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Tagesmail vom 15.08.2022

… zum Logos C,

„Meine Freunde und Feinde wissen und tadeln es längst: Ich habe an vielen Dingen keine Freude und glaube an viele Dinge nicht, die der Stolz der heutigen Menschheit sind: Ich glaube nicht an die Technik, ich glaube weder an die Herrlichkeit und Unübertrefflichkeit unserer Zeit noch an irgendeinen ihrer hochbezahlten ‚Führer‘, während ich vor dem, was man so ‚Natur‘ nennt, eine unbegrenzte Hochachtung habe.“ (Hermann Hesse)

Hesse wurde zum literarischen Stern der Hippies, jener amerikanischen Jugendgeneration, die im Orient Erleuchtung suchte und – viele Jahre später – als Algorithmenanbeter in Silicon Valley unterging.

Sie hatten das Leben gesucht und die Maschine gefunden, die Verderberin allen guten Lebens.

Was ist das gute Leben?

„Das gute Leben ist das letzte Ziel menschlicher Handlungen. Das gute Leben ist das, was nicht als Mittel zu etwas anderem, sondern als Zweck an sich selbst angestrebt wird. Deshalb ist das gute Leben das einzige, worüber hinaus nichts anderes mehr gewünscht werden kann.“ (Ein Grieche)

Was oder wozu ist die Maschine („Werkzeug, künstliche Vorrichtung, Mittel“)?

„Fälschlicherweise verbanden unsere Vorfahren ihre Art des technischen Fortschritts mit dem Gefühl wachsender moralischer Überlegenheit. Die Expansion von Wissenschaft und Technologie waren für sie die einzigen Mittel, um das menschliche Heil zu liefern. Anstatt als autonome Persönlichkeit zu handeln, wurde der Mensch ein passives, zielloses, von Maschinen abhängiges Tier. Nicht nur Karl Marx irrte, als er den materiellen Produktionsinstrumenten den zentralen Platz in der menschlichen Entwicklung einräumte.“ (Mumford, Mythos der Maschine)

Von rechts bis links wird die Maschine verehrt, weshalb es heute keine politische Konstellation gibt, die eine Alternative zur lebensfeindlichen Maschinenkultur hätte.

Die christlichen Rechten haben ihre Heilssuche der Maschine übertragen – linke Marxisten und ihre Ableger den Sinn des Lebens der mechanischen Arbeit überlassen. Allesamt sind sie Gläubige eines maschinellen Fortschritts.

Alternative Parteien, die das gute Leben in den Mittelpunkt ihres Wirkens stellen würden, gibt es nicht. Dem Ziel der Natur waren die Grünen am nächsten. Doch schnell fielen sie zurück in die Denkweisen ihrer Kindergottesdienste, verwechselten Natur mit Schöpfung, Bewahrung der Natur mit Anbetung eines Schöpfers aus Nichts und ins Nichts.

Natur als eigenständige kosmische Macht, die keinen Supermann als genialen Schöpfer benötigt, sucht man bei allen Parteien vergebens.

„Mein Reich ist nicht von dieser Welt. In der Welt habt ihr Angst, siehe, ich habe die Welt überwunden. Sie sind nicht aus der Welt, wie ich nicht aus der Welt bin. Stellet euch nicht dieser Welt gleich. Der Welt Weisheit ist Torheit vor Gott. … der sich um unserer Sünden willen dahingegeben hat, um uns aus der gegenwärtigen bösen Welt zu erretten.“

Eine frühere Kanzlerin, die fast alles richtig gemacht haben will, hat – im Sinne ihres Schöpfers – tatsächlich fast alles richtig gemacht. Alles, was sie tat, durchdachte sie vom Ende her – wie ein Lobredner sie verherrlichte. Freilich nicht vom Ende einer irdischen Aktion, sondern vom Ende der Welt in einer finalen Apokalypse.

Auf Erden können wir ohnehin nichts richtig machen, denn wir sind erbärmliche Sünder. Das Einzige, wozu wir befähigt wurden, ist, das Elend der Welt so lange in Gang zu halten, bis der Herr selbst vor der Türe stehen und das finale Stoppschild zeigen wird.

Für den Schöpfer ist die Welt nur ein Instrument, eine Maschine, die er als Drehbühne einer Heilsgeschichte benötigt, um sich am Schicksal seiner Geschöpfe zu ergötzen – vergleichbar modernen Konsolenspielen der Menschen, die süchtig werden beim Spiel mit willenlosen Figuren.

Diese Sucht, aus allmächtiger Warte Schicksale zu spielen mit manipulierbaren Geschöpfen, ist das Geheimnis dieser Spiele. Süchtige Menschlein können nicht genug kriegen, wie Gott zu sein, um alles entscheiden zu dürfen.

Wie konnten so viele Regierungen, nicht erst seit gestern, so töricht und verblendet die Welt in den Abgrund führen, und sich nicht selbst ins Messer stürzen?

„Die meisten Menschen, die aktuell in Regierungsverantwortung sind oder Unternehmen führen, nicht nur hierzulande, gehören zu der Generation, der das Ignorieren, das Verdrängen und vielfach sogar das Leugnen der nahenden Katastrophe über die Jahre zur zweiten Natur geworden ist. Sich selbst und anderen einen so gewaltigen, so ungeheuerlichen Fehler einzugestehen, das ist eine psychologische Herkulesaufgabe. Zumal sich die Verantwortung doch scheinbar auf so viele Schultern verteilt. Wieso ausgerechnet ich, wieso ausgerechnet wir?“ (SPIEGEL.de)

Eine plausible Antwort auf Stöckers Frage wäre nur möglich, wenn wir den Faktor Religion mitdächten. Wollte der Schöpfer selbst das Ende der Welt, wäre es Gotteslästerung, sein Vorhaben verhindern zu wollen.

Diese Furcht vor Blasphemie ist die tiefste Ursache der menschlichen Duldungsstarre. So viel glauben sie noch alle, dass sie ihrem Herrn nicht ungestraft ins Handwerk pfuschen dürfen.

Die Welt als Schöpfung ist eine Welt als Maschine. Sie wurde erschaffen, um sich abarbeitend selbst zugrunde zu richten.

In der Figur eines allmächtigen Gottes, mit dem der Gläubige zur Einheit verschmelzen kann, ist der sterbliche Mensch zum Genie geworden, das nach Belieben geistlose Maschinen erfinden kann, um sich über sie erhaben zu fühlen. Für den Frommen ist Natur kein gleichwertiges Gegenüber, sondern ein totes Instrument, das nach Belieben programmiert und – weggeworfen werden kann.

„Die Ehrfurcht vor unseren Genies ist mit religiöser Inbrunst aufs nächste verwandt.“ (Zilsel, Die Geniereligion)

Je höher das Lob des genialen Gottes erklingt, je verächtlicher klingt die Beschreibung der Natur-Maschine. Gottlose Welt ist alles, was Verachtung verdient, Welt als Schöpfung alles, was mit Drommeten und Posaunen gepriesen werden muss.

Die von Gott installierte Heilsgeschichte hat den Zweck, seine willenlose Geschöpfe nach bestimmten Regeln agieren zu lassen, um im Test herauszufinden, wer einer ewigen Seligkeit und wer der Verdammung würdig ist.

Nicht menschliche Heilsgeschichte steht im Mittelpunkt des göttlichen Interesses: sie ist nur die Ouvertüre zeitloser Seligkeit und einer an Grausamkeit nicht mehr zu überbietenden Höllenangst.

Die vielgerühmte Moderne hat es so weit gebracht, dass die unbewussten Eckwerte ihres Fortschrittes Erfindungen eines uralten Mythos sind. Mit nur einem einzigen Unterschied: das Wort der Beschwörung wurde zur Geniemaschine, die man mit denselben Schamanenformeln programmieren kann. Während hierzulande zornige Esoteriker zur Schnecke gemacht werden, regieren technisch gebildete Esoteriker aus einsamer Höhe die Geschicke des Fortschritts.

Kein Widerstand gegen diesen kollektiven Schmu weit und breit?

Doch, den gibt es, pardon, den gab es. Eine führende Stimme gegen den weltzerstörenden Fortschritt war die des japanischen Dichters Noguchi:

„Amerika und England waren für mich einst Länder der Gerechtigkeit:
Amerika war das Land von Whitman.
England das von Browning:
Aber heute sind sie zügellose, in den Fallstricken des Reichtums
Gefangene Länder,
Unmoralische Länder,
die unverzeihlichen Träumen nachhängen.“ (in Mishra, Aus den Ruinen des Empires)

Als die „unterentwickelten Länder“ – sprich die jahrhundertelang vom Westen ausgebluteten Völker  – aufwachten, waren es die Weisen dieser Länder, vor allem aus China und Indien, die dem Westen ein vernichtendes Zeugnis ausstellten.

In der ersten Phase des Widerstands mit gewaltlosen Appellen an die Weisheit der Imperialisten. Doch die bange Frage war: hatte dieser unmenschliche, bedenkenlos gierige christliche Westen überhaupt eine Weisheit, mit der er die universelle Moral aller Menschen hätte erkennen können?

Seitdem der Westen, zu Beginn der Neuzeit, die letzten Reste der Weisheit der Griechen abgestoßen hatte, folgte er nur noch der Stimme eines Francis Bacon & Co, die die neu aufkommende Naturwissenschaft als Mittel der Natur- und Welteroberung einsetzten.

Zwar gab es die Aufklärung, die die Stimme der griechischen Vernunft ins Leben zurückrief. Allein, ihre Stimme war zu schwach, als dass sie die westliche Habgier beim Unterwerfen der Länder hätte stoppen können. Auch sie war noch so wissenschaftsgläubig, dass sie humanen Fortschritt immer mehr als Nebenfolge des wissenschaftlichen Fortschritts erwartete.

Der weltweite Erfolg des Westens schaffte es, die technische Rationalität ihres Erfolgs als Hauptmotor ihrer moralischen Überlegenheit darzulegen. Stopp: ihrer moralischen Überlegenheit, die identisch sein sollte mit ihrem missionarischen Auftrag: machet euch die Erde untertan. Im Namen des Kreuzes sollt ihr siegen.

Der Westen brachte das Kunststück zuwege, der Welt die allgemeinen Menschenrechte zu predigen, mit der UNO ein internationales Völkerparlament einzurichten, die gleiche Würde aller Menschen zu propagieren – und sich dennoch das Recht zu nehmen, gegen all diese beeindruckenden Parolen zu verstoßen, wenn es in seinem machtorientierten Interesse lag.

Amerika, Anführer des christlichen Westens, berief sich auf ein „Manifest Destiny“, in dem das Vorrecht des Bruchs mit der UN-Charta auf dem Privileg einer auserwählten Nation beruhte. Im Interesse der neuen auserwählten Nation in Gottes eigenem Land durfte Amerika alles, sogar gegen die Völker- und Menschenrechte verstoßen.

Das war für die Weisen Asiens, die sich auf die universelle Moral der chinesischen und indischen Philosophie beriefen (identisch mit der kosmopolitischen Ethik der Griechen), ein Schlag ins Gesicht, von dem sich dieser erste, rein geistige Widerstand gegen den Westen nicht mehr erholen sollte.

Die nachfolgenden Generationen Asiens wandten sich enttäuscht von ihren wirkungslosen Moralisten ab und plädierten für den Kurs: Gleiches mit Gleichem, Aggression gegen Aggression. Der Westen sollte mit denselben Mitteln bekämpft werden, mit der er den asiatischen Raum unterjocht hatte.

Als diese neuen, kämpferischen Eliten an die Macht kamen, begann Asien, die Technik und den Kapitalismus des Westens zu übernehmen. Damit dieselbe Doppelmoral, mit der der Westen agierte.

Hohe Phrasen über Demokratie und Menschenrechte waren zu hören. Doch wenn‘s drauf ankam, erlebte man nur rücksichtslose Verletzungen der Menschenwürde der „Eingeborenen“. Und es kam immer drauf an.

Der Wettlauf um den effizientesten Ressourcenklau und die rücksichtsloseste Ausbeutung der Urbevölkerung wurde immer rabiater und unbedenklicher.

Die Globalisierung sollte mit wirtschaftlichen Tauschgeschäften die Völker einander näher bringen. In gewisser Hinsicht gelang es tatsächlich, das Wohlstandsniveau einiger Länder zu heben.

Vom Aufholen oder gar Gleichziehen mit dem Westen hingegen konnte keine Rede sein. Vielmehr wuchs der Abstand zwischen den einen und anderen immer mehr. Damit auch die Macht des Westens in ökonomischer und militärischer Sicht.

Die Hauptbegriffe der Kritik am Westen waren: Doppelmoral und Scheinheiligkeit. Die Doppelmoral des Westens beruht auf der Antinomie der christlichen Religion, die bis heute von allen Theologen und Intellektuellen verleugnet und ausgeblendet wird.

Moralisch kann der Westen tun und lassen, was er will. Geschieht es im Namen des Herrn, sind alle Untaten gerechtfertigt. Wie alle geistigen Probleme blendet der Westen auch diese konsequent aus und agiert in hemmungsloser Anarchie im Schutz des Heiligen.

Da die Selbstgerechtigkeit der Christen ins Maßlose gewachsen ist, tritt das westliche Christentum auf wie einst die katholische Inquisition: unfehlbar.

Der Japaner Soho empfand 1931 – wie viele andere Japaner – Verbitterung gegenüber dem Westen. Er war wütend, dass Japans Einfälle in die Mandschurei auf einhellige westliche Ablehnung stießen, während westliche Staaten ungehindert auf Beute ausgehen durften.

„Wir leben in einer Zeit der Herrschaft der weißen Rassen“, schrieb er. „Sie glauben, die Welt sei Privatbesitz der weißen Rassen. Sie kontrollieren das Land anderer Völker, nehmen deren Rohstoffe und wandeln sie in Fertigprodukte um, die sie dann zurückschicken und zu einem hohen Preis verkaufen. Die Tyrannei der weißen Rassen ist ungezügelt, weil es außer den weißen Rassen keine mächtigen Völker gibt. Wenn wir diese Verhältnisse durchbrechen, können wir etwas Positives für die gesamte Menschheit leisten.“

Japan vor allem war besonders anti-westlich eingestellt und wurde zur militaristischen Speerspitze des asiatischen Widerstands. „Der Völkerbund sei ein westliches Komplott, durch das man Japan hindern wolle, Asien zu befreien. Die Amerikaner tun so, als wären sie die höchste Autorität, die ein Urteil über den Rest der Welt fällen dürfte – ihr Handeln zeugt von größter Arroganz.“ (alle Zit. in Mishra, ebenda)

Rabindranath Tagore gehörte zu den einflussreichsten Weisen des geistigen Widerstands gegen den Westen. Im Westen, vor allem in New York hatte er riesigen Erfolg. Just den Amerikanern sagte er unverblümt seine Meinung:

„Der Westen ist demoralisiert, weil er der Ausbeuter ist, weil er von den Früchten der Ausbeutung kostet. Wir müssen den Kampf mit unserem Glauben an die Moral und die spirituelle Kraft des Menschen führen. Wir im Osten haben niemals mit dem Tod handelnde Generäle und mit Lügen handelnde Diplomaten verehrt, sondern nur spirituelle Führer. Durch sie werden wir entweder gerettet – oder wir werden gar nicht gerettet. Physische Macht wird am Ende nicht die stärkste sein. Ihr seid die am längsten bestehende Rasse, weil euer Glaube an Güte – sagt er einem einheimischen Publikum – statt an Stärke euch seit Jahrhunderten nährt.“

 Tagores Zeit ging zu Ende. Bei einer Versammlung in Hangkou (China) wurde er mit schrillen Rufen begrüßt: „Geh zurück, du Sklave aus einem verlorenen Land! Wir wollen keine Philosophie. Wir wollen Materialismus. Vielen Dank, Herr Tagore, aber wir haben schon genug Konfuziusse und Menziusse in China.“

Der humane erste Widerstand ging zu Ende, es begann die Aufrüstung in jedweder Hinsicht, von der ökonomisch-technischen Aufholjagd bis zur militärischen Kriegsvorbereitung.

Die Gesamtkritik der östlichen Philosophie an der westlichen Arroganzkultur mit ihrer Doppelmoral und Scheinheiligkeit war die bislang umfassendste Kritik am Westen. Sie umfasste die ökologischen, ökonomischen und technischen Aspekte einer immer menschenfeindlicher werdenden Wahnkultur.

Mit Ausnahme der Demokratie – die allerdings immer scheinheiliger wurde – hatte der Westen dem „unterentwickelten“ Osten nichts Sinnvolles zu bieten.

Von Gandhi war noch gar nicht die Rede. In einem Vortrag behauptete er:

„… die moderne westliche Zivilisation habe ein gänzlich neues und äußerst verhängnisvolles Verständnis des Lebens hervorgebracht, das alle bisherigen Vorstellungen von Politik, Religion, Ethik, Wissenschaft und Ökonomie über den Haufen werfe. Die industrielle Revolution, welche die menschliche Arbeit in eine Quelle von Macht, Profit und Kapital verwandelte, habe den wirtschaftlichen Wohlstand zum Hauptziel der Politik gemacht, die Maschine über den Menschen gestellt und Ethik zur Bedeutungslosigkeit verdammt. Europäer, die glaubten, im Alleingang der Zivilisation zu sein, taten die traditionellen Tugenden Indiens als rückständig ab.“

Zu diesen Tugenden gehörten vor allem Schlichtheit und Geduld. „Wahre Zivilisation habe mit moralischer Selbsterkenntnis und spiritueller Stärke zu tun, nicht mit körperlichem Wohlbefinden, materiellem Komfort. Sie bevorzugte die autarke ländliche Gemeinschaft vor dem hochgerüsteten Nationalstaat, die Heimindustrie vor den großen Fabriken, die Handarbeit vor den Maschinen.“

Erkennen wir allmählich, an welcher krisenhaften Stelle wir Deutschen der Gegenwart stehen? Uns fehlt ein kritischer Gesamtentwurf als Alternative zum verfaulten und schwundsüchtigen Neoliberalismus.

Wir wissen nicht, wohin wir wollen. Zerrissene Teil-Reparaturen des maroden Gesamtsystems werden uns nicht aus dem Schlamassel helfen.

Deutschland muss sich verabschieden von seinem geistverlassenen Merkel‘schen Durchwursteln, seiner Schröder‘schen Verkommenheit und seiner suizidalen Wohlstands-Fata-Morgana.

Wie heißt die neue Parole? Welt retten! Aber subito!

Fortsetzung folgt.