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Terra Madre – die Erde muss uns bleiben XVII

Tagesmail vom 20.10.2025

Terra Madre – die Erde muss uns bleiben XVII,

Was ist der Unterschied zwischen Prognose und Prophetie?

Prognose will vorhersagen, was berechenbar ist, Prophetie ist eine religiöse Vorschau, der man glauben muss. In der Wissenschaft hat sie nichts zu suchen.

Gibt es exakte Vorhersagen? Sofern es sichere Daten gibt, die jedermann nachprüfen kann – ja.

Da geschichtliche Daten nicht nur im Bereich der Natur stattfinden, unterliegen sie nicht nur Gesetzen der exakten Natur.

Natur ist berechenbar, Geschichte als Bereich des Menschen unberechenbar.

Prophetien sind Glaubenssysteme, die von Gläubigen für richtig gehalten werden, weil Gottes Vorhersagen für unfehlbar gehalten werden.

In der BZ erschien ein Artikel, der mit diesen überkommenen Definitionen „aufräumt“:

„Seit einem guten Jahrzehnt verschärft sich die Terminologie: Wenn sich die Krise ob ihrer zu häufigen Deklaration abgenutzt hat, sich die Leute davor nicht mehr so sehr erschrecken, muss in den Medien und in der Politik ein größeres Geschütz aufgefahren werden. Die Krise verwandelt sich in die Katastrophe. Aus dem Klimawandel wurde erst eine Klima-Krise und heute vermehrt und intensiver eine Klima-Katastrophe, die von vielen Experten, Politikern, Umweltschützern, allen voran UN-Generalsekretär António Guterres mit apokalyptischen Bildern unterlegt wird. Darüber müsste man eigentlich verwundert den Kopf schütteln. Den Weltuntergang kann man nicht erleben, denn dann ist es zu spät, um das noch zu berichten.

Auch die modernen Wissenschaften können die Zukunft nicht vorhersehen, mögen sie noch so viele Daten versammeln, ihre Geräte verfeinern. Man schließt notorisch in eine unabsehbare Zukunft, die immer anders kommen kann. Im überschaubaren Detail klappt das manchmal, auch nicht immer. Im großen Zusammenhängen verhindert die Komplexität sichere Prognosen.“ (Berliner-Zeitung.de)

Selbst Hayek, Vorbild aller exakten Neoliberalen und Freund Poppers, mahnt zur Vorsicht:

„Wir können echte Sorge um das Schicksal des vertrauten Nachbarn fühlen und werden gewöhnlich wissen, wie zu helfen ist, wenn Hilfe gebraucht wird; aber wir können nicht in derselben Weise für die Tausende oder Millionen Unglücklicher fühlen, die wir in der Welt wissen, deren persönliche Umstände wir aber nicht kennen. Wenn unser Handeln nützlich und wirkungsvoll sein soll, müssen unsere Ziele beschränkt und dem Fassungsvermögen unseres Verstandes und unserer Herzen angepasst sein. Ständig an unsere „soziale“ Verantwortung gegenüber all den Bedürftigen und Unglücklichen in unserer Gemeinde, in unserem Land oder in der Welt erinnert zu werden, kann nur die Wirkung haben, unsere Gefühle abzustumpfen, bis der Unterschied zwischen den Fällen, in denen wir die Pflicht zu handeln haben, und jenen, für die wir nicht verantwortlich sind, nicht mehr gesehen wird. Daher muss die Verantwortlichkeit, um wirkungsvoll zu sein, in einer Weise begrenzt sein, dass der Einzelne sich auf sein eigenes konkretes Wissen verlassen kann, um über das Gewicht der verschiedenen Aufgaben zu entscheiden, dass er seine moralischen Grundsätze auf Umstände anwenden kann, die er kennt, und imstande ist, an der Linderung der Übel freiwillig mitzuhelfen.“ (Die Verfassung der Freiheit)

Eine unheilvolle Verquickung „moralischer“ Gefühle – und mangelhaftem Wissen, von Verantwortung – und Geht-mich-nichts-an.

Natürliche Ereignisse, die exakt berechenbar sind, unterliegen nicht der moralischen Verantwortung der Menschen.

Unterliegen sie hingegen der Verantwortung, können sie keine exakten Vorgänge der Natur sein. Hayek definiert weder Prognose noch Prophetie – die Leistungen seines Freundes Popper.

Wie kann Ökonomie eine exakte Wissenschaft sein, wenn man sie mit Gefühlen steuern kann?

Komplexität, die aus Zahlen besteht, ist sehr wohl prognostizierbar. Denn Komplexität ist nicht zufällig.

„Auch die modernen Wissenschaften können die Zukunft nicht vorhersehen, mögen sie noch so viele Daten versammeln, ihre Geräte verfeinern“ – solche Nichtprognosen sind daneben. In einem solchen Fall gäbe es keine Geschichte mit bekannten Verlaufsgesetzen, die zwar nicht endlos, aber sehr wohl für die nächste Zeit vorhersagbar wären.

Dass Natur schon seit mehr als 1000 Jahren vom Menschen zertrümmert wird, kann man nachlesen. Seitdem die Zertrümmerung durch maschinellen Fortschritt noch verschärft wird, kann man seit Generationen mit eigenen Sinnesorganen nachprüfen.

So doof ist kein Mensch, dass er blind und taub durch die Gegend taumelte. Natur-Wissenschaften sind lange nicht so tüchtig und vorausschauend, wie man sie im Hochmut der Galilei-Nachfolge darstellt. Dennoch sind sie auch nicht das Gegenteil und wissen überhaupt nichts – außer in künstlichen Laborbereichen.

„Umso mehr darf man sich wundern, dass apokalyptische Vorstellungen Eingang in die modernen Wissenschaften gefunden haben.“

Noch viel verwunderlicher wäre es, wenn nach Jahrtausenden christlicher Infizierung der abendländischen Geschichte Hauptdogmen der christlichen Dogmatik spurlos verschwunden wären. Schon von den ersten Tagen an des Urchristentums warteten die Frommen auf die Wiederkehr des Herrn.

Von daher ist es nachvollziehbar, dass seit dem Abflauen des gefühlten Glaubens in der Zeit der Aufklärung die Prophetien des Herrn nicht völlig verschwunden sind, sondern transponiert wurden in technologische Futurologien.

Diese Übersetzungen sind in der Politik klar zu erkennen:

„Das Menschenopfer, das die Nationalsozialisten darbrachten, die Tötung des „ewig wandernden Juden“ war die politische Theologie des Nationalsozialismus. Adolf Hitler sah sich als Werkzeug Gottes, der mit dem Holocaust die Heilung Deutschlands und der ganzen Welt bringen wollte. Die nationalsozialistische Apokalypse ist das größte Menschenopfer, das die Weltgeschichte kennt, und der wahnsinnigste Zivilisationsbruch der modernen Geschichte. Der Holocaust ist die Exekution des Mythos vom Antichrist in der Moderne.“ (Michael Ley, Apokalypse und Moderne)

„Denn wo ist das Problem des Weltuntergangs, wenn sowieso niemand dem Tod entgeht?“

Eine unfassbare Frage. Es geht nicht um den Tod von Einzelnen, sondern um das Ende der Erde. Und das soll niemanden in Furcht und Schrecken versetzen – wenn eine uralte Kultur, die endlos vielen Menschen eine Heimat war, verschwinden wird?

„Sogar Philosophen, die es besser wissen müssten, predigen zukünftige Katastrophen, um dadurch Aufmerksamkeit zu erregen sowie den Verkaufserfolg ihrer Veröffentlichungen zu steigern. Nun wollen nicht alle Philosophen Aufklärer sein, die Zusammenhänge erhellen, die die Bürgerinnen beachten, aber darüber, ob sie das tun, selber frei entscheiden sollten und nicht unter dem Druck von Drohungen.“

Ob Philosophen etwas besser wissen, darüber entscheiden nicht sie selbst, sondern – wenn überhaupt – die Tiefe und Gründlichkeit ihrer historischen und menschlichen Erkenntnisse.

Natürlich muss es Drohungen geben, wenn die Ausläufer des christlichen Glaubens aus endzeitlichen Drohungen bestehen. Selbstverständlich müssen sie zur Kenntnis genommen werden: welche Übersetzungen von ihnen in Politik und Wissenschaft sind getätigt worden?

„Denn in der Demokratie sind die Bürger mündig, was man durch Erschrecken und Furchterzeugung hintergeht.“

Natürlich sind Bürger mündig, auch wenn sie von Schrecken und Furcht überflutet werden. Ihre Mündigkeit besteht darin, diese geschichtliche Umsetzung aus Glauben in Fortschritt etc. gründlich zu durchschauen und die Menschen vor ihren „selbsterfüllenden Prophezeiungen“ zu warnen.

Alle Prophetien sind selbstgemachte Visionen, denn alle Religionen mit ihren Apokalypsen sind Werke des Menschen. Vor diesen Visionen zu warnen, heißt, vor den selbstgemachten Gehirnaktivitäten des Menschen zu warnen.

„Denn in der Demokratie sind die Bürger mündig, was man durch Erschrecken und Furchterzeugung hintergeht. Auch daher steht es einer demokratischen Politik nicht gut an, die mündigen Bürger zu erschrecken, um sie zu lenken. Die Politik darf sie gar nicht lenken. Das ist nicht der Sinn von Demokratie. Politik darf nur Angebote machen.“

In einer lebendigen Demokratie ist alles möglich – was man für wahr hält. Wer Gefahren am Horizont auftauchen sieht, kann den demos sehr wohl vor diesen Gefahren warnen – ja, er muss es sogar, wenn er sich für verantwortlich hält. Natürlich muss er seine Meinung gegen Opposition verteidigen – dann muss die Volksversammlung sich entscheiden, wer Recht hat.

Perikles hat in bestimmter Weise das Volk gelenkt – um es vor Gefahren zu warnen. Alles andere wäre eine verbrecherische Nachlässigkeit am Volk gewesen.

Aber das Volk war selbst dafür verantwortlich, ob es die Rede des Perikles für richtig hält oder nicht.

Jedes politische Angebot ist der Versuch der Politik, das Volk in die Richtung des Angebots zu lenken. Das Volk aber muss selbst bestimmen, ob es dem Angebot folgen will oder nicht.

Lenken heißt nicht, mit Gewalt zwingen. Das wäre „platonischer Faschismus“. All dies sind demokratische Trivialitäten. Dass ein Philosoph diese nicht kennt, ist eine Katastrophe.

Diese Stimmung allerdings: niemanden vor Gefahren zu warnen, wird allmählich zur Gesamtstimmung in Deutschland. Die Rechte will nicht gewarnt werden, die Linke nicht. Niemand will in Unruhe versetzt werden. Jeder will in Ruhe gelassen werden.

Unglück? Apokalypse? Ökologische Katastrophe? Bleibt mir weg mit diesem endzeitlichen Geflunker. Wir fahren CO2-freie Mercedes, das bewahrt uns vor allen Gefahren. Amen.

Der deutsche Mensch will gefahrenimmun sein. Er hat genug Probleme mit seinem Job, seiner Karriere, seiner Ernährung, seinem nächsten Urlaubsort. Das genügt, verdammt nochmal.

Mit anderen Worten; der deutsche Mensch – ohne gesunden Menschenverstand und ohne historische Kenntnisse – will furchtfrei in seiner oberflächlich begrünten Stadt leben, mit netten Nachbarn, prima Schulen und staufreiem Verkehr.

Medien unternehmen alles, nicht, um ihr Publikum in Angst und Schrecken zu versetzen, sondern im Gegenteil: um alles unter Kontrolle zu halten. Habeck ist wieder ein profunder Professor, Scholz ein furchtloser Hamburger, Schröder ein impertinenter deutscher Vorläufer eines gewissen Trump.

Damit auch die letzt-möglichen Gefahren der heutigen kriegslüsternen Zeiten ausgeschaltet werden, nennen sie die Drohnen im Kampf auf dem Schwarzen Meer: Jesus.
(SPIEGEL.de)

Wer an der Seite Jesu` kämpft, kennt keine unbezwingbaren Gegner.

Fortsetzung folgt.