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Welt retten! Aber subito! LIX

Tagesmail vom 13.03.2023

Welt retten! Aber subito! LIX,

„1. Die Jäger verkünden:
Jedes (menschliche) Leben ist wertvoll. Zwar kann ein Leben vor dem anderen entstehen,
aber dieses Leben ist deswegen nicht „älter“, nicht wertvoller als das nachfolgende.
Kein Leben steht höher als ein anderes.

2. Die Jäger verkünden:
Jedes Leben ist wertvoll. Deshalb darf kein Leben verletzt werden.
Daraus folgt: Niemand soll sich über seinen Nächsten stellen.
Niemand soll seinem Nächsten Unrecht tun. Niemand soll seinesgleichen Gewalt antun.

3. Die Jäger verkünden:
Jeder soll sich um seinen Nächsten kümmern. Jeder soll seine Eltern achten.
Jeder soll seine Kinder richtig erziehen. Jeder soll für seine Familie sorgen.

4. Die Jäger verkünden:
Jeder soll seinem Vaterland dienen. Das Vaterland, Faso, sind vor allem die Menschen.
Denn ein Land, das von seinen Bewohnern verlassen wird, ist voller Trauer.

5. Die Jäger verkünden:
Der Hunger ist ein Übel. Die Sklaverei ist ein Übel. Auf Erden sind dies die größten Plagen.
Doch so lange wir mit Köcher und Bogen bereit stehen,
wird niemand in Mandén diesen Plagen mehr zum Opfer fallen.
Keine Hungersnot wird das Dorf mehr heimsuchen,
Kein Krieg es mehr zerstören und die Menschen versklaven. Niemand soll mehr geschlagen
und niemand mehr getötet werden. Denn es wird keine Sklaven mehr geben.

6. Die Jäger verkünden:
Die Sklaverei sei von diesem Tage an nicht mehr –
Und ihre Schreckensherrschaft im ganzen Reich Mandén beendet.
Welche Qualen wir erdulden mussten!
Wie der unterdrückte Mensch leidet, wenn er keine Hoffnung hat!
Ein Sklave findet keine Zuflucht, Nirgends in der Welt.

7. Unsere Ahnen lehren uns:
„Der Mensch besteht aus Fleisch und Blut, Aus Mark und Bein, Aus Haut und Haar.
Und diesen Körper nährt er mit Speise und Trank.
Aber sein Herz, sein Geist nährt sich von drei Dingen:
Zu sehen, was er sehen will; Zu sagen, was er sagen will; Zu tun, was er tun will.
Wenn dem menschlichen Herz nur eines dieser drei Dinge versagt bleibt,
nimmt es Schaden und vergeht alsbald.“

Deswegen verkünden die Jäger:
Jeder ist fortan sein eigener Herr. Jeder ist frei. Jeder soll die Früchte seiner Arbeit ernten.
Dies ist der Eid von Mandén, Und hören soll ihn die ganze Welt.“

„Die Manden Charta. Menschenrechte sind also keineswegs nur europäischer Export der Kolonialmächte nach Afrika, denn die Afrikanischen Staaten können sich auf eine eigene Menschenrechtskultur berufen. Die Charter of Manden soll schon 1222 mündlich (als Oath, also Eid, Schwur, …) proklamiert worden sein. Freilich ist die mündliche Überlieferung auch ein Grund, das Entstehungsdatum in Zweifel zu ziehen. Jedenfalls soll ein König namens Soundiata Keita aus Mali die Charta und den Eid von Mandén, die mittlerweile zum Unesco-Weltkulturerbe gehören, veranlasst haben.“ (Die-Manden-Charta)

Ist das alles, was Afrika zu bieten hat? Und damit wollen sie die UNO-Charta in den Schatten stellen?

Nein, nicht alles:

„Ubuntu … bezeichnet eine Lebensphilosophie, die im alltäglichen Leben aus afrikanischen Überlieferungen heraus vor allem im südlichen Afrika praktiziert wird. Das Wort Ubuntu kommt aus den Bantusprachen der Zulu und der Xhosa und bedeutet in etwa „Menschlichkeit“, „Nächstenliebe“ und „Gemeinsinn“ sowie die Erfahrung und das Bewusstsein, dass man selbst Teil eines Ganzen ist. Damit wird eine Grundhaltung bezeichnet, die sich vor allem auf wechselseitigen Respekt und Anerkennung, Achtung der Menschenwürde und das Bestreben nach einer harmonischen und friedlichen Gesellschaft stützt, aber auch auf den Glauben an ein »universelles Band des Teilens, das alles Menschliche verbindet.«“ (Wiki)

Mit solchen Menschenrechtsflunkereien gibt sich der Westen nicht mehr ab. Seit Putins Rettung der Welt durch Eroberung oder Vernichtung der Ukraine hat es von Washington bis Berlin ein Umdenken gegeben.

Die Welt hat es nicht länger verdient, mit sittlich-korrekten Samthandschuhen verzärtelt zu werden. Habe doch die UNO-Charta eine Kleinigkeit übersehen: Politik und Moral sind unverträglich:

„Staaten haben keine Moral, sondern Interessen. Die Moral ist, vereinfacht gesagt, eine kommunikative Währung, in welcher diese Interessen ans Volk gebracht werden. Die vielhundertfache Wiederholung der immer gleichen Empörungsformeln führt nicht zur Schärfung der Maßstäbe, sondern zum Überdruss. Wer die einzig zulässige Wahrheit siebenmal am Tag vom Turm ruft, hat schon halb verloren.“ (SPIEGEL.de)

Mit Moral seifen die Staaten nur ihre Untertanen ein, um ihre machiavellistischen Untaten zu verdecken. Soll das heißen, die Untertanen – einst mündige Demokraten – lassen sich nach Belieben einseifen? Lernten sie in der Schule nicht, die Würde des Menschen sei unantastbar? Jeder Demokrat habe sich aufrecht gegen Inhumanitäten zu wehren?

Freilich, endlich wissen wir, wer die Schuldigen am amoralischen Zustand der Welt sind. Es sind nicht die, die schuldig sind, sondern diejenigen, die mit ihrem Finger auf die Schuldigen verweisen. Ein Racheakt der moralisch Aufgeblasenen an den ehrlichen Brutalinskis, die die Übel der Welt leider mit Gewalt ausmisten müssen.

Staaten haben keine Moral? Was hat denn Staat mit Volksherrschaft zu tun?

„Wo Menschen zusammenleben, geraten deren Interessen oft in einen Konflikt miteinander. In größeren Gemeinschaften entsteht dann „in dem Gefüge widerstreitender Interessenten- und Mächtegruppen […] das Bedürfnis nach einer regulierenden Instanz, die den partikulären gesellschaftlichen Kräften mit überlegener Entscheidungsmacht gegenübertritt“. Solch eine „staatliche“ Instanz hat nicht nur durch eine formale Kanalisierung und Ordnung der Interessenbefriedigung ein friedliches Zusammenleben zu gewährleisten, sondern auch für einen gerechten Ausgleich der widerstreitenden Bedürfnisse zu sorgen. Für Niccolò Machiavelli (1469–1527) waren alle menschlichen Gewalten, die Macht über Menschen haben, Staat“ (Wiki)

Staat hat Macht über die Menschen. Seit Machiavelli zum deutschen Staatsdenker Nr. 1 avancierte, also spätestens seit Hegel, ist Staat die Garantie des Himmels, dass die Dinge laufen, wie sie laufen sollen.

Es ist „der Gang Gottes, dass der Staat sei“ (Hegel). Der Staat hat in letzter Instanz dafür zu sorgen, dass der Wille Gottes auf Erden geschehe. Der Staat ist der eiserne Besen Gottes, mit der er die Sündenwüste auf Erden säubern muss. Interessen des Obrigkeitsstaates sind göttliche Säuberungsakte.

Kommen wir zu den Interessen: „Unter Interesse versteht man weiterhin ein Ziel oder einen Vorteil, den sich eine Person oder Personengruppe aus einer Sache verspricht oder erhofft. So verfolgen etwa Interessengruppen eigene Ziele, oft wirtschaftlicher Art.“ (Wiki)

Interessen gieren nach Vorteilen über andere, wozu auch die Macht gehört, diese Vorteile zu verteidigen.

Was hat ein Staat, was haben Interessen mit Demokratie zu tun? Hatte die Erfindung der Demokratie nicht die Absicht, staatliche Gewalt und Vorteilsinteressen dem Willen des Volkes zu unterstellen?

„(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. (2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.“ (Artikel 20 GG)

Alle staatliche Gewalt wurde dem Volk übergeben, wozu auch politische Interessen gehörten. Nach welchen Kriterien diese Gewalten gehandhabt wurden, darüber entschied die öffentliche Auseinandersetzung des Volkes. Jedes Mitglied der Volksversammlung gab seine Meinung als seine persönliche Willensentscheidung ab.

Der Wille des Einzelnen war Ausdruck seiner Moral. Welchen politischen Interessen er zustimmte, darüber entschied die bewusste oder unbewusste Stimme seiner Moral. Alles ist Moral, was über Gesinnungen oder Taten entscheidet.

Die beste Moral entstammt der Stimme der Vernunft, die die Gefühlswallungen des Einzelnen bewusst macht, durcharbeitet, ordnet und logisch durchdenkt, sodass sie sich in Streitgesprächen rechtfertigen kann.

Keine Volksherrschaft ist überlebensfähig, die die Kunst des Argumentierens nicht beherrscht. Nur wenn Vernunft mit Vernunft sich verständigen kann, kann aus zufälligem Meinungswirrwarr eine selbstbewusste und klare Politik werden, die weiß, was sie will und diesem Willen gradlinig folgt.

Die UNO-Charta war das Ergebnis des Willens vieler Völker, nach schrecklichen Weltkriegen die Erdpolitik in friedliche Bahnen zu lenken. Die Völker waren so ermüdet, ausgelaugt und erschöpft, dass sie sich nur noch nach Frieden sehnten. Ein Riesenerfolg der erwachenden Vernunft, dass die Charta von der Mehrheit akzeptiert wurde.

Der humane Rausch bestand alle Gefahren des Kalten Krieges, eines möglichen Atomschlags, sodass Gorbatschow den Kalten Krieg beenden, die deutsche Einheit zulassen und von einer gesamteuropäischen Wirtschaftsgemeinschaft von Lissabon bis Wladiwostok träumen konnte. Alles schien möglich.

Doch das war bereits der Höhepunkt. Danach ging’s bergab.

Der Umschlag begann in den USA, wo sich die Religion wieder zu regen begann, die Ressentiments der Frommen gegen UNO und andere internationale Institutionen stärker wurden. Die Europäer hingegen genossen den Frieden und hielten ihn für ein Gesetz der Geschichte, das niemand mehr stoppen könnte.

Da sie – unter dem Schutz Amerikas – Frieden für einen unüberwindbaren Prozess hielten, wurden die Europäer leichtsinnig und ließen ihre Armeen verrotten.

Was geschah in den USA? Ein Kenner urteilte nachträglich:

„Amerikaner sind Idealisten. In manchen Angelegenheiten vielleicht sogar größere Idealisten als die Europäer. Aber sie haben keinerlei Erfahrung darin, Ideale ohne Anwendung von Macht zu verwirklichen. Ganz gewiss haben sie keine Erfahrung mit erfolgreicher supranationaler Politikgestaltung, und kaum Erfahrungen, die sie veranlassen könnten, an das Völkerrecht und internationale Institutionen zu glauben. Als gute Kinder der Aufklärung glaubten die Amerikaner zwar noch immer an die Vervollkommnung des Menschen, und sie hegen auch noch gewisse Hoffnungen, dass sich die Welt vervollkommnen lasse.“ (Robert Kagan, Macht und Ohnmacht)

Diese Analyse ist in wichtigen Punkten falsch. Amerika ist ein Land der Aufklärung – und der religiösen Gegenaufklärung. Aufklärer glauben an die Vernunft des Menschen, Gläubige verwerfen sie als Produkt der Sünde.

Amerikas Entwicklung folgte einem Schaukelprinzip. Einmal dominierten die Vernünftler, dann wieder die Sündenfanatiker. In der humanen Nachkriegszeit dominierten die Ideale der Vernunft, doch ab der Jahrtausendwende holten die Erlösergläubigen mächtig auf.

Trump war ein Vertreter des Sündig-Teuflischen in der Welt, das von ihm, dem Gläubigen, mühelos gelenkt werden konnte. Biden ist katholisch, folgt aber in hohem Maß dem Kurs der Vernunft. Das Schicksal der Welt in den nächsten Jahren wird davon abhängen, ob Trump oder Biden an die Macht kommen werden (bzw. ähnlich denkende Rivalen).

Annika Brokschmidt beschreibt die Entwicklung von Gods own land in eindringlichen Worten:

„Schon die Puritaner in Neuengland sahen sich als die neuen Israeliten, Gottes neues, auserwähltes Volk. Der indigenen Bevölkerung des Landes wiesen sie die Rolle der (ungläubigen) Kanaaniter zu. So rechtfertigten sie ihre kolonialen Eroberungskriege als Beginn der biblischen apokalyptischen Eröffnungsschlacht. Es wird nie Frieden auf der Welt geben, bis Gottes Haus und Gottes Volk ihren rechtmäßigen Platz an der Spitze der Welt eingenommen haben. Es geht darum, eine neue Generation von gottesfürchtigen Amerikanerinnen und Amerikanern heranzuziehen, die das biblische Recht und die göttliche Gesellschaftsordnung wiederherstellen werden.“ (Amerikas Gotteskrieger)

Dabbelju Bushs Feldzug gegen die böse Macht Irak war nur ein apokalyptischer Krieg unter anderen, die unvermeidbar sind.

„Es geht darum, eine neue Generation von gottesfürchtigen Amerikanerinnen und Amerikanern heranzuziehen, die das biblische Recht und die göttliche Gesellschaftsordnung wiederherstellen werden.“

Die religiösen Gründe des wachsenden Militarismus Amerikas werden in Europa – das sich für aufgeklärt hält – nicht zur Kenntnis genommen. Noch immer agieren die Deutschen wie vertrauensselige Kinder, die ihren Eltern blind vertrauen. Diese Vertrauensseligkeit verbietet ihnen jede Kritik an ihren Wohltätern.

Das macht sie unfähig, russisch-amerikanische Ähnlichkeiten wahrzunehmen. Beide Mächte gehorchen einem christlichen Geschichtsverständnis: das Jüngste Gericht steht uns bevor. Und wer nicht rechtzeitig seine Gegner aus dem Ring wirft, kann die finale Siegestrophäe nicht erringen.

Auch Putin glaubt an das Nahen des Endes. Als er sah, dass der Westen ihn zu ignorieren begann und seinen anfänglich guten Willen gering schätzten, schmiedete er den raffinierten Plan der Rückeroberung früherer Sowjetstaaten.

Ist eine Kritik an Amerika eine Entschuldigung Putins? Nein. Es ist wie bei der psychischen Beurteilung eines jugendlichen Kriminellen. Wohl muss die neurotische Erziehung seiner Eltern kritisch berücksichtigt werden, dennoch kann das nur eine partielle Entschuldigung sein.

Letzten Endes hat sich der Jugendliche für seine konkrete Untat selbst entschieden – und muss dafür selbst zur Rechenschaft gezogen werden. Die Schuld seiner Eltern prägte zwar seine desaströse Entwicklung, dennoch hatte er noch immer einen freien, wenn auch beschädigten Willen, mit dem er sich zur Tat verleiten ließ.

Gegen Ost und West verhält sich Deutschland wie ein Kind, das seine großen Freunde kritiklos bewundert. Die Schröder-Merkel-Fraktion glaubte, die wankelmütigen Russen mühelos ins rechte Lager verlocken zu können, ihre Pipelines hielten sie absurderweise für apolitisch. Das war eine Politik à la Hans guck in die Luft.

Putins Antagonisten Trump hielten sie für einen unerklärlichen, völlig unamerikanischen Zwischenfall der Geschichte. Dass dieser genauso in der Tradition des Manifest Destiny agierte wie Putin in der russischen Version der eschatologischen Heilsgeschichte, ist religiösen Blindgängern nicht zu erklären.

Wo stehen wir? Ost und West stehen in der gleichen Tradition der zu Ende gehenden Heilsgeschichte. Wer wird als Sieger ankommen?

Auch China ist seiner wunderbaren, lang anhaltenden philosophischen Friedenszeit untreu geworden. Mao hatte sich dem christlichen Endzeitdenken – wenn auch in marxistisch-materialistischer Version – unterworfen. Seitdem ist das Riesenreich beherrscht von einem totalitären Fortschritts-Kapitalismus.

Die wichtigsten und mächtigsten Staaten der Welt haben jeder humanistischen Friedens- und Verständigungspolitik abgesagt. Sie müssten ihrem gnadenlosen Wettbewerb um wirtschaftliche und technische Überlegenheit absagen. Nur indigene Völker halten an ihrem Kurs einer geschwisterlichen Verbundenheit mit der Natur fest:

„Jedes Leben ist wertvoll. Jeder soll sich um seinen Nächsten kümmern. Ubuntu bezeichnet eine Grundhaltung, die sich auf die Achtung der Menschenwürde bezieht.“

Somit ist klar: nicht die vor ökonomischer Macht und wissenschaftlichem Fortschritt strotzenden Weltmächte haben die geringste Vorstellung, wie wir aus dem suizidalen Wettrennen um Grandiosität herauskommen können.

Die „unterentwickelten“ Völker einer vorindustriellen Empathie mit der Natur sind es allein, die uns das Überleben auf Erden lehren könnten.

Längst ist die Welt des Fortschritts zur Welt des Verderbens verkommen.

Fortsetzung folgt.