Tagesmail vom 01.09.2025
Terra Madre – die Erde muss uns bleiben III,
Die Deutschen, so mahnte ihr Kanzler Friedrich Merz, leben über ihre Verhältnisse – weshalb ihre Ausgaben für Soziales gesenkt werden sollten.
Merz war Aufsichtsratsvorsitzender des Blackrock-Konzerns.
„Es ist ein außergewöhnlicher Konzern, für den Merz da unterwegs ist. Innerhalb von dreißig Jahren hat es Blackrock geschafft, fast überall zu sein im globalen Wirtschafts- und Finanzsystem, gemessen an seiner Bedeutung aber so gut wie unbekannt zu bleiben. Mit einem verwalteten Vermögen von schwer fassbaren 6,4 Billionen Dollar hat Firmengründer Larry Fink einen Riesen geformt, die größte Fondsgesellschaft der Welt. Blackrock ist bei etlichen Konzernen der größte Aktionär, darunter ein Drittel der Dax-Firmen.“ (Sueddeutsche.de)
Hat Merz seine Blackrock-Tätigkeit inzwischen kritisiert und bedauert? War sie nicht eine über seinen Verhältnissen? Gehört der Konzern nicht zu jenen, die die Gier der Schwerreichen ins Endlose hochzüchten?
Friedrich, wir mahnen Dich, Du lebst weit über Deine Verhältnisse. Wie kannst Du die Ärmsten des Staates noch ärmer machen, wenn Du nicht selbst daran denkst, Deinen Gürtel enger zu schnallen?
Ist Merz kein Mitglied einer christlichen Partei? Gilt für einen Gläubigen nicht das Gebot des Neuen Testaments:
„Den Armen wird die frohe Botschaft gebracht.“
Pardon, nicht den Armen, sondern den geistlich Armen! Etwa den Geistesverwirrten?
Ist die weitere Kürzung des geringen Bürgergelds etwa eine frohe Botschaft?
Friedrich, wenn Du selig werden willst nach dem Wort Deines Herrn – wie kannst Du ausgerechnet die Ärmsten noch ärmer machen wollen?
Wir ermahnen Dich im Namen deiner Erlösungs-Botschaft: wenn Du nicht Abschied nimmst von Deiner Doppelmoral, wirst Du nie ins Reich der Seligen gelangen.
Oder willst Du weiterhin ein frecher Lästerer Deines Herrn sein: eine Botschaft verkündigen – aber das Gegenteil dieser Botschaft als Politik verkaufen?
Weiß Friedrich nicht, dass die Multimilliardäre dieser Welt, je reicher sie werden, je mehr leben sie prassend und schwelgerisch über ihren Verhältnissen?
Nach welchen Verhältnissen soll man überhaupt leben? Wer bestimmt sie? Und wer nimmt sich das Recht, andere Menschen zu beurteilen?
Jeder Mensch hat das Recht, nein die Pflicht, seine Mitmenschen danach zu beurteilen, in welchem Maß sie über ihre Verhältnisse leben.
Menschen ernähren sich von den „Gaben der Natur“. Wenn sie die Natur mehr aussaugen, als diese verkraftet und diese durch ihr Aussaugen immer schwächer wird, leben die Parasiten eindeutig über ihre Verhältnisse – auch wenn sie äußerlich immer fetter und dreister daherkommen.
Wenn, wie oft der Fall, der Alleinernährer einer Familie seine „Liebsten“ darben lässt, um sich selbst zu mästen: macht er sich dann nicht schuldig an diesen Liebsten – abgesehen von der Sünde des Verstoßes gegen ein göttliches Gebot?
Eine Kritikerin des Kapitalismus schreibt unmissverständlich:
Eine Religion, die das Gegenteil tut von dem, was sie predigt, ist „ein Teil des Teufelskreises von Gewalt und Ausschluss geworden.“
Was bedeuten würde, nicht nur der bigotte Falschmünzer müsste zur Rechenschaft gezogen werden, sondern vor allem jene Religion, die dieses Lügensystem als göttliches absegnet.
Hinzu kommt, dass das kapitalistische Patriarchat, in hohem Maße identisch mit dem religiösen, die folgenden Eigenschaften hätte: „Herrschaft von Männern mit ökonomischer Macht oder religiöser Macht über andere Menschen und über die Erde: Geringschätzung von Frauen, Arbeitern und anderen Lebewesen; Entfremdung von der Erde und von lebenden Kulturen und Wirtschaftsformen.“ (Vandana Shiva)
Neoliberalismus ist eine Wirtschaftsform, die in der deutschen Nachkriegsrepublik ursprünglich nicht vorhanden war. Bei allen Streitigkeiten zwischen CDU und SPD war man sich einig, dass Gerechtigkeit eine wesentliche Eigenschaft der Demokratie sein müsste. Gut verdienen – ja, aber das gemeinsam Erarbeitete auch gleichmäßig verteilen. Allen sollte es gut gehen, eine riesige Kluft zwischen Reichen und Armen sollte es nicht geben.
Das führte zu einem ständigen Kleingezänk zwischen der frommen und der sozialen Partei. Aber nicht zu jenem fürchterlichen Krieg, der durch Einführung des Neoliberalismus unseren heutigen Alltag vergiftet.
Zufälligerweise war es ein SPD-Kanzler namens Schröder, der von Britanniens Premier Blair die Grundlagen des Hayek’schen Neoliberalismus übernahm. Bis heute wurde diese neue Wirtschaftsform nie gründlich erklärt. Nie fallen die Namen Hayek oder Milton Friedman, nie wurden die grundlegenden Unterschiede erläutert zwischen sozialer Gerechtigkeit, die für alle Menschen plädiert – und neoliberalem Ausschlussverfahren, wonach jeder erhält, was er verdient. Wer aber bestimmt, was jemand verdient? Ist das eine naturwissenschaftlich-objektive Erkenntnis, die nicht trügen kann oder eine politisch-subjektive Einschätzung der Erfolgreichen?
Die Bevölkerung steht immer im Dunkeln, wenn es heute um Wirtschaft geht. Bei lästigen Streitigkeiten werden stets „Wissenschaftler“ zitiert, die vor allem die Interessen der Wirtschaft verkünden. Objektiv natürlich.
In den meisten Talkshows sitzen jene Experten, deren Fachsprache nur die Eingeweihten kennen, nicht aber die durchschnittliche Bevölkerung.
Ende der 60er Jahre kam bei reichen Amerikanern die Angst auf, die Grundlagen des jetzigen Kapitalismus könnten zerrüttet werden – und damit der Vorsprung des Westens über den Rest der Welt.
Um diese Vorherrschaft mit Klauen und Zähnen zu bewahren, setzten die Mächtigen eine bestens ausgestattete intellektuelle Bewegung in Gang, die behauptete, „Gier und grenzenloses Besitzstreben seien nichts, wofür man sich entschuldigen müsse, sondern böten die größte Chance für die menschliche Emanzipation seit Anbeginn der Welt. Unter diesem Banner kämpften sie für eine Politik der Steuersenkung, Freihandelsabkommen und der Privatisierung staatlicher Konzernbereiche von der Telefon- über die Energie- zur Wasserversorgung – ein Paket, das weltweit als neoliberal bekannt wurde.“ (Naomi Klein, Die Entscheidung, Kapitalismus versus Klima)
Naomi Klein musste lange die Entwicklung der globalen Wirtschaft studieren, bis sie zur Erkenntnis fand:
„Unser Wirtschaftssystem und unser Planetensystem befinden sich miteinander im Krieg. … Was unser Klima braucht, um nicht zu kollabieren, ist ein Rückgang des Ressourcenverbrauchs durch den Menschen. Entweder ändern wir unsere Lebensweise und schaffen eine vollkommen neue Weltgesellschaft oder unsere Lebensweise wird für uns geändert.
Der Kampf ist bereits im Gange, aber im Augenblick gewinnt der Kapitalismus, ohne dass er etwas dafür tun muss. Er gewinnt jedes Mal, wenn Wirtschaftswachstum als Vorwand genommen wird, den Klimaschutz wieder auf die lange Bank zu schieben oder dafür, zugesicherte Emissionen nicht einzuhalten.
Im Augenblick lähmt die herrschende Marktlogik mit ihrem Dominanz- und Wettbewerbsethos fast alle ernsthaften Bemühungen im Kampf gegen den Klimawandel. Ein ruinöser Wettbewerb zwischen den Ländern blockiert die UN-Klimaverhandlungen seit Jahrzehnten.
Um etwas zu ändern, muss sich eine Weltanschauung durchsetzen, die die Natur, andere Länder und unsere eigenen Nachbarn nicht als Gegner betrachtet, sondern als Partner in einem großartigen Projekt, in dem sich alle neu erfinden. Ist dies möglich, ohne die Grundregeln des Kapitalismus anzugreifen?“
Merz will von all diesen Grundproblemen nichts wissen. Seine fulminante Vorgängerin auch nicht. Sie sprach vor allem vom weiteren Ausbau des Wirtschaftswachstums, um das Flüchtlingsproblem zu lösen.
Dass genau dies aber das Hauptproblem der Weltkrise ist, um allen Völkern zur Gerechtigkeit zu verhelfen, die Hungersnöte und die Akzeptanz der vielen Flüchtlinge zu verringern, scheint die Kanzlerin nie verstanden zu haben.
Mit der Frage: Haben Sie es geschafft, meint man auch nur den Grenzübertritt der Verzweifelten, nicht aber die Abschaffung der weltweiten Mängel- und Hungerprobleme – die zu endlosen Wanderungsbewegungen führen.
Die Deutschen haben nie die frommen Trostgebärden verstanden, mit denen die Lutheranerin ihre einmalige Almosen-Aktion vertritt – um hinterher im endlosen Streit der EU-Länder zu verschwinden. Einmal eine gute Tat, dann jedoch auf die Gnade ihres Herrn vertrauen: das ist lutherische Rechtfertigung allein durch Gnade.
In Deutschland gibt es keine Krisen, die durch gedankliche Analysen erst durchdacht und dann durch tatkräftige Politik in Angriff genommen werden.
Der Hauptgrund liegt in der Ignoranz, was die christlichen Religion betrifft. Auch bei Merkel? Niemand weiß es, aber man soll seine Vermutungen haben. Angela spricht immer nur von „Ideologien“, die beliebig sein können und keinen objektiven Kriterien unterliegen.
Deshalb hat sie die präzisen Naturwissenschaften studiert, um sich lästigen Fragen ihrer väterlichen Religion zu entziehen.
Was ist christlich? C. F. von Weizsäcker glaubte, ein Christ zu sein, als er in jugendlichen Jahren die Bergpredigt entdeckte. Seitdem war die Bergpredigt das unerschütterliche Zentrum seines Glaubens.
Heißt es aber nicht: Selig sind die geistlich Armen, denn ihrer ist das Reich der Himmel?
Die geistlich Armen? Wollen sie den Himmel erringen, nicht ein gerechtes Wirtschaftssystem auf Erden etablieren?
Ist die christliche Botschaft für die Erringung des Himmels zuständig, nicht für eine gerechte Menschenpolitik auf Erden?
Selig seid ihr, die ihr jetzt weint – denn ihr werdet lachen. Selig seid ihr, wenn euch die Menschen hassen und wenn sie euch ausschließen und schmähen und euren Namen als einen bösen achten, um des Sohnes des Menschen willen. Freuet euch an jenem Tag und frohlocket, denn siehe, euer Lohn wird groß im sein im Himmel. Doch wehe euch, ihr Reichen, denn ihr habt euren Trost dahin. Wehe euch, die ihr jetzt satt seid, denn ihr werdet hungern, Wehe euch, die ihr jetzt lacht, denn ihr werdet trauern und weinen.“
Das alles soll eine sinnvolle Politik auf Erden sein?
Die Erde wird zum wüsten irdischen Revier, um die Machenschaften der sündigen Menschen zu ertragen. Doch wenn das „Letzte“ geschehen wird, wird die Erde vergehen und ein Neues Reich entstehen.
Die Zeit, in der wir leben, ist „letzte Zeit“. Was die Christen längst vergessen haben, ist, dass wir in dieser „letzten Zeit“ leben. Das Letzte ist das Kennzeichen der apokalyptischen Zeit.
„Die Faszination, die „das Letzte“ ausübt, ist ungeheuer – anziehend und beklemmend zugleich. Die Vorstellung, dass etwas zum allerletzten Male sich ereigne, kann Erleichterung, Freude ja Euphorie hervorrufen, aber auch Trauer, Angst, sogar Entsetzen.“ (Vondung, die Apokalypse in Deutschland)
Von diesen christlichen Dingen sprach die Pastorentochter nie, das überließ sie den Theologen – die es auch verdrängten. Sie wollte die sachbewusste Expertin für die irdischen Dinge sein. Mit ihren Almosen-Sprüchen beruhigte sie die erregten Gemüter der Kaum-Noch-Glaubenden.
Sie wirkte wie eine gütige Mutter, die alles Elend von ihren wirren Untertanen fernhalten wollte. Nein, vom „Letzten“ wird sie nie sprechen. Weiß sie doch, dass das Letzte das Schlagwort der Nazi-Verkündigung war.
Sollte sie wirklich noch gläubig sein, wird es ihr Angst und Bange werden, dass sie in einer apokalyptischen Zeit niemanden mehr politisch trösten und wirtschaftlich aufmuntern kann.
Also bedient sie sich der WIR-Sprache, einem pluralis familiaris, mit dem sie ihre Untertanen ans Herz drücken kann. Hier können ihr jene nach Belieben grollen und sie dennoch ins Herz schließen.
Was folgt, geht die Kanzlerin nichts mehr an. Deutschland schließt die Augen und begnügt sich mit salbungsvollen Sprüchen ihrer Prinzessin Luise, die demnächst zur Königin Europas gekrönt werden soll.
Fortsetzung folgt.