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Welt retten! Aber subito! LXXII

Tagesmail vom 14.04.2023

Welt retten! Aber subito! LXXII,

Unerbittlich zerrinnt die Zeit – und in Deutschland schreitet das Verhängnis voran.

Doch mitten im zunehmenden Verhängnis erschien ein kleines Licht: Medien entlarvten eine deutsche Donald-Trump-Attrappe.

Den Seinen ist Trump eine Engelsgestalt, gekommen, um die zerrüttete Erde vom Unrat des Bösen zu reinigen und die Macht jenes Guten zu etablieren, das er selbst aus der Taufe hebt.

Seinen Feinden gilt er als das allmächtige Böse, das keine anderen Regeln zulässt als die seiner eigenen Vollkommenheit.

Er allein bestimmt, was gut, er allein bestimmt, was böse ist. Alle anderen Bewertungen lehnt er hohnlachend ab.

Ein Gutes für alle, dem er sich unterwerfen müsste, ein Böses für alle, das er verabscheuen müsste: das hält er für einen teuflischen Scherz. Er allein bestimmt die Regeln der Welt. Wer diese verwirft, muss mit dem Untergang rechnen.

In einer bipolaren Welt sind Gut und Böse verkehrte Spiegelbilder: was gut ist in der einen, ist verwerflich in der anderen. Gut und Böse sind ewige Rivalen, die nie Frieden schließen können.

Nur eine Möglichkeit gäbe es, um einhellige Regeln für alle zu etablieren: die totale Vernichtung der Hälfte der Welt. Diese bestände nicht mehr aus Licht und Schatten, sondern nur aus Licht oder nur aus Schatten – das zum alleinigen Licht erklärt werden würde.

Diese allein herrschende Welt setzte voraus, dass die bislang mitkonkurrierende feindliche Hälfte vernichtet werden muss – total und radikal. Der Kampf, was gut und böse sei, wäre im NU beendet.

Die Geschichte der Menschheit wurde vom Kampf um das wahre Gute und Böse geprägt. Was den einen gut, war den anderen böse.

Die einen wollten Frieden untereinander und ein erquickliches Leben für alle. Eine Spaltung der Welt in Gute und Böse lehnten sie ab.

Jeder hatte die Chance, gut zu sein oder gut zu werden. Seine guten Anlagen musste er nur entwickeln und die bösen besiegen. Dann gäbe es auf Erden eine Menschheit, die in friedlichem Beieinander überleben könnte.

Die anderen wollten den Sieg nur für sich, zusammen mit der Vernichtung aller Andersdenkenden. Liebe, Agape, war für sie der Sieg jener, die dachten wie sie. Diese gehörten zu ihnen, den Guten und Auserwählten.

Alle anderen waren für sie Verworfene, die es aus eigenen Kräften nie schaffen würden, ihre bösen Anlagen in gute zu verwandeln. Sie nannten es Schicksal, Vorherbestimmung, historische Macht oder den Willen des Himmels.

Gegen diese übermenschlichen Kräfte war kein Kraut gewachsen. Der Mensch war eine Marionette höherer Mächte.

Solche Mächte, die die Menschheit willkürlich in zwei Klassen teilen, werden von den anderen dementiert, die Vertrauen in die selbstbestimmte Kraft der Menschen besitzen.

Eben das ist der Urkampf der Menschheit, der in der Geschichte ausgefochten werden soll. Welche Menschen sollen sich durchsetzen? Die Bipolaren, die nur eine Minderheit der Erwählten als Sieger küren wollen – oder die Universalen, die jedem Menschen zutrauen, ein gutes Wesen aus eigener Kraft zu werden?

Die Bipolaren sind die Mächte des Westens, die nur ihre Erwählten als Sieger der Geschichte anerkennen. Zwar machen sie Angebote an alle, doch nur, um sich den Anschein des Universalen zu geben: sie taten alles, was sie konnten, um die Welt zu retten. Allein, die Welt wollte nicht auf sie hören. Dafür muss sie bestraft werden und mit ihrem Untergang büßen.

Die Universalen waren jahrhundertelang von den technisch überlegenen Bipolaren beherrscht worden – welche glaubten, die unterlegenen Universalen von ihrem bipolaren Glauben überzeugen zu können. Vergeblich.

Das lag daran, dass sich die Bipolaren im Verlauf ihrer Geschichte selbst einen bestimmten Anteil des Universalen angeeignet hatten. Diesen Anteil übernahmen sie als Erbe antiker Völker, die alles Bipolare in ihrer Weltsicht vernichtet und sich ein universales Denken angeeignet hatten. Dieses nannten sie Philosophie der Vernunft.

So hatten sie zwei Angebote, mit der sie die Welt missionieren wollten: den bipolaren Glauben der Erwählten und das universale Denken der Vernunft. Glaube durfte mit Gewalt verbreitet werden, Vernunft nur durch vorbildliches Verhalten überzeugen. Da jedoch die Abendländer Glaube und Vernunft konturenlos miteinander vermengten, wurde jedes Überzeugenwollen zur Gewalt.

Jahrhundertelang dominierte der bipolare Glaube der Erwählten, der die unterlegenen Völker zum Glauben führen wollte.

Nach schrecklichen Kriegen aber kam eine Zeit, in der das universelle Denken des Westens die Oberhand gewann und für viele Jahre lang die Grundzüge der Weltpolitik dominierte. Die Völker atmeten auf. Zuversicht auf eine friedliche Zukunft der Menschheit verbreitete sich.

Es war der Glaube an die allgemeine Vernunft des Menschen:

„Jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person. Niemand darf in Sklaverei oder Leibeigenschaft gehalten werden; Sklaverei und Sklavenhandel in allen ihren Formen sind verboten. Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.“

Das klang wie die Aussicht auf ein neues Paradies. Was aber ist ein Paradies?

„Ein neues Lied, ein besseres Lied,
O Freunde, will ich euch dichten!
Wir wollen hier auf Erden schon
Das Himmelreich errichten.
Wir wollen auf Erden glücklich sein,
Und wollen nicht mehr darben;
Ja, Zuckererbsen für jedermann
Sobald die Schoten platzen!
Den Himmel überlassen wir
Den Engeln und den Spatzen.“

Ging es Heinrich Heine um den Himmel auf Erden, um Wiederherstellung eines bipolaren Märchens? Nein; „den Himmel überlassen wir den Engeln und den Spatzen.“

Vertreter der bipolaren Erwählung wie Hayek verwechselten den selbstgemachten Frieden auf Erden mit einem trügerischen Geschenk des Himmels. Weshalb sie jede politische Utopie verwarfen.

Nicht nur jede Utopie, sondern jedes rationale Friedensziel überhaupt. Selbst der nüchterne SPD-Denker Bernstein war dem Glauben an die Ziellosigkeit verfallen, als er formulierte:

„Das Endziel ist nichts, die Bewegung alles.“

Dieses Verbot, sich auf ein vernünftiges Ziel zu einigen und mit gemeinsamen Kräften sich diesem Ziel zu nähern, ist das ausweglose Credo der Gegenwart. Wer kein klares Ziel als Zweck seines Tuns zulässt, verirrt sich in der Ausweglosigkeit. Zielloses Tun führt immer in die schlechte Unendlichkeit.

Die Bipolaren allerdings lassen sich ihren Glauben an ein von Gott bestimmtes Ziel nicht nehmen. Sie glauben an ein apokalyptisches Finale der Heilsgeschichte, in dem sich die Bipolarität ihres Glaubens in dramatischen Ereignissen zeigen wird: die Erwählten werden selig, die Verdammten fahren in die Hölle.

Die Universalen sind jene ehemaligen Kolonialmächte, die sich immer mehr vom Westen entfernen und sich gemeinsam gegen ihn verbünden. Lange, allzu lange haben sie an die Universalität westlicher Versprechungen geglaubt. Ihre einstige Abhängigkeit und Unterlegenheit wollen sie endgültig überwinden und selbst herausfinden, welchem Ziel sie folgen wollen.

Der Westen hatte nicht bemerkt, dass seine zwei Seiten – bipolare Religiosität und universelle Vernunft – sich vertrugen wie Katz und Maus. In den Augen ihrer langjährigen Opfer waren sie perfekte Heuchler. Sie wollten die „heidnischen Völker“ mit Gewalt erretten, sei es mit militärischer oder ökonomischer Überlegenheit. Diese Gesamtpolitik des Westens kracht momentan in sich zusammen – und der Westen steht ratlos vor den Trümmern seiner Bipolarität.

Noch immer ist er unfähig, den universalen Menschen anzuerkennen, sondern nur jenen, der sich seiner technischen Überlegenheit unterordnet und den Westen bewundert: schaut, welch geniale Führer der Menschheit, diese Abendländer, diese Amerikaner.

Zwar profitiert der Westen am meisten vom globalen Fortschritt, aber auch für uns, die ehemaligen Entwicklungsländer, fallen die Brocken vom Tisch der reichen Männer. Mit ihnen müssen wir uns begnügen.

Nein, dieser Abgesang der für immer Unterlegenen ist verstummt. Aus allen Winkeln der nichtwestlichen Welt ertönen Lieder kritischer Rebellen:

„Die selbstmörderische globalisierte freie Marktwirtschaft beutet die lebenswichtigen Ressourcen der Erde aus. Statt einer Kultur der Fülle schafft die profitgetriebene Globalisierung eine Kultur des Ausschlusses, der Enteignung und der Knappheit. Das „Eigentum“ der Reichen ist in der Enteignung der Armen begründet – es sind die gemeinschaftlichen, öffentlichen Ressourcen der Armen, die privatisiert, und die Armen selbst, die wirtschaftlich, politisch und kulturell enteignet werden. Ökologische Sicherheit ist unsere elementarste Sicherheit, ökologische Verbindungen formen unsere grundlegendste Identität. Wenn wir Freiheit wollen, ist es lebenswichtig, die demokratische Kontrolle über Nahrung, Wasser und unser ganzes ökologische Überleben zurückzuerlangen. Die freien Märkte der globalen Unternehmungen haben im Gegenteil auf allen Ebenen Demokratie zerstört. Es entstand eine giftige Mischung aus religiösem Fundamentalismus und Rechtsextremismus (militante Bipolarität). Wirtschaftsglobalisierung führt nicht bloß zum Tod der Demokratie, sondern auch zu einer Demokratie des Todes, in welcher Ausgrenzung, Hass und Angst zum bevorzugten politischen Mittel werden, um Stimmen und Macht zu mobilisieren. Eine lebendige Kultur ist der Raum, in welchem wir unsere verschiedenen Wertvorstellungen, Glaubensrichtungen, Bräuche und Traditionen entwickeln und leben, während wir unsere gemeinsame universale Menschlichkeit und unsere Verbundenheit mit anderen Spezies durch Erde, Wasser und Luft bereitwillig annehmen. Lebendige Kulturen basieren auf Gewaltlosigkeit und Mitgefühl, Vielfalt und Pluralismus, Gleichstellung und Gerechtigkeit, sowie Respekt für das Leben in all seinen Erscheinungsformen. Wir sind Mitglieder einer Erdfamilie. Die Erkenntnis: „alle Dinge sind miteinander verbunden“ ist das Fundament unserer neuen Erddemokratie. Erddemokratie gibt Hoffnung in einer Zeit der Hoffnungslosigkeit. Sie fördert Frieden in einer Zeit endloser Kriege. Sie ermutigt uns, das Leben nach Kräften und mit Leidenschaft zu lieben in einer Zeit, in der Politik und Medien Hass und Angst verbreiten.“ (Vandana Shiva, Erd-Demokratie)

Warum regt sich bei uns nichts? Weil wir nur mit Zahlen und technischen Strategien hantieren, aber das Denken unserer betonierten Köpfe unverändert lassen. Wenn alles, was wir tun, nur in den Bahnen einer vergifteten Naturzerstörung verlaufen darf, dürfen wir uns nicht wundern, wenn Menschen beschimpft werden, die uns mit krassen, aber – mit Verlaub – immer noch legitimen Methoden mit unserer Gelähmtheit konfrontieren.

Man muss nicht in allen Dingen einer Meinung sein, aber gewiss einig in der Absicht, unsere sterbende Welt zu retten und mit neuen Methoden einer Erd-Demokratie wiederzubeleben.

Warum tut sich nichts im heiligen Germanien?

Weil wir uns ein gemeinsames Ziel verboten haben. Wie können wir kooperieren, wenn wir nicht wissen, in welche Richtung wir gehen sollen? Noch immer gibt es Mächte – zu denen ein Herr Döpfner gehört, der hinter den Kulissen einen gewissen Donald Trump kopiert und seine hörigen Schreiber die Umweltbewegung schmähen lässt, der die Hitzewellen der Natur für attraktiver hält als gemäßigtes Klima.

Döpfner orientiert sich an den Superreichen Amerikas, die sich alle klimatisch-erträglichen Orte der Welt unter den Nagel reißen, auf denen sie nicht nur die Massen der Verlorenen abwehren, sondern sich die Zukunft auf Erden in auserwählten Kreisen sichern können.

Gegen diesen „Himmel auf Erden“ hat seltsamerweise niemand etwas einzuwenden. Dabei ist er an Menschheitsfeindlichkeit durch nichts mehr zu übertreffen.

Privilegierte Orte auf der Welt – oder besser: Orte im Weltall, die der Mensch technisch erobern muss, um sich in elitären Zirkeln ein ewiges Leben zu sichern. Das soll die Zukunft der Menschheit sein. Und Leute wie Trump und Döpfner wollen dabei gewesen sein.

Das sind Teile einer Bewegung, die sich New Space nennt und die Privatisierung der Weltraumfahrt vorantreibt.

„New Space wird von privaten Investoren und Weltraummilliardären wie Richard Branson, Jeff Bezos und Elon Musk angeführt, die von Weltraumhotels im Orbit, Massentourismus im All oder gar von Marssiedlungen träumen. Die neuen Weltraum-Gurus wollen nicht weniger als eine Zivilisationswende.“ (Selke, Wunschland)

Döpfner, der deutsche Ableger amerikanischer Futuristen, besitzt nicht die alles über den Haufen werfende Unverschämtheit eines Trump, weshalb er nur in der Gemeinde seiner Verschworenen wispern darf.

Deutscher und jämmerlicher geht’s nicht mehr. Brillieren mit eingeflogenen Zukunftsbeherrschern wie Peter Thiel oder Elon Musk – aber die eigenen Hosen gestrichen voll, sich zu seinen gottähnlichen Unsterblichkeitsphantasien zu bekennen. Dafür kauft man sich devote Schreiberlinge, die nicht nur die wache Jugend, sondern die ganze Ökobewegung als Killer „unseres Wohlstands“ an die Wand knallen.

„Ein neues Zeitalter wird beginnen. Auf der Hinterbühne wird tatsächlich gerade unsere Zukunft neu verhandelt.“ (ebenda)

Der moralische Widerstand des Nichtwestens zur Rettung von Mensch und Erde wird bei uns als hybrider Moralismus verflucht.

Doch wer sind die wahren Kleber in Deutschland? Jene, die an ihrer Macht und ihrem Wohlstand kleben und rücksichtslos alles in den Staub treten, was ihnen ins Gewissen redet – das sie vermutlich gar nicht mehr besitzen.

Für deutsche Wohlstandsbewahrer gibt es nichts Verwerflicheres als Moral. Im Namen welcher Moral sprechen sie selbst?

Es gibt nichts, was nicht moralisch wäre. Selbst das Amoralischste ist eine Fehlform der Moral. Ist die UN-Charta amoralisch, weil sie die Moral der Menschenrechte vertritt? Ist Frieden amoralisch, weil er nur mit friedlicher Moral erarbeitet werden kann? Sind Demokratien amoralisch, weil sie eine Politik der menschlichen Würde betreiben?

Wollen wir Hitler, Stalin, Putin als amoralische Vorbilder bewundern?

Das Schlusswort gebührt Vandana Shiva:

„Freiheit kann nur dann erlangt werden, wenn wir die Zusammenarbeit mit unmoralischen Gesetzen verweigern. Der Kampf für die Wahrheit – nach den Prinzipien des zivilen Ungehorsams und der Gewaltlosigkeit – ist nicht nur unser Recht als freie Bürger von freien Ländern. Es ist auch unsere Pflicht als Bürgerinnen und Bürger der Erde.“

Fortsetzung folgt.