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Tagesmail

… zum Logos I

Tagesmail vom 26.11.2021

 … zum Logos I,

wohin des Wegs, Schwestern?

Ins Land der Vernunft, des Logos und der Lebensfreude.

Wohin des Wegs, Brüder?

Ins Reich der Zukunft, des faszinierenden Risikos, der Unabhängigkeit von der Natur, der Unsterblichkeit und Herrschaft über das Universum.

Und wohin Du, oh Mensch, der Du diese Zeilen liest?

Ähh, möglicherweise, vielleicht, mmh, schwierig, ich schwanke, kann mich nicht entscheiden. Wer überhaupt wagt es, mich mit hinterlistigen Fragen so zu verunsichern?

Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn,
Im dunkeln Laub die Goldorangen glühn,
Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht,
Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht,
Kennst du es wohl?
Dahin! Dahin
Möcht’ ich mit dir, o mein Geliebter, ziehn!

Träumer, Phantast, Lebensuntüchtiger: hör auf. Idyllen gibt es nicht. Schlag dir die Goldenen Urzeiten aus dem Kopf.

Und jetzt ans Werk! Zeig, was du kannst. Erfinde, werde kreativ, bring die Menschheit voran. Wage die endlose Zukunft, das Vorankommen, die grenzenlosen Möglichkeiten. Glaube nicht an das Vorhandene und Bekannte. Denk an das, was noch niemand dachte. Tu, was noch niemand tat. Überlass dich dem Flügelschlag eines fantastischen Nochnicht.

Bester Freund, halt ein: wer von uns beiden ist denn plötzlich der Visionär und Utopist? Du, der an den Fortschritt der Maschinen glaubst – oder ich, der ich dem Logos des Menschen folge?

Logos? Dein Ernst? Holst du vermoderte Begriffe aus dem Keller, weil dir nichts mehr einfällt? Hast du die Grenzen deines kleinen Gehirns bereits erreicht, du Hinterherhinker? Geh mir aus der Sonne, du störst. Ich muss weiter, Welten über Welten erwarten mich. Dort hinten im Winkel kannst du dich selbst entsorgen. Unsere Wege trennen sich. Die Evolution hat viele Arten durchgespielt: deine wird niemand vermissen. Pack dich!

Neubeginn in deutschen Landen. Wohin des Wegs, ihr Disziplinierten, die ihr alles verkommen und verderben lasst? Gab es das jemals in eurer Geschichte: die Welt lacht über euch?

Müsst ihr euch nicht schämen, ihr Fassadenkünstler? Steht ihr nicht plötzlich nackt da wie eine Nation von Hochstaplern, die nichts anderes taten, als von ihrem Erbe zu zehren und Vehikel der Vergangenheit zu beschleunigen, bis sie wie auf einen Schlag zu verrecken scheinen?

Nicht scheinen, sie tun es und liegen in den letzten Zügen. Was funktioniert noch bei euch? Wohin man schaut: Bankrottieren und Versagen. Eure Mächtigen wissen nicht mehr, was sie sagen. Sie plappern und widersprechen sich in jedem Satz.

Wer sich widerspricht, destruiert auch sein Tun: er verspricht und tut es nicht, er propagiert und widerlegt sich selbst. Er blinkt rechts und biegt nach links. Was er gestern sagte, weiß er heute nicht mehr – und wenn doch, lässt es ihn kalt. Kann er doch Widersprüche in Harmonien verwandeln – allein durch endloses Schwatzen oder die Kunst rechtzeitigen Verstummens.

Dabei wollt ihr eine Demokratie sein, in der jeder Verantwortung für das Ganze trägt. Nicht bei euch: ihr habt eine chromglitzernde Freiheit erfunden, die nur das Eigene im Sinn hat und jedes Tun für die Gemeinschaft als Idiotie verhöhnt.

Wenn eure Eliten von Verantwortung reden, kann man sicher sein: nichts wird ihren Worten folgen. Sie machen weiter, als ob nichts geschehen wäre. Und das Unbegreifliche: eure Oberverantwortliche kann nichts außer Warnen und Warnen. Dabei warnt sie vor sich selbst, vor den Folgen ihres eigenen Tuns in den letzten Jahren. Wie schrecklich ist alles – was sie seit Jahren zustande brachte.

Und nun das Allergespenstischste: in diesen Tagen wird sie abtreten und eine am Boden zerstörte Gesellschaft hinterlassen – doch ihre Deutschen werden sie zur Heiligen verklären.

Nein, die Deutschen haben sich nicht verändert, sie offenbaren nur ihr wahres Gesicht, das sich in der Krise in allen Dimensionen zeigt. Und was zeigt es? Sie können sich unterordnen und anpassen, ihrer Obrigkeit gehorchen, malochen und konsumieren – aber Demokratie können sie nur zum Schein. Alles überließen sie ihren Gewählten, solange der Karren fuhr und sie jährlich nach Mallorca düsen konnten.

Die westliche Moderne übernahmen sie wie ein Glaubensbekenntnis, nachdem ihre messianische Hybris schrecklich gescheitert war.

Das Bekenntnis war leicht nachzubeten: wir glauben an Wirtschaft, Wirtschaft und an Wirtschaftswachstum, an Fortschritt, Fortschritt und naturzerstörenden Fortschritt, an die Überlegenheit unserer nationalen Kompetenz und daran, dass wir zu den Erwählten der Geschichte gehören. Das war‘s: eine Litanei der eigenen Überlegenheit, die die Reste einer überlegenen Rasse in westliche Erfolgskategorien verwandelt hatte.

Kein Wörtchen über ein gutes und erfülltes Leben. Die Schlagworte des Westens: Menschenrechte, Vernunft und Aufklärung, wurden zu Ritualen, die man mechanisch wiederholte und jetzt immer mehr im Stiche lässt, je mehr sie in Bedrängnis geraten.

Ihre Vergangenheit wollen sie bereinigt haben, indem sie den Kreis der Schuldigen immer mehr reduzierten zu drei oder vier Hauptschuldigen, um die Majorität der Bevölkerung in harmlose Mitläufer zu verwandeln.

Die deutsche Geschichte als Quelle der Schuld wird von ihren Historikern verneint – ergo können die Oberverbrecher nur vom Himmel gefallen sein. Ihre Dichter und Denker, auf die sie noch immer stolz sind, obgleich sie nichts mehr von ihnen wissen, werden von jeder Vorgängerschuld gereinigt.

Nietzsche wird zum Sensibilissimus aller Gefühle, Hegel zum Propheten der Freiheit, die Romantiker bleiben gefühlsdusselige, harmlose Schwärmer.

Freuds Grundsatz, dass sich alles wiederholt, was nicht bearbeitet wurde, ist dem Dogma gewichen: Vergangenheit ist tot, alles erfindet sich täglich neu. Was wollen sie bearbeitet haben, wenn ihre Untaten von gestern nicht mehr zählen?

Welch ein glänzender Beitrag zur Bekämpfung des Antisemitismus: woran sollen sie schuldig sein, wenn ihre Verbrechen sich wie durch Wunder in Nichts aufgelöst haben?

Echte Disziplin wäre nur ein anderer Begriff für selbstbestimmtes Tun. Eben diese Autonomie fehlt ihnen. Was man schon daran erkennen kann, wie penetrant sie ihre demokratische Regierung als Staat bezeichnen. Nicht anders als die vielen Staatsformen ihrer Vergangenheit von der mittelalterlich-christlichen Obrigkeit über den aufgeklärten Absolutismus, die selbstherrlichen Fürstentümer, Bismarck und das wilhelminische Deutschland bis zum Dritten Reich.

Alles soll Staat sein. Der Staat maßt sich an, der Staat erzieht, der Staat erlässt Gesetze, der Staat lässt keine Freiheit zu und pfuscht der Industrie ins Handwerk. Allzu großzügig subventioniert der Staat die Armen und Schwachen, die an ihrem Schicksal alleine schuldig sein sollen.

Ihr Freiheitsbegriff stammt von Vertretern des Egoismus wie Hobbes, Malthus, Darwin und Stirner, die nur Einzelne kennen, aber keine Gemeinschaft. Dass der Mensch ein politisches und soziales Wesen ist, ist postcalvinistischen Erwählten nicht zu verklickern.

Griechische Philosophie? Kann man vergessen, seitdem der Fortschritt der Moderne alles Gewesene übertrumpft und ausradiert hat.

Die Deutschen zeigen zwei Gesichter staatlicher Macht. Entweder schlagen sie unerbittlich auf Verbrecher und Regelverletzer ein – oder sie schlampen und hudeln, dass das Land immer mehr einem failed state ähnelt.

Das Auseinanderklaffen von Strenge und Nachsichtigkeit ist die Kehrseite ihrer dialektischen Zauberkünste, alle Widersprüche dieser Welt kraft ihres Glaubens an einen Gott in finale Harmonien zu verwandeln.

Entweder verurteilen sie oder sie sind gleichgültig gegen die Ereignisse der Welt. Das Wort Verstehen ist ihnen abhandengekommen – oder sie hassen es gar. Sie glauben, sie müssten alles verzeihen, was sie verstehen, also lehnen sie jedes Verstehen ab.

Das zeigt sich in ihrer desaströsen Coronapolitik. Entweder lassen sie alles laufen oder sie bestrafen wie die Weltmeister. Selbstgefällig, wie sie sind, fühlten sie sich vor Corona unverwundbar. Es ist schon immer alles gutgegangen, warum sollte sich an diesem Exzeptionalismus heute etwas ändern?

Weil sie sich unverwundbar fühlten, waren sie auf eine winzige stachlige Kugel nicht vorbereitet. Dann reagierten sie in steigender Panik und zeigten sich unfähig, die wirksamsten Gegenmaßnahmen zu organisieren.

Eine Kanzlerin, die als Wissenschaftlerin in den Himmel gehoben wurde, erwies sich in Aufklärung über wissenschaftliche Ereignisse und ihre Übersetzung in praktische Gegenmaßnahmen auf der ganzen Linie unfähig. Mit ihrem Volk kam sie nicht ins Gespräch, ihre wirren Erlasse konnte sie nicht erklären, aus ihren Fehlern nichts lernen. Alles wiederholte sich unter dem Zwang des Immer-weiter-so. Der Mensch, ein lernendes Wesen durch Versuch und Irrtum? Nicht bei Deutschen, die von niemandem lernen können.

Wie man menschlich und sachlich zugleich das Virus bekämpfen kann, zeigt das dänische Beispiel:

„Viele Ungeimpfte misstrauen nicht den Corona-Vakzinen, sondern unserer Gesellschaft. Sie haben andere Erfahrungen gemacht als die Mehrheit. Diese Erkenntnis wollen viele Politiker nicht wahrhaben. Aber wir müssen mit den Menschen so arbeiten, dass sie uns verstehen. Dafür braucht es weniger allgemeine Informationen und mehr Angebote vor Ort. Wir sind seit Monaten in Moscheen, Vereinen und Einkaufszentren unterwegs, um für die Impfung zu werben. Dafür braucht es Personen, denen vertraut wird. Ein Imam oder eine dunkelhäutige Ärztin, die die Impfung erklären, sind oft mehr wert als jede Regierungsansprache. Man muss sich im Frieden für den Krieg vorbereiten. Wir haben genauere Daten und haben früh gehandelt. In Dänemark sind sehr viele persönliche Gesundheitsinformationen mit der Sozialversicherungsnummer verknüpft. So wussten wir von Anfang, wer zu einer Risikogruppe zählt und konnten die Menschen gezielt ansprechen. Zudem wird in Echtzeit gemeldet, in welchen Vierteln oder gar Straßenblöcken es viele Corona-Infektionen gibt. Ihr Gesundheitsminister redet wie ein alter Hausarzt, der seinen Patienten zum Abnehmen bewegen will. Ich glaube, das ist nicht der richtige Weg. Solche Drohungen nutzen sich ab.

Was will man denn bei der nächsten Welle sagen? Impfexperte zu sein heißt, Gesellschaftsexperte zu sein. Es geht nur mit Vertrauen, zumindest in einer Demokratie. Wir müssen die Menschen dort abholen, wo sie stehen. Zum Glück ist uns in Dänemark das Gemeinschaftsgefühl noch nicht abhandengekommen. Wir halten weiterhin daran fest, dass wir als Gesellschaft nur zusammen durch diese Krise kommen.“ (SPIEGEL.de)

„Es geht nur mit Vertrauen, zumindest in einer Demokratie. Wir müssen die Menschen dort abholen, wo sie stehen. Wir halten weiterhin daran fest, dass wir als Gesellschaft nur zusammen durch diese Krise kommen.“

Unfassliche Töne für deutsche Verhältnisse. Hier gibt es nur die Frage: Impfzwang oder nicht? Freiheitliches Chaos oder moralisierendes Reglementieren?

Dass man gerade jene verstehen sollte, deren Meinungen man ablehnt, ja für gefährlich hält? Böhmische Dörfer in germanischen Wäldern.

Wozu gibt es Soziologen, Psychologen und Pädagogen, wenn nicht zum Zwecke des Verstehens gerade jener Menschen, die einem fremd vorkommen? Warum werden die Jugendlichen bis zum heutigen Tag benachteiligt?

Aber nicht nur die Geisteswissenschaften werden mit Verachtung gestraft, selbst die Virologen konnten vor der steigenden Epidemie warnen, wie sie wollten: die Politiker überhörten sie und taten das Gegenteil.

Die Politiker brachten es fertig, die gesetzlichen Grundlagen der Virenbekämpfung im selben Augenblick zu beenden, als sie vor dem Heranschwappen der 4. Welle warnten. Das war keine paradoxe Intervention, um die Gesellschaft zur Selbstverantwortung zu animieren. Das waren Selbstgefälligkeit und dünkelhafte Borniertheit.

Den Banken wurde mit gigantischen Geldern geholfen, als sie in eine selbstverursachte Krise gerieten, den Notleidenden, Schwachen, Armen, Jugendlichen und Alten konnte man kaum unter die Arme greifen.

„Wenn das aber – wie jetzt – nicht mehr klappt und die Pflegerinnen und Pfleger sehen, dass man den Bankern damals das Geld hinterhergeworfen hat für ihre Zockerei, während für ihre Schufterei kaum Geld da ist, dann ist der Kapitalismus moderig, dann fault er, dann zersetzt das langfristig eine Gesellschaft. Sagte Merkel zuletzt in ihrer regelmäßigen Online-Videoansprache, es seien jetzt »sehr schwierige Wochen, die vor uns liegen«. Wir müssten nur »zusammenstehen«. Zum wievielten Mal hat sie das jetzt gesagt? Zum wievielten Mal appelliert? Und wie lang sollen die Kräfte eigentlich noch halten – vor allem bei den Beschäftigten in den Krankenhäusern? Stattdessen fuhr die Kanzlerin nach Griechenland, nach Frankreich, in den Vatikan, um Lebewohl zu sagen. Stattdessen empfing sie die dänische Königin im Kanzleramt zum Kaffeekränzchen, den portugiesischen Premierminister Costa und den lettischen Ministerpräsidenten Kariņš zum Abendbrot. Auf das Gesundheitspersonal musste das wirken wie ein ausgestreckter Mittelfinger. Vor allem, wenn es noch die Bilder im Kopf hat, mit welchem Ernst vor 13 Jahren die Bankenbranche vor dem Kollaps gerettet wurde.“ (SPIEGEL.de)

Über konträre Wirtschaftsformen wie Neoliberalismus und soziale Marktwirtschaft wurde in der Öffentlichkeit nie gestritten. Dass Ökonomie nicht zu den berechenbaren Naturwissenschaften gehört: über solchen Pipifax erhitzen sich keine Gemüter der Führungsklassen.

Fassen wir zusammen. Die deutsche Demokratie etablierte sich als Schülerin der Westmächte, die einiges lernte, aber vieles nur über-Ich-mäßig imitierte. Die 68er-Bewegung war die einzige Erregungswelle, in der über die Grundlagen der Demokratie, des Kapitalismus, Sozialismus, einer neuen Pädagogik, eines tiefenpsychologischen Verstehens und eines ökologischen Umbaus der Gesellschaft öffentlich gestritten und gerungen wurde.

Da wurde eine ganze Menge neuer demokratischer Kompetenzen errungen. Doch vieles blieb ungeklärt und prägte die Gesellschaft mit dunklen Ressentiments. Spätestens mit der neoliberalen Sintflut unter einem SPD-Stenz war es aus mit den Grundsatzdebatten. Deutschland tat, was es am besten kann: es passte sich an. Notwendige Klärungen blieben auf der Strecke. Jeder bemühte sich, vorbildlich egoistisch und denkfeindlich zu sein wie die Gegenaufklärung, auf deren Boden der Neoliberalismus gewachsen war.

Eines der wichtigsten Probleme, bis heute ein Tabu, haben wir noch gar nicht erwähnt: deutsche Politik will eine christliche sein. Aber ist sie es denn? Diese Frage darf nicht gestellt werden.

Vollbringen sie eine gute Tat und 99 böse Taten, wollen sie dennoch eine vorbildlich christliche Nation sein. Die Kanzlerin wuchs in einem Sozialismus auf, dessen marxistische Überzeugungen das Christentum als Opium des Volkes verachtete.

Was war sie selbst, deren Vater ein privilegierter Pastor im Klima gottloser Klassenkämpfer war? Bei den Sozialisten galt: das Sein bestimmt das Bewusstsein. War das vereinbar mit der frommen Überzeugung: Gott bestimmt das Schicksal der Menschen? Hatte die Pastorentochter keine Probleme, aus dem Sozialismus – den ihr Vater für eine Variante der christlichen Heilsgeschichte hielt – mit einem gewaltigen Sprung in den verachteten Kapitalismus zu wechseln? Wie Marx das Denken der Menschen als Produkt materieller Verhältnisse verachtete, verachtet Merkel philosophisches Reflektieren als überflüssige Eitelkeit.

Emil Fuchs, führender Theologe der DDR, erinnerte in seinem Buch „Marxismus und Christentum“ an den früheren Theologen Friedrich Naumann, der im Kaiserreich christliche Politik realisieren wollte. Was wurde aus seinem Vorhaben? Naumann wurde zum vollmundigen Vertreter des deutschen Militarismus, des ausbeuterischen Kapitalismus, der Verachtung der Armen und Schwachen. Sein Fazit:

„Er glaubte feststellen zu müssen, dass wir das Christentum unbedingt nötig haben für unser privates Leben, dass man aber Politik und Wirtschaft nicht nach christlichen Grundsätzen, nicht unter Führung des christlichen Gewissens treiben könne, sondern dass andere Gesichtspunkte zu gelten hätten. Der „Christ“ Naumann kapitulierte vor den Gewalten, die diese Menschheit durchtobten.“

Was sagt uns die dürre Notiz: „Die Friedrich-Naumann-Stiftung steht der FDP nahe und ist nach dem liberalen Politiker Friedrich Naumann (1860–1919) benannt.“

Ist die neoliberale FDP etwa die christlichste aller Parteien? Der katholische Friedrich Hayek würde in Jubel ausbrechen.

In jenen Zeiten wurde das Problem Christentum und Machtpolitik heftig umkämpft. Heute herrscht Schweigen über solche Nichtigkeiten. Machiavelli wird von Merkel als christlich-kompatibler Theoretiker akzeptiert, als gebe es keine Probleme.

In Plasbergs Talkrunde saß die Nachfolgerin von Bedford-Strohm und wurde von ihm gefragt, ob sie für oder gegen die Impfpflicht sei. Christliche Pflicht sei es, antwortete sie, alles zu tun, um seinem Nächsten nicht zu schaden. Dem Moderator entging die raffinierte Umdeutung einer politischen in eine religiöse Frage – mit politischen Konsequenzen. Was in diesem Lande religiös ist, hat gefälligst auch politisch zu sein. Die Böckenförde-Doktrin lässt grüßen.

Deutschland erstickt an all den Grundsatzproblemen, die geklärt werden müssten, aber national verdrängt werden. Doch wer nicht weiß, was er denkt, kann auch nicht tun, was er für richtig hält.

Deshalb ist es hohe Zeit, uns aufzumachen, um den Logos zu suchen. Logos ist die Vernunft strengen Denkens und dialogischen Sprechens und Streitens. Er ist der Entwurf einer Politik, die mit universeller Ethik das friedliche Zusammenleben mit Mensch und Natur ermöglicht.

„Fülle der Natur und Harmonie zwischen Mensch und Natur – das sind die wichtigsten Merkmale der anschaulichen und emotionalen Friedensvorstellung der Griechen.“ (Karl Weeber)

In Athen wurde der Logos zum Leitstern menschlichen Denkens und Handelns und zur Grundlage der modernen Demokratien. Doch von Anfang an wurde er von religiösen Gegenvorstellungen unterminiert und beschädigt.

Vom Mythos zum Logos war der Titel eines bedeutenden Buches von Wilhelm Nestle, der die Entwicklung der griechischen Demokratie en Detail beschrieb. Heute hat sich der Trend umgekehrt. Bei der Rückkehr zum christlichen Mythos wird der Logos apokalyptisch zur Strecke gebracht – was wir verhindern müssen.

Fortsetzung folgt.