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Tagesmail

… zum Logos LVIII

Tagesmail vom 20.04.2022

… zum Logos LVIII,

wie Nachrichten aus einem Totenhaus – so wirkt jedes geschriebene Wort aus dem Hier und Jetzt.

Nein, schlimmer – wie aus einem Land, das auf den erlösenden Tod unter Qualen warten muss. Das Warten ist das Unerträgliche. Wer tot ist, der hat‘s geschafft, den berührt nichts mehr, er hat alles hinter sich geworfen, was ihn bedrückt hatte. Warten hingegen ist wie Folter. Niemand weiß, was kommen wird. Denn alles ist möglich.

Die Lieblingin der Moderne, die Zukunft, ist uns über Nacht abhandengekommen. Wo sind unsere Pläne geblieben? Unsere phantastischen Visionen einer ganz andern Welt, die uns in keinem Moment an unsere alte und verbrauchte Welt erinnern durften?

Bevor wir sie uns ausmalen konnten, hat der Blitzschlag eines einzelnen Mannes  – der unauffällig wie eine graue Maschine unter uns lebte, als sei er einer von uns – alles gelöscht, was uns von der schwer erträglichen Gegenwart erlösen sollte.

Wie hat er es nur geschafft, dieser bewundernswert-abscheuliche Teufelsbraten, so viel Macht zusammenzuraffen? Nun sitzt er irgendwo in einem verbunkerten Kellergebäude tief unter der Erde, leise und siegesgewiss in sich hinein flüsternd, wartend, was die verdorbene Menschheit gegen ihn zu tun gedenkt, um sie mit dem Atomblitz endgültig in Panik zu versetzen.

Er, ein Meister der Strategie, der die Welt durch Imitation ihrer scheinheiligen Höflichkeit lange in Sicherheit wog, um sie – potzblitz – in einem einzigen Wimpernschlag des Kairos in apokalyptische Todesangst zu versetzen.

Äußerlich merkte man fast nichts. Wie gewohnt, ging die Hetze des Alltags weiter, als sei nichts geschehen. Innerlich aber war alles anders.

Alles anders, fragst du und gibst dich erstaunt?

Ja, ich frage: regieren denn nicht noch immer dieselben Männerfiguren die Welt? Ist die Zerstörung der Natur gestoppt worden, als sei nichts geschehen?

Geht das Spiel nicht gewohnt weiter? Wer hat, dem wird gegeben, wer nichts hat, dem wird genommen, was er hat?

Die Massen verelenden. Warum auch haben sie es nicht geschafft, sich aus ihrem Dreck zu erheben und aufzusteigen in die paradiesischen Gärten jener, die oben auf den Bergen ihre Villen und Lusthäuser erbauten – mit weitem Blick über die Welt, die endgültig die ihre geworden ist?

„Wiederum führte ihn der Teufel mit sich auf einen sehr hohen Berg und zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit und sprach zu ihm: Das alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest. Da sprach Jesus zu ihm: Weg mit dir, Satan! Denn es steht geschrieben (5. Mose 6,13): »Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen.« Da verließ ihn der Teufel. Und siehe, da traten Engel herzu und dienten ihm.“

Welch eine Raffinesse der Gottgleichen. Von Wichtigtuern lassen sie sich die Welt nicht schenken. Denn diese Welt war von Anfang an ihr eigenes Werk. Sie sind die Stärksten der Starken, sie allein bestimmen, wer Anfang und Ende setzt.

Tief unten sitzt der, nach dessen Pfeife die ganze Welt tanzt. Angst? Die hat er überwunden. Selbst, wenn er besiegt werden sollte vom dekadenten Westen, weiß er doch bestimmt, dass der Schock, den er der Welt verpasst hat, die Menschheit im Innersten getroffen hat.

Der Schock, sich wirklich jene Macht erobert zu haben, mit der man die Welt zerstören kann. Wozu der Firlefanz eines unendlichen Fortschritts zu ungeheurer Macht, wenn alle so tun, als sei das unerheblich. Als ginge es immer nur um den Fortschritt ins Illustre und nie um den ins irreversibel Böse.

War am Anfang das schöpferische Wort, das alles aus dem Nichts rief, muss am Ende das alles zerstörende Wort – des Nichts sein. Und Er wird der unvergessliche Meister des Nichts sein. In allen Geschichtsbüchern wird er den Rang des Letzten und Unüberbietbaren erhalten.

Er ist Gottes Widersacher, der treueste Knecht des Gottes, der ohne ihn nichts wäre.

Ich bin der Geist, der stets verneint!
Und das mit Recht; denn alles, was entsteht,
Ist wert, daß es zugrunde geht;
Drum besser wär’s, daß nichts entstünde.
So ist denn alles, was ihr Sünde,
Zerstörung, kurz das Böse nennt,
Mein eigentliches Element.
Und freilich ist nicht viel damit getan.
Was sich dem Nichts entgegenstellt,
Das Etwas, diese plumpe Welt,
So viel als ich schon unternommen,
Ich wußte nicht ihr beizukommen,
Mit Wellen, Stürmen, Schütteln, Brand –
Geruhig bleibt am Ende Meer und Land!
Und dem verdammten Zeug, der Tier- und Menschenbrut,
Dem ist nun gar nichts anzuhaben:
Wie viele hab ich schon begraben!
Und immer zirkuliert ein neues, frisches Blut.
So geht es fort, man möchte rasend werden!
Der Luft, dem Wasser wie der Erden
Entwinden tausend Keime sich,
Im Trocknen, Feuchten, Warmen, Kalten!
Hätt ich mir nicht die Flamme vorbehalten,
Ich hätte nichts Aparts für mich.

Das Etwas, diese plumpe Welt, muss zur Strecke gebracht und das Nichts, aus dem alles kommt, wieder zur Ehren gebracht werden.

Der göttlichen Kraft des Schöpfens muss das eigentliche Prinzip entgegengesetzt werden: die Kraft des Vernichtens – ins Nichts, in dem das Göttliche sich mit jener Kraft versöhnt, die sich am Anfang des plumpen Etwas von ihm schied und sich als Widerspruch darstellte: das Teuflische, Satanische, das kein Etwas neben sich dulden kann.

Es ist genug geschehen im Weltall der Bedeutungslosen, die sich aufblähten, als seien sie die neuen Götter. Dabei waren sie nur Wichtigtuer und Aufschneider.

Wir müssen zurück zum Ursprung. Und da war das Nichts. Im Nichts ist Ruhe, die Ruhe des Seins, das kein Werden mehr braucht.

Wäre die Menschheit ehrlich zu sich selbst, würde sie dem Diktator des Nichts zustimmen: natürlich hat Er Recht. Wohin soll‘s denn noch gehen? Wie sollen wir an ein sinnvolles Ziel kommen, wenn wir uns jedes Ziel mit Hohn in der Stimme verbieten?

Ewig und sinnlos durchs Universum vagabundieren? Bleibt mir weg, ich habe von eurer blinden Abenteuerei die Schnauze voll.

Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren laß die Winde los.
Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
gieb ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.
Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.

Stopp, pass doch auf. Das war das falsche Gedicht. Die Natur? Hat ein Ziel, das regelmäßig zurückkehrt, dorthin, wo sie begonnen hat. Ein Zirkel hat seine Vollendung in sich selbst. Natur ist keine Heilsgeschichte, die auf einen Gott warten muss, der nicht daran denkt, sich zur Ruhe zu begeben. Die Linie verliert sich im Endlosen, der Kreis ist das Vollendete in sich.

Wir müssen aufhören, Linie zu sein. Wir müssen lernen, Kreis zu werden. So paradox es klingt: wer stets der Linie folgt, muss sich immer mehr beugen und krümmen. Nur wer dem Kreis folgt, wird den aufrechten Gang zustande bringen.

Weshalb die sokratische Gebärkunst zugleich eine Kunst des Sterbens ist. Mensch, sei unbesorgt, wenn du Abschied nimmst.  Du wirst dort ankommen, wo du begonnen hast: du kommst immer nach Hause. Zur Natur.

Schauen wir ins bedeutungslose Deutschland, dem es nur gelingt, der erniedrigenden Linie der Zahlen zu folgen. Der Zahlen des Raffens und Ergatterns, Fressens und Saufens, des Angebens und Prahlens. Hat das Land noch eine Regierung, die regieren kann? Hat es noch Politiker, die wissen, wohin sie wollen?

Nichts davon. Die Regierenden wissen nicht, was sie tun. Was sie nicht wissen, können sie nicht erklären. Wer nichts erklären kann, ist kein Demokrat. Demokratien leben vom lebendigen Wort des Streitens und Zustimmens.

Wer nicht erklären kann, was er tut und fordert, ist autoritär. Wer nicht reden kann, ist stumm – oder mutistisch. Deutsche Regierende werden seit Jahrzehnten zu autoritären Mutisten, die sich hinter demokratischen Fassaden verstecken.

Innerlich haben wir längst die Demokratie aufgegeben. Äußerlich bleibt das Theater des endlosen Schwatzens, nicht nur der Regierenden, sondern der schreibenden Prätorianergarden oder den Medien-Clercs, den Erben unfehlbarer Priester.

Da sie sich alle Meinungen verbieten, können sie sich, wenn diese sich ändern, auch nie geirrt haben.

Zu den vorbildlichen Ausnahmen der Zeitbeobachter gehört Christian Stöcker, der den Machthabern aus Politik und Wirtschaft rücksichtslos den Marsch bläst. Wann kommen diese von Stöcker genannten, ehrenwerten VertreterInnen des Westens endlich nach Den Haag?

„Zum entsetzlichen Gesamtbild gehört, dass der jüngste IPCC-Bericht, dessen Warnungen sich mittlerweile trotz aller politischen Einflussnahme zunehmend verzweifelt lesen , weltweit ein deutlich geringeres Medienecho fand als eine Ohrfeige bei einer Filmpreisverleihung. Das Gift steckt tief in unseren gesellschaftlichen Systemen, bis heute. Diese Kritik trifft wahrhaftig nicht nur, aber in großem Maße natürlich auch, vier Merkel-Bundesregierungen: All die Deals mit russischem Öl und Gas waren stets Pakte mit dem Teufel, in doppelter Hinsicht. Geld für den mordenden, lügenden und manipulierenden Kreml, und noch mehr CO₂ für ein Erdsystem, das damals schon keines mehr verkraften konnte. Diese fatale, oft genug kriminelle Ignoranz beschränkte sich aber nicht auf deutsche Regierungen, Londoner Banker und KGB-Kleptokraten mit imperialen Träumen. Sie reichte viel weiter. Die heimliche Allianz derer, die um des eigenen Profits willen bereit waren, die Zukunft der Menschheit zu verspielen, umfasst die US-Ölkonzerne und ihre Nutznießer, die jahrzehntelang mit Propaganda gegen jeden Klimaschutz anlogen. Akteure wie die Koch-Brüder in den USA, deren »Stiftungen« und »Thinktanks« an vorderster Front kämpften, um den wissenschaftlichen Konsens – wir zerstören unseren eigenen Lebensraum – immer wieder infrage zu stellen. Und natürlich Politiker (seltener auch Politikerinnen) dies- und jenseits des Atlantiks, die aus den Lügen der Propagandisten Gesetze machten, allen voran die US-Republikaner. Donald Trump, der Präsident der Lüge, ist eine absolut folgerichtige Führungsfigur für diese auf der gefährlichsten aller Lügen hängengebliebene Partei.“ (SPIEGEL.de)

Putin schlachtet Menschen, der Westen die Natur. Beliebte Frage in deutschen Breiten: Welches Verbrechen ist schrecklicher? Kleiner Tipp: wer Natur zerstört, zerstört der nicht gleichzeitig die Menschen, die von ihr abhängig sind?

Auch hier könnte ein Olympier weiterhelfen:

Wer sich selbst und andre kennt
Wird auch hier erkennen:
Orient und Occident
Sind nicht mehr zu trennen.

Wie konnte der Mann sich zur Krone der Schöpfung erheben?

Sein Aufstieg begann mit der Herrschaft über Weib und Kind, die er körperlich beherrschte. Dann stieg er auf zum Herrscher einer Sippe, eines Volkes. Wurde Fürst, König, Pharao, Kaiser, schließlich Gott. Zuerst auf nationaler, dann auf Weltebene.

Dort wurde er allmächtig, anfänglich mit nicht unerheblichen Defekten. Sein „sehr gut“ verkehrte sich ins Gegenteil, sodass er im Zorn fast alles vernichten wollte.

Neuer Anfang, neues Glück: das „sehr schlecht“ wurde zum pädagogischen Auftrag an das Geschöpf, sich per Gehorsam erlösen zu lassen, um – nicht durch Taten, sondern – durch Glauben einen winzigen Teil der Schöpfung zu retten. Die Rettung Gottes geschah durch Rettung weniger Auserwählter und durch Verwerfung riesiger Sünder-Massen.

Die Zeit der Naturreligionen, die sich gegenseitig problemlos tolerieren konnten, wurde beendet, es begannen die Zeiten fürchterlicher Religionskriege.

„Im Gegensatz zu der unbegrenzten religiösen Toleranz, die bis dahin zwischen den „Naturreligionen“ geherrscht hatte, bildet sich nun der für alle Theologie so bezeichnende Begriff der Orthodoxie, der Rechtgläubigkeit, und der zelotische Fanatismus in ihrer Verteidigung. Es entsteht zugleich der theologische Imperialismus des Bekehrungseifers, der Mission, nach innen die theologische Polizei der Inquisition in ihren verschiedenen Formen.“

Da es weder dem allmächtigen Schöpfergott, noch dem wiederauferstandenen Gottmenschen oder dem Sohn des Menschen gelang, sein Rettungswerk vor der neugierigen Welt perfekt durchzuführen, wartete die ganze Welt auf die Wiederkehr des Gottes, um seinen Widersacher endgültig ad acta zu legen.

Das Warten auf den Jüngsten Tag wurde zum Warten auf die endgültige Vernichtung seines Widersachers, den sie den Antichrist nannten. Das Ende der Geschichte erst würde das Ende einer unvollkommenen Gattung sein.

„Der wahre, gute Gottkönig wird erscheinen, um den falschen, bösen, angemaßten zu stürzen und ein Idealreich aufzurichten. Hier liegt der Ursprung der Vorstellung vom göttlichen König des Endreichs, vom Messias, Heiland, Erlöser, Mahdi, Messo da Dio, einschließlich all ihrer Verwandlungen und Säkularisierungen. Wir alle stehen noch viel zu sehr in der Tradition solcher Theologie, als dass es uns leicht fiele, den pathologischen Charakter der Messiasvorstellung als solcher einzusehen – bis herunter zu dem Genie-Begriff des Sturmes-und-Dranges des 19. Jahrhunderts und zu der neusten verhängnisvollen Übersteigerung der „Führer“-Vorstellung.“
(Alle Zitate in Alexander Rüstow, Die Ortsbestimmung der Gegenwart, Bd. 1)

Nur nebenbei: warum erfahren wir nicht mehr von A. Rüstow, dem universal gebildeten Analytiker der Menschheitsentwicklung, der der christlichen Moderne gnadenlos den Spiegel vorhielt? Eben darum!

Nun warten sie auf die Wiederkehr des bislang noch unvollkommenen Gottes, der erst als wiedergekehrter seine Vollendung erhalten wird.

Der göttliche Mann hat die Erde in ein Totenhaus verwandelt. Dass der Mensch seinen Irrweg erst einsieht, wenn es fast zu spät ist, beweist seine gekrümmte Intelligenz. Er sollte von einer deutschen Exkanzlerin lernen, die alles „vom Ende her dachte“. Kurz vor diesem Ende steht die Menschheit.

Wir aber müssen lernen, nichts vom – schlechten – Ende, sondern alles vom – guten – Ziel her zu bedenken.

Da die Kanzlerin, nach langem Beknien, engagierte Feministin sein wollte, soll das Wort einer Feministin am Ende stehen:

„Die patriarchale Welt setzt das Individuum über die Gemeinschaft, den Besitz über das Teilen, Konkurrenz und Rivalität über die Freundschaft, Wanderschaft und Isolation über das Eingebettetsein in eine emotionale Heimat, und die Macht über die Liebe. Besitz, Heimatlosigkeit und Isolation machen jedoch nicht glücklich. Patriarchale Mythen verbieten den Männern geradezu das Glücklichsein. Ständig wollen sie eine neue Ordnung, weil keine sie befrieden darf. Eines der wichtigsten Mittel, diese Ordnung herzustellen, ist der Krieg. Privateigentum und Krieg bedingen die rücksichtslose Rivalität zwischen den Menschen. Sie erfanden die Knechtschaft ihrer Mitmenschen allein aufgrund des Satzes: das Trachten des Menschen ist von Natur aus böse. Wer böse ist, muss sich von einem göttlichen Gott erlösen lassen.“ (Marilyn French, Jenseits der Macht)

Schwestern und Brüder: sind wir Menschen wirklich von Grund auf verdorben und verkommen? Gibt es für uns tatsächlich keine Chance des Überlebens und guten Lebens auf der Erde?

Doch und abermals doch. Zwar sind wir hochgradig verstümmelt durch Jahrtausende patriarchaler Herrschaft, doch das darf nicht das letzte Wort sein.

Lasst uns rigoros Schluss machen mit Patriarchen, Göttern, Genies und verbunkerten Fanatikern des Nichts.

Schon regen sich überall auf Erden mehr als Ahnungen dieses Fluchtwegs aus der todessüchtigen Männerwelt.

Schon gibt es aus allen Völkern dieser Welt kraftvolle und lebendige Zielbeschreibungen einer humanen Menschheit – die wir zusammen mit unseren Kindern realisieren können.

Fortsetzung folgt.