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… zum Logos III

Tagesmail vom 01.12.2021

… zum Logos III,

Pflicht, du erhabener großer Name!

Gibt’s eine Pflicht zum Impfen?

Staatliche Impfpflichten kann es nicht geben, denn ein preußisches Monstrum wie Staat ist mit der Herrschaft des Volkes unvereinbar.

Beamte und Regierung haben auszuführen, was Gewählte von ihnen fordern – die den Willen der Wähler in praktische Politik umsetzen sollen. Widerspricht der Wählerwille ihrem Willen und ihren Überzeugungen, haben sie Ade zu sagen und ihr Amt zurückzugeben. Und Tschüss!

Wer seinem Gewissen vor Gott folgt und nicht dem Willen des Volkes, kann es tun – als Zurückgetretener. Demokratien vertragen keine Götter, Würde verträgt sich nicht mit esoterischen Fernlenkern.

Herrgottkruzifixdonnerwetternochmal: Demokratie ist Autonomie – und kein frömmelnder Popenstaat. Erneut bleibt Deutschland sitzen: Note sechs im Fache Selbstbestimmung.

Auch eine gesetzliche Impfpflicht kann es nicht geben. Gesetze werden vom Parlament erlassen und müssen befolgt werden. Wer sie nicht befolgt, muss die gesetzlichen Folgen auf sich nehmen.

Ein Parlament darf bestimmen, was richtig oder falsch ist? Was wahr ist, darüber bestimmt jeder für sich. Die Mehrheit des Volkes aber bestimmt, welcher wahrheitssuchende Kompromiss gelten soll – bis andere Mehrheiten zu anderen – vorläufigen – Kompromissen kommen.

Über den Willen des Volkes bestimmt allein das Volk – in seiner Mehrheit. Irrt die Mehrheit, muss das ganze Volk büßen und die Folgen des Irrtums auf sich nehmen.

Über Wahrheit bestimmt niemand. Sie will erdacht, erstritten, gesucht und gefunden werden.

Aber auch sie bestimmt nicht und verabscheut alle Zwangsbeglückungen mit Macht und Gewalt: sie überzeugt. Überzeugt sie nicht, geht der Wahrheitssucher in die Irre und ruiniert sein Leben – und das seiner Mitmenschen in der Mitte in der Natur.

Natur- und Menschenbeschädigung ist der unwiderlegbare Beweis, dass Menschen die Wahrheit des Überlebens nicht gefunden haben.

Müsste die Gattung tatsächlich die Erde verlassen, wäre es evident, dass sie die Wahrheit des Zusammenlebens mit der Natur verfehlt hat.

Über seine Pflicht kann nur der Einzelne bestimmen: sie ist der freiwillige Entschluss, sein Leben nach bestimmten Regeln zu gestalten. Pflichten der Tradition, Eltern und Erzieher gelten nur für Kinder, solange sie nicht erwachsen sind.

Keine Regierung kann Pflichten vorschreiben. Das kann nur jede Person für sich. Jene kann empfehlen, werben, argumentieren oder fordern. Überzeugte Demokraten halten es für ihre Pflicht, legalen Gesetzen zu folgen – sofern sie zuvor öffentlich debattiert und im Parlament verfassungsgerecht erlassen wurden.

„Pflicht! du erhabener großer Name, der du nichts Beliebtes, was Einschmeichelung bei sich führt, in dir fassest, sondern Unterwerfung verlangst, doch auch nichts drohest, was natürliche Abneigung im Gemüte erregte und schreckte, um den Willen zu bewegen, sondern bloß ein Gesetz aufstellst, welches von selbst im Gemüte Eingang findet …, vor dem alle Neigungen verstummen “ (Kant)

Auf Kant sind die Deutschen stolz, seine Gedanken lassen sie kalt. Pflichten sind für sie autoritäre Vorschriften ihrer Eltern, Lehrer und Kanzelredner, die sie im Namen eines Gottes verkünden.

Kants Pflicht droht und belohnt nicht. Sie muss überzeugen und „von selbst im Gemüte Eingang finden“. Gottes Stellvertreter hingegen locken mit dem Lohn himmlischer Seligkeit und drohen mit ewigen Höllenstrafen.

Diese Befreiung des Menschen aus der Gewalt allmächtiger Instanzen, die ihn als Spielball ihrer Launen betrachten, ist das gigantische Verdienst des Königsbergers, das von seinen Landsleuten bis zum heutigen Tage weder verstanden noch gewürdigt wird. Kant war ein Ereignis – ohne Folgen.

Noch immer prägen in Neugermanien himmlische Instanzen das öffentliche Leben. Als da sind: ökumenische Staats- und Trauerfeiern, das Wort zum Sonntag, Margot Käßmann in der frömmelnden BILD – und christogene Parteien, die eine eherne Rückversicherung für ihre Seele brauchen: Einmal im Jahr ist der Gang ins traute Kirchlein zum Fest der Geburt eines menschgewordenen Gottes fällig.

Während des ganzen Jahres bestimmt die kalte, geld- und machtgierige Eigensucht – von pfiffigen Deutschen als Vernunft bezeichnet – das Treiben einer Nation, die in der Welt groß dastehen will.

Die Jenseits-Instanzen predigen das Gute – nicht der Menschen, sondern des Himmels. Und die meisten Deutschen sind stolz auf ihre weltmeisterliche Ethik, die alle irdischen Moralen in den Schatten stellt. Im politischen Leben aber darf sie nicht befolgt werden – das wäre dämlich oder blöd.

„Aus Hartz wird also Herz. Nichts gegen herzlich, aber nett ist nicht selten die kleine Schwester von blöd.“ (Blome)

„Den Zaun zu verdammen, aber den Stopp der Flüge zu begrüßen, ist darum Heuchelei. Den Zaun zu öffnen, wäre moralisch gut. Aber nicht die richtige Entscheidung.“ (Blome)

Nikolaus Blome entwickelt sich zum edlen Ritter im Kampf gegen Heuchelei – nicht für das Gute, sondern für das ehrliche Schlechte und Böse, aber Vorteilhafte für die Interessen des Staates.

Er kehrt zurück in die lange Tradition deutscher Machiavellisten, die das Gute der deutschen Spießer ablehnten, weil es Deutschland gehindert habe, eine robuste Weltpolitik zu betreiben.

Nach dem Vorbild ihrer westlichen Nachbarn, die seit Entdeckung Amerikas eine gänzlich neue Welt unter ihre Fittiche gerissen hatten. Bismarck war der erste Deutsche, der unmissverständlich erklärt hatte, mit der Bergpredigt könne er keine Politik machen.

Und sein Zeitgenosse, der Historiker Treitschke, „erneuerte die Lehre Machiavellis, dass der Staat Macht sei, und dass es die höchste Pflicht des Staates sei, für seine Macht zu sorgen. Das führe dazu, den endgültigen Charakter internationaler Verpflichtungen aufzuheben – und kriegerischen Ruhm zu erkämpfen. Die neue deutsche Theorie sagt: »Unser Interesse ist unser Recht. So darf man sagen, dass Macht wohl der ursprünglichste, unentbehrlichste und dauerhafteste Wesensfaktor des Staates ist. Die Kraft ringt mit der Kraft, wo der Kleine dem Großen im Wege steht, da wird er gebändigt. Dass der Starke den Schwachen bezwingt, ist die Vernunft … der Menschheit.«“ (in Meinecke, Die Idee der Staatsraison)

Merkel und Blome sind Vertreter der Staatsraison, die sich von ihren jugendlichen Moralträumereien befreit und den ungehemmten Willen zur Macht zu ihrem Leitstern erkoren haben.

Mit dem kleinen Unterschied: die Kanzlerin in der Pose heuchelnder Nächstenliebe, Blome in der Geradlinigkeit eines Frontsoldaten. Merkel als schlichte Magd Gottes, Blome als schneidiger Held.

Kants Ablösung vom christlichen Droh- und Lohnsystem war unvollständig. Seine Pflicht blieb lebenslang im Streit mit den Neigungen. Warum aber sollten die Neigungen vernünftiger Menschen nicht selbst vernünftig werden? Es wäre eine schwache Vernunft, die es nicht schaffte, den ganzen Menschen von ihren Prinzipien zu überzeugen.

Kants Rückfall zum radikalen Bösen schockierte sogar den führenden Schöngeist von Weimar, J. W. von Goethe. Hier überlebte ein Rest vom christlichen Dualismus, der von Paulus beschrieben wurde: Was ich will, das tue ich nicht, was ich nicht will, das tue ich.

Bei Luther gab es keine guten Werke, zu denen der Sünder fähig gewesen wäre. Selbst im Modus der Erlösung blieb er ein Sündenkrüppel, dessen böse Taten jedoch von Gott vergeben werden. Solange er glaubt, kann er sündigen, wie er will: seine Sünden werden ihm nicht angerechnet.

Im Himmel herrscht doppelte Buchführung. Was für Ungläubige als Sünde gilt, wird für den Frommen zum Segen. Sündige tapfer, wenn du nur glaubst.

Schiller, Kant-Fan, konnte sich mit dem christlich anmutenden Dualismus des Meisters zwischen Pflicht und Neigung nicht anfreunden und spottete:

„Gerne dien ich den Freunden, doch tu ich es leider mit Neigung, Und so wurmt es mir oft, daß ich nicht tugendhaft bin. Da ist kein andrer Rat,/ du mußt suchen, sie zu verachten,/ Und mit Abscheu alsdann thun, was die Pflicht dir gebeut.“

Sokrates kannte kein angeborenes Böses. Falsches Tun war für ihn Irrtum und mangelnde Erkenntnis. Wer das Gute erkannt hatte, würde es auch befolgen. Erst ab Aristoteles und der verfallenden Demokratie schwand die Zuversicht zur prägenden Kraft der Einsicht.

Der Wille musste dazukommen, um die Macht des Unguten zu bändigen. Jener Wille, der im späteren Abendland zum Impuls des hemmungslos Bösen wurde – und in die Ideologie der Nationalsozialisten mündete. Auch sie kannten keinen Widerstreit zwischen Gut und Böse mehr. Aber nicht in Befolgung des Guten, sondern im Gegenteil: das Böse wurde zum einhelligen Guten.

Die Frage: warum konnten die Deutschen zu solch verruchten Bösen werden, ist falsch gestellt. Denn diese empfanden sich nicht als Böse, sondern als Wiederentdecker des skrupellosen „Naturrechts der Starken“. Gut ist, was den Starken dient, schlecht alles andere. Sie waren die Vorbildlichen und Guten, die der feigen Menschheit zeigten, was eine Heldenmoral ist, die die Natur von allen Feinden reinigt.

Gibt es eine Impfpflicht? Vorfrage: kann Impfen Menschen retten? Wenn ja: was ist das für eine absurde Frage? Ist Demokratie etwa ein asozialer Verein von Egoisten – oder eine solidarische Gemeinschaft? Demokraten sind Menschen, deren Interessen mit denen aller anderen einen gerechten Ausgleich finden – sollen.

Das Sollen ist das Lernprogramm der Polis. Denn von Anfang an gab es Kräfte des ehemaligen Adels, die sich der aufkommenden Gleichberechtigung der Schwachen widersetzten. Hätte es keine überragenden Versöhner wie Solon, Kleisthenes oder die späteren Philosophen gegeben, hätte die Demokratie keine Chance gehabt. Alles wäre im Zustand der Herrschaft von Wenigen geblieben.

So aber konnte die vernünftige Einsicht entstehen, dass rechtverstandener Egoismus und Altruismus sich nicht ausschlossen.

„Das sittliche Handeln wird oft darin gesehen, dass der Mensch die naturhafte Selbstliebe überwindet und den Nutzen der Gemeinschaft voranstellt. Doch genau genommen, kann es nicht zum Zwiespalt des Egoismus mit dem „Guten“ kommen. Denn von der Gemeinschaft hängt ja sein eigenes Wohlergehen ab. Das naturgemäße Leben ist ein Leben nach dem Logos.“(Max Pohlenz, Die Stoa)

Auch Adam Smith strebte nach dem Ziel der Harmonie zwischen Eigen- und Selbstliebe. Doch seine christliche Erziehung machte ihm einen Strich durch die Rechnung. An die Harmonie der Egoismen konnte er nur mit der Assistenz einer unsichtbaren Hand glauben.

Was aber, wenn es diese Hand nicht gibt? Die hemmungslosen Nachfolger von Smith lösten das Problem mit dem Holzhammer und definierten das Interesse der Starken als automatisches Hilfsprogramm für die Schwachen: alles, was ihren endlosen Interessen diente, diente zugleich dem Nutzen ihrer Abhängigen. Mit steigender Flut heben sich alle Boote. Je reicher und mächtiger die Erfolgreichen, je besser für die Armen und Elenden dieser Welt.

Das ist der Zustand der heutigen Welt: die Reichen schwimmen in Geld und haben die Macht über die Welt übernommen. Die Armen verhungern und verderben in den Hitzewellen. Ihnen zu helfen, wäre, nach Blome, vielleicht moralisch – aber vor allem dämlich.

Die unsichtbare Hand, so es sie geben sollte, hat sich als Totschlägerin und Verderberin der Menschheit erwiesen. Die Reichen werden es vermutlich länger auf Erden aushalten. Am Ende aber müssen sie auf den Mars ausweichen oder sie werden unter ihren Schätzen ersticken. Der gemeinsame Vorteil von Reich und Arm, realisiert als dominierendes Interesse der Reichen, wird zum kollektiven Untergang.

Es ist nicht gut für die seelische Entwicklung unserer Kinder, wenn sie durch Isolation bestraft werden. Doch es ist eine Schande, das versäumte Drillpensum in den Schulen als irreparablen Schaden zu beklagen. Wäre es nicht überfällig, dieses kasernenhafte Pauken abzuschaffen – und selbstbestimmtes Lernen zuzulassen?

Uni-Experten wollen den Schülern die Geheimnisse des Finanzwesens beibringen:

„Finanzielle Bildung ist ein lebenslanger Lernprozess, der sich aber an der Lebenssituation der Menschen orientieren muss. Es macht beispielsweise wenig Sinn, Teenagern Finanzprodukte wie die Riester-Rente oder einen Bausparvertrag erklären zu wollen – sie sind in ihrer Lebensphase gar nicht offen dafür, und es ist für sie auch nicht ihre nächste Entwicklungsaufgabe. Anders sieht es bei Erwachsenen aus, die gerade überlegen, ob sie eine Immobilie kaufen sollen. Das heißt, wirksame und nachhaltige finanzielle Bildung sollte immer auf die Lebenslage und die Bedürfnisse der Adressaten abgestimmt sein. In der Schule sollte es darum gehen, eine grundlegende Vorsorgekompetenz zu vermitteln. Vorsorgen bedeutet ja letztlich, nicht nur zu wissen, sondern auch so zu handeln, dass man nicht dauerhaft über seine Verhältnisse lebt, dass es gut ist, wenn man ein finanzielles Polster für Unvorhergesehenes aufgebaut hat oder dass Kreditentscheidungen im weitesten Sinne wohlüberlegt sein wollen. Das kann man sehr spielerisch und für auch für Kinder und Jugendliche geeignet vermitteln.“ (ZEIT.de)

Was wird den Kindern beigebracht? Nur das clevere Fuggern mit Geld. Keine einzige Grundfrage der Ökonomie, etwa die Frage nach Gerechtigkeit, wird geklärt.

Der grenzenlose Egoismus der Starken wurde zur Urfreiheit der Demokratie gekürt. Dies erklärt das schändliche Niveau heutiger Impfdebatten. Freiheit ist ungehindertes Wachsen von Reichtum und Macht der Starken, deren Vorteile automatisch die Vorteile aller anderen sein sollen. Durch Impfpflichten und ähnliche Selbsteinschränkungen soll der Starke seine Vorteile abbauen und seine Freiheit beschneiden?

Ich, der Reiche, soll mich vom Staat zur besseren Sittlichkeit erziehen lassen?

„Der FDP-Vizechef Wolfgang Kubicki forderte kürzlich im SPIEGEL: »Wir dürfen Ungeimpfte nicht schlechter stellen.« Man müsse auch die Rechte von Minderheiten schützen, dürfe sie nicht »zum besseren Menschen« erziehen wollen. Was Kubicki sagt, bedient liberale Grundvorstellungen: Bürgerinnen und Bürger müssen vor zu tiefen Eingriffen des Staates geschützt werden. Freiheit entsteht dort, wo jeder seines eigenen Glückes Schmied ist, wo Eigenverantwortung über staatlichem Dogma steht.“ (SPIEGEL.de)

Das ist neoliberale Freiheit als Erbe calvinistischer Erwählungs-Privilegien. Erwählt sind Einzelne als zukünftige Bürger des Himmels, nicht einer irdisch-sündigen Polis. Ein Frommer ist kein homo politicus, sondern ein homo religiosus, der auf Erden keine politische Gemeinschaft kennt.

Doch, Herr Kubicki, eine Demokratie ist eine moralische Selbsterziehungsanstalt, in der die Interessen des Einen mit denen der Anderen ins Gleichgewicht kommen sollten. Und wie die Klimakrise zeigt, nicht nur im nationalen Rahmen, sondern im Maßstab der Welt. Entweder kommen wir alle durch oder wir krepieren alle zusammen.

Das sind Kinderweisheiten, die die Erwachsenen haben verludern lassen. Wen wundert es, dass alles versinkt und versumpft, weil jeder damit beschäftigt ist, sein eigenes Scherflein in Sicherheit zu bringen? Wir befinden uns in demokratiefeindlichen Zuständen. Jeder für sich und Mammon gegen alle – außer gegen die Reichen.

Das höchste Gericht hat, in juristischen Dunkelbegriffen, die Hilfsmaßnahmen der Regierung zur Eindämmung der Epidemie als rechtens bestätigt. Demnächst muss Karlsruhe den Deutschen zurufen: Hallo, wisst ihr noch, dass ihr in einer Demokratie lebt, die ihr nach dem Krieg als Geschenk erhieltet und die ihr mit Verstand und Leidenschaft zu erhalten habt? Doch was tut ihr? Ihr unterlasst nichts, um das Geschenk in Stücke zu hauen. Genauso beschädigt ihr eure natürlichen und klimatischen Lebensgrundlagen.

Habt ihr euch mal überlegt, wie ihr gehandelt hättet, wenn jeder von euch über die Impfpflicht hätte entscheiden müssen?

Pflicht jedes Mündigen ist, sich in die Lage aller anderen Demokraten zu versetzen, um aus deren Blickwinkel das Ganze zu überblicken. Kein legales Gesetz ist eine Einschränkung meiner Freiheit, wenn das Gesetz debattiert und durch die Mehrheit der Gewählten entschieden worden ist. Denn jeder Einzelne muss als potentieller Urheber aller Gesetze gelten. Wie kann ich unfrei sein, wenn ich tue, was ich für richtig halte?

Demokratische Pflicht ist, alles Tun und Lassen in der Gemeinschaft so zu begleiten, als ob alles von mir abhinge. Die noch immer praktizierte lutherische Trennung in Obrigkeit und Untertanen zeigt, dass die Deutschen sich noch lange nicht emanzipiert haben. Sie betrachten alles von unten und fühlen sich reglementiert, wenn der Wille der Mehrheit ihr politisches Leben bestimmt.

Der Staat dürfe niemanden zum besseren Menschen erziehen? Aber alle darf er zu Knechten eines endlosen Wirtschaftswachstums und zu Opfern eines immer inhumaner werdenden Fortschritts und einer suizidalen Bedrohung verurteilen? Alle Maßstäbe eines gesunden Menschenverstands und einer vitalen Humanität liegen in Trümmern.

Jaja, keine Realität ist wie auf dem Papier. Was für Weisheiten! Ist sie sie nicht wie auf dem Papier, müsste alles unternommen werden, um sie ihrem „Ideal“ anzunähern. Und siehe: genau dies ist im christlichen Wertestaat untersagt: wer Visionen habe, solle zum Psychiater? Wer aber den Staat verkommen lässt, wohin soll der? In den üppigen Ruhestand mit Chauffeur und Lakaien?

Bei ordinären Verbrechen, terroristischen oder antisemitischen Anschlägen, rufen die Verantwortlichen hektisch nach Polizei und Justiz. Haben Gesetzesbrecher etwa kein Recht auf verbrecherische Selbstbestimmung und asoziale Freiheit?

Wie kann man erklären, dass Deutschland die trivialsten Elemente der Demokratie kaum zu kennen scheint – wie die erhitzte Debatte verrät? Ist es möglich, dass unser hochgerühmtes Schul- und Bildungssystem unsere Kinder im Regen stehen lässt? Karrieristische Schlitzohrenkenntnisse sollen sie wie Maschinen schlucken, möglichst unter Ausschaltung ihres Kopfes. Doch die Grundlagen unseres demokratischen Zusammenlebens müssen außen vor bleiben?

Gewiss doch, auf diese immer geistlosere und herrschsüchtiger werdende Regierung muss aufgepasst werden, dass sie alle „Freiheitsbeschränkungen“ rechtzeitig zurücknimmt. Dieser maroden Regierung ist nicht mehr zu trauen.

Hat sie etwa irgendeine effektive Aufklärungskampagne über die medizinischen, psychologischen und juristischen Hintergründe angeboten? Wurden Bürgerkonvente gebildet, die mitreden konnten? Gab es ständige Gespräche mit allen Schichten der Gesellschaft? Keine Talkshows mit immergleichen hämischen Fragen und phraseologischen Antworten? Der Verdacht liegt nahe: all diese sachlichen Physikerinnen, Juristinnen und sonstigen Hochqualifizierten hatten selbst keine Ahnung über Grundelemente der Medizin, der Jugendpädagogik etc.

Etwa diese: Medizin ist keine exakte Naturwissenschaft, sondern eine Mixtur aus strengen somatischen Erkenntnissen und unberechenbaren geistigen Autonomieversuchen. Allein das Verstehen des psychischen Verhaltens will lebenslang gelernt sein. Welche Berufe sitzen im Bundestag? Vor allem Juristen und Beamte.

Gewiss doch: auch das Urteil von Karlsruhe muss überprüft werden. Doch was müssen wir lesen?

„Die Richterinnen und Richter haben auch eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung. Sie müssen nicht nur schwierige Rechtsfragen entscheiden. Sie müssen auch salomonische Urteile fällen, die gesellschaftliche und politische Gräben zuschütten können. Auch wenn es manchmal bestritten wird: Corona hat Gräben in der deutschen Gesellschaft aufgerissen und vertieft. Mit dieser Entscheidung zur Bundesnotbremse schafft es Karlsruhe nicht, diese Gräben zu überwinden und die Gesellschaft zu befrieden. Es fokussiert sich einseitig auf die großen Gefahren durch die Pandemie. Die ebenso großen Gefahren, die mit einschneidenden und lang wirkenden Grundrechtseingriffen verbunden sind, verliert es aus dem Blick. Das ist fatal. Denn die Grundrechte schützen die Freiheit, ohne die eine Demokratie nicht denkbar ist. Ist Freiheit einmal verloren gegangen, wird es schwierig, sie zurückzuerobern.“ (ZEIT.de)

Nicht Corona hat Gräben aufgerissen, sondern eine unfähige Regierung. Eine Gesellschaft verletzt keine Grundrechte, wenn sie Leib und Leben ihrer Menschen beschützt. Vorsichtsmaßnahmen schützen die Grundrechte, weil sie die Menschen schützt, die den Maßnahmen nur zustimmen können – sofern diese rational und nachvollziehbar sind und rechtzeitig beendet werden.

Demokratische Pflicht muss alles unterlassen, was das Leben der Menschen gefährden kann und alles tun, um ihnen ein freies und gerechtes, selbstbestimmtes und erfülltes Leben zu garantieren. Und das nicht nur für Reiche und Privilegierte. Geschwister, lassen wir uns nicht verrückt machen!

Fortsetzung folgt.