrer Schrankenlosigkeit. Den Beweis für das plötzliche Gefühl der Grenzenlosigkeit haben wir in den wachsenden Ausmaßen der großen Pyramiden und im Bereich des Mythos in der Erzählung vom ehrgeizigen Turmbau zu Babel.

So wurde die Stadt, diese kostbare Erfindung der Zivilisation, von Anfang an zum Gefäß zerstörender Kräfte, die auf Vernichtung und Ausrottung abzielten. Jede Zivilisation beginnt mit dem lebendigen Kern der Polis und endet im Massengrab einer Nekropolis, einer Totenstadt voll Staub und Knochen, mit zertrümmerten Bauten, Haufen sinnlosen Mülls, während die Bevölkerung ermordet oder in die Sklaverei verschleppt worden ist.“ (Mumford, Die Stadt)

Ist der Krieg in der Ukraine keine Bestätigung dieser uralten Beobachtungen? Der Fortschritt frisst sich selber auf. Krieg und Zerstörung sind die unbewussten Heilmittel einer pathologischen Maßlosigkeit, vergöttert mit dem Begriff Fortschritt und der Verhöhnung aller Paradiese, die keine sein dürfen, damit sich die Fortschrittler nicht aus Grauen ins eigene Messer stürzen. Das Beste darf nicht hinter uns, es muss vor uns liegen.

Krieg ist nie nur ein direkter Kampf gegen Menschen allein, sondern zugleich gegen alle Lebensmittel und Ressourcen, die die Natur dem Menschen zur Verfügung stellt. Krieg vernichtet unsere Umwelt, um unsere Welt zu treffen.

Christian Stöcker hat diesen, sollen wir sagen, indirekten Vernichtungseffekt recherchiert:

„Russland bombardiert Kornspeicher, Felder und Häfen. Eine globale Hungerkatastrophe wird so weiter verschärft – und Agrarkonzerne verdienen kräftig. Es ist klar, dass Russland in der Ukraine gezielt Felder und Getreidespeicher angreift und zerstört. Der Hunger, den Russland mit Absicht auslöst, wird aber nicht nur die Bevölkerung der Ukraine treffen. »Die Russische Föderation und die Ukraine gehören zu den wichtigsten Produzenten landwirtschaftlicher Güter weltweit«. In vielen Ländern herrscht schon jetzt Lebensmittelknappheit aufgrund von akuten klimabedingten Dürreperioden. Die Welt ist auf die Instabilität, die an diversen Stellen gleichzeitig auf sie zukommt, nicht vorbereitet. Bis 2014 sank die Zahl der Menschen, die weltweit von Unterernährung betroffen sind, Jahr für Jahr, trotz wachsender Weltbevölkerung. Seitdem aber steigt sie wieder an. Schon 2020 waren laut FAO zwischen 720 und 811 Millionen Menschen von Hunger betroffen, das heißt, sie wussten oft nicht, wo die nächste Mahlzeit herkommen würde, mussten manchmal ganze Tage ohne Essen auskommen und gelten als »unterernährt«. Das nächste große Problem: Für das ganze Land, das man für all das Futter braucht, werden weiterhin Wälder abgeholzt, in der Amazonasregion zum Beispiel. Und Wälder abzuholzen, erzeugt noch mehr CO₂.“ (SPIEGEL.de)

Und jetzt denken wir eine Minisekunde lang das Unausdenkbare und nehmen an, dass Putins Wahnsinnskrieg in einen atomaren 3. Weltkrieg entarten könnte: selbst dann, wenn es zur ultimativen Katastrophe käme, wollte der Westen unschuldig bleiben?

Die kleinste Kritik am Westen wird heute als Entschuldigung für Putin missbilligt. Der Westen will in allen Dingen sakrosankt bleiben. Man stelle sich lebhaft vor: die bekannte Welt ginge unter – und mehr als die Hälfte der Menschheit – darunter nicht die Ohnmächtigsten – könnten ohne die kleinste Mit-Schuld sein?

Und dies bei der unendlichen Verflechtung aller Dinge in der globalisierten Wirtschaft, in der technisch-wissenschaftlichen Zusammenarbeit bis zu den politischen Vernetzungen und Abhängigkeiten?

Das wäre nicht anders, als wenn die Nachkriegsdeutschen sagen würden: am ganzen Debakel der NS-Massenverbrechen seien nur der Führer mit einigen Getreuen schuldig, die Mehrheit der Deutschen seien unschuldig. Tatsächlich sagen das noch immer einige Historiker, die das brave deutsche Volk von aller Kollektiv-Schuld befreien wollen.

Und seltsam: wie kommt der englische Historiker T. Snyder dazu, die Deutschen für ihre Musterdemokratie zu loben, ihnen im selben Atemzug aber den Vorwurf zu machen, sie hätten seit Jahren den russischen Faschismus nicht erkannt? Hätten sie ihn nicht erkannt, wüssten sie auch nicht, was Faschismus ist. Wo bliebe dann ihre stolz zur Schau getragene Vergangenheitsbewältigung?

„Und das ist ein Grund dafür, dass Deutschland eine Musterdemokratie ist, von der andere Demokratien, einschließlich meiner eigenen, lernen können. Aber eine ständige Aufarbeitung der Vergangenheit beinhaltet auch eine ständige Aufarbeitung früherer Aufarbeitung. In Deutschland ist man versucht, zu denken, dass man die Arbeit bereits getan hat, dass der Holocaust verstanden worden ist. Aber so funktioniert dieser Prozess nicht. Der Historikerstreit der späten 1980er-Jahre ging davon aus, dass die deutschen Historiker die grundlegenden Fakten über den Holocaust kennen und dass es keine größeren Neuinterpretationen geben würde. Das erwies sich als völlig falsch.“ (Berliner-Zeitung.de)

Wie kann es sein, dass in dieser Musterdemokratie der Begriff Faschismus fast nie benutzt wird? Wer ihn benutzt, wird der Übertreibung geziehen. So kommt es, dass Silicon-Valley-Genies in WELT-Gazetten unverblümt die Demokratie verachten dürfen – aber niemand diese Faschismus-Propagandisten angreift? Genie heiligt alles.

Die Makel ihrer Demokratie wollen sie nicht sehen, um sich den Glanz ihrer neuparadiesischen Vollkommenheit nicht zu verscherzen.

Es war alles so paletti in den Jahren der pastoralen Demutsregierung – die den Begriff Faschismus, wie alle „ideologischen Begriffe“, nie in den Mund genommen hat. Dem Motto gemäß: wer Gefahren totschweigt, begräbt sie zugleich. Stummheit ist die beste Vergangenheitsbewältigung. Sie kennen die Anzahl der KZs, haben drei davon besucht, waren vorschriftsmäßig erschüttert, sie wissen, dass Hitler ein Österreicher und kein echter Deutscher war: reuiges Herz, was willst du mehr?

Direkt vor ihren Augen kann die Demokratie zu einer Autokratie verkommen, die Medien im Gleichschritt sind immer dabei.

Kommen Jugendliche auf die Idee, die Welt für ihre Zukunft zu retten, gibt’s Dauerkeile für die Rotzlöffel.

Inzwischen ist die Welt zu einer globalen Megapolis weitergewuchert, die alle Chancen hat, zu einer finalen Nekropolis zu werden. Mumfords Fazit lautet:

„So wurde unter der Ägide der Stadt die Gewalttat normalisiert und breitete sich weit über die Stätten hinaus aus, an denen zuerst Menschenjagd und Opferorgien eingeführt wurden.“

Alle sogenannten Vorteile des Fortschritts gingen auf Kosten anderer Menschen und ganz bestimmt der Natur. Viele Jahrhunderte lang war die Natur so unermesslich, das sie alle partikularen Nachteile vergessen machen konnte. Schließlich war man eine auserwählte Nation oder eine auserwählte Rasse oder eine zukunftsweisende Kultur. Die dürfen schon mal mit kleinen Fehlerchen erkämpft und erkauft werden.

Da kommt plötzlich dieser merkwürdige Satz Bornemanns um die Ecke:

„Aber Kriege gab es in der Vorzeit überhaupt nicht.“ (Das Patriarchat)

Wozu noch Krieg, wenn man so frei wäre, die Dinge friedlich zu regeln? Diese Freiheit im Denken und Handeln gibt es in der modernen Wettbewerbskultur nicht. Heute muss man sich schon entschuldigen, wenn man den Menschen als Mitmenschen betrachtet.

„Die Landzuweisung an die einzelnen Sippeneinheiten fand jährlich statt. Jede Sippe erhielt soviel Land, wie zur Ernährung ihrer Mitglieder nötig war. Der spätere Versuch des Vaterrechts, diese jährliche Landverteilung einzuschränken oder den „verdienten Mitgliedern“ mehr Land zuzuweisen als den anderen, hat zu einem der langwierigsten und blutigsten Sozialkämpfe in der Geschichte geführt.“ (ebenda)

Dieser Kampf wird heute noch durchgekämpft mit den raffiniertesten und zugleich brutalsten Methoden. Wo bliebe unser wertvoller Wettkampf, wenn es nicht mannigfach-unterschiedliche Wettkämpfer gäbe?

„Die matristischen Siedlungen des Neolithikums waren frei von Verteidigungsanlagen. Finden wir bei einer neolithischen Stadt, wie bei Jericho, bereits Wehrmauern und Wachttürme, können wir darauf schließen, dass die matristische Ordnung bereits im Verfall war.“ (ebenda)

Und nun Bornemanns Fazit der männlichen Fortschrittsvergötzung, die allem Hohn spricht, was heute das Credo der Techniker, Ökonomen und sonstiger Erdzerstörer ist:

„Was einst großzügig, mütterlich, verzeihend, lebensstiftend aus den Wurzeln einer klassenlosen, freien, gerechten Sippengesellschaft gewachsen war, hatte sich unter dem Einfluss der Klassenspaltung in ein grausames, zerstörerisches, gegen sich selbst gerichtetes Kultursystem verwandelt. Aus Eros wurde Thanatos. Der Mensch hatte für seinen ökonomischen Fortschritt den Preis ethischer Verwahrlosung gezahlt.“ (ebenda)

Das hatte zur Folge, dass „der Reichtum der wenigen nur mit der Arbeit der vielen erkauft werden konnte. Was wiederum zur Herausbildung einer herrschenden Klasse führte, zur Bildung des Staates, eines Herrschaftsinstruments der Wenigen über die Vielen, der Entmachtung der Frau durch Zerstörung der klassenlosen Sippengesellschaft der Mütter, des Zerfalls des Fruchtbarkeitskults in einen hierarchischen Todeskult – und nicht zuletzt der Herausbildung schonungsloser Priesterkasten.“

Bornemanns vernichtendes Urteil über den Macho-Fortschritt ist zugleich ein Fundamentalangriff gegen Poppers These „Auf dem Weg zur offenen Gesellschaft.“

Am Anfang, so Popper, sei die gedanklich unterdrückte Stammesgesellschaft gewesen. Erst der Fortschritt in allen Dingen habe es geschafft, die Unterdrückung der frühen Gesellschaften zu beenden, um die Denkfreiheit der Menschheit zu entwickeln. Das ist in jeder Hinsicht das Gegenteil der Wahrheit.

Wo wird in den noch heute bestehenden Stammesgesellschaften die Denkfreiheit eingeschränkt? Man sehe und staune nur, mit welch aufgeweckter Intelligenz die Mitglieder dieser Gruppen sich an den Ökokonferenzen der „fortgeschrittensten“ Nationen beteiligen und ihre Vorschläge zur Genesung des Urwalds etc. einbringen. Welche Gesellschaften sind hier die wahrhaft intelligenten, wachsamen und naturfreundlichen?

Popper lebte noch im Geiste des Wiener-Positivismus und der Verachtung aller „statischen“ und wissenschaftslosen Urkulturen. Für ihn gab es nur geniale Fortschrittsvölker, natürlich im Westen – und primitiv-dumpfe Urwaldmenschen, die man wegen ihrer Zurückgebliebenheit nicht genug bedauern konnte.

„Im folgenden wird die magische, stammesgebundene oder kollektivistische Gesellschaft auch die geschlossene Gesellschaft genannt werden; die Gesellschaftsordnung aber, in der sich die Individuen persönlichen Entscheidungen gegenüberstehen, nennen wir die offene Gesellschaft.“

Jetzt kommen die Märchen der Neuzeit, um ihre Verkommenheit in Fortschritt zu verfälschen. Das Märchen vom Individuum etwa, das sich von allem „losreißen“ muss, um zu seiner unverwechselbaren Einzigartigkeit zu kommen.

Mumpitz, das sind moderne Versionen der Sündenfallgeschichte, wo die in Sünde Gefallenen sich vom Paradies losreißen müssen, um in der Fremde ihr wahres Ich zu entdecken.

Noch heute schwirren harte Loslösungsmythen der Kinder in allen Gazetten, um die Brutalitäten der Unterdrückungspädagogik staatlicher Schulen zu rechtfertigen. Wer sich in seiner „mütterlichen“ Sippe zuhause fühlt, warum sollte der sich ruckartig losreißen? Heute natürlich, um sich seine Stirner‘sche Ich-Herrlichkeit zu erobern, mit der er, ganz allein auf sich gestellt, seine Karriere „durchziehen“ kann.

Das Individuum muss das aggressive Gegenteil zur Gesellschaft sein, um diese durch Erfolg und Leistung unter seine Kontrolle zu bekommen: Machtstrategien als pädagogisches Härtetraining.

Es war die Erfindung der kapitalistischen Konkurrenz aller gegen alle, dass ein Individuum gegen alle Individuen in den Ring steigen muss. Sonst könnte es sein eigentliches Wesen nicht entwickeln. Mumpitz!

Schillers Distichon hat den Ungeist der Ich-Atomisierung frühzeitig geahnt und dagegen gekämpft:

„Keiner sei gleich dem andern, doch jeder sei gleich dem Höchsten!
Wie das zu machen? Es sei jeder vollendet in sich.“

Der Höchste ist kein jenseitiger Gott, sondern Inbegriff der universellen Vernunft. Was findet Popper besonders wertvoll an einer offenen Gesellschaft?

„Die Züge, an die ich denke, sind mit der Tatsache verbunden, dass viele Mitglieder einer offenen Gesellschaft sozial emporzukommen versuchen, dass sie versuchen, die Stellen anderer Mitglieder einzunehmen.“

Aber, sind diese Hierarchien nicht gerade dadurch entstanden, dass die Männer die gleichberechtigte Stellung aller Mitglieder einer matriarchalischen Sippe zerschlagen haben? Wären alle Menschen von gleicher Würde, was hätte der eine, was der andere begehren müsste? Wenn niemand niemanden beneiden müsste: das wäre eine wahre offene Gesellschaft.

Natürlich weiß Popper von den Nachteilen seiner „offenen Gesellschaft“. Doch diese Nachteile seien nur die unvermeidbaren Lasten dieser Gesellschaft. Hier müsse jeder seine persönliche Last auf sich nehmen – um des kostbaren Fortschritts willen, der kostenlos nun mal nicht zu haben sei.

„Diese Last, dieses Unbehagen, ist eine Folge des Zusammenbruchs der geschlossenen Gesellschaft. Es ist eine Last, die von allen getragen werden muss, die in einer offenen Gesellschaft leben und die sich bemühen müssen, vernünftig zu handeln. Wir müssen, glaube ich, die Last auf uns nehmen, als einen Preis, den wir bezahlen müssen für jede neue Erkenntnis, für jeden weiteren Schritt zur Vernunft, zur Zusammenarbeit, zu gegenseitigen Hilfe; für jede Verlängerung des durchschnittlichen Lebensalters, und für jeden Bevölkerungszuwachs. Es ist der Preis der Humanität.“

Hier hat Popper alles auf den Kopf gestellt. Zuerst muss er die schützende Muttersippe verhackstücken, um mit rücksichtsloser Konkurrenz dafür zu sorgen, dass die Merkmale der ursprünglichen Humanität wieder mühsam hergestellt werden könnten.

Was hätten wir dann? Was wäre die Grundmelodie unserer Gesellschaft? Eine nie endende, ziellose Sisyphos-Arbeit. Was bedeuten würde: hätte die Gesellschaft etwas Sinnvolles erreicht, käme sofort das Signal: alles wieder zerlegen und zertrümmern, das Ganze von vorne.

Die abendländische Geschichte verurteilte sich selbst zur quälerischen Wiederholung des Immergleichen – auch eine Version der Sündenfallgeschichte. Hauptsache: die Menschheit kommt an kein sinnvolles Ziel. Wer‘s harmlos will, kann von Tragik, wer‘s metaphysisch will, von Gottes Verfluchung reden.

Popper merkte nicht, dass seine Lasten des Fortschritts nichts anderes sind als Mephistos Verharmlosung des Bösen: stets wollte er das Böse, stets erreichte er das Gute. Nach vielen Grausamkeiten der letzten Jahrhunderte sollten wir wissen, dass wir den Satz umgestellt haben: stets wollen wir mit dem Fortschritt das Gute – um stets die „bösen Nebenfolgen“ nicht mehr zur Kenntnis nehmen zu müssen.

Putins Krieg ist die stellvertretende Last der Zivilisation, die sie sich selbst auf die Schulter gelegt hat. Hier kann niemand unschuldig sein, der vom Krieg der Menschheit gegen die Natur lebt.

Längst befinden wir uns auf dem Weg zur höllisch geschlossenen Globalgesellschaft, aus der es kein Entrinnen gibt, außer durch prophylaktische Selbstvernichtung – so sprechen die Auguren männlicher Selbstvergottung, die lieber die Menschheit opfern, als ihr komplettes Versagen einzugestehen.

Wer an die Menschheit glaubt, müsste herausfinden, wie er einer Gesellschaft entkommen kann, die es schafft, sich offen zu nennen – um sich zugleich erbarmungslos die Luft abzuschnüren.

Fortsetzung folgt.