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Tagesmail vom 08.04.2022

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„Es gibt keinen Weg zum Frieden, denn Frieden ist der Weg.“ (Gandhi)

Das ist kein Augenblicks-Pazifismus, der Gott gefallen will.

Das ist Real-Politik. Die einzige Politik, die der Menschheit eine Überlebenschance bietet.

„Der Weltfrieden ist zur Lebensbedingung des wissenschaftlich-technischen Zeitalters geworden.“ (Carl Friedrich von Weizsäcker)

„An den Frieden denken, heißt an die Kinder denken.“ (Gorbatschow)

Denken wir an unsere Kinder? Wollen wir die Überlebensfähigkeit der menschlichen Gattung bewahren?

Dann müssen wir uns auf die Suche nach dem Frieden machen. Das können wir nur, wenn wir die Wurzeln unseres Unfriedens ausgraben. Ohne Ursachenforschung unserer Zwietracht kein Weg zur Eintracht.

„Der Weise, der die Ordnung des Reiches zu seiner Aufgabe macht, muss wissen, wodurch die Verwirrung entsteht, um sie beseitigen zu können. Wenn er nicht wüsste, wodurch die Verwirrung im Reiche entsteht, wäre er nicht in der Lage, die Ordnung herzustellen. Dies ist genauso wie bei einem Arzt, der die Krankheit eines Menschen überwinden will; er muss wissen, woher die Krankheit kommt, um in der Lage zu sein, sie zu bekämpfen. Der Weise, der sich die Ordnung des Reiches zur Aufgabe macht, kommt nicht umhin, die Ursachen der Verwirrung zu untersuchen.“ (Mo Ti)

War die Welt vor Ausbruch des Putin-Kriegs im Zustand des Friedens?

Nein. Sie war im Zustand eines Scheinfriedens, der nichts unterließ, um den Krieg vorzubereiten. Der Scheinfrieden nährte sich von allen Gefahren und Risiken, die den Frieden beenden sollten.

War Deutschland ein Friedensstaat?

Nein, das Land kennt nur beinharte Interessenpolitik. Frieden ist für die Deutschen eine lächerliche Moral der Weichlinge und Schwächlinge. In ihrer Pädagogik sprechen sie von einer Erziehung der Überfürsorglichkeit, die in der Welt nicht zurechtkommt – und gerade deshalb zum plötzlichen Ausbruch egoistischer Brutalität neigt.

Frieden hingegen ist die Überwindung von egoistischer Selbstüberhöhung und altruistischer Selbstaufgabe. Wer sein Selbst verliert, verliert seine Selbst-Bestimmung und Selbst-Gesetzgebung. Er verliert seine Autonomie.

Wer seine Autonomie verliert, hat seine Würde verloren und mit ihr seine Verantwortungsfähigkeit. Er ist kein soziales Wesen mehr, sondern ein umherirrendes atomares Fragment im endlosen Universum.

Wenn Deutschlands oberstes Prinzip nicht Friede ist: welchem Prinzip folgt es dann?

Früher sprach man von Staatsraison, der Vernunft des Staates. Ein irreführender Begriff, denn Vernunft will nichts als Frieden. Staatsraison indes wollte Macht und Herrschaft in der Welt.

In der Definition des Historikers Meinecke , der ein fundamentales Werk über „Die Idee der Staatsraison“ schrieb:

„Staatsraison ist die Maxime staatlichen Handelns, das Bewegungsgesetz des Staates. Sie sagt dem Staatsmann, was er tun muss, um den Staat in Gesundheit und Kraft zu erhalten. Und da der Staat ein organisches Gebilde ist, dessen volle Kraft sich nur erhält, wenn sie irgendwie noch zu wachsen vermag, so gibt die Staatsraison auch die Wege und Ziele dieses Wachstums an. Zwingende Motive der Selbsterhaltung und des Wachstums des Staates treiben den Staatsmann zu Handlungen, die gerade die geltenden allgemeinen sittlichen Gesetze und positiven Rechtssatzungen zuweilen überschreiten. Machtbehauptung und Machterweiterung sind nicht möglich ohne gelegentliche Brüskierung von Moral und positivem Recht.“

Staatsraison ist demnach eine „coincidentia oppositorum“, ein Zusammenfall der Gegensätze.

Auf der einen Seite müssen Moralgesetz und Rechtsidee herrschen (anders wäre der Staat ein überlebensunfähiges Chaos). „Das Staatswohl selber wird nicht nur durch Macht, sondern auch durch ethische und moralische Werte gesichert.“ (Meinecke)

Auf der anderen Seite muss moralfreie Macht die Vitalität des Staatswesens sichern.

Meinecke verteidigt die moralfreie Anwendung der Macht im Interesse des Staates, doch sein Herz schlägt für die andere Seite:

„Problematisch und zwiespältig bleibt dieses Handeln dennoch, weil die bewusste Verletzung von Sitte und Recht unter allen Umständen, aus welchen Motiven sie auch erfolgen mag, ein sittlicher Schmutzfleck bleibt, eine Niederlage des Ethos in seinem erzwungenen Zusammensein mit Kratos (Macht). So fließt das Handeln nach Staatsraison zwischen Licht und Finsternis andauernd hin und her.“ (ebenda)

Hat sich bis heute in Deutschland etwas geändert? Der Substanz nach nicht, aber dem Bewusstsein nach. Nicht nur Bismarcks autoritärer Staat, auch die heutige Demokratie schwankt prinzipienlos zwischen Moral und Macht.

Aber im Bewusstsein hat sich etwas geändert. Die Deutschen fühlen sich von jeder Moral befreit, wenn sie ihren Interessen folgen. Im Dunkeln bleibt, ob sie ihre neue Demokratie per se für so moralisch halten, dass sie bedenkenlos ihren Interessen folgen dürfen – ohne dass sie sich amoralisches Verhalten vorwerfen müssten. Oder ob sie glauben, über jegliche Moral hinausgewachsen zu sein, sodass sie unbeschwert ihren Interessen folgen dürften. Ihre Interessen nämlich seien moralisch genug. Über Meineckes Dualismus seien sie hinaus. Ihre Interessen, gleichbedeutend mit ihren wirtschaftlichen, seien in sich der Inbegriff der Moral.

Was bedeuten würde: wirtschaftliche Interessen können gar nicht amoralisch sein. Es ist die moralische Pflicht jedes Einzelnen, alles für die Mehrung seines Wohlstands zu tun – eine andere Moral gibt es nicht.

Das ist Neoliberalismus pur, der jegliche Bevormundung des Staates durch Verbot und Verzicht empört ablehnt. Denn: wirtschaftliche Interessen seien an sich selbst moralisch. Sie gehorchen Naturgesetzen, die moralischer gar nicht sein können.

Müsste Natur nicht selbst unmoralisch sein, wenn ihre Gesetze amoralisch sein könnten?

Das ist der Grund, warum die neoliberalsten Neoliberalen Deutschlands, vereinigt in der WELT-Redaktion, stets am empörtesten sind über ständiges Bevormunden des Staates, gleichgültig in welchen Disziplinen: vom Impfgebot bis zu Ökovorschriften und Geschwindigkeitsbeschränkungen auf der Autobahn.

„Was das neoliberale Weltbild hervorbringt, ist hingegen keine Idee von Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit. Es ist das Weltbild sich selbst genügender Individuen, die eigentlich nur durch die Funktionsweise des Marktes miteinander verbunden sind. Gleichzeitig spielt Moral keine Rolle. Niemandem sollten bestimmte Konsumentscheidungen aus moralischen Gründen verwehrt werden. Stattdessen setzt man auf einen aufgeklärten, rationalen individuellen Entscheider, der vernünftige Entscheidungen trifft.“ (Lepenies, Verbot und Verzicht)

Hier stehen wir vor dem totalen Triumph falsch verstandener Naturwissenschaften über den autonomen Geist des Menschen. Denn dieser nimmt sich das Recht, sich Gesetze der Natur nicht als Gesetze menschlicher Moral vorschreiben zu lassen.

Die Ökonomie brüstet sich, sich in den Rang der Naturwissenschaften hochgearbeitet zu haben, weshalb sie es nicht nötig hat, sich vom Kleingeist der Menschen dirigieren zu lassen.

Hayek verachtet die „Anmaßungen der Vernunft“, sich irgendeine Moral auszubrüten, anstatt sich der „Vernunft des Marktes“ zu ergeben. Setzt man an die Stelle des Marktes den Begriff Gott, könnte man den Neoliberalismus als vernunftfeindlichen Pietismus beschreiben:

„Hat nicht Gott die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht?“

Übersetzt: Hat nicht Gott die Weisheit menschlicher Vernunft zur Torheit gemacht?

Autonome Moral des Menschen ist lächerliche Torheit vor Gott. Wir sind zurückgekehrt in die Gegenaufklärung der antipreußisch-österreichischen Monarchie.

All das sind ausreichende Gründe, den Begriff Staatsraison – der noch immer zu viel nach Raison roch anstatt nach Mammon und Markt – zu ersetzen durch den Begriff „Wirtschaftsraison“. Wobei unter Raison nicht die Vernunft des Menschen, sondern die jedes menschliche Begriffsvermögen übersteigende Vernunft des göttlichen Marktes zu verstehen wäre.

Paulus müsste folgendermaßen modernisiert werden. Gott spricht:

„Vernichten werde ich die Weisheit der Vernünftler und die Einsicht der Moralisten werde ich verwerfen.“

Die WELT spricht perfekt paulinisch, indem sie den Deutschen törichten Moralismus vorwirft. Stattdessen wäre eine wesentlich bessere Konkurrenzfähigkeit der deutschen Wirtschaft nötig.

„Der moralisierende Neoprovinzialismus lähmt die progressiven Kräfte. Was fehlt, sind Ehrgeiz und Mut. Das Wohlstandsniveau wird sich aber nur halten lassen, wenn man den Kindern die Idee mitgibt, dass Deutschland nicht nur nicht hinten stehen kann in irgendwelchen Rankings oder sich über einen Platz im Mittelfeld freuen muss, sondern es einzig und allein darum gehen kann und muss, überall zu den Besten in der Welt zu gehören. Oder realistischer gesprochen: auf genug Feldern, die ökonomisch und kulturell das nötige Potenzial haben, ganz vorne mit dabei zu sein. Vergleicht man die Eliten in London, Los Angeles, Paris oder Hongkong mit jenen in Deutschland, stechen die mangelnde Weltläufigkeit und das Unelegante ins Auge.“ (WELT.de)

Doch Wirtschaft muss nicht nur jede Konkurrenz überflügeln, sie muss auch weltläufig und elegant sein. Selenskyj wird nicht wegen seiner mutigen Widerstandskraft gegen Putins Mörderhorden gelobt, sondern wegen seiner Performance:

„Die Formlosigkeit bildet sich auch in der Politik ab. Eine Figur wie der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyi ist so viel mehr Hollywood und Netflix als das deutsche Personal. Und die Reaktion von Katrin Göring-Eckardt auf seine Rede im Bundestag war dann wieder ARD-Vorabendprogramm, der Clowns-Auftritt von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas auf TikTok ganz Duisburg-Walsum.“

Jetzt sind sie nicht nur untüchtig geworden, sondern auch noch form- und haltungslos. Ein Barbarenvolk, für das man sich schämen muss.

Das Fehlen bourgeoiser Eleganz, um nicht zu sagen, eitler Blasiertheit, sind Symptome einer dekadenten Friedenspolitik, die alle Menschen als gleichwertige Wesen behandelt.

Wer den Wettbewerb verliert, hat es – so Hayek – nicht anders verdient. Damit wären wir zurück in den Reihen jener Menschenfeinde, die streng zwischen lebenswertem und nicht lebenswertem Leben unterschieden. Wer stets nur siegen, aus lauter Selbstbewunderung alle Konkurrenten in den Staub erniedrigen muss, der betreibt keine Friedenspolitik.

Neoliberal ist neodarwinistisch. Neoliberale Eitelkeits- und Selbstbewunderungsökonomie ist eine sichere Vorläuferin zu jedem Überwältigungs- und Vernichtungskrieg.

Sollte Putin morgen von einem seiner Vasallen liquidiert werden: der nächste, noch viel gefährlichere Konkurrenzkampf zwischen den mächtigsten Blöcken der Welt stünde schon vor der Tür: der Kampf zwischen dem Westen und China.

Man drehe und wende es, wie man will: ohne globale Friedensordnung keine sichere Menschheit. Konkurrenz um Alles oder Nichts führt früher oder später ins Nichts.

Hayeks kaltblütiger Satz: „Unordnung macht Ordnung“ ist verwendungsfähig für jeden hasserfüllten Despoten: Krieg ist die beste Unordnung, die Ordnung schafft. Es wird Zeit für reinigende planetarische Kriege. Es gibt zu viele, überflüssige Rohrkrepierer auf der Welt.

Die apokalyptische Zeitenwende ist der rechte Augenblick für die Sichel Gottes:

„Wenn aber die Frucht es zulässt, „legt er alsbald die Sichel an. Denn die Ernte ist da.“

 Neoliberalismus ist die Ökonomie der Endzeit, in der Gott den Weizen vom Unkraut trennt:

„Lasst beides miteinander wachsen bis zur Ernte; und um die Erntezeit will ich zu den Schnittern sagen: Sammelt zuerst das Unkraut und bindet es in Bündel, damit man es verbrenne; aber den Weizen sammelt in meine Scheune.“

Die Trennung des Weizens vom Unkraut ist die Ideologie von Ernst Jünger, des Heros der WELT-Redaktion:

„Dem Elementaren aber, das uns im Höllenrachen des Krieges seit langen Zeiten zum ersten Male wieder sichtbar wurde, treiben wir zu. Wir werden nirgends stehen, wo nicht die Stichflamme uns Bahn geschlagen, wo nicht der Flammenwerfer die große Säuberung durch das Nichts vollzogen hat. Weil wir die echten, wahren und unerbittlichen Feinde des Bürgers sind, macht uns seine Verwesung Spaß. Wir aber sind keine Bürger. Wir sind Söhne von Kriegen und Bürgerkriegen, und erst wenn dies alles, dieses Schauspiel der im Leeren kreisenden Kreise, hinweggefegt ist, wird sich das entfalten können, was noch an Natur, an Elementarem, an echter Wildheit, an Fähigkeit zu wirklicher Zeugung mit Blut und Samen in uns steckt. Dann erst wird die Möglichkeit neuer Formen gegeben sein.“ (Ernst Jünger)

Das ist eine „neue Vermählung des Lebens mit der Gefahr“. Es ist Jüngers „Synthese von Blut und Geist. Vorbei die Zeiten des Debattierens, der neue Typus hat seine eigene Ursprache; er redet nicht, er entscheidet autoritativ.“

Aus dem antiken Wettkampf um Schönheit und Wahrheit wurde der religiöse Vernichtungskampf aller gegen alle. Gott lässt seine Geschöpfe in der Arena der Welt antreten, wo jeder gegen jeden kämpfen muss. Mitleidslos werden alle abgeschlachtet, die nicht mithalten können. Jeder ist jedem eine Sense Gottes.

Der Westen, im rasanten Niedergang, scheint in jenem Stadium der Entwicklung Roms angekommen zu sein, wo der Kaiser den Abschaum seiner Bevölkerung im römischen Amphitheater zusammenpeitschen ließ, um jeden gegen jeden antreten zu lassen. Je grausamer die Spiele, umso gerechter schienen sie dem johlenden Pöbel, den blutgierigen Hofschranzen und dem gottgleichen Kaiser.

„Denn im Amphitheater bot sich ein Schauspiel, so überwältigend groß, wie es die Welt nie, weder vorher noch nachher, je gesehen hat. Das Bewusstsein, einer Nation anzugehören, die auch in ihrem Sinken noch so gewaltig erschien, mochte manche Brust mit einem stolzen Gefühl schwellen. (Friedländer, Sitten, Geschichte Roms)

Je großartiger und genialer sich die Moderne fühlt, je katastrophaler müssen die Menschen ins Elend kommen, um ihre diabolische Seite angemessen ins Licht zu rücken. Der Mensch ist seinem Schöpfer nicht weniger ähnlich als seinem Widersacher.

Dieser Entwicklung werden wir nur entgehen, wenn wir Frieden schließen. Mit allem, was da kreucht und fleucht.

Die Interessenpolitik der Moderne ist das Gegenteil einer menschheitsrettenden Friedenspolitik.

„Unter Interesse versteht man in der Politikwissenschaft Bedürfnisse, Ziele, Wünsche oder erhoffte Vorteile.“

Vorteile der einen sind Nachteile der anderen, die sich bis ins Unerträgliche steigern. Wer andere besiegen muss, um ihn dem Spott und der Verachtung preiszugeben, der will keinen Frieden.

Ursprünglich schleicht Wirtschaft auf leisen Sohlen daher, mit vielen Versprechungen und Verlockungen. Doch irgendwann reißt sie den Vorhang beiseite – und was sehen wir? Sie hat die Natur zerstört, deren Gaben erbeutet, Menschen deklassiert und ihrer Heimat entrissen. Jetzt darf der Krieg kommen und den Vorteil der Starken in einen Himmel, den Nachteil der Schwachen in eine Hölle verwandeln.

Wie Gott immer gut und gerecht sein muss, obgleich er am Ende der Zeiten die Menschheit brutal spaltet, die Seinen bevorzugt und die Anderen ins Feuer schickt, so muss auch die Moral des apokalyptischen Neoliberalismus immer gut sein.

In Artikel 2, Absatz 3 und 4 des Völkerrechts stehen das Kriegsverbot und das allgemeine Gewaltverbot. Die Erhaltung des Friedens wird zur obersten Rechtspflicht aller Staaten.

Was fehlt noch? Dass Völkerrecht und die UN ersatzlos gestrichen werden. Dann – Feuer frei!

Fortsetzung folgt.