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Sonntag, 02. September 2012 – Faust

Hello, Freunde der Philosophie,

der Hass auf die Philosophie in Deutschland ist nicht gering. Edelfedern sind fast durchweg Hasser der Weltweisheit und hintergründige, inzwischen immer mehr nach vorne preschende, Freunde der Gottesweisheit. Kolossermäßig sehen sie zu, dass sie nicht der leeren Täuschung der Wortverdreher und logischen Gaukler anheim fallen. ( Neues Testament > Kolosser 2,8 / http://www.way2god.org/de/bibel/kolosser/2/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/kolosser/2/“>Kol. 2,8)

Als junge Studenten strömten sie in die alma mater, um zu ergründen, was Junggeselle Kant im Innersten zusammenhält. Das Faustische wird deutschen Abiturienten bereits mit der sauer- und nährstoffarmen Luft des Din-A-Vier-Gymnasiums eingeflößt. Sie haben schon im 1,1-Urin, dass sie grandios scheitern und mit einem Fluch – beim SPIEGEL landen werden, wo sie sich der Magie oder dem mephistophelischen Schreiben ergeben.

Dort werden sie Chef der Kultur oder des Feuilletons und schreiben bis an ihr selig End einen einzigen Kommentar in unendlichen Variationen:

 

O glücklich, wer noch hoffen kann,

Aus diesem Meer des Irrtums aufzutauchen!

Was man nicht weiß, das eben brauchte man,

Und was man weiß, kann man nicht brauchen.

 

Vergeblich das Wissen, umsonst das Wissenwollen. Das wissen deutsche Bürschchen bereits mit 18. Danach studieren sie, um sich den

faustischen Nachtmonolog bestätigen zu lassen: „Und sehe, dass wir nichts wissen können! Das will mir schier das Herz verbrennen.“

Haben sie die Beschneidung an Herz und Hirn überstanden, werden sie Eitieler, Redakteure oder Deutschlehrer und flößen ihren Eleven den faustischen Geist ein. Da capo al fine. Der Nachwuchs soll auch nicht dem Faustschlag aufs Ignoramus et Ignorabimus entkommen (wir wissen nichts und werden nie wissen).

Und wenn sie nicht gestorben sind, hin und wieder die Welt zusammengeschlagen haben, hassen sie die Philosophie noch heute. „Dafür ist mir auch alle Freud entrissen, bilde mir nichts ein, was Rechts zu wissen.“ Haben sie Glück, landen sie bei Jauch, der ihnen freundlich bestätigt, dass sie nicht mal wissen, dass Kant gelegentlich ein Untertan des russischen Zaren war.

Nach außen standhafte Ehemänner, beliebte Mentoren, geschätzte Kollegen, nach innen sieht‘s düster aus bei pädagogischen Beamten: „So ist mir das Dasein eine Last, Der Tod erwünscht, das Leben mir verhasst.“ Aus diesem suizidalen Stoff, der aus Feigheit, pardon aus Pflichtbewusstsein, nie zur Tat werden kann, sind echte Pädagogen geschnitzt.

Da laufen sie, wo laufen sie denn hin? Da streben sie, wo streben sie denn hin, die Fäustlinge, die Gott sein wollen oder Nichts? Bis 18 ersteres, danach letzteres.

Vor der erbärmlichen Langeweile des durchschnittlichen Intellektuellen kommt erst noch das große Fluchen. Gegen diesen Generalfluch sind selbst des Herrn und Heilands Weherufe gegen Pharisäer und Schriftgelehrte ein harmloses Herumzicken.

„So fluch ich allem …“. Folgen elf Donnerschläge des Fluchs. Auf alles und jedes:

1. Lock- und Gaukelwerke (heute: öffentlich-rechtliches Fernsehen)

2. „Die hohe Meinung, womit der Geist sich selbst umfängt“ (Narzissmus der Gebildeten)

3. „Das Blenden der Erscheinung, die sich an unsere Sinne drängt!“ (sexy Weiber, lügenhafte Sinnenwelt)

4. „Was uns in Träumen heuchelt, Des Ruhms, der Namensdauer Trug!“ (Nobel- und Adornopreise)

5. „Was als Besitz uns schmeichelt, Als Weib und Kind, als Knecht und Pflug.“ (interessante kapitalistische Reihenbildung, Pflug und Knecht heute weniger als Besitz geeignet, dafür immer noch Weib und Kind. Mit letzterem kann man an die Börse gehen, um zu wuchern, wenn der Euro endgültig kollabiert)

6. „Verflucht sei Mammon, wenn er mit Schätzen, Er uns zu kühnen Taten regt, Wenn er zu müßigem Ergetzen, Die Polster uns zurechtelegt.“ (Zockerei, Lebensmittelspekulation. Die Polster zum Ergetzen können wir vergessen, die kennt kein Tycoon von Format.)

7. „Fluch sei dem Balsamsaft der Trauben!“ (Traubensaft ist es nicht)

8. „Fluch jener höchsten Liebeshuld.“ (kann mit Sex zusammenhängen, muss aber nicht)

9. „Fluch sei der Hoffnung!“ (Paulus, 1.Kor. 13)

10. „Fluch dem Glauben!“ (dito)

11. „Und Fluch vor allem der Geduld“. (Oha, kein Fluch auf die Liebe – oder sollte Geduld die Übersetzung der Agape sein?)

Fehlt nur noch ein Fluch und wir hätten die Zahl der Jünger in deutsche Flüche übersetzt.

Der unsichtbare Geisterchor – heute: die Vernünftigen, die es nicht mehr gibt – lassen sich nicht beeindrucken und behalten den analytischen Überblick:

„Weh, weh, Du hast sie zerstört, Die schöne Welt, Mit mächtiger Faust; sie stürzt, sie zerfällt! Ein Halbgott hat sie zerschlagen! Wir tragen, die Trümmer ins Nichts hinüber, Und klagen über die verlorne Schöne.“

Das ist kein Vorausgesang auf Nietzsches kommenden Nihilismus. Alles wird gut, wenn alles in Trümmern liegt. Dann kann alles frisch und neu aus dem Nichts auferbaut werden.

„Baue sie wieder,

In deinem Busen baue sie auf.“

Alle faustischen und deutschen Wege führen zum Schöpfer aus dem Nichts. Erst zerstören, dann auferbauen, dazwischen tabula rasa. Alles muss rasiert werden, damit am Punkt Null von vorne begonnen werden kann. Die Jungfräulichkeit des Seins muss wieder hergestellt werden. Was bei der Schönheitsoperation muslimischer Sünderinnen die Reparatur des Hymens, ist bei Deutschen der Faustschlag aufs Sein, damit es zum Nichts werde.

Die omnipotente Erschaffung aus dem Nichts beginnt im Innern. Das ist die deutsche Innerlichkeit, die seit Augustin die Welt neu im Innern austrägt, denn auch sie muss neu geboren werden.

Christen gehen mit der neuen Welt im Innern schwanger. Ihre Kreativität besteht darin, das Riesenbaby peu à peu durch technischen und naturwissenschaftlichen Fortschritt aus sich heraus zu gebären, damit es allmählich die dekadente alte äußerliche Welt ablöst. „Wo ist die Brust, die eine Welt in sich erschuf, Und trug und hegte?“ Es ist die Brust des „Übermenschen“, der sich erkühnt, den Geistern gleich zu werden.

Geist ist zu tief gegriffen, Faust & Alter Ego Mephisto ergeben zusammen: Gott. Das Gute ist ohne Vehikel des Bösen kraftlos, erst beides zusammen ergibt die Summe: Gott. Man kann weder Gott noch dem Bösen entrinnen. Ob Mutter Theresa, ob Hitler, stets ist man in Gott.

Das bestätigt die moderne Ausgabe des Faust, der von Thomas Mann inzwischen promovierte Doktor Faustus. Schließlich befinden wir uns anjetzo im höheren Bürgertum, da kann ein Faust ohne akademische Grade keinen Furor machen: „Abtrünnigkeit ist ein Akt des Glaubens, und alles ist und geschieht in Gott, besonders auch der Abfall von ihm.“

Ade Gottlosigkeit, ade Gottesleugner, in Deutschland habt ihr keine Chancen. Glaubt ihr, dann glaubt ihr. Glaubt ihr nicht, glaubt ihr erst recht. Jeder Gottesleugner, jeder Agnostiker ist ein Simulant, dem man in einem öffentlichen Prozess mit links nachweisen kann, dass er ein verkappter Gläubiger ist, der unter Anwendung geeigneter Instrumente dem rechten Bekenntnis zugeführt werden muss.

Ihm muss deutlich gemacht werden, dass er seit Kindesbeinen geglaubt hat und bis ins Grab glauben wird. Das soll er vor der Welt verkünden. Womit wir endgültig bei der mittelalterlichen Inquisition angekommen wären, die von Kardinal Torquemada-Mosebach in mildtätiger Routine geleitet wird.

Faust ist die deutsche Ausgabe Gottes, der im Innern mit einer neuen Schöpfung schwanger geht, die er mit Hilfe des teuflischen Geburtshelfers zur Welt bringt. Das geht nur, wenn er die alte Welt zuvor aus dem Weg geräumt hat. Das Neue steht im Vernichtungskampf mit dem verbrauchten, degenerierten Alten, das die Neu-Gierigen entsetzlich langweilt.

Das deutsche Genie ist ein Neu-Gieriger, der alle Altgierigen aus dem Wege räumen muss. Neugierde als Erkenntniswille wird seit Augustin im Christentum zur Sünde der Neu-Gierde gemacht.

Erkennen ist ein heidnischer Akt, ist Weltweisheit und hat vor Gottes Weisheit keinen Bestand. „Vernichten werde ich die Weisheit der Weisen“, schreibt Paulus.

Der dezidierte Nichtchrist Goethe hat nichts anderes zu tun, als diesen Angriff auf die Philosophie in seiner Hauptfigur zum Ereignis werden zu lassen. Die Stigmatisierung des Erkennens als Gier auf das Neue kommt ausgerechnet von jenen, die selbst das Neue als Kern ihrer Erlösung predigen. Doch dieses Neue kann durch Gier nicht ergriffen, es muss als Offenbarung passiv übernommen werden.

Die innerliche Welt, die der deutsche Mensch, pardon Mann, aus sich gebären muss, ist identisch mit Fichtes Ich, das in Vollmacht ein Nicht-Ich aus sich heraus „setzt“, also gebiert. Der deutsche Mann gebiert das Wesen, an dem die Welt soll genesen. Das Neue Kind ist das erste Wesen, das in Omnipotenz Ich sagen darf.

Jetzt verstehen wir, warum geniale Menschen kreative Menschen sind. Creare, Creator, Creatio ex nihilo sind lateinische Bezeichnungen des Schöpfers und seiner Genesis. Jeder Kreative ist ein Möchtegerngott, der etwas auf den Markt wirft, was es vorher noch nieeeee gegeben hat.

Dem deutschen Geniekult liegt ein erbarmungsloser Geschlechterkampf zugrunde. Was das Weib gebiert, ist die alte sündige Kreatur. Der Mann erst bringt aus den Tiefen seiner unendlichen Innerlichkeit die neue Welt hervor.

Völlig richtig sagen die Amerikaner zu ihren Mach-Werken: das ist mein Baby. Und welche menschenfreundliche Erfindung mit enormer Strahlkraft nannten sie Little Boy, mein kleiner Junge? Die Hiroshima-Bombe.

Was allerdings den technischen Babys noch fehlt, ist der Geist. Dieses Problem hat Silicon-Valley noch nicht gelöst. Will man Prophete Schirrmacher und seinem neuesten Guru Kurzweil glauben (allein der Name des Gurus ist Programm: er hat die Langeweile besiegt), stehen sie kurz davor. Wenn es den Männern gelingt, eine Maschine zu bauen, die beim ersten Probelauf Mama schreit, pardon Papa, ist die Zeit der natürlichen Geburten abgelaufen.

Dann beginnt das große Frauensterben als zweite Hexenjagd, von dieser minderwertigen Sorte Gebärerin brauchen wir dann niemanden mehr. Die früheren Hexen waren Gebärhelferinnen minderwertiger und in Sünden geborener Kinder.

Das neue Kind des Mannes wird ohne Sex, also ohne Sünde, gezeugt und geboren werden. Augustins Traum einer sündenfreien Zeugung ohne Geschlechtsorgane wird Realität. Neben diesem Neuen Kind, dem homo novus aus dem Labor, wird selbst Jesus ziemlich alt aussehen.

Die Physiognomie des Faust wird durch die seines promovierten Nachfolgers erhärtet. (Wird es einen Nachfolger des Nachfolgers geben, muss er mindestens habilitiert sein.) Dr. Faustus, Adrian Leverkühn, hat den Sinn für das „Abgeschmackte, die Ermüdbarkeit, die Neigung zum Überdruss, die Fähigkeit zum Ekel.“

Als kreativer, genialischer Musiker muss er das Neue erfinden. Dazu benötigt er das Gefühl „für die historische Verbrauchtheit und Ausgeschöpfheit der Kunstmittel, der Langenweile daran und des Trachtens nach neuen Wegen.“ Das vitale Bedürfnis nach „revolutionärem Fortschritt und nach dem Zustandekommen des Neuen ist angewiesen auf das Vehikel stärksten subjektiven Gefühls für die neue Abgestandenheit, das Nichts-mehr-zu-sagen-Haben.“

Schon in der Schule hat sich der Überflieger gelangweilt, weil er schell erfasste, worauf der Lehrer hinauswollte. Schon in diesen 45 Minuten einer Fachstunde überkam ihn die Langenweile – „das kälteste Ding von der Welt.“ Diese Langeweile war vermutlich die Ursache seiner regelmäßigen Migräne oder seines „Hauptwehs“, wie er sie selbst nannte.

Ordinäres Kopfweh ist nicht genialisch genug. Es heißt ja auch nicht: Oh Kopf, voll Blut und Wunden, voll Schmerz und voller Hohn. Diese Kopfschmerzen, entsprungen der schnellen Ermüdbarkeit und der Neigung zum Ekel am ewig Gleichen und Veralteten, waren ständige Begleiterscheinungen seiner „Weltscheu“.

Weltscheu ist Weltabscheu, die sich nicht zu erkennen geben will. Linkische Isoliertheit und Abscheu vor der Welt, die sich als ätherische Sensibilität definiert, hing zusammen mit einem heiligen Zorn auf die Welt, die man ob ihrer Trivialität zusammenschlagen musste.

Diese Scheu, urteilte Leverkühn, sei der „Ausdruck des Mangels an Wärme, an Sympathie, an Liebe.“ An Liebe zur Welt. Und er fragte sich, ob er mit diesem Mangel überhaupt zum Künstler tauge, denn hieße das nicht: „zum Liebhaber und Geliebten der Welt“?

Thomas Mann hat die Sonde tief gelegt und Dinge ans Licht befördert, die man heute nirgendwo mehr lesen kann. Den aufs Neue versessenen Kreativen, die sich an allem Vorhandenen ekeln, gleichgültig, ob es die Menschen zufrieden stellt oder nicht, fehlt die Sympathie zur Welt. Sie ekeln sich an dieser alten Erde, die sie so schnell wie möglich mit neuen Ideen und Kreationen vergessen machen müssen.

Ihre Neuerungssucht ist ohne Liebe zum Dasein. Wie lieblos und kalt muss ihr Reich des Neuen sein, das sie ihrem von Schmerzen geplagten Haupt entbinden müssen? Linkische Weltscheu und Weltfremdheit ist das Quellgebiet deutscher – und nicht nur deutscher – Erfindungskunst und Kreativität. Was ohne Liebe, was aus Ekel gezeugt wird, kann nur kalt und ekelhaft sein.

Dem Ekel des Doktor Faustus entspricht der Fluch des Faust, der die ganze Welt erst in Trümmer legen muss, bevor er sie in seinem Busen neu aufbauen kann.

Triebfeder deutschen Wissenwollens ist nicht die Erkenntnis um ihrer selbst willen, die den Menschen zur Ruhe und zur Verehrung der Natur bringt.

Inter faeces et urinam nascimur – zwischen Schiss und Piss werden wir geboren – sagten dezente Kirchenväter über den sündigen Menschen. Zwischen Ekel, Lieblosigkeit und Langeweile werden deutsche Genies geboren, die mit der Faust die Natur zertrümmern müssen, um einen Alptraum aus Mammon und Maschinen an ihre Stelle zu setzen.

Es sind Träume von Alchimisten, die mit Tiegel, Zangen und Geräten die Natur in die Mangel nehmen, um ihr das Gold aus allen Poren zu ziehen – und den wertlosen Rest auf den Müll zu werfen. Das meinte Faust mit seinem Bekenntnis: nun hab ich mich der Magie ergeben.

Sein moderner Fortsetzer meint nichts anderes, wenn er in Goldmacherdeutsch erklärt: „Ich werde die prima materia veredeln, indem ich ihr mit Geist und Feuer den Stoff durch viele Engen und Retorten zur Läuterung treibe. Herrliches Geschäft! Ich kenne kein spannenderes, heimlicheres, höheres, tieferes, besseres, keines, für das mich zu gewinnen es geringerer Überredung bedürfte.“

Faust ist kein Wissenssucher, er ist Erlöser. Er will die Welt aus ihrer Minderwertigkeit lösen, indem er sie vernichtet. Sein Programm ist Läuterung der Natur durch Feuer und Geist. Geist verbrennt die Materie, um sie wie Phönix aus der Asche auferstehen zu lassen.

Warum wird Philosophie hierzulande immer mehr mit Ekel und Abscheu betrachtet oder zum folgenlosen Bildungsgeplapper degradiert?

Weil sie weder erlöst, noch mit Hokuspokus im Feuerofen läutert. Weil sie zum Fluchen und zum Hass auf die Natur ungeeignet ist. Weil sie kein Wissen anhäuft, um Welt zur Unkenntlichkeit zu schänden, sondern in Kenntlichkeit zu erkennen, zu lieben und zu verehren.

„Denn da ist keine Stelle, die dich nicht sieht: Du musst dein Leben ändern.“