Kategorien
Tagesmail

Völker der Welt

Hello, Völker der Welt,

„schaut auf Berlin. Schaut auf diese Stadt und erkennt, dass ihr diese Stadt und dieses Volk nicht preisgeben dürft und nicht preisgeben könnt! Es gibt nur eine Möglichkeit für uns alle: gemeinsam so lange zusammenzustehen, bis dieser Kampf gewonnen, bis dieser Kampf endlich durch den Sieg über die Feinde, durch den Sieg über die Macht der Finsternis besiegelt ist.“

Und Volk von Deutschland, deutsches Volk der Reichen und Satten, „sei dessen gewiss, diesen Kampf, den wollen, diesen Kampf, den werden wir gewinnen!“ (Aus einer Rede Ernst Reuters, des ersten Nachkriegsbürgermeisters von Berlin)

Die Völker der Welt haben einer Mördernation beigestanden, in die Reihe der humanen Nationen zurückzukehren. Stehen die Deutschen anderen Völkern bei, ihren Kampf gegen Hunger, Klimaerhitzung und Despoten zu bestehen? Stehen die Deutschen sich selbst bei, ihre eigene Demokratie zu retten – um allen Kämpfern in der Welt, die sich für Freiheit und menschenwürdiges Leben einsetzen, ein authentisches Vorbild zu sein?

Welche Feinde hatte Berlin 1948? Gegen welche Macht der Finsternis ruft in biblischem Ton der aus türkischem Exil zurückgekehrte Bürgermeister auf? Gegen dieselben wie heute – gegen den Feind aus dem Osten.

So endet die Weltepoche der Vorbildlichkeit nach unermesslichen Gräueln zweier Weltkriege. So schließt sich der Kreis. So wiederholen sich verhängnisvolle Gesetze, die nicht durch Einsicht gebrochen und aus dem Verkehr gezogen wurden.

Deutschland und der Westen: sie haben das Böse wieder, das sie zur Stabilisierung ihres mangelnden Selbstbewusstseins so benötigen, wie

Gott den Teufel, um sein mangelndes Selbstbewusstsein durch einen Sieg am Ende aller Tage zu glorifizieren. Sie können nicht vorbildlich und gut sein, ohne den Rest der Welt zu Bösen zu machen, die sie zur Hölle schicken dürfen.

Welchen Kampf sollen die Völker der Welt gewinnen? Das „standhafte und unzerstörbare Einstehen für die gemeinsamen Ideale, die allein unsere Zukunft und die auch allein eure Zukunft sichern können.“

Haben die Völker der Welt heute gemeinsame Ideale?

In der verflossenen Epoche der Vorbildlichkeit schien es, als hätten die Völker sich auf gemeinsame „Ideale“ geeinigt. Es waren die „Ideale“ der Menschenrechte, niedergelegt in der Menschenrechtscharta der UN.

Wie ist der heutige Stand der Dinge?

Die westlichen Demokratien unterlassen nichts, um die „Ideale“ der Menschenrechte zu zertreten, die Vernunft, den Kern der Demokratie, für dumm und wirkungslos zu erklären, mit einer Diktatur zu kokettieren, die in der Lage sein soll, die unlösbaren Probleme einer Pöbelherrschaft aus dem Effeff zu kurieren.

Der „gewaltfreie Diskurs“, das rationale Auseinandersetzen auf dem Marktplatz wird verhöhnt, bevor überhaupt versucht wurde, dem Pöbel mit vernünftigen Argumenten zu widerstehen. Waren Merkel & Konsorten auf Dresdner Straßen und Plätzen, um mit ihren räudigen Untertanen zu streiten?

Sind Menschenrechte Ideale? Politische Tugenden? Moralische Normen? Christliche Grundwerte?

Sofern Ideale moralische und politische Normen sind, die nicht leicht zu realisieren, aber in mühsamen Prozessen gelernt werden können und angestrebt werden sollen, dann sind sie Ideale.

Beim Begriff Ideal darf der Königsberger nicht fehlen: „So wie die Idee die Regel gibt, so dient das Ideal zum Urbilde der durchgängigen Bestimmung des Nachbildes und wir haben kein anderes Richtmaß unserer Handlungen, als das Verhalten dieses göttlichen Menschen in uns, womit wir uns vergleichen, beurteilen, und dadurch uns bessern, obgleich wir es niemals erreichen können. Ideale sind nicht für Hirngespinste anzusehen, sondern geben ein unentbehrliches Richtmaß der Vernunft ab, um danach den Grad und die Mängel des Unvollständigen zu schätzen und abzumessen.“

Kant, du Verstandes-Tropf, du passt nicht in die neue Welt, in der es keine Nachbilder geben kann, weil es keine Vorbilder geben darf. Profilneurotikern der Moderne dreht sich der Magen um, wenn sie nicht ihren Sonderweg gehen dürfen. Individualität ist für sie nicht persönliche Gestaltung des Lebens unter allgemeinen Normen, sondern die Verwerfung von Freiheit, Gleichheit und Geschwisterlichkeit. Man will böse und antinomisch sein, um seine Unvergleichlichkeit unter Beweis zu stellen. Jenseits von Gut und Böse ist das Signum des Besonderen und Erwählten.

Individuell sein heißt heute, moralisch und unmoralisch nach Belieben zu sein. I did it my way, des Schröders Abschiedslied, sollte der Republik bedeuten: ihr Spießer mit euren moralischen Allgemeinplätzen könnt mich mal. Ich pfeife auf eure gleichmachenden Normen und kategorischen Imperative und lass mir von Gazprom im Dienste eines lupenreinen Demokraten monatlich einen saftigen Scheck überweisen. Bis heute hat Schröder die völkerrechtswidrige Politik seines Busenfreundes nicht gegeißelt. Bis heute hat er seinen Posten in Gazprom aus Protest nicht niedergelegt.

Was nicht gegen Gesetze verstößt, ist legal? Gewiss, nur nicht moralisch. Sind die Gesetze der Demokratie schlecht, kann legales Verhalten nicht durchweg moralisch sein. Wenn Gesetze der Demokratie mit Absicht verschlechtert werden, damit amoralisches Verhalten legalisiert werden kann, befindet sich die Demokratie auf abschüssiger Fahrt.

Vitale Demokratien können sich mit laxen Gesetzen begnügen. Auf ihre mündigen Citoyens können sie sich verlassen, deren Privatmoral die Mindestanforderungen eines tüchtigen Gemeinwesens weit überschreitet.

Wer nicht auf Einsicht setzt, muss aus jeder Petitesse ein Gesetz machen. Vernunftlose Bürger werden auch engmaschige Gesetze zu umgehen wissen.

Ideale können niemals christliche Grundwerte sein, selbst, wenn Letztere in sich vernünftig wären, was sie gar nicht sein können. Christliche Moral dient nicht dem Zweck, die Menschen zu verbessern, sondern sie in ihren moralischen Fähigkeiten zu zerschmettern. Wären Menschen in der Lage, ohne fremde Hilfe moralisch zu sein – wozu bräuchten sie einen Erlöser?

Das ganze Christentum wäre überflüssig, wenn Menschen aus eigener Kraft tugendhaft sein könnten. Das Gesetz muss derart abschreckend unerfüllbar sein, dass die Frommen kapitulieren und vor Gott auf die Knie gehen: Mit unserer Macht ist nichts getan, wir sind gar bald verloren.

Von Gott werden nicht nur Taten, sondern auch unbewusste Gefühle angerechnet: wer ein Weib ansieht, ihrer zu begehren, hat schon Ehebruch begangen. Mit dieser Messlatte, die keine ideale Norm, sondern eine menschenfeindliche Vernichtung darstellt, wird jeder Mensch, und sei er noch so bemüht, zur Nichtigkeit verurteilt:

„Was wollen wir denn nun sagen? Ist das Gesetz Sünde? Das sei ferne! Aber die Sünde erkannte ich nicht, außer durchs Gesetz. Denn ich wußte nichts von der Lust, wo das Gesetz nicht hätte gesagt: „Laß dich nicht gelüsten!“ Da nahm aber die Sünde Ursache am Gebot und erregte in mir allerlei Lust; denn ohne das Gesetz war die Sünde tot.“ (Röm. 7,7 f)

Rationale Ideale ermuntern zur Moral und halten den Menschen für fähig, den langen Weg zur „Weisheit“ zu gehen. Christliche Normen schlagen den Menschen nieder und machen ihn zu einem erlösungsbedürftigen Sündenkrüppel.

Menschenrechte sind Gesetze der Vernunft. Wenn moderne Demokratien alles daran setzen, Vernunft und Lernfähigkeit der Menschen durch religiöse Interventionen zu amputieren, dürfen sie sich nicht wundern, wenn ihre Repräsentanten immer vernunftloser und habgieriger werden und Demokratie vor die Hunde gehen lassen.

Die himmlische Polis will die Kapitulation der irdischen. Die rituellen Appelle der Popen sollen die Menschen nicht moralischer machen, sondern sie sturmreif schießen, um das Gnadenwerk der Kirche als heilsnotwendig zu erweisen. Das ununterbrochene Predigen christlicher Moral hat nicht den Zweck, die maroden Verhältnisse zu verbessern, sondern die Menschen in die Kirchen zu treiben. Die Appelle der Kirchen sollen die Menschen nicht zu Selbstgerechten (= gerecht durch sich selbst), sondern zu Fremdgerechten machen – gerecht allein durch die Gnade des Herrn. Kirchen brauchen eine missratene Welt, um ihre Existenzberechtigung nachzuweisen.

Völker der Welt, schaut auf Berlin. Schaut auf diese Frau, die mächtigste Frau der Welt, die in biblischem Ton an ihre Untertanen appelliert: Folget ihnen nicht. Da liegt die Assoziation nicht weit: Folget mir nach.

„Da sprach er zu ihnen allen: Wer mir folgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich täglich und folge mir nach. Denn wer sein Leben retten will, der wird es verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird es retten.“ (Luk. 9,23 f)

Das ist das Regierungsprogramm der mächtigsten Frau der Welt in Kurzversion. Welt ging verloren, Christ ward geboren, freue dich, oh Christenheit. Die Welt ist nicht reparabel, man soll erst gar nicht versuchen, sie zu retten. Sie muss untergehen, damit sie in der himmlischen Polis gerettet werden kann.

„Und dann straft Angela Merkel all jene ab, die meinen für „Pegida“ mit den alten Slogans der DDR-Bürgerrechtler demonstrieren zu können. «Heute rufen manche montags wieder «Wir sind das Volk». Aber tatsächlich meinen Sie: Ihr gehört nicht dazu – wegen Eurer Hautfarbe oder Eurer Religion. Deshalb sage ich allen, die auf solche Demonstrationen gehen: Folgen Sie denen nicht, die dazu aufrufen! Denn zu oft sind Vorurteile, ist Kälte, ja, sogar Hass in deren Herzen!»“ (Jochen Arntz in der BLZ)

Was ist das für ein Gemeinwesen, in dem Heuchelei mit Politik zur Einheit verschmolzen ist? Eine christliche Demokratie.

Völker der Welt, schaut auf diese Frau, wie sie gegen Untugenden wettert, die sie in ihrer Tagespolitik in unverfrorener und ausufernder Weise selbst exekutiert.

Sie warnt vor Fremdenhass? Wer lässt Flüchtlinge ungerührt im Mittelmeer ertrinken? Wer baut Gräben und Mauern rund um Europa? Wer finanziert Frontex, die militaristische EU-Truppe gegen alle Fremdlinge? Wer hat sich innenpolitisch auf die abzusehenden Flüchtlingsströme aus aller Welt so gut wie nicht vorbereitet? Wer lässt seine Konsorten ständig verkünden, Deutschland sei nicht das Sozialamt der Welt? Wer hat keine Willkommenskultur für Notleidende eingerichtet? Wer lässt BILD täglich gegen andere Länder hetzen, die sich auf „unsere Kosten“ durchschmarotzen?

Wer hasst nicht nur Fremdlinge, sondern die eigene Bevölkerung, die nicht nur abgehängt, sondern als faul und charakterlos diskriminiert wird? Wer lässt Hunderttausenden im Inland den Strom abstellen, damit sie in tristen und eiskalten Höhlen vor sich hin vegetieren? Wer gibt Kindern aus unteren Schichten nicht die geringste Chance, der verhängnisvollen Spirale aus Vernachlässigung und „auffälligem“ Verhalten zu entkommen?

Wer sorgt mit aller Energie dafür, dass internationale Handelsverträge die Demokratie unkorrigierbar ruinieren? (Gewisse Privilegien für die Tycoons dürfen nie mehr rückgängig gemacht werden.)

Wer hat die Banken und Zocker nicht an die Kette gelegt, sodass die nächste Finanzkrise so sicher ist wie das Amen im Gebet?

Wer hat noch nie die Frage beantwortet, warum er nichts dagegen unternimmt, dass die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden?

Wer sorgt täglich dafür, dass der Mensch – das „Ebenbild Gottes“ – zur wirtschaftlichen Maschine wird? Wer hat dem unsäglichen Satz nicht widersprochen, das letzte Jahr sei ein verlorenes Jahr gewesen, nur weil einige Zahlen nicht der Rekordsucht der „Besten“ entsprechen?

Wer zerstört Europa mit einem wirtschaftlichen Spardiktat? Wer raubt der spanischen, griechischen Jugend jegliche Hoffnung auf eine menschenwürdige Zukunft?

Wessen Kollateralschäden sind die Unzufriedenen, Mühseligen und Zornigen in den Städten Deutschlands?

Wer schafft es mühelos, durch Demuts-Gesten die Sympathien des christlichen Publikums auf sich zu ziehen? Sehet die Niedrigkeit seiner Magd – im Supermarkt beim Schlangestehen an der Kasse. Auf den Devoten ruht das Auge Gottes, denn sie sollen im Himmel erhöht werden. Kein westlicher Politiker beherrscht die Demutsmasche so perfekt wie die Pastorentochter aus dem ehemaligen Sozialismus.

Völker der Welt, schauet auf die deutsche Kanzlerin. Jetzt können wir ihr Geheimnis lüften. Ist sie tatsächlich eine Heuchlerin? Mitnichten. Sie tut exakt, was in ihren heiligen Büchern gepredigt wird. Wer der Größte unter euch allen sein will, der sei – die Niederste. Wer stark sein will, der gebe sich schwach und gehorsam, denn Gott ist in den Schwachen mächtig. Wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden. Gott widersteht den Hochmütigen, den Demütigen aber gibt er Gnade.

Nur wer die auf den Kopf gestellte Moral der Christen nicht kennt, hält ihr Verhalten für bigott. Das Christentum ist die Umkehrung aller heidnischen Werte. Die Frommen sollen scheinen, was sie nicht sind. Sie sollen sein, was sie nicht scheinen. Der Welt sollen sie Sand in die Augen streuen, um sie unter Vorspiegelung falscher Niedrigkeit zu übertölpeln. Sprich leise und sanft, hab aber immer den Knüppel hinterm Rücken.

Sind sie mit ihrer listigen Duckmäuserei aber an die Macht gekommen, dann lassen sie die – theokratische Sau raus. Ketzer und Andersgläubige haben dann nichts mehr zu lachen. Sind Kirchen denn fremdenfreundlicher als die Massen?

Die Kumpanei der drei Religionen beruht nicht auf Nächstenliebe, sondern auf listiger Eigensucht. Wer die andere Religion schützt, schützt nur die eigenen Privilegien. Würde aber eine von ihnen das staatliche Monopol erhalten, hätten die Konkurrenten nichts mehr zu lachen.

Die weltschlauen Jesuiten sprachen von probabilistischer Moral. Wenn die richtige Moral nicht zum Ziel führt, dann greife zur weniger richtigen. Der Zweck heiligt die Mittel. Gott ist nicht an die Gesetze gebunden, die er den Menschen auferlegt hat.

Ist es wirklich so, dass die ganze Welt nach Deutschland strömen würde, wenn sie nur dürfte? Davon kann keine Rede mehr sein. Notleidende Afrikaner wollen am liebsten zu ihren Nachbarvölkern, die sie herzlich willkommen heißen – ganz anders als der kalte protestantische Norden. Berichtet Simone Schlindwein aus Kampala:

„Es ist einfach nur beschämend, wenn man sich von Afrika aus die deutsche Asylpolitik und den Umgang der Deutschen mit Flüchtlingen in ihrer Nachbarschaft betrachtet. Die Angst geht um, dass die Deutschen aus ihrem Dornröschenschlaf erwachen und der Welt da draußen ins Gesicht gucken müssen. Die Mehrheit der afrikanischen Flüchtlinge sucht Schutz in den Nachbarländern nahe der Grenzen ihrer Heimat – oder in Ländern wie Uganda, die sie gerne aufnehmen. Wo sie willkommen sind, wo sie einen kleinen Laden aufmachen können, um ein neues Leben zu beginnen, anstatt in deutschen Asylcontainern zwischengeparkt zu werden.“

Gibt es eine schallendere Ohrfeige für die beliebteste Nation der Welt? Die Armen der Welt haben die Nase voll vom allerchristlichsten Hass der Weißen auf alle, die ihnen den Mercedes stehlen und den Kaviar auf dem Butterbrot missgönnen.

„In Uganda brennen keine Flüchtlingsheime, werden Flüchtlinge nicht als Kriminelle stigmatisiert, gibt es keine Proteste der lokalen Bevölkerung. Die Ugander waren vor knapp 30 Jahren selbst einmal Flüchtlinge ihres Bürgerkriegs. Es gibt ein großes Solidaritätsgefühl mit Vertriebenen. „You are most welcome!“, heißt es etwa in der Immigrationsbehörde am Schalter für Asylanträge. In Deutschland undenkbar.“  (Simone Schlindwein in der TAZ)

Reichtum ist nicht alles, das spricht sich in der Welt herum. Ist das übersättigte Deutschland noch fähig, sich seiner Gefühllosigkeit zu schämen?

Flüchtlinge sind hierzulande willkommen, wenn sie das BIP für die Rankingliste erhöhen. Alle anderen werden als Wirtschaftsflüchtlinge gebrandmarkt – von den Eliten des Landes, die von Pegida nur nachgeäfft werden. Um von ihrer eigenen Schmach abzulenken, stürzen sich die Eliten auf die Massen, die nur tun, was sie selber tun. Alle Medien bewundern die Kanzlerin und beteiligen sich am stellvertretenden Bashing der Massen.

Völker der Welt, schaut nicht mehr auf Deutschland und Europa. Es lohnt sich nicht. Der Mammon des neoliberalen Nordens wiegt nicht die Defizite seiner Humanität auf. Der ganze Westen versinkt in seinem christlichen Hass auf Mensch und Natur. Außer Apokalypsen und drohenden Abgründen haben sie nichts zu bieten.

Das Rad der Weltgeschichte dreht sich weiter. Die Völker der Welt besinnen sich auf ihre eigenen Stärken und lassen die ehemaligen Kolonialmächte links liegen. Dominic Johnson hat in der TAZ einige Punkte zusammengefasst, warum die „Dritte Welt“ sich von den ehemaligen Kolonialmächten ab- und sich selbst zuwendet.

Johnson betont vor allem die ökonomischen und quantitativen Aspekte der Veränderung. Den wichtigsten Grund der Machtverlagerung erwähnt er nicht: Europa und Amerika sind nicht mehr glaubwürdig.

Das atlantische Bündnis verrät, was ihm bislang so heilig schien. Wer sich ruinös bemüht, den Kern der Demokratie: Menschenrechte und Vernunft zu beschädigen, der darf sich nicht wundern, wenn die Menschheit sich abwendet. Amerikas Reputation schwindet, Europa hat dem Ansehensverlust seines großen Vorbildes nichts entgegen zu setzen.

Im Abendland geht die Sonne unter. Es bringt das Wesen der Erlösung an den Tag, dass das Böse den Fortschritt des Geistes bewirkt. Die kantische Vorstellung eines ewigen Friedens hält Hegel für aufgeklärten Nonsens. Nicht das Gute und Positive bringe die Menschheit voran, sondern die „Arbeit des Negativen“. Weltpolitik muss den „Schmerz, die Geduld und die Arbeit des Negativen“ in Realität verwandeln. Das Negative und Böse ist das Gegenteil zur „allgemeinen Nächstenliebe“, die eine törichte Erfindung sei. Solch eine Menschenliebe sei seicht und unnatürlich.

Das Negative, das Hegel bewundert, ist der Krieg. Den Krieg abzuschaffen, würde Politik zum Stillstand verurteilen. Für Staaten mit Selbstachtung gibt es keine moralischen Einschränkungen. Macht ist Recht. Nur die jeweils mächtigste Nation hat das Recht, allen anderen Staaten die Kandare anzulegen.

Die Weltgeschichte ist das Weltgericht, dessen Urteil unfehlbar und unwiderruflich ist. Das Weltgericht ist der Wille des Herrn der Heerscharen.

Je mehr der Westen den theokratischen Kern seiner Weltpolitik entlarvt, je mehr wenden sich die Völker von ihm ab. Die westlichen Herren der Welt versinken in ihrer Unglaubwürdigkeit und müssen abtreten. Ihre bisherigen Knechte emanzipieren sich und besinnen sich auf ihre eigenen Stärken. Und das ist gut so.