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Schlechtmenschen

Hello, Freunde der Schlechtmenschen,

Gutmenschen, die im Dienste ihres Guten Gewalt anwenden, sind gefährlich. Müssen wir Schlechtmenschen werden, um der zwangsbeglückenden Falle der Gutmenschen zu entkommen?

Der deutsche Hass gegen Gutmenschen beginnt mit der Abwendung von der allgemeinen Menschenrechtsmoral der Aufklärung. So gut, so moralisch, so blauäugig könne kein Mensch sein, dass er alle Menschen auf dem Weltenrund in gleichem Maße achten und lieben könne, wie es die realitätsferne, übertriebene Idealistenmoral der westlichen Vernünftler fordere. Behaupteten romantische Jüngelchen aus den deutschen Wäldern, die noch gestern glühende Anhänger der Amerikanischen und Französischen Revolution waren.

Was war geschehen, dass sie über Nacht zu entschiedenen Gegnern des „Naturrechts der Schwachen“ wurden, für das alle Menschen gleich sind oder gleich sein sollten? (Im Gegensatz zum „Naturrecht der Starken“, das die Menschen in Schwache und Starke, Pöbel und Vornehme, Arme und Reiche trennt und für die „Besten“ Macht und Privilegien fordert).

Sacra, nein, nicht dieselben blauen Augen haben, sondern gleich viel wert sein, einerlei, ob sie blond, braun oder schwarz, einen hohen oder niederen IQ besitzen, Erben steinreicher Vorfahren oder arme Schlucker sind.

Das Niveau der deutschen Gleichheits-Debatte ist so unterirdisch, dass Gegner der Gleichheit nur auf verschiedene Begabungen der Menschen verweisen müssen, um

das Thema der Gleichheit mit überlegener Geste zu kassieren.

Hayeks Neoliberalismus verabscheut Gleichheit in jedweder Form. Der Egalitarismus in den Schulen sei der Tod der absolut notwendigen, wohlstands-schaffenden Ungleichheit. Nur Unterschiede und klare Hierarchien würden Wettbewerb garantieren, nur unerbittlicher Wettbewerb garantiere das Wachstum der Wirtschaft. Ohne den Ehrgeiz, der Beste zu sein, gebe es weder Leistungsmotivation noch die Berechtigung, reicher und mächtiger zu sein als der griechische Nachbar.

Sein Leben lang bekämpfte der Altösterreicher linke Bildungspolitiker, die alle Ungleichheit der Kinder zugunsten „gleicher Startbedingungen“ abschaffen wollten. „Hayek kann in der Ungleichheit nichts Negatives entdecken, weil er überzeugt ist, dass Ungleichheit und Vielfalt der gesellschaftlichen Strukturen wesentlicher Bestandteil der abstrakten und spontanen Ordnung sind; „Ungleichheit macht Ordnung“, so lautet eine seiner Parolen, mit der er für die Hierarchie von Strukturen“ plädiert, die den kumulativen Prozess ermöglicht, bei der sich diejenigen schützen, die stärkere Kohärenz (Durchsetzungskraft) oder größere Elastizität besitzen.“ (In Hans Jörg Henneckes Biografie über Hayek)

Seine Vorliebe für straffe Hierarchien ging so weit, dass Hayek eine effiziente Diktatur jeder schlampigen Demokratie vorzog.

Der Mann, der international bekannt wurde mit einem Buch gegen die Hitlerei, hatte nicht die geringste Hemmung, Diktaturen à la Pinochet – sofern sie nach seinen Regeln wirtschafteten – jeder Demokratie vorzuziehen, die sich einen schönen Lenz macht und Gott Mammon einen guten Mann sein lässt.

Wie wenig er vom Dritten Reich verstanden hatte, konnte man sehen, als er nach Kriegsende seine österreichischen Landsleute als Opfer der Nationalsozialisten exkulpierte. Sein Bruder war überzeugter Nazi, sein Lehrer Ludwig von Mises hatte eine Lobeshymne auf den italienischen Faschismus geschrieben. Altadlige Habsburger mögen keine Demokratie der Gosse. „Manchmal kann ein vernünftiger Diktator die persönliche Freiheit garantieren.“ Unter persönlicher Freiheit verstand Hayek die unbegrenzte Möglichkeit fremdschädigenden Raffens.

Die Hayek‘sche Vorliebe für effiziente Diktaturen konnte man vor wenigen Wochen im stets flotten und zeitgeistangepassten SPIEGEL wiederfinden. Das momentane Gerede vom notwendigen Übergang zu post-demokratischen Gesellschaften ist auf neoliberalem Boden gewachsen, der die Tradition des „Naturrechts der Starken“ in ökonomische Erfolgsziffern verwandelt. Selbst die Diktatur der dreißig Tyrannen im antiken Athen – die Gegner des Sokrates –, lobte Hayek als Epoche größerer Freiheit – verglichen mit jeder durchschnittlichen Schlendrian-Demokratie. Hayeks Vorliebe für Diktatoren ging selbst seiner besten Schülerin Margaret Thatcher auf den Geist.

Die deutsche Verräterpartei der Schwachen – die ESSPEDEE –, die längst dem neoliberalen Dogma verfallen ist, die Starken hofiert und die Schwachen mit Sozialknete diskriminiert, will ihre Ursünde mit startgleichen Bildungschancen wett machen. Doch weder gibt es gleiche Bildungschancen, noch ist Bildung ein Erfolgsgarant für Karrieren. Im Gegenteil, die Eliten reproduzieren sich fast ausschließlich aus den eigenen Reihen. (Eliteforscher Hartmann)

Durchsetzungskraft, Rücksichtslosigkeit und neurotische Erfolgssucht sind die notwendigen Eigenschaften ehrgeiziger Elitebürschchen. Nicht klassische Bildung oder philosophische Reflexionsfähigkeit. Hat Zetsche seine Qualifikation für ps-starke CO2-Schleudern je mit der Interpretation eines Goethegedichts nachgewiesen?

(Erfolgreiche SPDler verteidigen das System gewöhnlich mit einem Satz, der mit „Ich“ beginnt: Ich hab es doch auch geschafft! Ist das nicht der Beweis, dass jeder es schaffen kann? Heilige Karrieristenblödheit, die nicht die statistische Grundregel kennt: seltene Ausreißer bestätigen den weit verbreiteten Durchschnitt.)

Staatliche Schulen werden so miserabel ausgestattet, dass der Bourgeoisnachwuchs – nicht anders als in den USA und England – zunehmend in teure Privatschulen abwandert, wo er zu seiner höheren Berufung dressiert wird. Die frontal abrichtenden Standard-Schulen sind zudem kein Korrektiv, sondern ein Abklatsch der Gesellschaft. Bessere Zensuren erhalten automatisch die Sprösslinge der „besseren Schichten“.

Die heutigen Schulen zementieren die Spaltung der Gesellschaft. Das sollen sie auch. Das Zensurensystem ist eine unerträgliche Mixtur aus altpreußischen Schlageritualen, pseudo-quantifizierender Scheinkorrektheit und zum Himmel schreiender Gerechtigkeitsphraseologie. Wie vielen Kindern ist durch diese sadistische Seelenqual Denken, Hören und Sehen ausgetrieben worden?

Die strahlende Intelligenz der Kinder – der die meisten Erwachsenen und Autoritäten nicht gewachsen sind – muss geschreddert werden, damit die Kinder nicht die einfachsten Fragen stellen können:

Stimmt es, dass ihr Erwachsenen die Welt zugrunde richtet, damit wir Kinder keine Zukunft haben? Wie erklärt ihr diese kinderfeindliche Brutalität? Woher nehmt ihr die Frechheit, uns Moral beizubringen – um uns beim Abgang von der Schule zu erklären, mit naiver Kindermoral könnten wir in der bösen Welt nicht bestehen? Ihr wollt Vorbilder sein, indem ihr erklärt, keine mehr zu sein? Woher nehmt ihr die Frechheit, uns erziehen zu dürfen, obgleich ihr uns dem Elend überlasst, das ihr bedenkenlos seit Jahrzehnten anrichtet?

Inzwischen sind die Erwachsenen fähig, den Mars mit ihren Maschinen zu belästigen – doch eine menschliche Schule einzurichten, in der Kinder sich wohl fühlen und beim Erkennen der Welt fürsorglich begleitet werden: dazu sind sie unfähig. Rechtzeitig muss die revolutionäre Intelligenz der Kinder in Schul- und Versagensängste pervertiert werden, damit die Erwachsenen ungestört ihren suizidalen Kurs fortsetzen können.

Welche Elterngeneration war die letzte, deren Motto lautete: unsere Kinder sollen es einmal besser haben? Spätestens seit dem Mongolen-Einbruch der Neoliberalen (Verzeihung, liebe Mongolen, verglichen mit Hayek & Co ist euer Dschingis Kahn ein Milchknabe) ist dieses „Prinzip Hoffnung“ auf dem Altar des gegenwärtigen Profits geopfert worden.

Man könnte von einer Zeitenwende sprechen: vor und nach der Zeit, als der Spruch noch galt: einst sollen die Kinder es besser haben.

Wäre die heutige Elterngeneration ehrlich, müsste sie sich täglich geißeln: unseren Kindern haben wir die Zukunft gestohlen. Unsere Kinder haben wir nicht verdient. Die Kinder wiederum haben es nicht verdient, dass sie mit solch untergangssüchtigen Eltern bestraft werden.

Wie kam es zum moralischen, politischen und philosophischen Umbruch der Zeiten, als die Romantiker den Werten der Aufklärung Ade sagten?

Napoleon kam wie ein Verhängnis über Europa und widerlegte in hohem Maße, was die Französische Revolution verheißen hatte. Er war nicht das komplette Gegenteil. Sein Code Napoleon, die Emanzipation der Juden brachte Europa in vieler Hinsicht voran. Doch was er mit links gab, nahm er mit rechts wieder zurück. Zwangsbeglückungen beglücken nicht dauerhaft.

Die Französische Revolution hatten die deutschen Freiheitsfreunde überschwänglich begrüßt. Als aber Napoleon ihnen diese Prinzipien mit Gewalt aufoktroyieren wollte, rebellierten sie gegen den Zwang – auch wenn sie den Inhalt der politischen Reformen immer noch für richtig hielten. Enttäuschung über die Franzosen, für die sie eben noch geschwärmt hatten, Trotz und Empörung gegen den l’empereur führten sie auf den verhängnisvollen Kurs des deutschen Sonderwegs.

Es war ein Kurs der Ressentiments gegen Napoleon, die Aufklärung, gegen die Visionen der Revolution, gegen Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Hier begann die Deutsche Bewegung, die mehr als 100 Jahre gärte, bis sie im Dritten Reich zur Explosion kam.

Das Programm der Sonderwegdeutschen war das chauvinistische Anti gegen alle Werte des Westens:

Statt Demokratie – die Herrschaft der traditionellen Mächte König, Adel und Klerus. Statt allgemeiner „abstrakter“ Rechte, die für alle Menschen gelten – die historischen Rechte, die auf deutschem Boden gewachsen waren und besonders für Deutsche galten. Statt freier Brüderlichkeit – isolierte völkische Besonderheiten. Statt äußerlicher Freiheit – bloße innerliche Freiheit, die den Obrigkeiten untertan blieb. Statt Voltaire – Luther. Statt Gleichheit – strenge Hierarchie und Ständestaat. Statt rationalem Denken – Rückkehr zur Religion des verklärten Mittelalters. Statt Vernunft – emotionale Frömmigkeit. Statt Selberdenken – das von Gott eingesetzte blinde Vertrauen. Statt selbstbestimmter Moral – Gottes Gebote. Statt Graecomanie – Bibliomanie. Statt schöner Kunst – erbauliche Nazarener. Statt Recht – Macht. Statt gleichberechtigter Nationen – auserwählte Völker. Statt mündiger Völker – prophetische Gestalten und gottgesandte Führer. Statt politischer Aktion – empfindsame Tagebücher, emotionale Briefe. Statt scharfer Debatten – Erbaulichkeiten und Suchen nach der Blauen Blume, die stilles Glück im Winkel, ewige Seligkeit oder lebensunfähige Todessehnsucht bedeuten konnte.

Der Graben zwischen Deutschlands Selbstisolierung und dem Westen wuchs 100 Jahre lang, bis er im Ersten Weltkrieg den ultimativen Gottesbeweis forderte: der Gewinner des Krieges wäre – dank Gottes Gnade – die wahre auserwählte Nation.

Die Deutschen verloren den Krieg, der Gottesbeweis war gegen sie gerichtet. Eine gottverlassene Nation wurde in Versailles schwer gedemütigt und musste ihr verlorenes Sendungsbewusstsein durch einen neuen Führer und Sohn der Vorsehung zurück gewinnen.

Vereinfacht gesagt, war das Gute des Westens das Böse der Deutschen, und das Böse des Westens das Gute der Deutschen. Wenn heute Gutmenschen angegriffen werden, schwingen noch immer die Attacken der Deutschen gegen die Menschenrechte des Westens im Untergrund mit. Der Vorwurf besteht aus drei Teilen:

a) Tut nicht so moralisch, ihr Heiligendarsteller. Mit eurer vorbildlichen Moral wollt ihr nur angeben.

b) Mit eurer gewalttätigen Moral wollt ihr uns zwangsbeglücken. Selbst wenn eure Moral nicht vom Himmel stammt: eure Methoden sind noch immer christlich – also faschistisch.

c) Mit eurer übertriebenen Moral macht ihr die Welt nicht besser, sondern schlimmer. Weniger wäre mehr. Wer zu viel will, schadet mehr als er nützt. Wer den Himmel auf Erden errichten will, baut die Hölle.

Harald Martenstein hat in einem ZEIT-Artikel seine Kritik an einem Gutmenschen niedergeschrieben: „Der Gutmensch glaubt, dass er, im Kampf für das, was er für „das Gute“ hält, von jeder zwischenmenschlichen Rücksicht und jeder zivilisatorischen Regel entpflichtet ist. Beleidigungen, Demütigungen und sogar Gewalt sind erlaubt.“

Solange der Gutmensch zur Gewalt greift, um sein Gutes in die Gesellschaft zu bringen, ist er Faschist. Unerfindlich, warum der Autor vor den Konsequenzen zurückweicht:

„Keine Sorge, Harald, dies wird keine Retourkutsche. Sie sind kein Nazi. Sie sind ein Gutmensch“.

Martenstein hat nichts verstanden. Nur Gutmenschen können Nazis sein. Die gefährdete Welt wollen sie mit Gewalt retten.

Hier zeigt sich, dass der Begriff Faschismus in Deutschland keinen klar definierten Inhalt hat. Die Deutschen wollen den Faschismus (oder Totalitarismus) bewältigt haben, ohne zu wissen, was sie da bewältigt haben. Auch ohne zu wissen, was sie in Zukunft noch bewältigen müssen, weil der Kampf gegen das faschistische Unbewusste keine Tagesangelegenheit sein kann. Historisch sitzt er tief verankert in jeder deutschen Seele.

Faschismus war keine Erfindung der 30er Jahre, wie heutige Historiker behaupten. Er war auch kein leerer Zynismus der SA und SS-Horden, die an nichts glaubten und ihn nur als Machtinstrument benutzt hätten. Ein schrecklicher Irrtum, der die Deutschen beruhigen soll: ihr wart nur Verführte. Die wahren Urheber der Katastrophe waren eine kleine Schar von Bösen, die euch mit raffinierten Methoden übertölpelt haben.

Gefährlicher Unsinn. Die Deutschen haben das Verhängnis seit mindestens 200 Jahren ausgebrütet. Wären sie zu Napoleons Zeiten nicht von der Aufklärung abgefallen und ins christliche Credo regrediert, hätten sie eine reelle Chance zur Errichtung einer Demokratie gehabt.

Sind nur Gutmenschen anfällig für den Faschismus? Aus der Sicht des Westens haben die Deutschen das Gute verraten und das Böse gewählt: Macht vor Recht, Privilegien für Erwählte, chauvinistischer Messianismus, gewalttätige Eliminierung aller Feinde und Andersgläubigen. Gerade das Schlechte, das sie für das Gute hielten, erlaubte ihnen, mit brutalen Methoden den Willen Gottes auf Erden zu vollstrecken.

Eben dies ist die theologische Formel für Faschismus: Gottes Wort muss den Völkern mit Gewalt aufgedrungen werden. Sind sie nicht willig, so müssen sie mit Zwang beglückt werden.

Zu Unrecht glauben die deutschen Kritiker der Gutmenschen, sie seien vor Faschismus geschützt. Ihre Kritik am Guten lautet in Klardeutsch: euer Gutes ist methodisch schlecht, unser Schlechtes ist besser als euer Gutes. Somit hat nur ein Wechsel des Inhalts stattgefunden. Die Schwarz-Weiß-Funktion des Guten und Bösen ist gleich geblieben. Ob ich das Gute oder das Böse für das eigentliche Gute halte, ist methodisch belanglos. So oder so glaube ich die Lizenz zu besitzen, für mein subjektives Gutes zur Gewalt greifen zu dürfen.

In allen drei Monotheismen ist der faschistische Beglückungszwang derselbe, gleichgültig, ob er für Mose, Jesus oder Mohammed foltert und tötet.

Im christlichen Westen gibt es eine Aversion gegen das Gute, das im Namen einer heidnischen Vernunft die Welt perfektionieren will. Das darf nicht sein, die Welt verlöre ihren Charakter des Jammertals. Also muss das „Beste“ bekämpft werden, um das Sündige zu retten. Hier wäre das Schlechte das Bessere. Wer die Welt mit irdischen Methoden retten wollte, richtete sie völlig zugrunde. Also muss die Herrschaft des Schlechten gesichert werden, damit der Erlöser noch etwas zu tun hat. Nur die Kranken bedürfen des Arztes, also darf die Welt den Status des Kranken nie verlieren.

Zwar ist Sündiges schlecht, aber immer noch besser als die hybriden Selbstrettungsmaßnahmen der Ungläubigen. Das ist im Kern eine der wichtigsten Rechtfertigungen des sündigen Kapitalismus aus amerikanischer Christen-Perspektive. Der Kapitalismus ist schlecht, etwas Besseres aber haben wir nicht. Alles Bessere entspringt dem Hochmut der Gottlosen, die sich einbilden, mit ihrer eigenen Vernunft die Welt zu verbessern.

In seinem Buch „Der Geist des demokratischen Kapitalismus“ schreibt der amerikanische Theologe Michael Novak:

„Die Kraft der Lehre von der Erbsünde besteht darin, das leichtgläubige Gemüt gegen solche Illusionen zu wappnen. Die menschliche Intelligenz ist nicht nur begrenzt, sondern oft befangen und verzerrt. Die menschlichen Leidenschaften sind alltäglichen Einflüssen ausgesetzt. Jene, die an die Erbsünde glauben, glauben, dass es unter solchen Umständen grausam ist, zu viel von den anderen Menschen zu erwarten. Dazu kommt, dass sie glauben, dass die Wurzel des Bösen nicht in unseren Systemen, sondern in uns selbst liegt. Aus all diesen Gründen erscheint es falsch, zu meinen, dass der Geist des Wettbewerbs den Evangelien fremd ist und der Konkurrenzkampf um Geld die tödlichste Gefahr für die Menschheit sei. Die Seele des Fortschrittsgeistes ist der Wunsch, Besseres zu leisten. Eine Welt, die sich dem Wettbewerb verschließt, ist eine Welt, die sich mit dem status quo, dem Istzustand, abfinden muss.“

Der Kapitalismus ist schlecht, doch deshalb ist er gut. Etwas Besseres gibt’s nicht auf der Welt. Wenn die Welt versucht, sich selbst zu retten, erreicht sie das genaue Gegenteil. Wer die Welt in eigenmächtiger Hybris bessern will, stößt sie endgültig in den Abgrund. Lasst alle Hoffnung fahren, ihr weltlichen Politiker und Wirtschaftler, das Schicksal der Menschheit zu verbessern. Lasst alles miserabel, wie es ist. Nur Gott kann uns noch retten – sagte Heidegger im SPIEGEL. Womit erwiesen, dass deutsche Tiefendenker auch nur Vertreter des Bösen auf der Welt sind. Lasst euch an meiner Gnade genügen. Erst im Himmel wird euer Elend überwunden sein.

Novaks theologische Rechtfertigung des Kapitalismus hat den amerikanischen Milch-und-Honig-Optimismus der ersten rauschhaften Erfolgsepochen verloren. Dennoch gilt auch für den Amerikaner: zwar ist irdische Wirtschaft das Produkt der Sünde, doch ein Besseres gibt es nicht. Wie Leibniz erklärt Novak: theoretisch könnte man sich die Welt perfekter vorstellen. Doch von allen denkbaren Entwürfen hat Gott die beste aller möglichen realisiert. Mehr war nicht drin.

Der Leibniz‘sche Optimismus ist zum amerikanischen geworden. Mag die effektivste Form der irdischen Ökonomie auch noch so egoistisch und unsolidarisch scheinen, etwas Besseres hat die Schöpfung nicht im Angebot.

Dieser „Optimismus“ ist identisch mit der Sicht Hayeks. Räsoniert und kritisiert soviel ihr wollt, ihr linken Weltverbesserer. Doch gehorcht den Gesetzen der Evolution, wie sie nun mal sind. Etwas Besseres gibt’s nicht.

Das göttlich verordnete Schlechte ist das Bestmögliche auf Erden. Wird es mit göttlich genehmigter Gewalt den Völkern übergestülpt, sind wir wieder beim uralten christogenen Faschismus.

Die amerikanische Form des Faschismus ist der Kapitalismus – oder der Neoliberalismus. Die Waffen des deutschen Faschismus waren Panzer, Flugzeuge und Gewehre. Die Waffen des amerikanischen Faschismus sind Intelligenzmaschinen, ungeheure Geldmassen und die Theologie der Auserwählten, die als Starke den verworfenen Schwachen die internationalen Gesetze des Zusammenlebens vorschreiben dürfen.

Das folgende Zitat – vermutlich von Karl Rove, einem hochrangigen Berater von Dabbelju Bush –, bringt die messianische Überlegenheit Amerikas in klaren Worten auf den Begriff:

„Wir sind jetzt ein Reich, und wenn wir handeln, schaffen wir unsere eigene Realität. Und während Sie die Realität studieren – bedachtsam wie immer –, werden wir wieder handeln, andere neue Realitäten schaffen, die Sie dann ebenfalls wieder studieren können. Und so werden sich die Dinge ordnen. Wir sind die Akteure der Geschichte und Ihnen, Ihnen allen, bleibt nichts weiter übrig, als zu studieren, was wir tun.“ (Zitiert bei Yanis Varoufakis, „Der Globale Minotaurus“)