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… zum Logos LXII

Tagesmail vom 29.04.2022

… zum Logos LXII,

„Es fehlt das Ziel. Es fehlt die Antwort auf das »Wozu?«. (Nietzsche)

Worte zählen nicht, wenn Kanonen das Sagen haben.

Wir haben es weit gebracht: im Frieden ist Denken überflüssig, im Krieg ausgeschlossen. Im Frieden ist Denken nicht nur überflüssig, sondern schädlich: es beeinträchtigt das Wirtschaftswachstum.

Wir reden auch nicht miteinander – schon lange nicht mehr –, wir brüllen uns Wortfetzen zu. Dann bejammern wir uns, dass uns niemand hört.

Dabei müssten wir dem Krieg dankbar sein: er zeigt uns, wie wir sind. Wie merkwürdig es auch klingen mag, der Krieg denkt pro nobis. Wie Erlöser unsere Schuld auf sich nehmen, um pro nobis zu sterben – und aufzuerstehen, so nimmt der Krieg uns an die Hand und zeigt uns schonungslos, wie ohnmächtig wir sind. Krieg sorgt für Klarheit.

Gegen Ohnmacht hilft kein Denken. Der Frieden macht uns zu schaffen. Gestehen wir es: der Frieden ist es, der uns lähmt. Was sollen wir mit diesem ewig zermürbenden Frieden, der uns langweilt, das wahre Leben raubt und uns alle Lebensenergie aus den Knochen saugt?

„Und wenn ihr nicht Heilige der Erkenntnis sein könnt, so seid mir wenigstens deren Kriegsmänner. Euren Feind sollt ihr suchen, euren Krieg sollt ihr führen und für eure Gedanken. Euch rate ich nicht zur Arbeit, sondern zum Kampfe. Eure Arbeit sei ein Kampf, euer Friede ein Sieg. Ihr sagt, die gute Sache sei es, die sogar einen Krieg heilige? Ich sage euch: der gute Krieg ist es, der jede Sache heiligt. Der Krieg und der Mut haben mehr große Dinge getan als die Nächstenliebe. Ihr müsst stolz auf euren Feind sein, Ihr müsst stolz auf euren Feind sein: dann sind die Erfolge eures Feindes auch eure Erfolge. Eure Vornehmheit sei Gehorsam. Euer Befehlen sei ein Gehorchen. Alles, was euch lieb ist, sollt ihr euch erst noch befehlen lassen. Euren höchsten Gedanken aber sollt ihr euch erst noch befehlen lassen. Und der lautet: der Mensch ist etwas, das überwunden werden soll.“ (Nietzsche)

Es gibt nur Einen in Deutschland, der die Botschaft vom lebensfördernden Feind verstanden hat und jede Schuld von sich weist. Mea culpa? Nicht mein Ding.

Übermenschen kennen keine Schuld. Was auch immer sie getan haben, dazu stehen sie. Basta.

Der Übermensch aus Hannover weiß: Putin ist unser wahrer Freund, weil er es auf sich genommen hat, unser Feind zu sein. Welche Enttäuschung für ihn, dass ausgerechnet Zarathustras Landesleute ihn am wenigsten verstehen.

Wenn nicht mal Deutsche das begreifen, wer auf der ganzen Welt sollte es dann verstehen?

„Von unseren besten Feinden wollen wir nicht geschont sein, und auch von denen nicht, welche wir von Grund aus lieben.“

Welche Schande für Deutschland: ihre besten Denker müssen in die Tiefen des Ostens auswandern, weil sie von ihrem Volk am wenigsten verstanden werden.

Die Konkurrenz des Friedens kennt nur ein Ziel: den Krieg. Wozu Wirtschaftssysteme in ewigem Gerangel, wenn nicht zum gloriosen Endsieg? Wenn am Ende kein Krieg steht, der alle Tändeleien beendet, wozu das Hetzen, Schieben und Drängen lächerlicher Lieferketten?

Globale Beziehungen sollen den Völkern Frieden bringen? Man nützt sich, um sich voneinander abhängig zu machen? Wer abhängig ist, ist erpressbar. Wie lange ertragen ehrgeizige Konkurrenten die Fessel der Abhängigkeit?

Das globale Netz wird immer enger und reißfester, bis die Stärksten es nicht länger ertragen – und mit der Großen Schere anrücken.

Denn was ist das alles entscheidende Problem?

„Es fehlt das Ziel: es fehlt die Antwort auf das „Wozu“.

Wozu was?

„Ach, ich bin des Treibens müde!
Was soll all die Qual und Lust?
Süßer Friede,
Komm, ach komm in meine Brust!“ (Wandrers Nachtlied)

Da steht doch Friede, Herrgottnochmal.

„Ich liebe den, welcher lebt, damit er erkenne, … damit einst der Übermensch lebe, und so will er seinen Untergang. Ich liebe den, welcher sich schämt, wenn der Würfel zu seinem Glücke fällt, und der dann fragt: bin ich denn ein falscher Spieler? – denn er will zugrunde gehen. Siehe die Guten und Gerechten! Wen hassen sie am meisten? Den, der zerbricht ihre Tafeln der Werte, den Brecher, den Verbrecher: – das aber ist der Schaffende. Vernichter wird man sie heißen und Verächter des Guten und Bösen. Aber die Erntenden sind es und die Feiernden. Zu meinem Ziele will ich, ich gehe meinen Gang; über die Zögernden und Saumseligen werde ich hinwegspringen. Also sei mein Gang – ihr Untergang.“

Waren das Zeiten, als Zarathustras Botschaft in seinem eigenen Land auf fruchtbaren Boden fiel. Was zeichnete seine damaligen Jünger aus?

„Sie haben die Feindschaft der Gegner mithin nicht zu fürchten, sondern als Voraussetzung zur eigenen Daseinsberechtigung zu empfinden. Sie haben den Hass unserer Feinde unseres Volkstums und unserer Weltanschauung und seine Äußerungen nicht zu scheuen, sondern zu ersehnen. Die Größe jeder gewaltigen Organisation als Verkörperung einer Idee auf dieser Welt liegt im religiösen Fanatismus, indem sie sich unduldsam gegen alles andere, fanatisch überzeugt vom eigenen Recht, durchsetzt. Wenn eine Idee an sich richtig ist und, in solcher Weise gerüstet, den Kampf auf dieser Erde aufnimmt, ist sie unbesiegbar, und jede Verfolgung wird nur zur inneren Stärke führen. Die Größe des Christentums lag … in der unerbittlichen fanatischen Verkündigung und Vertretung der eigenen Lehre.“ (Mein Kampf)

Nietzsches bester Schüler heute ist, welch eine Schande, kein Deutscher mehr, sondern einer aus den Tiefen des Ostens. Das Erbe der deutschen Denker wird heute, welche Schande, von jenen vertreten, die früher als Untermenschen in Deutschland galten.

Nur ein deutscher Ex-Kanzler hat die überragende Qualität seines fernen Freundes erkannt. Mit welchem Erfolg? Dass er von allen Deutschen geächtet und all seiner Ehrendoktorwürden beraubt wird.

Heute senken sie alle den Kopf: Verzeihung, wir haben ihn nicht durchschaut. Ja nun, wie hätten sie ihn denn nun durchschauen können, wenn sie gar nicht wussten, wonach sie hätten suchen müssen. Selbst wenn er ihnen wortwörtlich aus „Mein Kampf“ vorgelesen hätte, hätten sie stupide auf den Boden gestiert.

Nein, NS-Schergen können keine Christen gewesen sein, sie haben die Botschaft nur als unüberwindliche bewundert.

Zwei Dinge sind unvereinbar: Schaffen – und Leben erhalten.

„Immer vernichtet, wer ein Schöpfer sein muss.“

Was ist der Grund?

Sie folgten nicht der Forderung:
„Ich lehre euch den Übermenschen. Der Mensch ist etwas, was überwunden werden muss. Wie müde bin ich meines Guten und Bösen! Alles ist Armut und Schmutz und ein erbärmliches Behagen.“

Tatsächlich gibt es noch einige treue Schüler in Deutschland, die nichts mehr hassen als das Gute, das ihr Schlechtes aufdecken könnte. Wer erkühnt sich, ihnen vorzuschreiben, was sie zu tun und zu lassen haben?

Nicht mal sie selbst dürfen sich zur Raison rufen. Das wäre eine fluchwürdige Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit. Gut und Böse – das sind die Fesseln ihrer unendlichen Freiheit.

„Es fehlt das Eine Ziel. Noch hat die Menschheit kein Ziel.“

„Und wer ein Schöpfer sein muss im Guten und Bösen: wahrlich, der muss ein Vernichter erst sein und Werte zerbrechen. Also gehört das höchste Böse zur höchsten Güte: diese aber ist die schöpferische.“

Das Genie, Nachfolger der Götter, Göttersöhne, Erlöser und Heiligen, muss in heutigen Zeiten ein Schöpfer sein. Einer, der der Menschheit Gutes bringt.

Elon Musk gilt heute als reichster, genialster und schöpferischster Mann der Erde, als Visionär der Zukunft. Was zeichnet ihn aus? Dass er – laut entwaffnender Selbsteinschätzung – ein kranker Mann ist. Doch seine Krankheit ist heilig, sie ist Ausweis seiner Besonderheit. Musk ist stolz auf sein Asperger-Syndrom:

„Die Entwicklungsstörung ist eine Variante des Autismus. Merkmale sind unter anderem ein eingeschränktes Einfühlungsvermögen und mangelhafte soziale Kompetenz. Es kommt eher selten vor, dass Menschen sich ihrer Störungen rühmen, der US-Unternehmer Elon Musk – einer der reichsten Menschen der Welt, der in dieser Woche Schlagzeilen machte, weil er Twitter übernommen hat – verkündete aber im vergangenen Jahr, er lebe mit dem Syndrom.“ (SPIEGEL.de)

Eingeschränktes Einfühlungsvermögen und mangelhafte soziale Kompetenz: ist das nicht die Kurzbeschreibung der gesamten Moderne? Insofern ist Musk der Modernste aller Modernen. Nur wer seine Mitmenschen nicht versteht und nicht verstehen will, kann sie mit schöpferischen Genietaten um den Finger wickeln.

Für Philosophen gilt das nur sehr eingeschränkt. Nicht nur, dass Denker im Allgemeinen nicht sonderlich reich sind. An ihrer Schöpferkraft beim Lösen von Krisen könnte man durchaus zweifeln:

„Die Reinheit der Farbe lässt sich nur wahren, wenn man im programmatischen Stadium verharrt. Dann genießt man noch die Ohnmacht und ihre Reinheit. Sobald jemand nach den Hebeln der Macht greift, färbt das Praxisgrau ab. Bei grünen Politikern kommt es unweigerlich zu einer Grün-Grau-Verschiebung, so wie es im 20. Jahrhundert zu der epochalen Rot-Grau-Verschiebung kam. Die Aufgabe heißt jetzt, Putin beim Scheitern zu assistieren.“ (ZEIT.de)

Wie bescheiden und demütig das klingt: wir assistieren Putin nur bei dem, was er ohnehin selber will. Womit? Mit großen oder kleinen Waffen?

Zu den grundlegenden Themen hingegen, die uns alle bedrücken – keine Aussage vom Philosophen. Ist nachhaltige Friedenspolitik nur eine Ohnmachtsgeste um des Himmels willen? Da müssen wir erst grau von grau unterscheiden lernen, um nicht schwarz zu sehen für die Zukunft des bunten und fröhlichen Lebens.

Kommen wir endlich zur Sache. Was ist die Urkrankheit der gegenwärtigen Menschheit? Dass sie sich mit endlosem Fortschritt über ihr auswegloses Herumirren belügt.

Sie tappt im Dunkeln, irrt ziellos umher, weiß nicht mehr, was hinten und vorne ist, sieht kein einziges Lichtlein am Horizont. Sie sieht nur rabenschwarz. Doch das darf sie sich nicht gestehen. Ergo erfindet sie phantastische Irrlichter am Horizont, die grenzenlose Illusionen erzeugen. Sie nennen es unendlichen Fortschritt.

Auch heute, wo wir kurz vor dem Höllenschlund stehen. Ihr Herumtappen ist Folge ihres vergeblichen Wartens seit 2000 Jahren. Damals verschrieben sie sich einem Gottessohn, der ihnen den Blankoscheck ewiger Seligkeit zusagte, den er bei seiner baldigen Wiederkunft einlösen würde.

Darauf warten sie noch heute – vergeblich. Und jede Generation dachte: das Warten ist vorbei, zu unserer Lebenszeit wird Er mit Bestimmtheit kommen. Und wieder nichts. Das Warten auf das Ziel wurde von Epoche zu Epoche unerträglicher.

Das Warten auf das Illusorische wurde derart unerträglich, dass sie den technischen Fortschritt erfanden, um das Warten abzukürzen. Doch der Fortschritt wurde selbst zum Warten: wann endlich wird der Mensch zum Übermenschen, zur unsterblichen Maschine, wann endlich nimmt Musk uns alle mit in sein himmlisches Paradeis auf dem Mars? Oh heiliger Elon, kauf die ganze Erde mit ihrem Schmutz und Elend, verkauf sie an den Nächstbesten, damit wir diesen Sündenpfuhl endlich hinter uns lassen können.

Was aber treiben wir, bis Elon das Ei des Kolumbus entdeckt haben wird? Wir warten und warten, warten und warten. Wahrlich, Elon, du überschätzt unsere Geduld – oder deine Schöpferkraft.

„Denn wir warten vermöge des Geistes aus Glauben auf die Erfüllung der Hoffnung auf Gerechtigkeit.“

„Wenn wir dagegen hoffen, was wir nicht sehen, so warten wir mit Geduld.“

„Denn das Reich, in dem wir Bürger sind, ist in den Himmeln, und aus ihm erwarten wir als Heiland den Herrn Jesus Christus.“

„Und wir warten auf die selige Hoffnung und auf die Erscheinung der Herrlichkeit unseres großen Gottes.“

„Wir warten aber nach seiner Verheißung auf einen neuen Himmel und eine neue Erde, in denen Gerechtigkeit wohnt.“

Eben diese Verheißung will Musk zur Wirklichkeit werden lassen. Was der Beweis wäre, dass er ein wahrer Menschenfreund und Messias ist – und seine Krankheit nur eine demütige Selbsterniedrigung, ganz nach dem Motto: die Letzten werden die Ersten sein. Sind diese genialen Giganten (zu denen zweifellos auch Merkel gehört) nicht wahre Freunde der Menschheit: wie sie sich gnädig und huldvoll zu uns herabbeugen und sich anrührend menschlich geben …

„Wartet fortan, bis seine Feinde zum Schemel seiner Füße gemacht werden.“

„Denn wenn wir mutwillig sündigen, nachdem wir die Erkenntnis der Wahrheit empfangen haben, bleibt hinfort kein Opfer mehr für die Sünden, sondern ein schreckliches Warten auf das Gericht und ein wütendes Feuer, das die Widersacher verzehren wird.“

„Denn er wartete auf die Stadt, die einen festen Grund hat, deren Baumeister und Schöpfer Gott ist.“

Reicht es mit den Beschreibungen des Wartens auf die finale Offenbarung des Herrn? Das ist die Qual einer Menschheit seit Jahrhunderten, die immer sehnlicher auf die Wiederkehr ihres Erlösers warten muss.

Moment mal, außer Fundamentalisten spricht niemand mehr von Qualen des Wartens!? Genau, das Warten ist so unerträglich geworden, dass es verschwiegen werden muss, um seine Qualen zu überstehen. Wir geben uns grenzenlos hoffnungsvoll, blicken mit glühender Erwartung in die Zukunft, woher uns das Licht der Erleuchtung kommen soll.

Das Warten haben wir in unerbittliche Konkurrenz verwandelt. Als Verschärfung aller Weltprobleme bis zum Siedepunkt, damit die endgültige Entscheidung geradezu herbei gezwungen werden kann.

All dies wäre die Erfüllung der eschatologischen Erwartungen eines Augustin:

„Der heidnische Staat à la Athen war für ihn eine der größten Ketzereien. Da der irdische Staat stets der Staat des Satans ist, rief er auf zu einem ewigen Krieg gegen die Welt und erweckte keinerlei Hoffnung auf eine ideale Sozialordnung. Immer wieder betonte er die Eitelkeit allen menschlichen Strebens.“ (Herbert J. Muller, Geschichte ohne Mythos)

Verstehen wir allmählich die Politkünste frommer Berliner Regierungen? Sie dürfen keine Stückwerkpolitik einer verlässlichen Humanisierung der sündigen Weltverhältnisse vollbringen, ja nicht mal wollen. Ihr Reich, worauf sie sehnlich und mit Schmerzen warten – ist in den Himmeln.

Verstehen wir, warum der fromme Neoliberalismus den Staat verachten und alles dem göttlichen Markt überlassen muss?

Verstehen wir, warum wir uns kein utopisches Ziel setzen dürfen? Weil wir zum Warten verurteilt sind. Zum Warten auf Godot:

„Im Ausharren einer Nebensächlichkeit wegen geht es darum, sich die Zeit zu vertreiben; in der Auseinandersetzung mit den drängendsten Fragen der Nachkriegszeit geht es darum, damit auch das Denken zu vertreiben und den Fragen nach der Ursache millionenfachen Sterbens durch immer neue Spiele auszuweichen. Was im ersten Fall noch als Clownerie oder „absurdes Theater“ zweier Landstreicher erscheint, wird im zweiten Fall zur Kritik an der moralischen Verweigerung einer Welt, sich rückblickend mit ihren Traumata zu beschäftigen und an der Verhinderung der nächsten zu arbeiten. Die das Stück eröffnende und mehrfach wiederholte Formel „Nichts zu machen“ beschreibt daher an der Oberfläche die Unmöglichkeit, Godots Antwort zu beschleunigen, darunter liegend aber die Ablehnung von Ursachenfragen und humaner Verantwortung.“(Wiki)

Hat die Welt aus Samuel Becketts Bühnenstück gelernt?

Fortsetzung folgt.