Kategorien
Tagesmail

Welt retten! Aber subito! XV

Tagesmail vom 07.10.2022

Welt retten! Aber subito! XV,

„es mag sein, dass Frevel siegt,
doch nach jedem Unterliegen wirst du den Gerechten sehen,
lebend aus dem Feuer gehen, neue Kräfte kriegen.“ (R. A. Schröder)

(„Die Dichtungen von Rudolf Alexander Schröder sind im Evangelischen Gesangbuch ebenso vertreten wie in den Liedersammlungen von SS und SA.“, Wiki)

Was christlich war, wurde in den 30er Jahren zum Nationalsozialismus, Nationalsozialismus wurde zur politischen Forke des Christentums.

Nach dem Krieg legten beide großen Kirchen ein Schuldbekenntnis ab. Doch über Nacht geschah das Wunder: nach dem geistigen Tod ereignete sich die Wiederauferstehung – als bedingungslose Widerstandsgruppen gegen den Führer.

Heute wissen sie nichts mehr von Schuld im Dritten Reich. Bonhoeffer, einziger Märtyrer im Dienst seines Herrn, wurde zum Gesamtsymbol der Kirche. Unversehrt waren sie aus dem Feuer gekommen, die Frommen; heute strotzen sie vor Kraft und Heiligem Geist.

In profaner Sprache: Die Lügen- und Verfälschungsleistungen der Kirchen sind unübertrefflich, sie beruhen auf der Lehre von der Wiedergeburt. Nur wer um seiner Sünden willen stirbt, kann auferstehen in fleckenloser Reinheit.

„Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht. Wer sein Leben lieb hat, der verliert es; und wer sein Leben auf dieser Welt hasst, der wird’s bewahren zum ewigen Leben.
Es wird gesät verweslich und wird auferstehen unverweslich. Es wird gesät in Niedrigkeit und wird auferstehen in Herrlichkeit. Es wird gesät in Schwachheit und wird auferstehen in Kraft. Nicht der geistliche Leib ist der erste, sondern der natürliche; danach der geistliche. Der erste Mensch ist von der Erde und irdisch; der zweite Mensch ist vom Himmel. Der Tod ist verschlungen in den Sieg. Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel?“

Das nächste Sterben und Auferstehen steht uns bevor: der Untergang der Menschheit. Nicht der ganzen Menschheit. Die Gottlosen gehen unter, die Getreuen des Herrn werden in Macht und Herrlichkeit auferstehen.

Freilich, an Tod und Auferstehung muss man glauben. Der Glaube ist die Voraussetzung zu seiner politischen Realisierung. Amerikanische Christen, die den ursprünglichen Wortlaut ihrer heiligen Schriften noch nicht verdreht und verfälscht haben – im Gegensatz zu den Lutheranern in Deutschland, die das Motto des Reformators: das Wort, sie sollen lassen stahn, endlos verunstaltet haben – sind felsenfest davon überzeugt, dass sie in den Gefährdungen der nahen Zukunft nicht zur Spreu, sondern zum wertvollen Weizen gehören werden, der gerettet wird.

Ihr Glaube an ihre Außerordentlichkeit (Exzeptionalismus) ist der Grund ihres unerschütterlichen Glaubens an ihren Sieg über alle Feinde.

Der Glaube der Deutschen ist bei weitem nicht so unerschütterlich wie der biblizistische der Amerikaner. Seit der Aufklärung versuchen sie, sich von den Versuchungen der Hure Vernunft nicht zu offensichtlich verführen zu lassen. Sie unternehmen alles, um Glauben und Vernunft zusammenzubringen.

Und diese beiden sind gar nicht willig, also brauchen die gläubigen Vernünftler Gewalt – und drehen und wenden die Texte so lange, bis Glaube und Vernunft zwangsvermählt sind. Sie tun, was Hegel ihnen vorgemacht hat: absolute Widersprüche gibt es nicht im Reich des göttlichen Geistes. Das Unvollkommene ist nur Spielmaterial des Wirkens des Geistes.

Unvollkommen und widersprüchlich zeigt sich zwar alles in der Welt, aber nur, um dem Geist Gelegenheit zu geben, seine überlegene Pädagogik in der Geschichte des Werdens penibel vorzuführen.

Dem gläubigen Menschen bleibt nichts übrig, als zu schauen und zu staunen. Eine aktive Rolle kann der Mensch nicht spielen. Das Widersprüchliche und Dämonische in der Geschichte sind nur Spielfiguren des Hohen Geistes, mit denen er seine heiligen Spielchen treibt – bis er sie am Geschichtsende entmachten wird.

Die Menschen auf der Beobachterbühne sollen vor Bewunderung mit der Zunge schnalzen und ihre Bewunderung aussprechen:

„Welch Schauspiel! Aber ach! Ein Schauspiel nur!“

Unter göttlichen Perspektiven ist die Heilsgeschichte des Menschen nur eine Schachpartie zwischen dem Schöpfer und seinem widerspenstigen Assistenten. Der Mensch sollte sich nicht so wichtig nehmen. Nimmt er sich aber – und haut drauf, dass die Funken sprühen.

Amerikanische Theologen, die ihre Schrift wörtlich nehmen und Trump als ihren zweiten Moses betrachten, sprechen von „Spiritual Warfare“ (geistlicher Kriegsführung).

„Dieser Vorstellung nach befinden wir uns im konstanten Kampf mit Dämonen und anderen Kräften des Bösen. Gläubige beziehen sich auf Epheser 6, 12: „Denn wir haben nicht gegen Menschen aus Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern gegen die Fürsten und Gewalten, gegen die Beherrscher dieser finsteren Welt, gegen die bösen Geister des himmlischen Bereichs.“ (A. Brockschmidt, Amerikas Gotteskrieger)

In einer Bible-TV-Show forderte ein Prediger das Publikum auf, christliche Milizen zu gründen, um in den folgenden Bürgerkriegen gewappnet zu sein: „Sogar Jesus hat gesagt: Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert.“ Es sei sinnlos, für Einigkeit zu beten; stattdessen müssten sich die Christen gegen das „Böse wehren, das versucht, unser Land zu übernehmen.“ Es gebe eine Zeit für Frieden und eine Zeit für Krieg. Wir bewegen uns nicht auf Frieden zu, sondern auf Konflikt und Krieg.“ (ebenda)

„Christen haben eine Verpflichtung und ein Mandat, einen Auftrag, das Land für Jesus Christus zurückzuerobern – um die Herrschaft in den zivilen Strukturen zu haben. Aber es ist Herrschaft, nach der wir streben: Welteroberung.“ (George Grant in ebenda)

„Nach Rushdoonys Ansicht sollte „unerziehbaren“ Jugendlichen, Hexen, Gotteslästerern und Ehebrechern mit der Todesstrafe gedroht werden. In seinem Amerika sollten Menschen nicht-christlichen Glaubens hingerichtet werden.“ (ebenda)

Solche Töne, vergleichbar denen aus ultrarechten muslimischen Staaten, sind in Deutschland unbekannt. Weshalb sie, arrogant, wie sie sind, glauben, solche teuflischen Spielchen nicht wahrnehmen zu müssen.

Ahnungslos schliddern die Deutschen in die Zukunft, die man bereits in Amerika beobachten kann – über die sie sich aber erhaben fühlen. Trumps Erfolge können sie nicht verstehen.

Sie wollen auch gar nicht Amerika verstehen. Denn sonst müssten sie den bislang fürsorglichen Großen Bruder mal in den Senkel stellen. Doch davor haben sie Schiss. Sie fürchten, die Großmut ihres Beschützers zu verlieren, der bislang ihre Nachlässigkeiten und Schlampereien souverän pariert hatte.

Sie sorgen nicht für eine angemessene Militanz, mit der sie sich gegen die Unholde dieser Welt wehren könnten. Solche Kleinigkeiten überlassen sie ihrem großen Befreier, der es bislang wohlmeinend für sie tat.

Diese lächerliche Unmündigkeit führte dazu, dass der kleinste Anhauch einer freundschaftlichen Kritik an Amerika als Antiamerikanismus gebrandmarkt wird. (Dasselbe gilt für die Unfähigkeit, Israel zu kritisieren, wo die kleinste Kritik an der Politik Jerusalems als Antisemitismus geächtet wird.)

Die pubertäre Haltung der Deutschen, den Amerikanern die Pflicht des Unangenehmen zu überlassen, selbst aber die Rolle der überlegenen Moralisten zu übernehmen, führte zur neurotischen Selbsteinschätzung der Deutschen.

Im internationalen Mächtepoker fühlen sie sich dem machiavellistischen Doppelspiel der Amerikaner überlegen, obgleich sie keine Hemmungen besitzen, sich als Günstlinge des Schicksals aufzuspielen.

In der EU führt das pubertäre Gehabe immer mehr zu Aggressionen jener Staaten, die die moralischen Eitelkeiten Berlins, verbunden mit wirtschaftlicher Überlegenheit, nur schwer ertragen. Deutschland macht sich unbeliebt. Noch schlimmer: sie bemerken gar nicht, wie sie von ihren Verbündeten immer mehr abgelehnt werden. Sie sind alles andere als emotionale Sensibilisten. Gefühlsduselei überlassen sie jenen, die sonst nichts zu bieten haben: weder Materielles, noch Technisches oder sonstwie Zukunftsführendes.

Zum Exempel machen wir mal eine Straßenumfrage und stellen die Frage: woher kommt das folgende Zitat? Aus Maos roter Bibel, aus Mussolinis Tagebüchern oder aus Stalins Politnotizen:

„Ihr Sklaven, seid gehorsam euren irdischen Herren mit Furcht und Zittern, in Einfalt eures Herzens, wie ihr Christus gehorcht; nicht mit Dienst allein vor Augen, um den Menschen zu gefallen, sondern als Sklaven Christi, die den Willen Gottes tun von Herzen. Tut euren Dienst mit gutem Willen als dem Herrn und nicht den Menschen.“

Das Zitat aus dem Neuen Testament gehört zum Glaubensgut der „christian soldiers“ aus Amerika.

Von Anfang an empfanden sich die christlichen Eroberer Amerikas als Erwählte des Schicksals, die vorherbestimmt waren, zu Herren der Eingeborenen zu werden.

„Bereits die Puritaner in Neuengland sahen sich als die neuen Israeliten, Gottes neues, auserwähltes Volk. Der indigenen Bevölkerung wiesen sie die Rolle der kanaanitischen Urbevölkerung zu. So rechtfertigten die Puritaner ihre kolonialen Eroberungskriege als den Beginn der biblischen apokalyptischen Eröffnungsschlacht.

Im19. Jahrhundert kam mit „Manifest Destiny“ die Vorstellung eines göttlichen Auftrags an das amerikanische Volk auf, den ganzen Kontinent zu erobern, die sich bis zu heutigen Formen des Amerikanischen Exzeptionalismus fortsetzt.

„Vorwärts, Christi Streiter! Auf zum Heiligen Krieg! Mit dem Kreuzeszeichen ziehen wir zum Sieg. Christus, unser König, führet selbst uns an. Folgt ihm unerschrocken vorwärts, Mann für Mann.“

Die immer mächtiger werdende Religion in Amerika ist keine globale Liebeswelle, sondern das Gegenteil. Ohnehin ist es Humbug, die Ideologie des Neuen Testaments als eindeutige Liebesbotschaft zu verstehen. Christus liebt nur die, die sich vor Ihm beugen. Den Rest in den Abgrund.

Jetzt kommt der Clou, der in Deutschland nicht zur Kenntnis genommen wird. Der biblizistischen Auserwähltheit der Wiedergeborenen in Amerika entspricht deckungsgleich die Auserwähltheit der russischen Orthodoxen. Trump und Putin sind, ob sie wollen oder nicht, Brüder im Geiste. Ihre autoritäre Staatsführung nähert sich immer mehr einem religiösen Totalitarismus, der keinerlei Kritik zulässt.

„An der Spitze des Landes steht der starke Anführer, der Heilsbringer, der für Ordnung sorgt. Es ist eine Ordnung, in der oppositionelle Stimmen verteufelt oder ganz zum Schweigen gebracht werden. Der Autoritarismus eines Wladimir Putin oder Victor Orban in Ungarn ist für die religiöse Rechte in den USA nicht abschreckend, im Gegenteil. In Männern wie Putin und Orban sehen sie das, was sie sich auch für die USA erträumen. Vertreter der Alt-Right und der religiösen Rechten sehen in Putin die Art von Anführer, die auch Amerika dringend benötigt.“ (Brockschmidt)

Die politische Devise der Rechten klingt vertraut: „Du musst nicht recht haben, du musst nur gewinnen.“ Diese Devise befreit von allen moralischen Überlegungen.

Das Motto ist vollständig identisch mit dem neoliberalen Leitspruch: recht hat, wer den Gewinn gemacht hat. Eine absolute Ich-Vergötterung auf allen Gebieten ist dabei, die Welt in den Würgegriff zu nehmen.

Putin und Trump sind fast eineiige religiöse Brüder. Was sie trennt, ist lediglich eine verschiedene Einschätzung ihrer Macht. Putin fühlt sich als der weitaus Unterlegene, weshalb er zum voreiligen Zuschlagen neigte, um dem übermächtigen Rivalen eins auszuwischen – der mittlerweile Biden heißt und einem gemäßigten Kurs folgt.

Ziel und Mittel sind bei ihnen identisch: sie begehren die Weltherrschaft – mit einer skrupellosen militärischen Überlegenheit.

Doch Putin könnte sich getäuscht haben. Er scheint sich maßlos überschätzt zu haben, wie sein „enttäuschender“ Feldzug gegen Kiew zeigt. Seine verlotterten Truppen sind nicht fähig, den kleinen Rivalen Ukraine binnen weniger Tage zu besetzen. Dass die NATO-Länder die Ukraine derart effektiv unterstützen würden mit der überlegenen Waffentechnik des Westens, scheint Putin ebenfalls nicht bedacht zu haben. Sollte er tatsächlich, womit er schon verschiedene Male gedroht hat, diverse Atombomben einsetzen, wäre es um ihn selbst geschehen: Biden drohte, russische Atombomben mit amerikanischen zu egalisieren.

Putin und Trump sind vom selben religiösen Fleisch. Nur ihre Machtverhältnisse differieren so sehr, dass der Schwächere die Nerven verliert und prophylaktisch zuschlagen muss.

„Wer die Situation in den USA verstehen will, muss die Denkmechanismen der religiösen Rechten in den USA verstehen: das Knäuel aus Kulturkampf, Ideologie, Apokalypse-Sehnsucht, Verschwörungsdenken und Macht entwirren.“

Begriffe wie Apokalypse-Sehnsucht sind fremd bei uns. Obwohl die Deutschen sich nicht genug an Hollywood-Filmen mit Armageddon-Inhalt berauschen können, wollen sie gewöhnlich mit Endzeit-Kitsch nicht übermäßig belästigt werden.

Deutschland will nicht erwachsen werden, um die Machenschaften der Großen zu entziffern. Ihre Geschichte verdecken sie, ihr biografisches Werden interessiert sie nicht.

Früher waren sie das Volk der Dichter und Denker, deren himmels- und höllenstürmende Visionen nichts mit der Wirklichkeit zu tun haben durften. Heute leben sie nur von eindimensionalen Wirtschaftsdaten, mit denen sie die Welt beeindrucken wollen.

Ihre nationalen Minderwertigkeitsgefühle machten in der Bismarckära einen Sprung nach oben: plötzlich wollten sie es der ganzen Welt zeigen. In allen Dingen mussten sie überlegen sein – selbst in der Bosheit ihrer Menschheitsfeindschaft.

Sie wollten der Welt beweisen, dass sie die Einzigen sind, die der Heilsgeschichte ein Ende bereiten könnten. Nicht einmal die Amerikaner hatten sich getraut, ihrem Exzeptionalismus die Krone aufzusetzen.

Und diese bestand in der göttlichen Kompetenz, sich aller moralischen Bedenklichkeiten zu entledigen. Das war „ihr Glaube an die unbedingte Zerstörung, die in unbedingte Schöpfung umschlägt.“

Nur wer dem Tod nicht ausweicht, hat eine Chance zum Sieg. Tod und Auferstehung. Was das Neue Testament an apokalyptischen Visionen darbietet, wollte Nietzche in Politik der Deutschen verwandeln.

Während die christlichen Staaten des Westens immer mehr an ihrem Glauben zweifelten, Amerika nicht ausgeschlossen, wollte Deutschland aller Welt zeigen: wir sind das wahre auserwählte Volk und sonst niemand. Auch die Juden maßen sich nur an, was sie niemals realisieren können. Sie müssen vom Erdboden verschwinden.

Und was war die Krönung allen Seins? Der Reichsgedanke. Der Gedanke vom Dritten Reich als der Erfüllung aller Geschichte. Endlich sollte die Vision des Dritten Reichs von Joachim di Fiore nationale Realität werden:

„Warum steht das Reichsvolk der Deutschen so hoch über allen anderen Völkern? Weil von »seinem Leben die Völker ringsum neues Leben gewonnen haben.« Deutschland ist die »Mutter der Völker, die unter tausend Schmerzen und Leiden immer neues Leben und neuen Segen in die Welt gesandt hat.« Den Deutschen gebühre die Vormacht: »Eines aber fordern wir, das Imperium. Wo uns das Imperium vorenthalten wird, muss es errungen werden, denn wir sind anderen nicht gleich, wir sind Deutsche.«“ (Wilhelm Stapel)

Oder anders: „Das Reich der Deutschen ist Gottes. Das Reich ist die Wirklichkeit des Glaubens. Dieser Glaube ist ausschließlich ein Glaube der Deutschen. Die Aufgabe des Reiches ist die letzte und höchste, die es gibt. Ihre Lösung wird die Ordnung der Welt mit sich bringen.“ (Franz Schauwecker)

Heute, in der wachsenden Weltkrise wird schon wieder an allen Ecken und Enden gezündelt. Wie wär‘s mit putzigen kleinen Atombomben – die dem Elend der Welt ein Ende bereiten? Indem sie der Welt ein Ende bereiten.

Dann wäre endlich – himmlische Ruh.

Fortsetzung folgt.