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Terra Madre – die Erde muss uns bleiben XV

Tagesmail vom 13.10.2025

Terra Madre – die Erde muss uns bleiben XV,

Die Geiseln sind frei. Der Krieg ist beendet, sagt der Friedensstifter aus Amerika. Der Krieg ist noch nicht beendet, sagte Netanjahu.

Welcher Stimme vertrauen wir?

„Der ewige Friede, „das letzte Ziel des ganzen Völkerrechts“, ist eine „unausführbare Idee,“, aber man kann sich ihm annähern.“ (Kant)

„Die moralisch-praktische Vernunft spricht ihr Veto aus: „Es soll kein Krieg sein“. Also ist nicht die Frage, ob der ewige Friede ein Ding oder Unding sei, „sondern wir müssen so handeln, als ob das Ding sei. Durch allmähliche Reform kann uns diese Verfassung in kontinuierlicher Annäherung zum höchsten politischen Gut, zum ewigen Frieden, hinleiten.“ (Kant)

Zwischen Kants „Als-Ob-Frieden“, der stets versucht werden muss – und Hegels Friedensfeindschaft entsteht jene ätzende Kluft, die uns heute noch zu schaffen macht.

Frieden wurde für die Deutschen etwas, das man abstoßen muss, will man eine starke und mächtige Nation werden. Die Deutschen wollten. Fast in allen Dingen wollten sie der Welt überlegen werden.

„Durch Frieden wird die sittliche Gesundheit der Völker zerstört. Im Frieden dehnt sich das bürgerliche Leben mehr aus, es ist auf die Länge ein Versumpfen der Menschen.“ (Hegel)

Der klaffende Unterschied zwischen Kant und Hegel lag an den unvereinbaren Widersprüchen, nach denen sie sich ausrichteten. Kants moralische Vernunft war nach Griechenland orientiert, Hegel wollte griechisches und christliches Denken miteinander verbinden. Doch seine Dialektik wurde zur Rechtfertigung des christlichen Gottes, der eine Einheit aus Frieden und Unfrieden, aus Gut und Böse, aus Gott und Teufel werden sollte.

Was ist eine Einheit aus Krieg und Frieden? Ein dickes Buch von Tolstoi, in dem das unaufhörliche Kriegsgetümmel der Menschen erzählt wird.

Wir brauchen keine Propheten, um dem jetzigen Friedensschluss in Nahost nur eine kurze Lebensdauer vorherzusagen. Dann wird der Schlamassel von vorne beginnen.

Moment, jetzt haben wir die griechischen Stoiker vergessen, nach denen sich Kant mehr ausrichtete als an der pietistischen Bibel.

Zenon soll Phönizier gewesen sein, aber er gilt als Begründer der Stoa, die den „einheitlichen Welt- und Menschenstaat“ forderte. „Wir sollten nicht in Staaten und Bevölkerungen getrennt leben, die je ihr besonderes Recht haben, sondern glauben, dass alle Menschen unsere Volksgenossen und Mitbürger seien; es sollte nur eine Lebensform und eine Staatsordnung geben, gleichwie eine zusammenweidende Herde nach gemeinsamem Gesetz aufgezogen wird, Der Gott, der diesen Staat zusammenhält, in dem es sonst keine Tempel, Götterbilder oder Weihegeschenke gibt, ist die Liebe, Eros. Sein Ziel muss die Erziehung aller Menschen zur Rechtschaffenheit sein, so dass auch das Geld und Gerichtshöfe … überflüssig werden. Nur der Grad der Rechtschaffenheit, den der Einzelne jeweils erreicht hat, kann noch Unterschiede zwischen den Menschen begründen. Es liegt auf der Hand, dass eine derartige Zusammenfassung der Menschheit zu einer einzigen Familie oder Herde mit einem Hirten, der natürlich nur der sophos (der Weise) sein kann, auch die Kriege ausschließt und einen ewigen Frieden postuliert. (zit. in Nestle ,Der Friedensgedanke in der Antiken Welt)

Es bedarf keines großen Gespürs, um die Herkunft des „Hirten“ im Neuen Testament zu spüren. Der hellenistische Geist beherrschte damals den gesamten Vorderen Orient:

„Ich bin der gute Hirt, der gute Hirt gibt sein Leben für die Schafe, … Ich bin der gute Hirt und kenne die Meinen und die Meinen kennen mich.“

Eine lebendige Demokratie braucht keine Hirten, denn sie besteht nicht aus orientierungslosen Schafen.

Das Alte Testament ist voll des Krieges und eines kriegerischen Gottes. Erst im Verlauf der Jahrhunderte entstand allmählich der Gedanke des Friedens. Am Ende der Heilsgeschichte sehen wir ein doppeltes Ziel: ewiger höllischer Krieg für die Verdammten – und ewiger Frieden für die Auserwählten.

Hölle und Himmel werden niemals eine dialektische Einheit, auf ewig bleiben sie getrennt.

Ein Beispiel für die alttestamentarische Rache:

„Alle Völker aber, die Jahve, dein Gott dir preisgibt, sollst du vertilgen, ohne mitleidig auf sie zu blicken, du sollst ihnen keine Friedensbemühungen auferlegen, noch Gnade gegen sie üben.“ (Zit. in Engelhardt, Weltbürgertum und Friedensbewegung, 1930)

Spätes Judentum und das neue Christentum näherten sich an und verkündeten den Frieden ihres Gottes. Was aber nicht bedeutet, dass ein absoluter Pazifismus die Erlösungsreligionen zu beherrschen begann.

Augustinus` Stimme prägte die beginnende Geschichte des Abendlands.

„Die Gottesgemeinschaft kann nur im Kampf mit dem Antichrist errungen werden.“ Kriege waren von Gott befohlen, sie waren im Geschichtsverlauf notwendig, sie waren gerecht. Die Entscheidung über die Gerechtigkeit eines Krieges fällt dem Führenden zu. Der Soldat muss gehorchen. Die Evangelien verbieten Gewaltanwendung nicht an sich, sie versuchen lediglich, den Missbrauch der Macht zu unterbinden. Den im Interesse des Guten geführten Krieg habe selbst Christus erlaubt. Irdischer Friede ist für Augustin kein Ideal. Der wahre Friede ist der Friede im Himmel. Christen betrachten den Krieg als notwendiges Übel, als Strafe Gottes.“ (ebenda)

Heute sind die Kirchen eng mit dem Staat verbunden. Kein staatliches Großereignis ohne ökumenischen Gottesdienst.

Von wenigen Ausnahmen abgesehen, ist die Mehrheit der Kirchenmänner geradezu identisch mit der jeweiligen Friedens- oder Kriegspolitik der Regierungen.

Frau Käßmann hingegen kritisiert die beginnenden Kriegsvorbereitungen Berlins in einem Interview mit Jakob Augstein.

„Ich sehe mit Sorge und Befremden, wie sich die Diskussionslage verändert. Das fängt mit der Sprache an: Auf einmal wird wieder von der „Ostflanke“ gesprochen und davon, dass wir wieder mehr „Tapferkeit“ brauchen. Bundeswehr-Offiziere dürfen an die Schulen kommen, ohne dass im gleichen Atemzug eine Verpflichtung der Lehranstalten zur Friedenserziehung gefordert wird. Eben im Zug habe ich eine interessante Statistik gelesen: Besonders die über 70-Jährigen sind für die Wehrpflicht. Bei den Jüngeren sieht das etwas anders aus. Das erinnert mich an ein Zitat von Erich Maria Remarque, dem Autor von Im Westen nichts Neues. Der hat mal geschrieben: „Ich dachte immer, jeder sei gegen den Krieg, bis ich herausfand, dass es welche gibt, die dafür sind – besonders die, die nicht hingehen müssen.“ Diese Worte sind so aktuell wie eh und je.“ (derFreitag.de)

Wer heute nicht mit fliegenden Fahnen an die Drohnen-Front will, gilt als Lumpenpazifist. Dagegen wehrt sich die EX-Bischöfin:

„Dann bist du schnell die „Putin-Versteherin“. Dabei hat Erich Vad, der Ex-Brigadegeneral von Angela Merkel, gesagt: „Putin-Versteher“ ist gar kein Schimpfwort! Schließlich gehöre es zu einer klugen Militärstrategie, den Feind zu verstehen. Nur so bekäme man eine Idee davon, was ihn motiviert und wie er vorgehen will. Deshalb ist für mich „Putin-Versteherin“ auch gar keine Beleidigung mehr.“

Verstehen ist kein Allheilmittel des Friedens, aber ohne Verständnis für den Feind kann es nie zum Friedensschluss kommen.

Gab es in den hiesigen Zeitungen ausführliche Debatten über das Verstehen? Da wurden Schlagworte verteilt. In Deutschland wird über alles Mögliche geschwatzt, nicht aber über das Elementare und Notwendige.

Merkel war kein Vorbild lebendigen Debattierens. Wer in einem Streit die Formel loslässt: „Wenns hilft, bin ich eben schuld“, der weiß nicht, was Streiten bedeutet, der will Recht behalten – oder sich wie ein dummer Erlöser den Menschen opfern, damit sie sich nicht gegenseitig würgen.

Doch die Schuld liegt nicht nur bei Merkel, sondern bei den Deutschen, die sie gewählt haben, um Deutschland das Image der friedlichen Weltmacht zu verpassen. Deutschland hätte sich mit dem Friedenspolitiker Gorbatschow zusammentun können, um den Weltfrieden zu retten. Aber? Verstehen gehört nicht zur Lernkultur der hochgebildeten Nation:

„Gorbatschow war das zuvor Undenkbare gelungen: die amerikanische Öffentlichkeit für sich einzunehmen. Der höchste Politiker der UDSSR widersprach so sehr den amerikanischen Karikaturen vom Reich des Bösen, dass man ihn schon bald Gorbi nannte.“ (Naomi Klein, Die Schockstrategie)

Wo blieb Merkels energische Unterstützung für Gorbi? Nein, dazu ist sie zu lutherisch-narzisstisch, als dass sie anderen die Friedensplakette gönnt. Momentan fährt sie durch die ganze Welt, um Ehrendoktortitel einzukassieren.

Sinnvolle Streitgespräche mit Anderen im Licht der Öffentlichkeit kennt sie nicht. Schnell die Pforten schließen, um anschließend sermonähnliche, inhaltsleere Zusammenfassungen zu predigen.

Merkel ist keine Denkerin mit Rückgrat, sondern eine Beschwichtigerin mit salbungsvollen Nichtigkeiten. Eine solche Pastoren-Imitatorin hat das rückgratlose Deutschland gebraucht.

Dabei war Deutschland in der Zeit der Aufklärung eine wahre „Mutterfigur“ für das lebendige Europa:

„La vieiile Allemagne, notre mere a tous; das alte Deutschland, unsere Mutter, Mutter für uns alle, das bekennt Gerard de Nerval für eine junge französische Generation. „Europa war im 19. Jahrhundert vom deutschen Denken fasziniert.“ (Heer)

Als der philosophisch gebildete Macron auf der politischen Ebene erschien – wie ging Merkel mit dem jungen Genie um? Scheinbar zärtlich wie eine Mutter, doch ohne den kleinsten Funken einer sinnvollen Auseinandersetzung.

Merkel glaubte, die Philosophie besiegt zu haben, weil ihre Familie mit dem Marxismus eine Liaison eingegangen war. Doch der Marxismus war kein Inbegriff der Philosophie, sondern eine säkulare Form des Erlösungsglaubens.

Hölderlin war in der Zeit der Klassiker der Inbegriff eines Vorbildlandes für junge Wahrheitssucher:

„Gegen den alten toten Gott seiner deutschen Barbaren, der zeitgenössischen Christen, ruft Hölderlin den „Gott der Jugend“ auf. Der Gott der Jugend erschien in Hellas, im irdischen Paradies, Hölderlin beruft Hellas, Griechenland nicht als eine Traumsymphonie, sondern denknotwendig, lebensnotwendig, da nur der griechische Geist in seiner pneumatischen Struktur das „Offenwerden“ des Menschen ermöglicht.“

Die Gegenaufklärer hassten diesen griechischen Geist: Griechenland ist für sie die Mutter des Chaos, aller Häresien, aller Revolutionen.

„Hölderlins Griechenland ist die Heimat aller guten Revolutionen des Menschen: Erhebungen aus der Vollkraft der Natur. Griechenland? Wo bleibst du, Griechenland? Wo bist du, Griechenland? Wo bist du hinentschwunden, Griechenland?“

Doch zwischen Hölderlin und Hegel, seinem Freund aus theologischen Seminarzeiten, entsteht ein abgrundtiefes Loch.

Hegel hasst die Griechen, er hasst Sokrates und beginnt die moderne Abneigung der deutschen Kapitalisten und Naturwissenschaftler gegen die Griechen. Sokrates war es, der es gewagt hatte zu sagen: Natur? Von der kann ich nichts lernen.

„Hegel will Führer, Heilsführer sein: Und er steht nicht an, offen auszusprechen, was für ungeheure Preise die Menschheit, in ihre Epochen, für den Fortschritt zur Freiheit bezahlen muss. Die Weltgeschichte ist eine Schädelstätte, ein Golgatha. Hegel ist ein falscher Befrieder.“

Nicht anders als Merkel, die sich das Image der exakten Wissenschaftlerin zulegt, damit ihre medialen Bewunderer wiederholen können: sie löst Aufgaben korrekt von hinten her. Sie rechnet.

Für die Pastorentochter war Politik nichts als eine Variante des Kindergottesdienstes.

Momentan erleidet sie einen Schock, wenn sie durch die Lande fährt und sich die Sympathie ihrer einstigen Untertanen zurückholen will. Mit Frieden und Friedensfähigkeit, mit Verstehen und Verständigen hat ihr Säuseln nichts zu tun.

Warum gelang es Trump, den Frieden zwischen Palästinensern und Israelis wieder herzustellen? Weil er es wagte, Netanjahu Widerstand zu leisten.

Was tat Merkel in der Knesseth? Ihr Loyalitätsangebot war ein Akt schein-bußfertiger Unterwerfung, kein Angebot einer gleichberechtigten, ehrlichen und kritischen Solidarität.

Fortsetzung folgt.