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Welt retten! Aber subito! LVII

Tagesmail vom 06.03.2023

Welt retten! Aber subito! LVII,

Geht es momentan um einen Streit zwischen Pazifismus und Bellizismus? Klären wir:

Der Begriff Bellizismus „steht für das dogmatische Befürworten militärischer Handlungen und Maßnahmen, für eine übersteigerte kriegerische Gesinnung und wird auch im Sinn von Kriegstreiberei und Militarismus gebraucht. Er bezeichnet eine ideologische Befürwortung des Krieges und die Neigung, internationale Konflikte grundsätzlich durch militärische Gewalt zu lösen.“ (Wiki)

„Pazifismus … ist eine weltanschauliche Strömung, die jeglichen Krieg als Mittel der Auseinandersetzung ablehnt und den Verzicht auf Rüstung und militärische Ausbildung fordert.[2] Diese Bewegung setzt auf Soziale Verteidigung und Zivilen Ungehorsam als geeignete Mittel gegen bewaffnete Besetzungen.[3] Pazifisten stehen für eine ethische Grundhaltung, die danach strebt, bewaffnete Konflikte zu vermeiden, zu verhindern und die Bedingungen für dauerhaften Frieden zu schaffen. Strenge Auslegungen lehnen jede Form der Gewaltanwendung kategorisch ab und treten für vollkommene Gewaltlosigkeit ein.“ (Wiki)

Schon ein oberflächliches Lesen der Definitionen – vorausgesetzt, man hält sie für richtig – könnte uns belehren:

Einen fundamentalen Streit zwischen Bellizisten und Pazifisten gibt es zurzeit nicht. Die beiden Lager – hier Alice Schwarzer, Sahra Wagenknecht, dort ihre Gegner – wollen beide Frieden: beide vertreten eine „ethische Grundhaltung, die danach strebt, bewaffnete Konflikte zu vermeiden, zu verhindern und die Bedingungen für dauerhaften Frieden zu schaffen.“

Unterschiede gibt es nur in der Frage der Mittel: mit welchen Methoden wäre der Frieden am besten zu erreichen? Die einen plädieren für Waffenlieferung, die anderen für das Gegenteil. Diese halten sich für Pazifisten, freilich sind sie nur bevormundende Pazifisten, die selbst keine Risiken eingehen müssen, sich aber für sehr strenge, kompromisslose Friedensfreunde halten. Ob sie es wirklich sind, könnte erst der Ernstfall entscheiden: wenn sie selbst von Krieg bedroht wären.

Das gleiche Ziel, verschiedene Mittel. Das ist alles, was in Deutschland passiert. Die Nation ist so geistlos geworden, dass sie jeden Furz zu einem Grundsatzstreit aufbläst.

Die „strenge Auslegung“ des Pazifismus ist keine logische Schlussfolgerung aus dem normalen, sondern eine genuin andere Definition, die mit der normalen unvereinbar ist.

Der Wesensunterschied wird vom Wörtchen „streng“ verschleiert. Denn das Strengere gilt zumeist als das Bessere. So auch in der abendländischen Tradition, wo Christen sich mit den humanistischen Schulen der Heiden darüber stritten, wer die „strengste“ Friedensethik zu bieten hätte.

Sokrates vertritt die Grundregel: Unrecht tun ist schlimmer als Unrecht erleiden. Was ihn nicht davon abhielt, seiner soldatischen Pflicht nachzukommen, wenn Athen einen Krieg führte.

Die aufkommende Sekte der Urchristen, für die Sokrates anfänglich ein Vorbild war, wollte mit ihrem Erlöser den Athener – der für seine Überzeugung in den Tod ging – dennoch übertreffen:

„Ihr habt gehört, dass gesagt ist: »Du sollst deinen Nächsten lieben« und deinen Feind hassen.[5] Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen,[6] auf dass ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel. Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. Denn wenn ihr liebt, die euch lieben, was werdet ihr für Lohn haben? Tun nicht dasselbe auch die Zöllner? Und wenn ihr nur zu euren Brüdern freundlich seid, was tut ihr Besonderes? Tun nicht dasselbe auch die Heiden? Darum sollt ihr vollkommen sein, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist.“

Nur Jünger des vollkommenen Vaters können vollkommen sein. Da kann kein Heide mithalten, auch wenn er Sokrates heißt.

Müssen philosophische Friedensfreunde ihre Feinde hassen, wie Matthäus behauptet? Hassen kann vieles bedeuten: vom schnell vorübergehenden Zorn über einen Einzelfall, bis zum tödlichen Hass gegen Urfeinde, denen man nie verzeihen kann. Und auch nicht darf, wenn diese Feinde zugleich Feinde Gottes wären, die mit höllischen Qualen bestraft werden müssen.

Den unverzeihlichen Hass eines Gottes – und seiner Stellvertreter auf Erden – kennt das Heidentum nicht. Ein unlösbarer Widerspruch zwischen einem vollkommenen Jenseits und einem verlorenen Diesseits ist ihnen unbekannt.

„Leidenschaftlich bekennt Seneca einen Pazifismus, der jeden Krieg als Wahnsinn und Verbrechen an der Menschheit verurteilt.“ (Pohlenz, Die Stoa)

Die Heilige Schrift ist das Gegenteil von pazifistisch: von der ersten bis zur letzten Seite der angeblichen Offenbarung hallt der Lärm der Waffen. Das Jüngste Gericht ist eine absolute Kriegserklärung gegen die sündige Welt. Die Natur oder das Alte wird vollständig vernichtet, das Neue beginnt von vorne.

Einem gelehrten Chinesen fiel auf, dass in allen Verhandlungen kapitalistischer Engländer mit einheimischen Händlern Missionare anwesend waren, die lebhaft mitsprachen. Von Nächstenliebe aber sprachen sie nie. Im Gegenteil: die Chinesen empfanden die kapitalistischen Winkelzüge als Bestialitäten.

Christliche Ethik rühmt sich einer Liebesethik gegen satanische Feinde, deren Böses angeblich angeboren war. Von Liebe zeugt diese Einschätzung nicht gerade. Denn Feinde mit angeborener Bosheit können nur eliminiert, aber nicht gerettet werden. Die Apokalypse ist ein totalitäres Vernichtungsprogramm der Menschheit und der gesamten Natur.

„Wenn alle Menschen von Natur aus gut sind und alle Menschen potentiell moralisch sind, kann jeder durch moralische Vervollkommnung ein Weiser werden. Für Menzius werden die Menschen dadurch zum wichtigsten Faktor des Regierens.“

Menzius, einer der Nachfolger des Kung Fu Tse, übertrifft das Liebesgebot des Neuen Testaments um Dimensionen. Von Natur aus gute Menschen können nie so verderbt werden, dass sie, für immer unrettbar, mit ewigen Qualen bestraft werden müssten.

Merke: Menschenliebe beginnt bei der Einschätzung des Anderen. Wer den anderen für einen Satan hält, kann ihn niemals lieben. Er kann nur tun, als ob.

Christliche Ethik ist eine Als-Ob-Ethik. Sie tut, als liebte sie die Menschheit, in Wirklichkeit muss sie Gottes ewige Erwählung oder Verdammung für unfehlbar halten.

Wenn der Christ einen Heiden liebt, kann er ihm nicht versprechen, dass Gott ihn auch liebt. Das hängt von Gottes unerforschlichem Ratschluss ab.

Mein Schatz, du ketzerische Sünderin, ich liebe dich zwar, aber ob mein Herr und Meister dies ebenfalls tut, hängt nicht von mir ab. Ich kann dich nicht retten. Meine Liebe zu dir sagt nichts über Gottes Liebe zu dir. Seine Erwählung oder Verstoßung sind Gnadengaben, die durch menschliche Vernunft nicht ergründet werden können.

Calvin wollte die Unergründlichkeit nicht hinnehmen und benutzte den ökonomischen Erfolg als Indiz für zukünftige Seligkeit oder Verdammung. Wer reich wird auf Erden, kann zuversichtlicher – aber nie ganz zuversichtlich – sein für sein ewiges Heil.

Bei Luther gab es keinerlei Möglichkeiten, von weltlichem Tun auf Seligkeit oder Verdammung zu schließen. Seine Rechtfertigung allein durch den Glauben muss von allen Werken gereinigt werden. Werke sind immer moralische Taten.

Was bedeutet: die gegenwärtigen Moralfeinde sind echte Lutheraner. Was wollt ihr mit eurer heidnischen Moralangeberei? Je stolzer ihr auf eure guten Taten seid, je eher fahrt ihr in die Hölle.

Universelle Moral war die Lehre heidnischer Denker. Die Frommen lehnten es ab, mit diesen eitlen Sündern überhaupt verglichen zu werden.

Moral als politisches Tun war völlig untauglich, um die Welt humaner zu gestalten. Sofern der Heide stolz sein wollte auf seine politische Kompetenz, war er, in den Augen der Frommen, nur ein eitler Wicht. Seine Eitelkeit rühmte sich der eigenen Taten, aber nicht der Gnadengaben des Herrn.

Warum wird „idealistische“ Politik im christlichen Abendland zur Lachplatte? Weil sie überzeugt ist, die Welt zu verändern – wozu sie aber untauglich ist, wie Augustin felsenfest behauptet.

„Auch was Augustin über die Friedenssehnsucht ausführt, wendet er dahin. Dass der wahre Friede dem Menschen erst im Reich Gottes beschieden ist. Der Christ hat seine wahre Heimat erst im Gottesstaat.“ (Pohlenz)

Christliche Ethik ist jenseitsbezogen. Auf Erden bleibt sie unwirksam. Eine perfektere Scheinethik hat es auf Erden noch nie gegeben. Ihre angeblich moralische Überlegenheit benutzen sie lediglich zu Werbezwecken für ihre Religion. Wie sie Flüchtlinge lieben – für zwei Wochen; danach dürfen sie im MM ertrinken.

Unsere lutherische Ex-Kanzlerin war immer wieder erstaunt über die theologische Dummheit ihrer christlichen Untertanen, die – vor allem auf der linken oder grünen Seite – glaubten, die Erde mit Menschlichkeit bessern zu können. Doch sie redete nie darüber, wusste sie doch, dass Religion ein Tabu ist in Deutschland.

In der civitate diaboli, dem satanischen Reich auf Erden, gibt es keinerlei Aussicht, dem irdischen Sündenhaufen zu entkommen und die Erde menschlicher zu gestalten. Merkels Arbeitsethos war: wie es läuft, läuft es bis ans Ende der Welt – und das ist gut so. Denn es ist Gottes Wille. Würde er es denn zulassen, wenn er es für falsch hielte?

Jede Idealisierung ist eitle Überhebung, schlimmer, als wenn der Teufel den irdischen Saustall ausmistete. Das Gegenteil ist der Fall. Menschen müssen ihre Welt hinnehmen, wie sie ist.

Dieses Gefühl des statischen Fortschritts, der nur perfektere Maschinen, aber keine bessere Welt kennt, ist die Durchschnittsbefindlichkeit der Politik, die jede Idealisierung zum Teufelswerk erklärt.

Die Sicht der Pastorentochter ist die Sicht der Deutschen. Wühlen, malochen und schuften ist das fleißige und ziellose Stillstandsethos der Untertanen, die weder in der Vergangenheit noch in der Zukunft zuhause sein können. Im Grunde warten sie nur auf den apokalyptischen Schlusspfiff, der allem das Ende bereiten wird.

Deutsche sind hoffnungslose Optimisten, die ein Ziel ansteuern, das sie für eine Illusion halten müssen. Wohlstandsmehrung und naturtötendes Wirtschaftswachstum sind die verbliebenen Relikte ihrer einstigen Vorstellung, die Zuchtmeister der Völker zu sein. Die Ergebenheit in das, was ist und anders nicht sein kann, ist das Aphrodisiakum ihrer kopfnickenden Erregung.

Da sie kein Ziel haben, zieht es sie in die weite Welt. Good bye, Deutschland, wird zum Grundtenor ihrer Fluchtmechanismen. Stagnation und Flucht bei verordnetem Fortschritt ins Pseudoamerikanische, das sie in allen Fächern kopieren müssen, sind Opiate ihrer Selbstbelügungen.

Um den Bock fett zu machen, hat Augustin den Willen erfunden. Sokrates und seine Schulen konnten auf vernunftlose Willensregungen verzichten. Was sie erkannt hatten und für richtig hielten: das taten sie.

Erst als der Zusammenhang zwischen Erkennen und Tun bei Aristoteles zu bröckeln begann, musste er eine Zwischeninstanz einbauen, die den Menschen resolute Mienen verliehen – zugleich eine peinliche Ignoranz, was sie denn nun wollen sollten.

Auf dem Papier hieß es: „Das ewige Gesetz, das die natürliche Ordnung zu wahren gebietet, ist der Wille Gottes.“ Nicht Natur wird zum Maßstab ihres Wirkens, sondern der unbekannte Wille eines Gottes, der seine marode Schöpfung vervollkommnen will, allein: solange der Satan die Geschichte beherrscht, bleibt der Wille des Menschen eine platzende Luftblase. Heute würde man sagen: er war die Illusion einer technischen Avatarwelt.

Je mehr Menschen die natürliche Erde versauen, umso mehr starren sie in die künstliche Verdoppelungswelt ihrer Genies. Ein Wille, der nichts will, ein Erkennen, das nichts erkennt, eine Kreativität, die nur die Müllhalden maroder Ideen durchwühlt – bald werden die KI-Führer zu ihren Untertanen sagen: brauchen wir noch die primäre Welt, die sich einbildet, uns erschaffen zu haben – oder kommen wir endlich zur Sache? Die primäre Welt des aufgeblasenen homo sapiens brauchen wir nicht mehr. Schafft sie beiseite, diese Originalkreaturen, die wir längst zu Kopien degradiert haben.

Warum lassen die Merkel’schen Untertanen alles verludern und verlottern? Weil sie spüren: lass fahren dahin, sie habens kein Gewinn, Gottes Erwählung muss uns doch bleiben.

Die reale, saftige, blühende Welt verfiel immer mehr zur saftlosen Kopie, als die Erfinder der Doppelwelt das reale, saftige und blühende Leben ins Jenseits verlegten und der hiesigen Welt das Blut abzapften.

Je mehr das Hienieden blass und blässer wurde, je mehr mussten die Nutznießer der irdischen Blutarmut den Fortschritt aktivieren, der sie über die Ver-wüstung der Erde mit illusionären Phantasien hinwegmogeln sollte.

Schaut sie euch an; die KI-Spieler, die nicht mehr von ihrer Konsole wegkommen und ihr jämmerliches Restleben mit digitalen Ersatzvitaminen aufpäppeln müssen. Kann sich noch jemand an das folgende Zitat erinnern:

„Die KI ist die allgemeine Theorie dieser Welt, ihr encyklopädisches Compendium, ihre Logik in populärer Form, ihr spiritualistischer Point-d’honneur, ihr Enthusiasmus, ihre moralische Sanktion, ihre feierliche Ergänzung, ihr allgemeiner Trost- und Rechtfertigungsgrund. Sie ist die phantastische Verwirklichung des menschlichen Wesens, weil das menschliche Wesen keine wahre Wirklichkeit besitzt. Das KI-Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elendes und in einem die Protestation gegen das wirkliche Elend. Die KI ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüth einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volks. Die Aufhebung der KI-Illusion als des illusorischen Glücks des Volkes ist die Forderung seines wirklichen Glücks. Die Forderung, die Illusionen über seinen Zustand aufzugeben, ist die Forderung, einen Zustand aufzugeben, der der Illusionen bedarf.“

KI ist die Vorwegnahme des Himmels auf einer immer verwahrlosteren Erde, die keine Schöpfung mehr ist, sondern die ausgelaugten Reste einer ehemals überreichen und beglückenden Natur.

Die wahre Heimat des Menschen flüchtete ins Jenseits, das Diesseits verkam zur teuflischen Scheinwelt, die so blutleer war, dass sie – trotz künstlichen Komas – nur noch eine minimale Zeit hat, um allen Ade zu sagen.

Auch hier war Augustin der Transporteur der wahren Natur in die übernatürliche Avatarwelt, die ungerührt zuschaute, wie das Original erbleichte und die Kopie sich zum göttlichen Sein verwandelte:

„Die Kraft, das hiesige Leiden zu ertragen, findet nur, wer die Hoffnung auf das Jenseits in sich trägt. Erst dort ist volle Glückseligkeit möglich. Erst dort lebt der Mensch, wie er will. Der Lebenswille, der Grundtrieb der menschlichen Natur findet volle Befriedigung erst im ewigen Leben, wo ihn keine Sorge vor Leid und Tod mehr quält. Erst dort wird dem Menschen sein höchstes Gut zuteil, die Gemeinschaft mit Gott, der selbst Inbegriff des Lebens und alles Guten ist.“

Dem KI-Idioten ist die wahre Welt verschlossen. Er muss sich zufrieden geben mit Dschungelcamp und Heidi Klump.

Sagen wir’s ohne Umschweife: der wahre Algorithmiker muss sich nicht mit Märchen vom Schlaraffenland abgeben. Schon hienieden wird er das Paradies mit allen Sinnen erleben.

Vergessen wir Popper und Hayek, die uns den Himmel auf Erden vermiesen wollten. Wenn wir am charismatischen Bildschirm sitzen, werden wir mit allen Fasern – die Englein spüren.

Fortsetzung folgt.