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Welt retten! Aber subito! LXIX

Tagesmail vom 31.03.2023

Welt retten! Aber subito! LXIX,

„Für die Grünen mag Klimaschutz hohe Priorität haben, doch diese Haltung teilen viele Bürgerinnen und Bürger … nicht. Demnach bewertet rund die Hälfte der Menschen im Land den Klimaschutz im Vergleich – etwa zu Wirtschaftsfragen – für sich persönlich als weniger relevant. So ist nur ein Drittel der Ansicht, dass der Klimaschutz für sie im Vergleich zu anderen Politikfeldern eine große Relevanz hat. Die Hälfte der Befragten stuft den Klimaschutz hingegen im Vergleich zu anderen Politikfeldern als weniger relevant ein.“ (SPIEGEL.de)

Deutschland gibt sich auf. Ringsum nur absterbende Gesten: Wer rettet uns? Wer erbarmt sich unserer Verzweiflung? Wir kapitulieren, wir schaffen es nicht mehr.

Deutschland ist am Ende seiner Kraft. Klimaschutz? Alles muss sich von Grund auf verändern? Am eigenen Schopf sollen wir uns aus dem Sumpf ziehen?

Wer rettet uns vor diesen großspurigen Weltrettern? Vor selbsternannten Heilanden und Erlösern? Haben wir noch nicht genug von irrtumslosen Führern und unfehlbaren Gottesmännern?

Wenn Gott tot uns – wer wird uns das Land der Verheißung zeigen, von dem wir immer träumten?

Ach, wir träumten gar nicht? Das Träumen war uns verboten von eiskalten Skeptikern und Verzweifelten?

Ist Gott tot und jeder Glaube verboten: woran sollen wir uns festhalten? Wenn wir auf Erden keinen Himmel entwerfen dürfen, welches tröstliche Ziel bleibt uns?

Pessimismus und Nihilismus – die stummen Zwillinge des Universums – liegen bereits hinter uns. Was bleibt uns noch, das uns Zuversicht geben könnte?

Sind Wirtschaft, Wohlstandswachstum und technischer Fortschritt – die drei wilden Gesellen der Naturzertrümmerung – ein wirklicher Ersatz für den Verlust des Jenseits oder für den Abschied von jeder idealen Utopie?

Welche Phantasten haben eine ideale Welt entworfen – hier unten oder droben – , dass wir uns immer so zwergenhaft vorkamen?

Wir brauchen eine neue Erzählung – heißt es überall. Anstatt welcher? Anstatt der Erzählung von einem Vollkommenen, die in unserer Wirklichkeit keinen Platz findet?

Hat die Religion des Heilen uns in die Irre geführt? Machte sie uns unfähig, in der realen Welt durchzuhalten und leidlich zu überleben?

Übernehmen wir uns nicht, wenn wir auf Erden den Himmel errichten wollen? Sollten wir uns nicht damit begnügen, die grenzenlosen Wunder des Himmlischen auf Erden wahrzunehmen, zu erforschen und zu bewahren?

Humane Ziele auf Erden werden von uns verschmäht, als seien sie Trugbilder von Magiern und Schamanen. Priester des Himmels hingegen werden kommentarlos von uns geduldet.

Einst gab es das Paradies, das kein Böses dulden sollte. Doch seit jenem Morgenaufgang streunen wir durchs irdische Unterholz, immer bereit, mit der Machete zu zerfetzen, was unsere Majestät zu beleidigen scheint.

Die Grünen waren die einzige Partei, welche spürte, dass die Menschheit einen Kurswechsel benötigt. Da schwammen sie noch in den Nachkriegsträumen eines Neuanfangs. Wer deutsche Politik kennt, kann sich jedoch nicht wundern, dass die Grünen heute auf dem Zahnfleisch kriechen. Was sind die Gründe?

Das Ziel ihrer Politik, eine Symbiose mit der Natur, ist für Diesseitshasser und Jenseitsfanatiker eine katastrophale Erzählung.

Sie hatten „ideale“ Ziele. Wer sich hierzulande einem Ziel nähert, der hat keine Chancen. Ziele haben, heißt, den Himmel auf Erden holen. Geht es noch irrsinniger?

Deutsche, die sich fast alle als christliche Abendländer betrachten, scheren sich nicht um die Grundlagen christlicher „Wärrte“. Das ist die korrekte Aussprache jener, die Werte für einen moralischen Irrtum halten, aber aus infantilem Gehorsam nicht loswerden können.

Sie glauben, ohne zu glauben – was sie nicht daran hindert, den göttlichen Glaubenswerten gehorsam zu bleiben.

Ja, sie glauben an ein Paradies, aber eines, das sie politisch nicht verwirklichen dürfen.

„Weil du gehorcht hast der Stimme deiner Frau und gegessen von dem Baum, von dem ich dir gebot und sprach: Du sollst nicht davon essen –, verflucht sei der Acker um deinetwillen! Mit Mühsal sollst du dich von ihm nähren dein Leben lang. Dornen und Disteln soll er dir tragen, und du sollst das Kraut auf dem Felde essen. Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du wieder zu Erde wirst, davon du genommen bist.“

Zum Paradies gehört das Verbot, dem Weib zu gehorchen. Gott – oder die Frau: kleines dummes Männlein, entscheide dich. Zum Paradies gehört ein fröhliches Pflücken vom Baum. Ohne Arbeit und Mühe. Die Sünde verwandelt die Fröhlichkeit in ein dornen- und distelbesetztes Ärgernis.

Das Weib, die Verführerin zur Sünde, soll ihre Kinder nur noch unter Mühsal gebären. Die Anfänge der perfekten Schöpfung waren plötzlich vom Bösen befleckt. Die Zukunft von Müttern und Kindern ein einziger Fluch.

Doch damit nicht genug. Heute überlegen sich die Jugendlichen, ob sie Kinder überhaupt noch kriegen dürfen. Sollten sie dennoch Kinder zeugen, werden diese das Gegenteil paradiesischer Zustände erleben.

Was heißt das alles? Die Menschheit mit religiösen Restbeständen steht immer noch unter dem Bann, die paradiesischen Verbote auf Erden zu befolgen.

Was sind die obersten Werte christlicher Weltpolitik? Keine Ziele, keine Menschenfreundlichkeit, kein Wohlbefinden, keine nachhaltigen Beziehungen zur Natur, kein lustvolles Gebären, keine Zukunft, auf die man sich freuen könnte.

Stattdessen angsterregende Perspektiven, die das Leben jedes Einzelnen von morgens bis abends vergiften.

Die Grünen hatten ein notwendiges Ziel. Wer ein solches Ziel hat, zumal ein verbotenes, hat in Deutschland keine andere Möglichkeit, als kläglich zu scheitern. Wäre es nicht sinnvoller, falsche Propheten ins Messer laufen zu lassen? Müssten falsche Versprechen nicht entlarvt und geächtet werden?

Die Ziele der Politik werden von den Medien als „Versprechen“ definiert. Wenn Versprechen sich auf utopische Ziele beziehen, haben sie keine anderen Chancen, als in Lug und Trug entlarvt zu werden.

Hier zeigen sich die Untiefen der Deutschen, die nicht verstanden haben, was demokratische Politik ist.

Kein Parteiprogramm kann eine Summe von Versprechen sein. Denn niemand ist imstande, in die Zukunft zu schauen und vorauszusagen, ob ihre Absichten erreicht werden.

Auch Medien sind mitnichten in der Lage, Prognosen abzulegen. Die wären nur möglich, wenn die Abläufe der Politik determiniert wären. Nur dann wäre es möglich, die Heilsgeschichte quantitativ zu diagnostizieren und ergo vorauszuberechnen. Nichts davon ist möglich.

Medien verwechseln Prognosen mit Prophetien: die ersten können berechnet werden, die zweiten sind göttliche Offenbarungen. Solange sie beide nicht unterscheiden können, sollten sie ihren prophetischen Klamauk unterlassen.

Journalisten sind stolz darauf, Fakten objektiv wiederzugeben – und alle subjektiven Meinungen beiseite zu lassen.

Wieder Unsinn. Fakten sind atomare Teilchen historischer Verlaufslinien. Sie sind weder statisch, noch zeitlos gültig. Wer sie in ihrer Bedeutung erfassen will, muss wissen, woher sie stammen, wie sie sich entwickelt haben und welche Perspektiven sie zeigen – die man ahnen, aber nie präzis wissen kann.

Um es paradox zu formulieren: wer nur Fakten sieht, ist faktenblind. Denn Fakten muss man in ihren zeitlichen Zusammenhängen sehen. Die Kenntnis von Vergangenheit und Gegenwart ist obligatorisch, um einen vagen Blick in die Zukunft zu werfen.

Wie ist es heute? Vergangenheit ist abgeschrieben. Selbst wenn man sie kennen würde, hätte das Wissen über sie keine Bedeutung für die Erkenntnis der Zukunft.

Hier treffen wir wieder auf ein klaftertiefes historisches Paradox. Einerseits wird Geschichte wie ein determiniertes Geschehen vorgestellt: wer die Vergangenheit kennt, erkennt auch die Gegenwart und kann vielleicht die Zukunft erahnen – aber niemals prognostizieren.

Andererseits – und darauf legt man heute großen Wert – ist Vergangenheit heute bedeutungslos. Denn es gibt kein Zeitkontinuum. Biblische Zeit ist ein Nacheinander unverbundener Augenblicke.

„»Dienet dem Augenblick«: das ist der Ausdruck für den echt biblischen Gedanken, dass wir den ewigen Willen des Gottes nirgends anders als jetzt und hier, mitten im flüchtigen Augenblick, erfüllen können. Es gibt keinen abstrakten Gehorsam gegenüber dem Willen Gottes, so wenig es einen überidealistischen Gehorsam gibt. Es gehört zu den Kennzeichen des echten biblischen Gehorsams, dass er nirgend woanders als jetzt und hier gehorchen will.“ (Hanns Lilje; Das technische Zeitalter)

Wenn Heilsgeschichte kein maschinelles Geschehen ist, wenn sie nur aus getrennten Augenblicken besteht, gibt es auch keine Faktenerkenntnis. Denn Fakten sind stets miteinander verbundene Daten, die man nur in ihrem historischen Verlauf überblicken und deuten kann.

Es gibt nur eine Möglichkeit, objektiv zu sein: seine subjektive Meinung und seine persönliche Perspektive muss man offen auf den Tisch legen. Nur dann könnten Leser sich mit der Position des Journalisten vertraut machen.

Objektivität ist keine Deutungsabstinenz, sondern eine umfassende, gedankliche und emotionale Stellungnahme zu faktengesättigten Ereignissen.

Wie kindisch, das Programm einer Partei als ein Bündel von Versprechungen zu deuten. Onkel Habeck hat uns was versprochen, mal sehen, ob er diesmal seine Versprechungen einhält.

Kein Politiker ist ein Seher der Zukunft. Er kann nur formulieren, welche Ziele er ansteuert und welche Motive ihn prägen. Alles andere muss er dem „Zufall“ der Zukunft überlassen.

Gerade in Deutschland, wo Politik zu Klumpen aus Kompromissen zusammengebacken ist, kann man nicht vorhersagen, was sich aus diesen Kompromissen entwickeln kann.

Je vager die Zukunft, je mehr muss man an sie glauben. Amerikanische Zukunftsvisionen sind umso bombastischer, je unbestimmter sie bleiben. Gazetten, die nicht ihre Meinungen sagen, bleiben Papierverschwendung.

Utopien als Visionen sind verboten. Wenn aber Fortschrittsgenies die Zukunft ihrer Teufelsmaschinen bejubeln, werden sie zu Göttern der Gegenwart ernannt.

Warum darf Politik keine utopischen Ziele anstreben? Weil es einmal ein Paradies geben durfte, darnach nie wieder. Seitdem müssen Abendländer biblischen Verboten gehorchen. Einmal Paradies, nie wieder Paradies.

Unsinn. Noch immer gibt es Paradiese, die freilich durch Klimakatastrophen immer mehr gefährdet sind. Nicht aber durch eigenes Zutun. Denn der Angriff auf die indigenen Paradiese wird vom christlichen Westen aus gesteuert. Was der Westen nicht kann, muss vernichtet werden, damit er sein Versagen unter den Teppich kehren kann.

„Die Welt von gestern wurde nicht ausgelöscht und durch die neue, moderne Welt ersetzt, sondern vieles von gestern ist uns bis heute erhalten geblieben. Das ist ein weiterer Grund, warum wir die Welt von gestern verstehen wollen. Traditionelle Gesellschaften stellen eigentlich Tausende von natürlichen Experimenten zum Aufbau einer Gesellschaft dar. Sie haben Tausende von Lösungen für die Probleme der Menschen gefunden. Manche Lösungen – beispielsweise, wie Kinder erzogen, ältere Menschen behandelt werden, gesund zu bleiben, Freizeit sinnvoll zu verbringen und Konflikte beizulegen – scheinen mir den Vorgehensweisen in der Ersten Welt überlegen zu sein.“ (Jarom Diamond, Vermächtnis)

Wenn indigene Menschen etwa in die USA kommen, „sind sie erschrocken über das Fehlen eines moralischen Kompasses in dem riesigen Kontinent. In einer so pluralistischen Gesellschaft wie Amerika gibt es kaum eine Basis, auf die man sich berufen kann, wenn man sagt, was man für richtig und falsch hält. Die meisten Amerikaner wollen so weit wie möglich nicht selbst Verantwortung übernehmen, sondern andern die Schuld zuschieben.“ (ebenda)

Ist es bei uns ein Deut anders?

Dabei geht es keineswegs um private Petitessen, es geht um große Politik, ja um die Zukunft der Menschheit.

Wenn Moral zur Steuerung der Politik ausfällt und nur noch Machtinteressen übrig bleiben, werden immer mehr Drittstaaten sich vom Westen abwenden und sich Despoten à la Putin oder totalitären Machthabern wie Chi zuwenden. Amerika wird seine führende Weltstellung verlieren, Europa in der Belanglosigkeit verschwinden.

Es ist ja kein Geheimnis mehr, dass der Dritten Welt die Politik des Westens wie eine gigantische Doppelmoral vorkommt – die sie immer weniger erträgt. Wenn die USA den Irak widerrechtlich erobert, ist alles in bester Ordnung, wenn Putin die Ukraine überfällt, ist das ein Vergehen gegen das Völkerrecht. Doch wer hierzulande die Amerikaner für ihre Doppelmoral attackiert, wird des Antiamerikanismus geziehen.

Im Namen des christlichen Erlösers eroberte das Abendland fast die ganze Welt. Wie immer leugnen die Kirchen ihre Verantwortung und werfen den handelnden Staaten vor, sich unrechtmäßig auf Äußerungen der Kirchen zu berufen.

Meisterhaft, wie Gottesmänner lügen und dementieren können, dass koloniale Untaten sich auf biblische Texte berufen könnten.

„Der Vatikan hat sich von einer Doktrin distanziert, die im Kolonialismus als Rechtfertigung für Unrecht und Verbrechen an indigenen Völkern benutzt wurde. Zentral ist in dem Dokument die Distanzierung der katholischen Kirche von der sogenannten Doktrin der Entdeckung. Katholische Kolonialherrscher sahen darin früher eine Rechtfertigung für die Verdrängung, Entrechtung sowie Enteignung von Indigenen in kolonisierten Gebieten. Die Dekrete, auf die sich die Thesen stützten, hätten „die gleichgestellte Würde und Rechte Indigener nicht richtig widergespiegelt“, hieß es. Sie seien allerdings als „politische Dokumente“ zu betrachten und zu keiner Zeit als Ausdruck des katholischen Glaubens betrachtet worden.“ (ZEIT.de)

Ach, der Glaube hat nichts mit Politik zu tun? Dann hören wir doch mal auf die Stimme des katholischen Kardinals Höffner in seinem Buch „Christentum und Menschenwürde“:

„“Roma aeterna“ war der stolze Glaube der heidnischen Antike gewesen. Das Christentum hat diesen Wert nicht vernichtet, sondern – wie so oft – nur umgeprägt. Mittelpunkt allen Denkens war nunmehr die Erlösungstat des Weltheilandes Jesus Christus. Welt aber hieß Imperium Romanum. Da lag der verführerische Gedanke nahe, auch das Imperium und seinen Kaiser dem Welterlösungswerke einzugliedern. Der oströmische Cäsaropapismus hat es auf seine Weise versucht. „Orbis christianus“ war nicht bloß zäh verteidigter Besitz, sondern religiös und politisch eine welterobernde Parole. Die Ausbreitung des Reiches Christi wurde den Kaisern und Königen mit liturgischer Feierlichkeit als heilige Pflicht auferlegt. Noch heute steht im Römischen Missale (Messbuch) die Karfreitags-Fürbitte für „unseren allerchristlichsten Kaiser, dass unser Gott und Herr alle Barbarenvölker ihm untertan mache zu unserem beständigen Frieden.“

Die Eroberungspolitik Russlands und des Abendlands im Namen des Heilands ist heute noch die oberste Devise von Ost und West. Streng genommen ist die Politik des Westens viel heuchlerischer als die Moskaus. Denn der Westen will mit demokratischen Menschenrechten aller Welt moralisch überlegen sein.

Der Westen wird nicht genesen, solange er nicht seine babylonischen Giftberge abträgt und in Natur zurückverwandelt. Deutsche Politik, völlig geschichtsvergessen, will nichts über ihre Vergangenheit wissen. Berliner Politiker sind weder historisch, noch philosophisch oder theologisch gebildet. Bildung nicht im Sinne überlegenen Wissens, sondern als selbstkritische Natur- und Menschenfreundlichkeit.

Für harte Naturwissenschaftler und knallharte Kompromissler ist Wissen über die Vergangenheit so überflüssig wie ein Kropf. Sie haben kein Ziel, keine Moral, dass sie herausfinden könnten, welchen dunklen Mächten sie untertan sind.

Die neue Berliner Koalitionsregierung plant die Rückkehr zum religiösen Unterricht als gleichwertiges Schulfach. Es wird Zeit, dass in die Stadt der Aufklärung der Geist Christi wieder Einzug hält:

„Beide Schwerter gehören der Kirche, das geistliche und das weltliche. Das weltliche soll für die Kirche, das geistliche von der Kirche gezogen werden, das eine von der Hand des Priesters, das andere von der Hand des Soldaten, aber auf Wink des Priesters und auf Befehl des Kaisers.“ (ebenda)

Fortsetzung folgt.