Kategorien
Tagesmail

Sonntag, 30. Dezember 2012 – Natalität

Hello, Freunde der geplagten Reichen,

sie arbeiten 24 Stunden am Tag und wollen das Pensum noch erhöhen. In Frankreich seien die Arbeitskosten zu hoch, es gebe kein Wachstum und die Unternehmer werden als Ausbeuter beschimpft. Franzosen, die mehr als eine Million im Jahr verdienen, sollen drei Viertel ihres Einkommens an den Staat abtreten, dies wollte Hollande als Gesetz festlegen. Das oberste Gericht hat’s ihm verboten.

Die französischen Reichen machen die Flatter. Nach Deutschland kommen sie nicht. „Hau ab“, reicher Idiot, rief die Liberation einem geplagten Flüchtling hinterher. Die Deutschen leben, um zu arbeiten, die Franzosen arbeiten, um zu leben. Wer hat gewonnen? Die Amerikaner.

Steinbrück will als Kanzler mehr verdienen als seine Gegnerin, mindestens so viel wie ein saturierter Sparkassendirektor. Andernfalls will er gar nicht erst antreten. SPD! in Freiburg ist noch ein Posten bei den Sparkassen frei. Sagt‘s dem Peer und ihr habt ein Problem weniger.

Die Deutschen bekommen wieder Volksempfänger. ARD zu sehen wird zur vaterländischen Pflicht. Gott lässt regnen über Gerechte und Ungerechte, die Staatssender lassen rauschen über Blinde, Gehörgeschädigte und Gottlose. Das Wort zum Sonntag soll jetzt täglich kurz vor der Tagesschau kommen. Mit Gott&Schalck wird grade verhandelt.

Der Osten ist uns ein Rätsel und braucht mehr Katholizismus, damit er sich von den Folgen der totalitären Despotie erholt, meint Jan Ross in der ZEIT, der den Katholizismus verwunderlicherweise Zivilgesellschaft nennt. Sind Kirchen inzwischen

zu zivilen Institutionen mutiert?

Rätselhafte Ostländer, mehr asiatisch als europäisch, mehr kosakenhaft als gebändigt: werdet fromm und ihr dürft näher kommen.

„Die ganze Gesellschaft ist wie durchtränkt von dem Grundgefühl, dass man dem anderen besser nicht traut“, schreibt Ross. Hat er hier eine Kleinigkeit verwechselt? Gilt dieses Grundgefühl nicht von der kapitalistischen Wettbewerbsgesellschaft?

Zwischen den Bürgern bleibe nicht nur Gleichgültigkeit, sondern Misstrauen übrig, wenn die Despotie weiche. Gilt das nicht besonders für den Seligkeitswettbewerb unter Gläubigen? Siehe Matthäus Neues Testament > Matthäus 10,35 ff / http://www.way2god.org/de/bibel/matthaeus/10/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/matthaeus/10/“>10,35 ff.

Wird der Osten nicht flächendeckend von katholischen und orthodoxen Messiassen beherrscht, denen sich die Politiker bereits unterworfen haben?

(Jan Ross in der ZEIT: Die giftige Erbschaft)

Dabei ist Russland uns weit voraus in der Planung und Durchführung eines zukunftsfesten und naturidentischen Lebens. Deutsche Denkfabriken haben das verheißungsvolle Projekt von Yuri und Tamara Baikov schon im Visier, um es auch unter Berliner Verhältnissen attraktiv zu machen:

 

Wenn das alte Jahr zu Ende geht, werden selbst rigide Gesellschaftskritiker schwach. Oder werden sie sentimental? Mathias Greffrath versucht in der TAZ, seinen weihnachtlichen Sentiments auf den Grund zu kommen.

Was war es, das ihn als Jugendlichen beim Anblick der Krippe so anrührte? Dabei war er doch gerade dabei gewesen, sich von seiner eigenen heiligen Familie zu lösen. Waren es alte transzendente Reste, die ihn überkamen oder waren es irdisch zeitlose Gefühle, die alle Menschen nachvollziehen können?

Dieser Geschichte könne man nicht entkommen, ob man Christ sei oder nicht. „Dafür ist sie einfach zu gut.“ Aber warum?

Dabei sei die Legende von Bethlehem von allen Legenden am wenigsten historisch gesichert. Auch Jesus sei alles andere als ein Familienmensch gewesen. Hatte er seine Jünger nicht aufgefordert, mit ihren Familien zu brechen und dem „Prinzip eines Bundes ohne Bluts-, Herkunfts- und Stammesbande, ohne Herrschaft und zementierte Eliten“ zu folgen?

Wie meinen? Ohne Herrschaft – beim zukünftigen Herrn über ewige Seligkeit oder Höllenfahrt?

Selbst kritische Deutsche wollen nur irdische Geschichten in der heiligen Schrift hören. Dass diese Geschichten untergeordnete Teile einer metaphysischen Rahmenhandlung sind, wird von „aufgeklärten“ Bibellesern ignoriert. Seitdem Bultmann das Neue Testament entmythologisiert hat, ist der Mythos in die Flucht geschlagen. Übrig geblieben sind anmutige weltliche Ereignisse, superb beschrieben, an denen sich der mythosbefreite Blick wie gebannt festsaugt.

Und schon beginnt der Gegenmythos:

Familie ohne Herrschaft? Dabei ist der Herr der mächtigste Gebieter über das Universum.

Ohne Elite? Die Männer, vornehmlich afamiliäre Jünger und Priester, sind Stellvertreter jenes Gebieters über Tod und Leben. Und wenn’s nicht die professionellen Priester sind, sind‘s gläubige Männer, denen sich die Frauen in Ehrbarkeit beugen.

Ohne Stammesbande? Zuerst will Jesus nur jüdischen Landesleuten das Evangelium bringen und lehnt es ab, anderen das Wort des Heils zu bringen: „Es ist nicht recht, den Kindern das Brot zu nehmen und es den Hunden hinzuwerfen.“

Heiden sind für Menschenliebhaber Jesus nur Hunde. Erst später wird die ethnische Selektion beendet zugunsten einer prädestinierten Gemeinde, ausgewählt aus der ganzen Menschheit. „Ihr gehört nicht zu meinen Schafen. Meine Schafe hören auf meine Stimme und ich kenne sie und sie folgen mir nach.“

Die Grenzziehung zwischen Erwählten und Verworfenen verläuft nicht mehr zwischen Juden und Heiden, sondern zwischen a priori Verworfenen und a priori Erwählten. Die Ungläubigen sind jetzt zu Hunden geworden.

Für Greffrath reicht die Bedeutung der Geschichte über alle religiösen Feiern hinweg bis ans Ende der Geschichte. Selbst Ungläubige oder Skeptiker sollten deshalb wenigstens einmal im Jahr in die Kirche gehen. Ganz ohne metaphysischen Überbau. Der unsterbliche Sinn der Geburtsgeschichte sei der Satz: „Uns ist ein Kind geboren“. Dieser Satz berühre jeden.

Er berührte auch Hannah Arendt, die nach einer bewegenden Aufführung des Messias die „philosophische Tiefe“ des Christentums erkannt hatte. Das Wunder der Erneuerung nannte sie Natalität (= zur Geburt gehörig). Die tiefe Wahrheit des Christentums sei die Erkenntnis: „aller Anfang ist heil.“ Natalität bedeute, mit jeder Geburt komme „ein neues Quäntchen Freiheit in die Welt“. Jedes Neugeborene stehe für die reale Möglichkeit des Neuen auf Erden. Die Frohe Botschaft sei kein Versprechen auf Glück, sondern auf Freiheit.

„Freiheit, zu heilen, Freiheit zum Kaputtmachen. Freiheit zum Stumpfbleiben, Freiheit für das Unwahrscheinliche. Dass dereinst ein Heiland alles richten wird, dahin reicht der Glauben der meisten nicht. Wohl aber dahin, dass „die Möglichkeit der Errettung der Welt“, wie Hannah Arendt schreibt, „darin liegt, dass die Menschheit sich fortwährend neu bilde“. So Greffrath.

Womit wir wieder bei deutschen Obsessionen wären. Das Eine gegen das Andere, Entweder-Oder. Freiheit gegen Glück. Risiko gegen Sicherheit. Gauck gegen Hartz4. Es gibt zweierlei Arten von Freiheit: die vernünftige oder die deutsche.

Vernünftige Freiheit ist Einsicht in das Wahre und Vernünftige. Wenn ich leben will, darf ich mich nicht freiwillig zugrunde richten. Meine Freiheit zum Leben besteht im Tun des Vernünftigen.

Für deutsche Freiheit ist Vernunft schlimmer als Guantanamo. Das Vernünftige muss ich tun, also ist es totalitäre Folter. Ich aber will alles tun können, das Vernünftige oder Unvernünftige, grad wie‘s mir einfällt. Je unvernünftiger, umso besser. Das Ausmaß der Unvernunft korreliert mit dem Ausmaß meiner Freiheit.

Die antivernünftige oder hirnrissige Freiheit der Deutschen entstammt dem mittelalterlichen Voluntarismusstreit (voluntas = der Wille). Da stritten sich zwei Theologenschulen um die Frage: muss Gott sich selbst an seine von ihm ersonnenen Vernunftgesetze in Natur und Welt halten – oder wäre dies eine Widerlegung seiner freien Allmacht?

Die von Aristoteles beeinflussten „Vernünftler“ plädierten für Einhalten der Gesetze, ihre Gegner konnten den Hals von lauter Allmacht nicht vollkriegen und waren für absolute Willkür jenseits aller vernünftigen Gesetze. Man nannte sie die Voluntaristen, die gläubigen Verehrer des Willens.

Diese voluntaristische Linie bestimmte dann fast die ganze deutsche Philosophie. Bei Kant war der Wille noch der Vernunft untergeordnet. Ab der Romantik befreite er sich von den Banden philisterhafter Vernunft und wurde chaotisch, vernunftwidrig, willkürlich, phantastisch und mächtig, ja allmächtig.

Nietzsches Wille zur Macht war der Höhepunkt des nationalen Voluntarismus, der identisch wurde mit dem deutschen Sonderweg und sich mit Abscheu vom westlichen Vernünftlertum abwandte. Gut ist, was der Vernunft spottet. Je unvernünftiger, chaotischer, unberechenbarer und wunderhafter, je freier fühlte sich der allmächtige germanische Berserker.

Bei Carl Schmitt ist das Außerordentliche das Feld der wahren Politik. „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet“.

Auch Novalis lehnte das Berechenbare ab und plädierte für das Unausdenkbare und Irrationale: „Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren sind Schlüssel aller Kreaturen.“ Freiheit ist jener Zustand, wo vor einem geheimen Wort das ganze verkehrte Wesen fortfliegt. Das Geheimnisvolle, Esoterische, Wunderbare, Märchenhafte soll die Welt regieren.

Alles, was nach Vernunft klingt, erhält bei den Deutschen einen kalten, unpersönlichen, gefühllosen, inhumanen, ja kapitalistischen Klang. Auch Greffrath zitiert Hannah Arendt, wonach das Kind als Symbol des Neuen das „Unberechenbare und Unwahrscheinliche leisten“ könne. Die Verehrer des Neuen „können abweichen vom eingefahrenen Weg der Gattung, der Gesellschaft, der Gemeinde.“ Und dies nennt Arendt ein Wunder, ein Wunder dieser Welt, völlig ohne Metaphysik. Solche Veränderungsfähigkeiten würden den Menschen von allen anderen Gattungen unterscheiden.

Auch bei den Linken ist der Mensch noch immer die Krone der Schöpfung. Auch sie sind Vertreter des Anthropozentrismus und betonen die Einzigartigkeit des Menschen gegenüber allen minderwertigen Geschöpfen, die stets am Leitbändel des Immergleichen laufen müssen. Die Fähigkeit, neu zu beginnen, sei mehr als das Prinzip Hoffnung. Menschen könnten Initiative (von initium = der Anfang) ergreifen und Neues in Bewegung setzen.

Der Hass auf das Alte ist ein Dogma der religiösen Moderne. Modern will per definitionem das Neue sein, welches das Alte automatisch abstößt. Es ist die „Säkularisierung“ des jesuanischen Todesurteils über das Alte. Das Neue, Kreative ist die Vorwegnahme des neuen Himmels und der neuen Erde, der das Alte als Teuflisches vernichten wird.

Diesem Zweck dient auch die Natalität, die das Neugeborene zum Symbol eines ständig neuen Anfangs macht. Einen Anfang setzen heißt Tabula rasa mit dem Alten machen. Die Vergangenheit wird nicht aufgearbeitet, sie wird en bloc weggeworfen und entsorgt. Das Alte ist der Müll des Neuen, der nicht recycelt werden kann, sondern in unsichtbaren Deponien – in unserem kollektiven ES – gestaut werden muss, bis er uns eines Tages über den Kopf wächst.

Ein rationaler Umgang mit der Vergangenheit wäre nicht ihre Vernichtung und Verdrängung, sondern begangene Fehler von richtigen Entscheidungen zu trennen, aus Fehlern und Wahrheiten das Richtige herauszuarbeiten.

Dieses mühsame Geschäft ist für westlich-christogene Genies unter ihrer Würde. Da muss man schon mit dem Offenbarungs-Hammer kommen und das Alte zertrümmern und wegwerfen. Mit solch einem Shitkram gibt man sich in transzendenten Kreisen nicht ab. Da muss alles aus dem Nichts kommen, damit es in perfekter Neuheit erstrahle. Das Alte muss gestorben sein, das neue Kind unbelastet vom Alten die Idole der Moderne bedienen: wir können wieder von vorne beginnen: ein heiliges Kind wurde uns geboren.

Mit diesen Heiligenlegenden überfordern und vergewaltigen wir unsere Kinder. Wehe, wenn sie uns nicht den Kitzel des Neuen bieten, weil sie uns zu ähnlich sehen. Wehe, wenn sie unsre gigantischen Träume, die wir in den Sand setzten, nicht stellvertretend pro nobis lösen. Dann haben sie versagt und sind dem Alten erlegen.

Ab diesem Moment hören wir auf, an unsere Kinder zu glauben. Die Kinder spüren diesen Liebesentzug aus Enttäuschung, sie werden grau, depressiv und – erwachsen. Wieder kein Jesulein, das wir in die Welt gesetzt haben, sondern einen uralten Sündenkrüppel, der uns imitiert, damit er uns, wenn wir ihn runterputzen, sagen kann: was wollt ihr, ihr kritisiert euch doch selbst, wenn ihr mich fertigmacht.

Dem Kindlein in der Krippe wälzen wir all unsere Erneuerungsphantasien aufs reine und unschuldige Gemüt. Wer ist für die Rettung der Welt und die dazu gehörigen Wunder zuständig? Die Kinder. Die Erwachsenen können derweilen die Erde schänden und die Zukunft der Kinder vernichten – macht nichts, die kleinen Wunderengel werden‘s schon richten. Und wenn nicht, sind sie selbst dran schuld. Warum waren sie nicht so, wie wir sie uns ausgemalt haben? Warum haben sie unsere Erwartungen auf Neuanfang zerstört?

Natalität ist das christlich verankerte Fundament der postmodernen Sucht nach dem Neuen. Ist Jugendwahn, als Philosophie getarnt. Ist irrationale Wundersucht aus dem Aschehäufchen eines abgebrannten Glaubens.

Auch Ludger Lütkehaus hat sich der Natalität verschrieben mit dem Argument, allzu lange habe sich das Abendland der Kunst des Sterbens zugewandt. („Natalität – Philosophie der Geburt“) Nun werde es Zeit, den Spieß herumzudrehen und sich der Geburtlichkeit zu widmen, dem Phänomen des stets von vorne beginnenden Lebens.

Lütkehaus verwechselt das christliche memento mori – seid jederzeit bereit, abzutreten, indem ihr das irdische Leben gar nicht genießt – mit der griechischen Sterbekunst, die eine Anleitung zum vollen und richtigen Leben war, weil sie den Lebenden die Angst vor dem Sterben genommen hat.

Gedenke des Todes, um hienieden in Ängsten dahinzudarben, so die Christen. Gedenke des Todes, um keine Angst vor jenseitigen Mächten zu haben und sich hier seines Lebens zu erfreuen, so die Griechen. Das sind zwei unverträgliche Arten, mit dem Tod umzugehen und sein Leben zu gestalten.

Die Kunst des Lebens besteht nicht in biologischer Mortalität und Natalität, sondern im Lebenlernen als geistigem und sinnlichem Erkenntnisprozess. Um es abschreckend für moderne Ohren zu formulieren: in Weisheit, die nicht nach Altem oder Neuem fragt, sondern nach der Wahrheit.

Auch der Politologe Claus Leggewie ist ein begeisterter Anhänger der Arendt‘schen Gedanken. Natalität ist die Kunst des Anfangs im Sinne Augustins (Arendt schrieb ihre Doktorarbeit über den Begriff der Liebe bei Augustin): „Damit ein Anfang sei, dazu wurde der Mensch erschaffen, vor dem es niemanden gab.“

Hier scheiden sich die Geister zwischen dem Kreislaufdenken der Griechen, bei denen es keinen Anfang und kein Ende, sondern einen circulus naturalis gibt, in dem alles fließt und sich erneuert und dennoch immer alles gleich bleibt. Bei Heraklit ist das Alte nicht der Widerpart des Neuen, sondern beides ist identisch. Die Natur braucht keinen absoluten Anfang und kein absolutes Ende, um dennoch immer vital und präsent zu sein.

Vergangenheit ist nicht das Gegenteil von Gegenwart und Zukunft. Alles geht und kommt und fließt ineinander über. Nichts wird alt, alles bleibt gleich und neu. Das ist das einzige Wunder, das wir bestaunen können. Das Wunder der gesetzmäßigen und verlässlichen Natur.

Es ist das Wunder der Natur, neben dem die Wunder eines männlichen Gottes wie lächerliche Imitationen erscheinen. Der Mensch ist uralt und braucht keine erkünstelten Anfänge, um mit Natur identisch zu sein und dennoch immer jung zu bleiben. Weisheit ist die Kunst, alt zu werden ohne aufzuhören, Kind zu sein.

Im Christentum ist alles zerschnitten, was zusammengehört und die Totalität der Natur bildet. Wahre Politik, so Arendt, bestünde darin, immer Neues zu beginnen. Das ist Postmoderne in hohem Ton. Was soll das heißen? Ständig Neues in der Politik? Heute gelten Demokratie und Menschenrechte – und morgen gehen wir zur Despotie über, damit wir uns nicht langweilen?

Schon lange hat der Ton der Langeweile und des Überdrusses die politische Debatte unterhöhlt. Was sollen wir mit der ewig gleichen ennuyierenden Volksherrschaft? Lasset uns Neues vollbringen. Wie wär‘s mit dem chinesischen Modell? Ist es nicht unglaublich erfolgreich? Wie wär‘s mit einem gigantischen Überwachungsstaat? Wie wär‘s mit einem kleinen erfrischenden Weltkrieg, weil wir den Frieden unerträglich finden?

Der Mensch ist von Gott erschaffen, damit ein Anfang sei. Nicht um seinetwillen ist er erschaffen, sondern damit die Geschichte ihre Schachfiguren habe, die der Große Schachspieler soli deo gloria herumrücken kann. Wer nach Belieben einen Anfang setzt, setzt dem Anfang auch ein beliebiges Ende:

„Wer ausharret bis ans Ende, der wird gerettet werden.“ „Die Ernte ist das Ende der Welt, die Schnitter sind die Engel. Wie man nun das Unkraut zusammensucht und mit Feuer verbrennt, so wird es am Ende der Welt sein.“

Der Mensch wurde erschaffen, damit ein Anfang sei – und ein Ende mit Schrecken.

Als Greffrath jung war, saß er nach dem Krippenbesuch mit Freunden zusammen und sie hörten das Lied der Beatles: „We can work it out“.

In dem Lied beschwört einer einen andern, sich alles noch mal genau zu überlegen. Er könnte nämlich in allem falsch liegen. Man solle nicht so viel zanken und streiten. Deshalb bitte er den andern, sich seine Sichtweise genau anzuhören – und zu übernehmen. Nur die Zeit werde zeigen, ob der Bittende Recht hätte. Solange der andere stur bei seiner Meinung bleibe, könne bald alles vorbei sein.

“Versuch, meine Sichtweise zu verstehen.
Nur die Zeit wird zeigen, ob ich Recht hab oder falsch liege.
Solange du alles nur aus deinem Blickwinkel betrachtest,
kann es durchaus bald vorbei sein mit uns.
Wir können dran arbeiten.
Wir können eine Lösung finden.“

Sie können eine Lösung finden, wenn einer kuscht und der andere bestimmt. Hier will einer verstanden werden, den andern aber nicht verstehen. Hier will einer seine Meinung durchdrücken, die Meinung des andern aber nicht zur Kenntnis nehmen. Hier hat einer keine Lust mehr zum konstruktiven Streit, er will den Sieg über den andern.

Das Lied könnte die Predigt eines Priesters zu seiner hörigen Gemeinde, eines Vaters zu seinen unmündigen Kindern oder eines Mannes zu seiner aufblickenden Frau sein. Wie in der Erlösungslehre zeigt hier ein „Anfänger und Vollender des Glaubens“ im singenden Monolog seine Überlegenheit.

Das muss der Choral des Neuen sein, der dem Alten einhämmert, dass es für immer schweigen soll.