Kategorien
Tagesmail

Vanuatu

Hello, Freunde Vanuatus,

„Vanuatu – das klingt nach Südsee. Nach Palmen und endlosen Sandstränden. Doch seit diesem Wochenende steht Vanuatu für eine der schlimmsten Wetterkatastrophen, die jemals über den Pazifik hereingebrochen sind. Mit 250 Stundenkilometern raste der Zyklon Pam über die Insel hinweg. Präsident Baldwin Lonsdale bezeichnete den Wirbelsturm als Monster, das sein Land um Jahre zurückgeworfen habe.“

Naturkatastrophe? Hat die unberechenbare und bösartige Mutter Natur zugeschlagen? Müsste sie durch menschliche Technik nicht noch unerbittlicher ins eiserne Joch gespannt werden? Ist der Mensch noch immer Opfer unbezähmbarer Naturgewalten? Müsste er sich nicht noch hermetischer in seiner künstlichen Natur verpanzern, um die erste Natur zur leise schnurrenden Dienerin abzurichten? Müssten nicht noch gewaltigere Maschinen an die Front geschickt werden, um feindliche Naturmächte zu fügsamen Sklavinnen des Menschen zu dressieren?

„Der jüngste Bericht des Weltklimarats hat klar vorhergesagt, dass wegen der Klimaveränderung die Zyklone im Pazifik immer stärker werden. „Pam“ war nun der erste Zyklon der höchsten Kategorie 5 der seit Beginn der Wetteraufzeichnungen in Vanuatu registriert worden ist. So eine Katastrophe hat hier bislang noch niemand erlebt. Das ist mit Sicherheit eine Folge des Klimawandels.“ So Entwicklungshelfer Bartlett in einem SPIEGEL-Interview.

Sind Entwicklungshelfer Klimaexperten? Wird das Unglück nicht missbraucht, um weit verbreitete hysterische Untergangsängste zu schüren und zu verstärken? Wollen

die Alarmisten der Welt auf Teufel komm raus bestätigt werden?

Sogleich wussten „Klimaexperten“, dass der Zyklon auf keinen Fall die Folge der Klimaerwärmung sein konnte. Woher wussten sie das? Gehörten sie zur Fraktion der „Klimaskeptiker“? Dann dürfte es nirgendwo Folgen der Klimaveränderung geben. Gehörten sie nicht zu dieser (nicht selten von Tycoons bestochenen) Fraktion, woher wissen sie, dass ausgerechnet Zyklon Pam nicht die Folge der ökologischen Veränderung sein konnte?

Meldungen aus der weiten Welt überblättern die Deutschen, um schnell zur Wirtschafts- und Sportseite zu kommen. Deutschlands völkische Verengung lässt keinen Blick für die Welt zu. Wie vor dem Zweiten Weltkrieg wird das Land zum stehenden Sumpf der „Nähe“. Ist es nicht menschlich, nur mit seiner Nation mitzufühlen und mitzuleiden?

Nein, es ist steinzeitlich. Solange die Menschheit nicht zusammengewachsen war, tickte die Psyche jedes Volkes in den Grenzen seines Einflussbereichs. Seitdem die Welt zum globalen Dorf wurde, müssten die Dorfbewohner sich allmählich zur Kenntnis nehmen. Gibt es doch kaum ein lokales Ereignis, das nicht erdumrundende Wirkungen hätte. Wenn in Peking sich ein Schmetterling in die Lüfte erhebt, beginnt es in New York zu beben.

Jedes Kind braucht ein ganzes Dorf, um erwachsen zu werden. Jedes heute geborene Kind braucht das globale Dorf, um sich und seine SchicksalsgenossInnen kennenzulernen. Und wenn es nur zum Zwecke wäre, sich selbst zu schützen. Jeder Egoismus ohne Weltverbundenheit wäre selbstzerstörerisch.

Hängt alles mit allem zusammen, müssen Fühlen und Denken des Menschen ihre regionale Selbstbegrenzung aufgeben und sich planetarisch erweitern. Ein reduzierter provinzieller Blick wäre lebensgefährlich. Rettet die Erde, um Hintertupfingen zu retten. Und glaubt nicht, dass ihr solistisch davonkommen werdet, wenn‘s der Gattung an den Kragen gehen wird.

Deutschland weigert sich, die Welt in den Blick zu nehmen. Sie sind Weltmeister in Tourismus – und in psychischer Weltverblödung. Je prekärer die Situation der Menschheit, je mehr beschäftigen sie sich mit ihren Wirtschaftserfolgen und den Ehebruchproblemen ihrer VIPs.

Der deutsche Pessimismus entspringt ihrem Perfektionismus, der null und nichtig sein muss, wenn er nicht Erster, Bester – und Bedenkenlosester ist. Die german angst ist keine Angst, sondern ein emotionaler Schutzschild: die prophylaktische Entschuldigung für den Fall, dass der nächste Wirtschaftsrekord nicht eintreten wird.

Die ökonomische Maschine läuft momentan wie geschmiert – gerade deshalb wimmelt‘s von rituellen Warnungen vor Leichtsinn und Nachlässigkeit. Lieber wollen sie Recht gehabt haben, wenn sie den Untergang vorhersagten, als von aller Welt verhöhnt zu werden, wenn sie das permanente Weltranking am Jahresende nicht als Bester bestanden.

Noch nicht lange her, dass sie offiziell die Weltherrschaft zu übernehmen gedachten – und ins höllische Nichts stürzten. Das Verlierer-Trauma hat sie bis in die Knochen geprägt. Schlimmer als ihre moralische Schuld empfinden sie, dass sie beim Siegenwollen eine Niederlage erlitten.

Seitdem gehen sie mit Versagen und Scheitern hausieren. Wer nicht scheitert, kann kein Held einer Romanerzählung sein. Der strahlendste Sieger ist der Versager – in der deutschen Literatur. Doch wehe, ein Wirtschaftsführer würde sich auf Literatur berufen, wenn er den Bankrott seiner Firma rechtfertigen müsste. Während die empfindsame Kunst stellvertretend für die ganze Nation das Scheitern aufarbeitet, ist die harte Fraktion der Wirtschaftler und Politiker längst zum obligaten Siegen zurückgekehrt.

Merkel würde sich schämen, wenn man beim nächsten EU-Treffen ihre Führungsrolle mit Hinweis auf sinkende deutsche Zahlen anzweifeln würde. Der „erweiterte Selbstmord“ eines deutschen Flugzeugführers ist zur Schande vor der Welt geworden, die schadenfroh unkt, dass auch deutsche Perfektionisten verwundbar sind.

Da die Kunst der Selbsterkenntnis keine deutsche Tradition ist, wissen die Neugermanen weder etwas über das Trauma ihrer gescheiterten Weltherrschaft noch über ihre Dauerfurcht vor der Blamage, das nationale Trauma nicht durch wirtschaftliche Erfolge kompensieren zu können.

Die aggressiv geforderte Nationaltrauer um die Opfer des Flugzeugabsturzes ist nichts als Abwehr der Schande, dass ausgerechnet ein deutscher Mustermann dieselben Symptome aufweisen könnte wie ein muslimischer Attentäter. Jede mediale Frage an die Experten sollte wie ein Peitschenschlag wirken: warum habt ihr diese Schande nicht verhindert, ihr Testpsychologen, Pilotenausbilder und Lufthansa-Manager?

Bei solchen Journalistenfragen an die Fachleute hält man den Atem an. Gehören die Deutschen noch zu den durchschnittlich gebildeten Völkern – oder sind sie bereits ins Stadium der Neandertaler regrediert? Alle Früchte der 68er-Aufklärungsbewegung sind dahin. Sie wissen nicht, was eine psychische Erkrankung, wissen nicht, was eine Therapie oder ein Test – oder überhaupt ein Mensch in seinen seelischen Widersprüchen ist.

Sie wollen, dass der deutsche Mustermann wie eine Maschine funktioniert. Beginnt die Maschine zu stottern, muss sie mechanisch repariert werden. An welchen Knöpfen muss man drehen? Welche Pillen hat man „einzuwerfen“? Welche normierte Therapien im Eiltempo zu absolvieren?

Nach der Reparatur muss die Maschine wieder topfit sein. Nicht nur der Leib, auch die Seele muss ein Mechanismus sein: berechenbar und zuverlässig wie ein Uhrwerk aus der Werkstatt des Großen Uhrmachers und Schöpfers des Universums. Die Weltgeschichte ist ein Wettlauf um Sieg und Heil.

„Wisst ihr nicht, dass die, welche in der Rennbahn laufen, zwar alle laufen, aber nur einer den Preis erlangt?“

Schwächen und Zwischenfälle sind nicht vorgesehen. Ein allgemeiner Untergang darf nicht gedacht werden. Obgleich sie alle an die göttliche Apokalypse glauben müssen, dürfen sie dieselbe auf keinen Fall für möglich halten. Wer auf potentielle Gefahren hinweist, muss ein krankhafter Untergangsprophet sein.

Warum sind die Deutschen unfähig, das drohende Debakel der Menschheit wahrzunehmen? Warum sind sie pathologisch unfähig, politische Rettungsmaßnahmen einzuleiten? Warum schliddern sie – inzwischen nicht nur sie – blind und stumm in den erweiterten Selbstmord der Gattung?

Da ist die stramme Riege der Zwangsoptimisten. Beispielsweise Zukunftsforscher Matthias Horx. Was könnte er erforschen, wenn‘s keine Zukunft mehr gäbe? Er muss glauben, dass es Zukunft in unbegrenztem Angebot geben wird. Wer die unendliche Zukunft anzweifelt, ist sein persönlicher Feind. Die Verwüstungen auf Vanuatu kommentiert er:

«Wieder mal ein Beweis dafür, dass sich die Menschheit auf dem absteigenden Ast befindet.» – «der Kapitalismus ist eben unfähig ist, die Klimakatastrophe zu verhindern …» Diese Naomi-Klein-Sahra-Wagenknecht-Logik bildet inzwischen den Konsens der öffentlichen Meinung. Er besagt: Empathie ist zweitrangig. Wichtig ist an einem negativen Ereignis vor allem, was uns „wieder mal“ bestätigt wird. Siehe Griechenland. Siehe Fukushima. Siehe alle Übel der Welt.“

Die Logik des Zukunftspropheten ist unschlagbar. Jeder, der Alarm schlägt, wolle seine dogmatische Unheilsprophetie nur bestätigt sehen.

In der Tat gibt es die psychologische Neigung, recht behalten zu wollen und seine Meinungen für wahr zu halten. Selektive Wahrnehmung beruht auf der Neigung zum verifizierenden Rechthaben. Sollten wir Rechthaben also abschaffen? Unsinn. Dann wollte nur jeder recht haben – durch Unrechthaben.

Wir sind gestrandet im Labyrinth der paradoxen Moral der christlichen Umwertung aller Werte. Willst du Erster sein, werde Letzter. Erst als Letzter kannst du Erster werden. Nicht, wer Erster, sondern wer Letzter werden will, müsste man wegen Hybris belangen, denn als Letzter wollte er Erster werden.

Desgleichen wer Stärkster sein will, der müsste schwach werden: denn Gott ist in den Schwachen mächtig. Wer reich werden will, müsste arm, wer Herr sein will, müsste Knecht aller werden. Wer von Gott gerettet werden will, muss seinen Bankrott anmelden. Wer den Tod besiegen will, muss ans Kreuz genagelt werden – um in der Auferstehung dem Tod ein Schnippchen zu schlagen.

Hier können wir das Rätsel auflösen, warum immer mehr Deutsche die Kirche verlassen – und sich dennoch als Christen definieren. Sie verlassen die Kirche, weil sie ihr Heuchelei vorwerfen. Der Klerus würde Wasser predigen und Wein trinken. Der Vorwurf ist falsch und beruht auf letzten Resten einer noch nicht gänzlich vernichteten heidnischen Logik, die die Paradoxie der christlichen Moral nie verstanden hat.

Ein verständiger Mensch sagt: wie du redest, so sollst du handeln. Der biblisch infizierte Klerus muss das Gegenteil dessen simulieren, was er wirklich will. Den Endzweck seines Tuns muss er verheimlichen. Denn dieser ist trivial und unterscheidet sich in Nichts von der Moral der Heiden: immer der Erste zu sein und voranzustreben den andern.

Auch der Christ will Erster sein – wenn nicht in dieser, so doch in der jenseitigen Welt. Der Seligkeitsegoismus soll im Dunkeln bleiben, indem man sein Haupt schief hält und Demut „heuchelt“. Da die „Heuchelei“ offizieller Bestandteil der christlichen Lehre ist, kann niemand sagen, die Frommen würden sie verheimlichen.

Es sind die Normalos – die sich Christen nennen, aber vom Christentum keine Ahnung haben –, die hier schief gewickelt sind. Wäre es schlecht, über den Glauben Bescheid zu wissen, dem man sich zugehörig fühlt? Christen können gar nicht heucheln. Ihre „doppelte Moral“ ist nichts als die vorgeschriebene paradoxe Christenmoral. Sie könnten höchstens heucheln, wenn sie still und leise die paradoxe Moral vertauscht hätten mit der nicht-paradoxen der heidnischen Moral. Dann wäre ihre gezeigte Demut tatsächliche Demut und nicht Mittel zum Zweck, Erster im Himmelreich zu werden. Jeder, der sie für paradox hielte, wäre hinters Licht geführt.

Da unsere selektive Moral zum Verifizieren neigt, müssten wir wenn wir objektiver werden wollen –, unsere Fähigkeit zum Falsifizieren entgegen unseren Neigungen bewusst eintrainieren. Das hat Popper zu Recht gefordert. Was aber nicht bedeuten darf, dass wir die Neigung zum Verifizieren vertauschen müssen mit dem Zwang zum Falsifizieren. Denn wir wissen nicht, dass wir a priori Unrecht haben müssen.

Vor der Prüfung einer Hypothese können wir falsch – oder richtig liegen. Beides muss überprüft werden. Hätten die Naturwissenschaftler all ihre Hypothesen zwanghaft falsifiziert, wären unsere physikalischen Erkenntnisse auf dem Stand der Neandertaler stehen geblieben.

Gibt es Hinweise, die die Klimakatastrophe zu bestätigen scheinen, müssen sie so sorgfältig zur Kenntnis genommen werden wie jene, die sie zu widerlegen scheinen.

Horx schreibt wissenschaftlichen Unsinn und fordert psychologisch verordnete Blindheit. Obgleich unsere Meinung wahr sein könnte, sollen wir uns auf jeden Fall selbst widerlegen. Das ist die Aufforderung, ungebremst in den Abgrund zu fahren, obgleich wir wissen, dass wir in den Abgrund fahren: eine perfekt immunisierte Strategie zum „erweiterten Suizid“.

Selbst, wenn es kleinere ökologische Erfolge geben sollte wie beim Retten des Waldes oder beim CO2-Ausstoß, hieße das noch lange nicht, dass die Klimaerwärmung aufgehoben wäre.

Seinen alarmistischen Gegnern wirft Horx vor, sie hielten den Menschen „für unfähig, seine Zukunft zu bewältigen“. Das Gegenteil ist richtig. Wer die Menschheit warnt, um sie zu retten, der hält den Menschen für kompetent, seine Existenz auf Erden zu bewahren.

„Dass „der Mensch unfähig ist, seine Zukunft zu bewältigen“ erwiese sich wieder einmal als jene negative Besserwisserei, in dem man sich so wunderbar einrichten kann. Wir spielen allzu gern den apokalyptischen Hausmeister.“

Wenn optimistische Besserwisser andere Besserwisser bekämpfen, weil sie alles besser wissen wollen als sie, die wirklich alles besser wissen! Horx bekämpft den apokalyptischen Hausmeister – mit dem apokalypse-blinden Hausmeister. Schon 1950 schrieb Günther Anders in seinem Werk „Die Antiquiertheit des Menschen“ über die „Ursachen unserer Apokalypseblindheit“.

Inzwischen ist ein halbes Jahrhundert vergangen und Horx & Co haben nicht nur nichts dazugelernt. Sie haben auch verdrängt, was sie schon – dank Anders – längst hätten wissen können. Der Mensch ist nicht Herr seines Schicksals, wenn er suizidal einem technischen Fortschritt folgt, sondern wenn er lernt, mit der Natur in Einklang zu kommen.

Gibt es – nach Horx – Grund zur Hoffnung für Vanuatu, wenn wir uns ökologisch verhalten würden? Keineswegs: „Die zweite Illusion: Wenn wir uns nachhaltig verhalten, gibt es keine verheerenden Unwetter und Katastrophen mehr. Dann haben wir das Schicksal unter Kontrolle. Die Vanuataner wissen, dass das nicht stimmt. Ihr Inselreich ist immer wieder mal untergegangen. Aber begründete Hoffnung ist nicht auszurotten.“

Trickreich wischt Horx die Tatsache vom Tisch, dass nicht Natur die Insel verwüstet hat, sondern die von Menschen gemachte Natur. Eine „begründete Hoffnung“ gäbe es nur bei einer natürlichen Natur. Nicht aber bei einer menschengemachten, zur Bestie aufgeheizten Natur.

Die suizidale Apokalypseblindheit des Menschen maskiert sich als angebliche Unfähigkeit des Menschen, die Ursachen des Weltuntergangs zu erkennen und zu analysieren.

Deutsche Kritiker Naomi Kleins verwerfen ihre These, der Kapitalismus sei die Hauptursache des drohenden Desasters. Das sei zu einfach. In Deutschland gilt alles als zu einfach, was existentielle Probleme zu lösen verspricht. Nur technische Problemlösungen sind machbar und nicht einfach. Niemand käme auf die Idee, den Genies von Silicon Valley den Vorwurf zu machen, sie machten es sich zu einfach, wenn sie den Menschen algorithmische Unsterblichkeit versprechen. Sind doch solche Kleinigkeiten für den genialen homo sapiens nur lässige Fingerübungen.

In der ZEIT schreibt der Religionswissenschaftler Felix Ekardt: „Selbst wenn klassisch marxistisch alles eine ökonomische Ursache hätte, so wären nicht allein die Reichen die Bösen. Wir alle sind aufs Engste mit der Wachstumswelt verflochten: über Arbeitsplätze, Konsumwünsche oder Pensionsfonds, die über Aktienpakete Eigentümer der Unternehmen sind. Ohne uns alle und ohne entsprechende Politiker, die ebenso eigennützig agieren wie die von Klein inkriminierten Reichen, gäbe es die Konzerne nicht.“ (Felix Ekardt in ZEIT Online)

Wahrlich: Kapitalismus sind wir alle. Genau deshalb aber ist der Kapitalismus die generelle Ursache der Klimakatastrophe. Wahrlich: Wenn wir untergehen, sind wir alle schuld. Nicht nur die Reichen. Warum lassen wir die Reichen gewähren? Die Völker sind an allem schuld. Warum lassen sie ihre Eliten nach Belieben schalten und walten?

Philosophisch sind wir zwar alle schuld. Dennoch sind die Reichsten und Mächtigsten materiell am schuldigsten. Sie haben die fanatischste Motivation, den größten finanziellen Profit und die weitreichendste Macht, um jeden Widerstand gegen den menschen- und naturfeindlichen Kapitalismus im Keim zu ersticken. Ihnen gehören die Medien, die jede Alternative zum Kapitalismus den Säuen vorwerfen. Sie charmieren und finanzieren die Politiker, die den Kapitalismus als ehernes Gesetz der Evolution preisen.

Während die Technik vorgibt, alle Probleme der Menschheit mit IQ-Maschinen zu lösen, wird der Politik jede Kompetenz zur Lösung der Menschheitsprobleme abgesprochen. Was ist der Grund der Problemlösungsfeindschaft der Menschen? Ein Glaube. Der Glaube, dass der Mensch grundsätzlich nicht fähig ist, sein Schicksal auf Erden zu gestalten.

Dieser Glaube ist die Religion des Westens und wird exemplarisch von dem grünen Politiker Kretschmann vertreten. Die Frage der ZEIT, ob er sich nicht berufen fühle, dem Guten zum Durchbruch zu verhelfen, beantwortet der erste grüne Ministerpräsident in Deutschland:

„ZEIT: Fühlen Sie sich nicht als Grüner und als Christ doppelt unter Druck, dem Guten zum Durchbruch zu verhelfen?

Kretschmann: Entschuldigung, aber das erscheint mir jetzt naiv.

ZEIT: Warum?

Kretschmann: Ich ziehe eine ganz andere Konsequenz daraus, Christ zu sein: Ich kann die Welt nicht retten.“

In der BAMS assistiert Ex-Bischöfin Käßmann dem grünen Politiker:

„Wir werden das Leben niemals in den Griff bekommen, es ist so zerbrechlich.“

In ganz Deutschland hat der Flugzeugabsturz die sonst tief vergrabene Meinung nach oben gespült, dass der Mensch sein Schicksal nicht gestalten kann. Für Kretschmann sind Erlösungsfantasien totalitär. Dass der Mensch nicht fähig sei, dem Guten zum Durchbruch zu verhelfen, sei mitnichten deprimierend:

„Nein, das ist befreiend! Erst wenn man von der totalitären Erlösungsfantasie ablässt, die Welt retten zu wollen, wird man reif zur Politik und trägt dann womöglich etwas zu ihrer Rettung bei. Erlösung ist etwas für den Erlöser – und davon gibt es für Christen nur einen, und der sitzt im Himmel.“

Hände weg vom Problemlösen. Das ist das Vorrecht des Erlösers. Wenn Erlösen aber totalitär ist, müsste dann der Erlöser nicht auch totalitär sein?

Kretschmann, wie alle Deutschen, verwechselt totalitäres Zwangsbeglücken mit demokratischem Erlernen des Problemlösens in Freiheit und autonomer Erkenntnis.

Der katholische Biologe kann die klerikalen Standardlügen, dass der Sozialstaat, die Würde des Menschen und der ökologische Gedanke biblische Erfindungen seien, nicht unterdrücken:

„Das Evangelium wird doch in unserer heutigen Zeit mehr denn je gelebt – bloß dass es nicht immer draufsteht. Nehmen Sie die Ideale des Sozialstaats oder der Bewahrung der Schöpfung oder der Würde des Menschen, das sind doch durchgreifende Erfolge der Evangelien in der heutigen Welt.“

Wie sein protestantischer Landsmann Hegel ist der Ministerpräsident der Meinung: der Mensch ist fürs Glück nicht geschaffen. Das hohe Glückserwarten sei der Grund für die Depressionen der Gegenwart:

„Wer Glück für den Normalzustand hält, kann vom Leben nur enttäuscht werden. Und von der Politik auch. Ich erlebe aber immer öfter, dass das die Erwartung der Leute ist. Die Konsequenz: Wir jammern in Baden-Württemberg auf dem allerhöchsten Niveau.“

Die Griechen erfanden die Philosophie, um durch Denken und Handeln das Glück zu suchen und zu finden. Die christliche Botschaft verfluchte die irdische Glückskompetenz der Heiden, um die Verfluchten zur Gnade des jenseitigen Glücks zu präparieren. Die deutsche Gegenwartspolitik ist voll in den Händen religiöser Verflucher des irdischen Glücks. Auf Erden soll der Mensch bis an sein Lebensende zum Unglück verdammt sein.

Wen wundert es, das der gesamte christliche Westen tatenlos zuschauen muss, wie die Menschheit blind und taub ihrem Untergang entgegeneilt? Wen Gott verderben will, den verblendet er zuerst. Jede Geschichtsauffassung, die den Menschen automatisch Glück oder Unglück bringt, verurteilt sie zu Marionetten der Geschichte.

Zu den autonomiefeindlichen Ideologien gehört Hayeks Neoliberalismus, der Marxismus, die Fortschrittsreligion von Silicon Valley, die Lehre von der biologischen Dominanz – und das Christentum, der Ursprung aller Entmündigungen.

Im Jahre 1978 schrieb Herbert Gruhl in seinem Buch „Ein Planet wird geplündert“: „Der totale Krieg der Menschen gegen die Erde befindet sich im Endstadium. Der totale Sieg ist errungen. Es gibt längst keine Macht mehr auf der Erde, die den Menschen noch erfolgreichen Widerstand entgegensetzen könnte. Das bestehende System funktioniert glänzend – leider zerstört es seine eigene Grundlage. Damit ist es ein „programmierter Selbstmord“, wie Gordon R. Taylor es nennt. Und Barry Commoner stellt fest: „Das gegenwärtige Produktionssystem ist selbstzerstörerisch; der gegenwärtige Kurs, den die menschliche Zivilisation steuert, selbstmörderisch.“

Naomi Klein war nicht die erste, die den Kapitalismus als Ursache des menschlichen Selbstmordprogramms bezeichnete. Seit den 70ern war die Einsicht in der beginnenden Ökobewegung vorhanden. Seitdem ist fast ein halbes Jahrhundert verloren gegangen.

Herbert Gruhl irrte nur in einem Punkt: die von ihm attackierte Fortschrittsreligion war kein Produkt des säkularen Heidentums. Sie war Erbin des christlichen Credos.

Hört Menschen, die ihr die Erde totalitären Erlösern überlassen wollt und schaut auf eine verwüstete Insel im Pazifik! In Vanuatu seht ihr die Zukunft der Menschheit.