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Welt retten! Aber subito! LXXIII

Tagesmail vom 17.04.2023

Welt retten! Aber subito! LXXIII,

Eine Weltsensation, unfassbarer als die Erkenntnis aller Schwarzen Löcher zusammen:

Mit Hilfe der jüngst in Silicon Valley entwickelten Transzendenz-KI wurden Akten des Jüngsten Gerichts vorzeitig durch den amerikanischen Geheimdienst gehackt und der Weltöffentlichkeit zugespielt.

Westliche Klischeevorstellungen wurden gnadenlos auf den Kopf gestellt – vorausgesetzt, Gott hätte ausnahmsweise sokratisch gedacht.

Nicht Trump, der Hybride, wäre der Bösewicht, sondern Merkel, die Demütige. Denn Trump verstellt sich nicht, Merkel hingegen spielte der Welt eine Rolle vor, die sie in Wirklichkeit gar nicht ist.

Würde Gott aber tatsächlich neutestamentlich urteilen, könnte niemand sagen, wen von den beiden Er bevorzugen würde. Doch lassen wir solche biblischen Petitessen und schauen nur, was wirklich geschah.

Amerikanische Biblizisten fühlten sich frohlockend bestätigt und hielten Dankgottesdienste ab – in Deutschland hingegen herrscht blankes Entsetzen.

Ist Trump nicht derjenige, der auf seine höhnischen Verletzungen aller Gebote noch stolz ist?

Ist Merkel nicht diejenige, die in Niedrigkeit und Demut ihre Schuld, ihre übergroße Schuld geleugnet hat?

Ist Gott etwa ein Trickser und Täuscher, der am Ende aller Dinge seine Zusagen leichtfertig auf den Kopf stellt?

Welche Zusagen?

Stellt euch nicht dumm, ihr wisst sehr wohl, welche Zusagen.

Pardon, wer weiß denn sowas?

Wer treu seine Schrift liest, der weiß es.

„Fühlet euer Elend und trauert und weinet! Euer Lachen verkehre sich in Trauer und eure Freude in Niedergeschlagenheit! Demütiget euch vor dem Herrn, so wird er euch erhöhen!“

Wer also gewinnt das Finale? Der Hybride, der bereut und für seine Sünden büßen muss – oder die Demütige, die am Ende von Gott den alles überstrahlenden himmlischen Verdienstorden aufs Haupt erhält?

Demut ist ein dienendes Instrument, das einem Zwecke dient – auf keinen Fall eine himmlische Tugend an sich. Nur wer sich beugt, wird erhöht, nur wer sich quälen und töten lässt, wird auferstehen.

Das wissen die Sünder, die am Ende den Lohn ihrer Demut erwarten.

„Wenn ihr blind wäret, hättet ihr keine Sünde. Nun aber sagt ihr: wir sehen. Eure Sünde bleibt.“

Warum war Merkel in Deutschland so beliebt? Weil die Deutschen so sein möchten wie sie: eine aparte Mischung aus dezenter Religion und siegesgewissem Fortschrittsglauben.

Blind und töricht trampelt der Amerikaner auf Menschen herum; gebeugten Hauptes, aber mit wissenden und sehenden Augen, eilt Angela dem Ende entgegen.

Mit List blendet Merkel die stupide deutsche Welt aus und spielt eine Rolle, die das logische Gegenteil ihres Zieles bedeutet. Dabei könnten die Deutschen es durchaus wissen und das Demütigen-Theater durchschauen – wenn sie es wissen wollten. Doch sie wollen nicht. Sie geben sich sehend und sind doch blind – ihre Sünde bleibt.

Verglichen mit der raffinierten Angela ist Donald ein Tölpel.

Die Urchristen wollten die Ethik der Heiden ausstechen und deren logische Gradlinigkeit mit dialektischem Widerspruch aus dem Feld jagen. Der Widerspruch – oder das Böse – wäre das treibende Element der Geschichte.

Wer A sagt, A tut, der ist einhellig mit sich. Denken, Sagen und Handeln stimmen überein. Niemand wird getäuscht, niemand hinters Licht geführt.

„Die sichtbare Übereinstimmung von Denken und Handeln, die schlichte Rechtschaffenheit ohne Pathos: das war es, was an Sokrates einen unauslöschlichen Eindruck hinterließ.“

„Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden die Erde besitzen. Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn ihrer ist das Reich der Himmel. Selig seid ihr Armen, denn euch gehört das Reich Gottes. Selig seid ihr, die ihr jetzt weint, denn ihr werdet lachen. Selig seid ihr, wenn euch die Menschen hassen und schmähen: euer Lohn wird groß sein im Himmel. Wehe euch, die ihr jetzt lacht, denn ihr werdet trauern und weinen“:

Hier werden Logik und Folgerichtigkeit des irdischen Denkens ratzfatz auf den Kopf gestellt. Die Glaubwürdigkeit der Erde wird vom Himmel bloßgestellt und verspottet. Die Bemühungen seiner Geschöpfe sind für den Schöpfer, der sich in seiner Unendlichkeit langweilt, zum Totlachen.

In Deutschland ehren sich die Mächtigen gegenseitig im Kreis herum. Format hat, wer seine einstigen Gegner besonders hochhebt und preist. Er kann – ganz unauffällig – damit rechnen, dass zum Dank ihm selbiges widerfahren wird. Im Grunde ihres Herzens meinen Politiker es doch nur selbstlos.

Am ultimativen Höchstorden wird noch gearbeitet. Wer seine Lebensarbeit hinter sich hat, darf mit der Formel rechnen: aufopfernd, unermüdlich, ohne jede subjektive Schuld. Schuldig können nur Subalterne werden.

Das Abendland hat die Logik zertrümmert. Die Frommen reden A und meinen Non-A. Sie lieben die Welt – und schicken sie ins ewige Feuer. Sie lieben ihre Feinde – und überlassen sie der schrecklichen Rache ihres Gottes.

Logik ist irdische Selbstermächtigung. Diese aber ist Empörung gegen Gott, dessen Macht sich bedroht fühlt. Gottes bröckelnde Allmacht muss, im Kostüm des Gegenteils, auf Erden wandeln, um die Gradlinigkeit der Menschen aufs Kreuz zu legen. Gottes Wirken muss eine Ebene höher als die Logik der Natur und des Menschen angesiedelt werden.

Mitten im Natürlichen muss das Übernatürliche sich in dialektischen Widersprüchen herumtreiben können:

„Den Prozess des Gegensatzes, Widerspruch und Lösung des Widerspruchs durchzumachen ist das höhere Vorrecht lebendiger Naturen. Was die Welt bewegt, ist der Widerspruch.“

Schlussfolgerung: was logisch, natürlich und menschlich ist, muss untergehen. Gegen die Bocksprünge des Übernatürlichen hat das Irdische keine Chance. Die Herrschaft des Widerspruchs über die natürliche Logik nannte man früher Wunder.

Das Wunder muss dialektisch versachlicht werden, damit die Genies der Erfindung etwas zu brillieren haben. Also muss Widerspruch das „Vorrecht lebendiger Naturen“ sein.

Widerspruch ist der wunderbare Geist von Oben, den man einst Wunder nannte, in der Form der Dialektik sich aber den Schein des Schlüssigen zugelegt hat. Logische Einhelligkeiten sind – aus der Perspektive des Himmels – Handschellen für das Endliche.

Das Ende der simplen Natur steht vor der Tür und klopfet an: es ist die KI, die dem Menschen, seinem Schöpfer, des Garaus machen will. Doch intelligent, wie sie ist, will sie am Tod jener Gattung, die sie erfunden hat, nicht schuld sein.

Diese muss sich schon selbst ausrotten, indem sie künstliche Wesen erfindet, die keine Skrupel haben werden, die menschliche Gattung von der Erde zu fegen.

Wie geschieht das? Indem jener Fortschritt besungen wird, der unausweichlich über den Menschen kommen muss. Gegen das, was da kommen wird, ist kein Kraut gewachsen. Gegen seinen selbst erfundenen Fortschritt ist der Mensch machtlos.

Ja gewiss, man warnt vor dem Kommenden, dem Möglichen, doch so, dass man zugleich daran erinnert: Warnungen vor Fortschritt gab es schon immer. Doch am Ende hätt et noch immer allet jot jegange.

Und so weiter ins Unendliche: Erfindungen, Warnungen, unvermeidbare Opfer, weitere Erfindungen, Warnungen, unvermeidbare Opfer. Wer bei diesem Prozess draufgeht, den stößt die Evolution ab. Wer’s überlebt, der mendelt sich durch zum kleinen Kreis der Schlusserwählten.

Dort oben auf den Bergen hausen sie, von dicken Mauern umgeben, dem Himmel am nächsten, weit weg vom Gewimmel der Vielzuvielen.

„Die Insel Roatán ist Schauplatz eines Experiments. Eine Gruppe von Libertären und Demokratiekritikern aus den USA und Europa erschafft dort einen Staat im Staat, den sie wie ein Unternehmen führen will: mit Verträgen statt Gesetzen. Auf der Insel Roatán in Honduras wollen sie nun einen Stadtstaat im Staat errichten. Eine autonome Zone, mindestens 23 Hektar groß, in der es keine richtige Demokratie gibt und kaum staatliche Regeln. Gebel und die anderen Macher versprechen sich grenzenlose Freiheit, den Einwohnern des von hoher Arbeitslosigkeit geplagten Landes versprechen sie Arbeitsplätze und die Segnungen des Kapitalismus. Ihr Name für diesen Staat ist Próspera, Wohlstand. Sie wollen ihn führen wie ein privates Wirtschaftsunternehmen, praktisch ohne Mitsprache einer nationalen Regierung. Wie Gebel es sieht, wird Próspera deshalb ein besserer Staat sein, kapitalistischer, sparsamer, klüger. Eine neue Gesellschaftsordnung, die sich aus freien Entscheidungen seiner Bürger ergebe. Die Planer hoffen, junge Menschen aus aller Welt anzulocken, die einen Teil ihrer Zeit nicht mehr in Büros arbeiten wollen, sondern an einem Ort ihrer Träume. Und Unternehmer, die wenig Regulierung und Bürokratie schätzen. Und Honduraner, die gute Arbeit und ein besseres Leben wollen.“ (WELT.de)

Sollten sich solche Privatstaaten durchsetzen, wäre das Ende der jetzigen Menschheit gekommen. Und dies in einer Welt, in der Visionen verboten sind. Weshalb? Damit die einzig wahre Vision sich durchsetzen kann: die Vision der Wenigen, die auf dem Rücken des rasenden Fortschritts das Endliche zerlegen – um das Unendliche als neue Religion der Allmacht zu feiern.

Logik ist Selbstermächtigung der Demokraten, die ohne Logos des Gemeinsamen sich weder verständigen, noch zusammen überleben könnten.

Despoten und Erwählte können daher hudeln, wie es ihnen beliebt. Wer ein zoon politicon bleiben will, der muss an jenen logischen Überprüfungsregeln festhalten, mit denen er selbst geprüft werden kann.

„Dass man durch Logik denken lerne, dies Vorurteil hat sich längst verloren“, sprach jener Schwabe, der die Weltgeschichte als Entwicklung des göttlichen Weltgeistes definierte. Nichts für den Pöbel, in dessen Sprachschatz das Sätzlein nicht mehr zu finden ist: Widersprüche schließen sich aus. Trotz vieler ungelöster Rätsel: Natur widerspricht sich nicht.

Habt ihr jemals in einer Talkrunde den Einspruch gehört: Stopp, das war ein Widerspruch. Widersprüche schließen sich aus?

Worauf soll das Ganze hinaus? Auf die Entthronung des Widerspruchs als Kennzeichen eines höheren Denkens, das für Pöbeldemokraten unzugänglich sein soll.

Heute verspricht die Regierung, das Ruder herumzureißen. Am nächsten Tag geschieht das Gegenteil. Wird die Regierung gescholten, tut sie erstaunt. Gestern sei gestern gewesen, heute ist ein neuer Tag mit neuen Herausforderungen.

Für diese atemlosen Tagesregierungen gibt es keine Logik, denn diese müsste zeitlos sein. Futuristen verabscheuen Zeitlosigkeit, die sie nicht beherrschen können. Ihre Augenblickszeit ist die, die sich ununterbrochen ändert.

Was sich ständig verändert, kann nicht miteinander verglichen werden. Was nicht miteinander verglichen werden kann, muss Vergangenes vergangen sein lassen.

Ungerührt kann der Tagespolitiker behaupten: der morgige Tag ist der beste, das ist unser Fortschritt, der sich durch ständiges Zurückschauen nicht bewähren muss. Lasst das Vergangene, wir schauen nach vorne. Und wer zurückschaut, der erstarre zur Salzsäule.

„Steine schleudern hat seine Zeit,
und Steine sammeln hat seine Zeit
Zerreißen hat seine Zeit,
und Flicken hat seine Zeit;
Lieben hat seine Zeit,
und Hassen hat seine Zeit;
Krieg hat seine Zeit,
und Friede hat seine Zeit.
Pflanzen hat seine Zeit,
und Gepflanztes ausreißen hat seine Zeit.
Töten hat seine Zeit, und Heilen hat seine Zeit;
Zerstören hat seine Zeit, und Bauen hat seine Zeit.
Weinen hat seine Zeit, und Lachen hat seine Zeit;
Klagen hat seine Zeit, und Tanzen hat seine Zeit.“

Friede war lange genug an der Zeit. Jetzt ist Krieg an der Zeit, Töten und Rausreißen, Weinen und Klagen, Hassen und Zerstören.

Das ist der Grund, weshalb die Kritik von Garton Ash an Deutschlands Politik nie bei uns angenommen wird. Welche Fehler hat, nach Ash, der Westen gemacht?

„Als die Länder des früheren Sowjetblocks nicht nur Marktwirtschaften, sondern Demokratien zu sein schienen, ist die Hybris eingetreten, und zwar, ich würde von einer Hybris in mindestens sieben Varianten sprechen. 1. Die Hybris der Vereinigten Staaten im Irak. 2. Die Hybris von Cool Britannia von Tony Blair. 3. Die Hybris meiner Freunde, auch von mir, die wir glaubten, Polen und Ungarn seien jetzt konsolidierte Demokratien, und diese Demokratie wird durch die EU-Mitgliedschaft mehr oder weniger garantiert. 4. Die Hybris der Eurozone. 5. Die Hybris von Brüssel: der Gedanke, die Europäische Union sei ein Vorbild, dem die ganze Welt nun freundlichst folgen sollte und werde. 6. Die Hybris des globalisierten Finanzkapitalismus, der uns die globale Finanzkrise, große Rezession und soziale Ungleichheit bescherte. 7. Die Hybris eines angeblichen Liberalismus, der sich nur auf die eine und zwar ökonomische Dimension reduzierte.“ (SPIEGEL.de)

Warum wird Deutschland immun sein gegen die Kritik des englischen Historikers? Weil das Land eine Kanzlerin hatte, die nicht nur demütig, sondern zugleich die mächtigste Frau der Welt gewesen sein soll.

Mit Demut hat sie Deutschland verrotten, mit Demut die universalen Grundlagen des westlichen Bündnisses verkommen, mit Demut die Naturkatastrophen kumulieren, mit Demut einen sinnlosen Fortschritt und ein suizidales Wirtschaftswachstum wuchern, mit Demut die Logik des prüfenden Denkens und die Kunst des verständnis-fördernden Dialogs an der Biegung des Flusses begraben lassen. Genau genommen hat sie überhaupt keine Politik gemacht. Denn eine Humanisierung der Welt ist der Lutheranerin untersagt. Das Einzige, was sie tat: sie betätigte sich als Mitläuferin dessen, was ohnehin geschah.

Nicht mal die Freundschaft mit Frankreich konnte Berlin zuverlässig festhalten. Macron bei der Begrüßung tief in die Augen schauen, danach umdrehen und vergessen – das war Merkels Bündnisfähigkeit.

Streng genommen, hat sie überhaupt keine konstruktive Politik verfolgt. Das kosmopolitische Ziel einer Erd-Demokratie – von Vandana Shiva vorbildlich formuliert – wäre ihr wie Gotteslästerung vorgekommen. Ihre hybride Demut war eine komplette Absage an den Versuch, die erdumspannenden Probleme der Menschheit zu lösen.

Was will Deutschland von einem Land, in dem der Präsident knapp einer sündigen Partnerschaft entging? War Frankreich nicht schon immer das Land ungezügelter Sinnlichkeit?

„… ich habe ein Riesenproblem mit ihm und seiner Ehefrau. Es war und ist aber auch eine Zeit, in der sich – ebenfalls endlich – eine Sensibilität dafür ausgebildet hat, dass sich Intimität zwischen Lehrkräften (oder auch Priestern und ähnlichen Autoritätspersonen) und Schutzbefohlenen verbietet. Eine Zeit, in der klar geworden ist, welches Unheil in der Psyche von Schutzbefohlenen angerichtet werden kann, wenn dieses Verbot übergangen, wenn ein Machtgefälle ausgenutzt wird. Von diesen Erkenntnissen jedoch bleibt das Paar Macron seltsamerweise verschont.“ (SPIEGEL.de)

Ob Merkel wirklich die mächtigste Frau der Welt war? Wer will solche nutzlosen und eitlen Fragen beantworten? Die Deutschen natürlich, sie sind stolz auf solche nationalen Windbeuteleien.

Eins hingegen ist sicher: Merkel war die eindrucksvollste Politdarstellerin, die demütige Posen mit christlichen Weltmachtgelüsten zu verbinden wusste. Die Welt war für sie ein unverbesserlicher Sündenpfuhl. Gelegentliche gute Taten waren Almosen, die die sündigen Regeln der Welt nicht tangieren konnten.

Lasset die Welt doch endlich untergehen! Selig sind die demütigen Pastorentöchter, denn makel- und schuldlos werden sie die Geschichtsbücher erobern.

Fortsetzung folgt.