Kategorien
Tagesmail

Tele-Vision

Hello, Freunde der Heiligen Familie,

ist Sarah Wagenknecht keine stolze, selbstbewusste Frau? Warum hat sie sich die impertinenten Fragen des Moderators, der sie nicht zum Reden, sondern zum Verstummen bringen wollte, gefallen lassen? Warum ist sie nicht resolut aufgestanden und hat unter Absingen schmutziger Lieder das Lokal verlassen?

Warum attackieren Promis nicht die Regeln ihres Verhörs? Warum durchbrechen sie nicht die Rituale der Medienpriester? Warum erwecken sie den Eindruck, sie duckten sich unter jeden Talkzirkus, wenn sie nur ins Rampenlicht kommen?

Warum drehen sie den Spieß nicht um und zerpflücken die Veranstaltungsrituale, die nicht auf Erkenntnis abzielen, sondern auf Kurzzeiterregungen?

Warum wird in Medien nicht über Medien gesprochen? Hat es je das Talkthema gegebenen: Ruiniert das unendliche Domina-Geschwätz unser Gemeinwesen? Antwort: schon lange.

Warum wird nie gefragt, woran man ein sinnvolles Gespräch erkennt? Ist Talkshow eine Show oder ein Gespräch? Ist Interview ein Disput oder ein listiges Informations-Melken?

Laut Wiki ist reiner Talk „farblos, wasserabweisend und fühlt sich seifig oder fettig an, daher wird er oft auch synonym als Speckstein bezeichnet. Talk ist im Allgemeinen weder haut- noch augenreizend, auch Allergien sind bisher nicht bekannt. Dennoch kann das Einatmen von feinem Talkpulver zu Entzündungen in den peripheren

Atemwegen führen, die zu sogenannten Fremdkörpergranulomen führen können.“

Offensichtlich ist dies ein gezinkter Lobbytext der Öffentlich-Rechtlichen. In Wirklichkeit ist schon lange erwiesen, dass Talk hochallergisch macht und zu Gehirngranulomen führt. Selbst der Abgang eines wasserabweisenden, seifigen Moderators wird bereits für möglich gehalten. Er selbst will nicht zurücktreten. Grund: er müsse noch einige Leute ärgern. Wenn das kein Grund ist, den Ärger-Spezialisten mit Steuergeldern zu finanzieren!

Vielleicht verwechselt sich der öffentliche Ärgerniserreger mit dem wohlbekannten Hofnarren, der mit Possen und scharfen Witzen den Mächtigen eins unter die Weste jubelte. Talkmaster sind heute selbst Teil der Eliten, denen man eine Nase drehen müsste.

Durch Erteilen und Entziehen des Wortes, unabhängig von gebotener Debattenlogik – die von den Debattanten selbst herausgefunden werden müsste – zelebrieren ModeratorInnen nach tele-dramaturgischen Aspekten ordinäre Macht. Wer sich den Regeln nicht beugt, wird nie mehr Gast eines Senders. Das wissen die Eingeladenen, die sich der Erpressungsmethode wortlos beugen.

Auch Sarah Wagenknecht hätte die Unterwürfigkeit vermeiden müssen, wenn sie demokratisches Verhalten hätte zeigen wollen. Zu einer Affäre gehören immer zwei. Wer von Markus Lanz spricht, darf über Wagenknecht nicht schweigen. Warum hat sie ihre wahre Einschätzung der Sendung nicht sofort vor der Kamera verkündet?

Das Motto der Promis scheint zu sein: besser ein miserabler Auftritt bei Illner als gar keine Präsenz auf dem telekinetischen Marktplatz, den man eher Rummelplatz nennen sollte. Nein, Rummelplatz passt auch nicht, denn dort treibt sich jeder nach Lust und Laune herum. Es ist ein sakrales Geschehen mit unausgesprochenen Tabus, die jeder zu respektieren hat, wenn er zur heiligen Kommunion zugelassen werden will.

Wie in der Marktwirtschaft gibt’s einen harten Fight um knappe Plätze und wer die Macht des Angebots hat, entscheidet über die Spielregeln des gnadenreichen Worterteilens.

Es ist nicht mal klar, ob eine Talkshow ein rotierendes Gruppeninterview ist oder ein Gespräch auf gleicher Augenhöhe. Ein solches wäre mit einem peitschenschwingenden Moderator unverträglich. Mündige Menschen brauchen keinen maitre de plaisir, im Gegenteil, wer nicht selbst mitdebattiert, hat kein Recht, das Gespräch nach seinem Geschmack herumzudirigieren.

Laut ehernen Medienregeln darf ein Moderator „nicht werten“. Ja, noch mehr: „Wer moderiert, diskutiert nicht mit.“

Das ist der blanke Aberwitz. Wer sich dem Erkenntnisprozess am meisten entzieht, darf den Prozess despotisch leiten. Jeder Einspruch gegen sein sachfremdes Regiment darf mit selbstverliehener autoritärer Macht zurückgewiesen werden. Sollte tatsächlich ein Befragter eine Gegenfrage stellen – was sich nicht mal Dieter Hildebrandt traute – ertönt die Alarmglocke: „Ich stelle hier die Fragen!“ Das ist das erste Gebot im Dekalog der Medienfürsten, den sie selbst geschrieben haben.

Ist Interviewen ein einseitiges Fragestellen? Das könnte man so definieren, wenn man nur Informationen einholen wollte. Wer, wie, was, wann, warum? Ein Gespräch aber kann kein Interview sein, hier wird um eine Sache gestritten. Jeder Gesprächspartner spricht auf gleicher Augenhöhe mit allen anderen. Ein Ich, das absolutistisch bestimmt, wer fragt und antwortet, ist eine Lachplatte.

Der weitere Aberwitz: die mediale Wissenschaft betrachtet die Talkshow nur unter dem Aspekt des Interviews. „Der Fernsehzuschauer hat das dringende Bedürfnis, das Recht sogar, über alle öffentlichen Ereignisse angemessen, zeitnah und ausführlich informiert zu werden.“ (Sabine Christiansen)

Das ist Unsinn: ein Gespräch setzt Informiertheit voraus. Es bewertet und streitet über die als bekannt vorausgesetzten Informationen. Sind die Informationen der Gesprächsteilnehmer unterschiedlich, müsste zuerst darüber gestritten werden, wie die Divergenz der objektiven Daten zustande kamen. Erst dann könnte man seriös zur differenten Bewertung der gleichen Daten kommen.

Nicht alle Gespräche sind Beurteilungen statistischer Zahlen. Philosophische Dispute brauchen keine Zahlen und Figuren, nicht mal die gleiche Bildung. Mit Kindern, Naiven und Neugierigen spreche ich immer auf gleicher Augenhöhe, selbst wenn ich mehr Bücher gelesen habe. Solche Eitelkeiten oder „Erfahrungsvorsprünge“ – glaub mir Kind, ich habe mehr Erfahrungen als du – dürfen keine Rolle spielen. Die Pflicht des Bestunterrichteten wäre, alle anderen auf dasselbe Wissensniveau zu heben.

Wissen ist nicht Denken. Denken muss jeder auf eigene Verantwortung. Eine Meinung hat soviel zu gelten wie die andere, was Widerlegen und sachliches Überzeugen nicht ausschließt. Wer sich überlegener Logik beugt, beugt sich keinem Menschen, sondern der Liebe zur Wahrheit.

Ein echtes Streitgespräch ist eine emotionale und rationale Schwerarbeit, die jeden Menschen im Innersten berührt. Es ist ein Kampf – agon – um die Wahrheit. Moderne Eitelkeit will in einem solchen Zweikampf nicht unterliegen, sie befürchtet einen Gesichtsverlust. Nichts Ehrenrührigeres, als einen Dialog zu verlieren.

Obwohl heute alles Konkurrenz sein soll, fürchtet man die Rivalität um das Wesentliche mehr als einen wirtschaftlichen Bankrott. Das ist der Grund, warum es heute keine echten Gespräche gibt. Das gegenwärtige Ich ist zu stark, um sich irgendeiner hergelaufenen Autorität zu unterwerfen (aber nur im Privaten, im Betrieb, in der Hochschule, in der Redaktionskonferenz wird jedes „rechthaberische“ Ich als eigenwillig und schwer integrierbar angesehen). Doch zu schwach, um die Folgerichtigkeit einer Sache über seine bürgerliche Reputation zu stellen.

Schon der Wille zum Rechthaben gilt als anstößig. Man stelle sich das vor: man streitet um die Wahrheit, doch wer Recht haben will, gilt als asozialer Spielverderber. Wenn alle Debattenteilnehmer Unrecht haben wollten, wäre jener der Sieger, der sachlich am schwächsten wäre. Ob jemand ein bornierter Rechthaber ist oder ein denkerischer Gigant: das muss jeder Beobachter des Gesprächs für sich entscheiden. Ein göttliches Urteil liegt niemandem vor.

Wie würde Sokrates heute beurteilt werden? Vermutlich als aufgeblasener und kopfgesteuerter Moralist, der seine Rechthaberei mit dem Tode unterstützen musste. Ein Märtyrer der totalitären Sorte.

Würde das Urteil stimmen, was wäre mit dem Sohn Gottes, der überhaupt nicht mit sich debattieren ließ und die absolutistische Forderung stellte: wer nicht an mich glaubt, wird verdammt, wer glaubt, wird selig werden?

Es kann kein Zufall sein, dass der junge Goethe ein Drama über Sokrates schreiben wollte, es aber nie tat. Warum?

Die angeblich graecomanen Klassiker machten einen weiten Bogen um die demokratische und aufklärerische Epoche der Griechen. Homer, Mythen, die Götter und ab und an ein wenig Platon: das war‘s. Dass die deutschen Olympier sich vor der athenischen Polis und den philosophischen Auseinandersetzungen fürchteten wie der Teufel vor dem Weihwasser, daran erkennt man ihre deutsche Unreife und politische Inkompetenz, die sie einer verhängnisvollen Kunstreligion in die Arme trieben.

Das Gespräch aller Gespräche ist das mäeutische Zwiegespräch. Wer dem Nierenprüfer in die Hände fiel, der musste auf der Stelle fliehen oder illusionslos in sich gehen. Sokrates vergleicht die Wirkungen seiner dialogischen Intensität mit einer „Bremse, die einem großen und edlen, aber etwas trägen Ross unaufhörlich aufsitzt. Seine Menschenprüfung hat den Zweck, die Leute zur Selbstbesinnung zu bringen, zum Nachdenken über das, was sie eigentlich wollen, über Sinn und Ziel ihres Lebens. Er nennt das die Sorge (Therapie) für die Seele, damit diese so gut wie möglich werde.“

Welch Unterschied zur heutigen Psychotherapie, die alle philosophischen Grundfragen als Grübelzwang verwirft.

Nein, es war nicht so, dass eine Autorität dem Gesprächspartner ihre Meinung aufoktroyieren konnte, als sei er ein leeres Blatt Papier. Das ist die Methode göttlicher Offenbarung. Sokrates, Sohn einer Hebamme, verfuhr hebammenartig: er entband nur Weisheiten, die in jedem Menschen seit seiner Geburt vorhanden waren. Diese Wahrheiten waren sowohl seine eigenen wie die aller vernünftigen Menschen.

Das Individuelle und das Allgemeine waren keine Widersprüche. Jeder Mensch konnte das Gefühl haben, bei sich zu sein, seine eigene Persönlichkeit gefunden zu haben, als auch mit allen Menschen in gemeinsamer Vernunft verbunden zu sein.

Ab der Romantik machten die Deutschen den verhängnisvollen Fehler, ihre nationale Unverwechselbarkeit im heftigen Widerstand gegen die allgemeine Vernunft des Westens zu definieren. Es war eine kollektive Profilneurose. Alles, was nicht französisch oder englisch war, musste im Kontrast deutsch und auserwählt sein. Die Deutschen hatten recht, wenn sie aller Welt widersprachen. Ihr krankhaftes Nein zur Welt wurde zum Inbegriff ihres unfehlbaren Sonderwegs.

Das wurde zu einem verhängnisvollen Die – oder Wir. Alle, die dem faschistischen Motto widerstanden: am deutschen Wesen muss die Welt genesen, waren eine Bedrohung des Alleinstellungsmerkmals der Deutschen und mussten vorbeugend vernichtet werden.

Was nicht allen Menschen gehört, das muss das Allgemeine vernichten, um als Besonderes zur Rechten Gottes zu sitzen. Kann man sich Jesus als Kandidaten auf dem athenischen Forum vorstellen? Gott steht nicht zur Wahl des Menschen. Auf dem Humus dieser gottähnlichen Unfehlbarkeit soll Demokratie gewachsen sein?

Im sokratischen Dialog kann es keinen Moderator geben. Wer glaubt, die zwei Vorstreiter redeten irre, einer wende Tricks an oder einer lasse sich bluffen und übertölpeln, der hat das Recht, selbst ins Gespräch einzusteigen und die Rolle des fragenden Sokrates zu übernehmen.

Diese Fragen waren keine Informationsfragen, sondern Suchbewegungen nach der gemeinsamen Grundlage, von der alle Menschen ausgegangen und erst durch differente Umwelten getrennt worden waren.

Von Natur aus gibt es nur eine Wahrheit. Alle Kinder wollen geliebt und anerkannt werden, wie sie sind: das ist die Basis aller Menschenwahrheit. Kein Mensch muss sich sein Leben verdienen, denn kein Kind ist gefragt worden, ob es gezeugt werden wollte.

Das anerkannte Kind bringt Leistung, weil Tun und Machen ihm eine Lust sind. Es muss nicht mit psychischer Erpressung dazu gezwungen werden. Geliebte Kinder sind vitale und lebenskräftige Kinder. Kinder, denen man durch listige oder gewalttätige Motivation alles abpressen muss, werden außengeleitete Kapitalisten.

Alle Gesprächsarten der gegenwärtigen Moderne sind Unter- oder Überordnungen. Nur der sokratische Dialog beruht auf gleicher Akzeptanz. Wie gut kann eine Demokratie sein, die zwischen Gespräch, Interview, Predigt, Monologen, autoritärem Abfragen und zirkusartigem Palaver nicht unterscheiden kann? Wie präzis und empathisch Menschen miteinander reden, so penibel, akkurat und einfühlsam ist ihr Gemeinwesen – oder nicht.

Das Übermaß an urteilslosen, nicht-wertenden, amoralischen Interviews, in denen niemand den andern ernst nimmt, zeigt die humanistische Qualität einer Gesellschaft.

Ein Interview ist die Farce eines Gesprächs, in dem der Journalist seine Meinung unterdrückt und meinungslos die Meinung der Befragten recherchieren will. Beide, der Befragte wie der Frager, scheinen nicht zu wissen, dass erst das liebende Aufeinanderprallen gleichwertiger Meinungen der gemeinsamen Erkenntnissuche dienen kann.

Indem der Journalist autoritär die Regeln des Gesprächs festlegt, stellt er sich über den Befragten, indem er seine eigene Meinung verleugnet, duckt er sich unter ihn.

Mit dem staatlichen Fernsehen haben die Deutschen sich eine zweite Kirche verordnet. Die Öffentlich-Rechtlichen leben auf Kosten televisionärer Kirchensteuern, bilden sich ein, einen unfehlbaren Bildungsauftrag durchzuführen, sind gegen jegliche Kritik immun und grinsen alle Empörung nieder. Der Pöbel soll sich unterhalten fühlen, über die Qualität des Berieselns hat er nicht mitzureden.

Debatten zwischen Intendanten und Publikum gibt es nicht. Im Zweifel berufen sich die Volksbeglücker auf die unfehlbare Quote. Die Quote hat gesprochen, die Sache ist beendet.

Politjournalisten glauben, zwischen Oben und Unten zu vermitteln, doch sie wittern nach Oben und reden nach Unten. Nicht anders als klerikale Vermittler stärken sie die Mächtigen und lähmen die Ohnmächtigen mit Stillhaltedrogen.

Das Deutsche Fernsehen ist Erbe der deutschen Innerlichkeit, die sich nach außen projiziert – ohne je in der Realität anzukommen. Wer fernsieht, soll träge werden und seine Empörung im Ozean der Überreizungen ersäufen. Das antike Drama sollte den Menschen von Furcht und Mitleid reinigen, das digitale Dauertheater reinigt von Spontaneität und politischer Partizipation.

Schon längst ersetzt das Fernsehen das eigene Leben. Eine heilige Familie aus immergleichen Prominenten tut alles pro nobis oder stellvertretend für uns. Sie kocht für uns, rätselt und spielt für uns, sucht Partner für uns, erzieht für uns, singt und tanzt für uns, schwatzt und palavert für uns, ist glücklich und unglücklich für uns, mordet und quält für uns. Die Frau soll nicht mehr bei Küche, Kirche und Kinder bleiben? Längst hat TV Kirche, Küche und die Kinder für sich entdeckt.

Während die realen Familien zerfallen, blühen und gedeihen die fiktiven Großfamilien in den Kanälen. Es gibt die vorbildliche heilige Familie, die wir beneiden und bewundern und es gibt die grässliche Abschaumfamilie im Urwald, die wir verhöhnen und verspotten sollen. Wie einst die Heilige Familie bei Ochs und Esel ihre überirdische Reinheit erwies, so soll die grässliche Familie bei Maden und Kakerlaken ihre Überlegenheit über die minderwertige Natur erweisen. Nur wer die abscheuliche Natur überwindet, verdient es, ein Mensch zu sein.

Der Sohn des Höchsten kam auf die Erde, um stellvertretend das Leben für die Menschen zu leben. Er starb für sie, trug ihre Schuld für sie, kämpfte für sie gegen das Böse, siegte und triumphierte für sie. Indem er alles für sie tat, saugte er den Menschen das Leben aus.

Auf den Spuren des Sohnes bewegt sich die televisionäre Erlösermaschine. Wir müssen unser armseliges Leben nicht mehr selber leben. Ohne Schuld und ohne Verantwortung können wir ein unbeschwertes Leben führen.

Zu diesem Zweck hat der Mensch seine Maschinen erfunden. Damit sie stellvertretend für ihn leben.