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Samstag, 31. März 2012 – Logik des Glücks

Hello, Freunde einer wahren Globalisierung,

sollte wirtschaftliche Globalisierung nicht die Völker einander näher bringen, nach der einleuchtenden Devise: Konkurrenz schmiedet zusammen? Würde der Satz stimmen, müssten Solidarität und tätige Liebe die Menschen auseinandertreiben.

Das ist das Merkwürdige an westlichen Staaten, als Kind lernt man: sei gut, sei verlässlich, unterstütze deine Geschwister, hilf Mama beim Abwasch und Papa beim Autoputzen, dann bist du ein gutes Kind und wirst es weit bringen im Leben.

Kaum ist das Kind in die Pubertät gekommen, lernt es das Gegenteil. Aber nicht in freimütiger und klarer Rede: behandle deine Geschwister als Konkurrenten um die knappe Ressource Elternliebe, trickse sie aus, um deinen Vorteil zu erlangen.

Keine Mutter, kein Vater würde ein Kind beiseite nehmen und sagen (wie es in allen Vorabendsoaps heißt): Du, wir müssen reden. Ab morgen ändert sich deine Moral, sonst bleibst du ein sentimentales Guthascherl und endest als unterbezahlte Krankenschwester.

Miteinander reden muss ein begründungspflichtiges, abnormes Verhalten sein, das angekündigt und abgesichert werden muss. Was, schon wieder reden, wir hatten doch erst an Weihnachten miteinander gesprochen? Da muss was Schlimmes passiert sein, dass man reden muss.

Dass klärendes und erkenntnisförderndes Reden ein lustvolles Bedürfnis sein kann, das hat sich im rhetorischen Deutschland verloren. Die Neugermanen lieben den Vortrag, die Vorlesung, die staatstragende Rede, die Macht des Solistenwortes, wo einer offenbart, alle andern die Offenbarung erwarten. Das können nur Entzugserscheinungen

fleißiger Kirchgänger sein, die sonntäglich von oben die ultimative Wahrheit hörten und nun in postklerikaler Vereinsamung irgendwas vermissen.

Die Pubertät ist weniger ein körperlicher, denn ein moralischer Umstellungsprozess. Der aber in keinem Erziehungsratgeber erwähnt wird. Da gäbe es einen Aufschrei, wenn dieser Paradigmenwechsel in Klardeutsch beschrieben werden würde.

Das Ergebnis ist bekannt, es ist die bundesrepublikanische Gesellschaft in ihrem unterschwelligen, gefühlten Totalwiderspruch. Im Geschäftsleben ein harter Hund, zu Hause – „meine Familie ist mir ganz wichtig, da kann ich auftanken“ (die Familie wird zur emotionalen Wochenend-Tankstelle) – der liebste Papi, der mit ins Baumhaus klettert, Rollerskate fährt und sich als fideler Kumpel gibt.

Wie egoistisches Verhalten eine Gesellschaft zusammenhält, darüber grübelte der liberale Vordenker Lord Dahrendorf sein ganzes ereignisreiches Leben. Da er mehr Vordenker als Denker war, sank er ins Grab, ohne das Rätsel gelöst zu haben.

Liberale Menschen sind im Prinzip sehr nett, was man zurzeit bei Rösler sieht, der zwar nicht nett ist gegen Schlecker-Frauen (die wählen ihn auch nicht), sondern gegenüber Zahnärzten, Apothekern und Bankern. Denen schaufelt er Milliarden in den Hintern, weswegen keine Millionen mehr für unterqualifizierte Shampooverkäuferinnen übrigbleiben.

Auch das Geld ist knapp, also muss es gerecht nach Leistung verteilt werden. Nette Liberale sind aber nicht die größten Logiker. Nur so konnten sie eine Ursünde begehen, die noch schlimmere Folgen hatte als der biblische Sündenfall.

Als sie durch asoziales Verhalten die Gesellschaft zusammenschmieden wollten, begingen sie einen Mord. Keinen Mord aus ödipalen Gründen, da müsste man schon eher an Orest denken, den Muttermörder, doch den hatte Freud nicht im Angebot, ich nehme an, er hatte seine Mami zu lieb. Es war nämlich ein Mord an Mutter Kirche.

Adam Smith hasste die Kirche mit der Nächstenliebe, die nur elitäre Macht, Elend der Massen und den Zerfall der Gesellschaften gebracht hätte. Also stellte er alles auf den Kopf und schüttete dabei das Kind mit dem Bade aus. Nicht Liebe, sondern Eigeninteresse hielte das Gemeinwesen zusammen, so Smith.

Lady Thatcher war bekanntlich der Meinung, es gebe gar keine Gesellschaft. Also musste sie auch kein paradoxes Rätsel lösen. Welchen Dschungel sie regierte, wenn es keine Gesellschaft war, war der gelernten Apothekertochter offensichtlich schnuppe, sie kannte nur Leute, die etwas kaufen wollten und dafür Geld bezahlten.

Adam Smith, der seine schottische Mami auch sehr lieb hatte, hätte auch so denken können: Wenn Liebe die Menschen auseinander treibt und das Elend der Gesellschaft erhöht – kann das wirkliche Liebe sein? Oder benutzt die Kirche dieses kostbare Label zu Unrecht? Wenn Liebe zu lieblosen Umständen führt, war da wirklich Liebe im Spiel?

Jetzt kommen wir zu jenem Mord, den ich eigentlich meinte. Adam Smith, seine Vorgänger und Nachfolger, muss man des – nicht kaltblütigen, eher des warmherzigen, dennoch verhängnisvollen – Mordes am Satz der Kausalität bezichtigen.

Das Wort Kausalität ist heute zum doppelten Fremdwort geworden, kein Mensch von intellektuellem Rang nimmt dieses determinierende Köderwort in den Mund. Das zerrt in jeder Hinsicht an den freiheitlichen Nerven der Liebhaber pluraler Vielfalt, die sich alle erschütternde Eindeutigkeit verbeten.

Und unter Freiheit allein die Möglichkeit verstehen, jeden Unsinn abzusondern, ohne zur Rechenschaft gezogen zu werden. Bekanntlich war das die Freiheit Gottes, der seinen eigenen Natur- und Vernunftgesetzen nicht untertan sein wollte und deshalb die Postmoderne vorwegnahm. 

Man nehme nur den Wirrkopf Walser, der den größten Stuss über Gott, Karl Barth und überhaupt erzählen kann, ohne Anstoß zu erregen. Je oller, desto doller, je paradoxer und irrsinniger, umso amüsanter und unterhaltsamer. So beklatschen ihn seine „Kritiker“, die nur noch Hymnisches über ihn absondern, je älter der vitale Alemanne wird.

„Nichts geschieht von ungefähr, sondern alles aus einem notwendigen Grunde“, so hatte Demokrit als einer der ersten das Gesetz der Kausalität definiert. Nichts ohne Grund, könnte man kurz sagen.

Diesen Kausalitätssatz hat Adam Smith, der liebenswerte und leicht skurrile Humanist und Aufklärer, ohne es zu bemerken, erdolcht und gemetzelt. Bestimmt wollte er eine fürsorgliche und humane Gesellschaft. Daran kann niemand zweifeln, der sein erstes Moralbuch („Theorie der ethischen Gefühle“) gelesen hat, wo er so schöne Dinge über Sympathie und Mimenschlichkeit anhand der Stoiker und antiker Weiser äußert. Sodass alle Menschen sich bis heute die  Frage stellen: wie konnte derselbe Verfasser ein zweites Buch schreiben, das als Grundbuch des schnöden, egoistischen Kapitalismus gilt? 

Wir dürfen nicht vergessen, dass Adam Smith den Kapitalismus nur entwarf, ihn aber in seinen schlimmsten Auswürfen noch gar nicht kennen konnte. Jener begann erst zu seinen Lebzeiten ins Leben zu treten. Und wenn auch für hellsichtige Beobachter schon manches klar sein mochte – Smith lebte in seiner abgeschotteten Bürgerwelt, war mit sich, seiner Mami und seinem wissenschaftlichen Werk beschäftigt.

Er war ein Freund der Schwachen und Armen, ein scharfer Kritiker der Ausbeuter, wollte denen sogar verbieten lassen, bei privaten Treffen hinterlistige Geschäftsabmachungen zu treffen. Da muss man ziemlich naiv-gutartig sein, wenn man solche Gedanken hegen kann. Im Grund war er von der Gutherzigkeit der Menschen überzeugt, die es schon nicht zum Schlimmsten kommen lassen würden.

Das Prinzip des Egoismus in seinen ganzen Auswirkungen hat er gar nicht verstanden. Oder besser, sein propagierter Egoismus war kein moderner Versuch, den andern übers Ohr zu hauen, ihm ging es vielmehr um eine faire Austausch-Situation.

Er stellt den Tausch in den Mittelpunkt. Ich gebe dir, was ich am besten produzieren kann und du gibst mir, was du am besten zustande bringst. Wäre der Kapitalismus auf dieser Stufe stehen geblieben, lebten wir heute in der Vorhalle Elysiums.

Niemand hätte sich auf Kosten des anderen bereichern können. Sowohl der berühmte Metzger wie der berühmte Bäcker wären synchron reich – oder arm geworden. Denn wäre der Bäcker berufsunfähig geworden, wäre er nicht allein verarmt, sondern auch der Metzger, der keinen Kunden mehr gehabt hätte. Schematisch gesprochen.

Eine Klassengesellschaft hätte nie entstehen können. Das Dorf hätte sich nicht geteilt in wenige reiche Säcke und viele arme Schlucker, wie es im mittelalterlichen Papismus unter der Dominanz der Liebe zunehmend der Fall war. Genau dies wollte Smith verhindern. Er strebte eine „nivellierte Mittelstandgesellschaft“ an. Die wachsenden Klüfte von heute hätte er niemals als Früchte seiner Saat anerkannt.

Für manche Linke ist bereits die Tausch-Gesellschaft eine Blume des Bösen. Denn der Verkehr zwischen den Menschen reduziere sich auf den Austausch von Dingen. Wer nichts zu bieten hätte, könne auch nichts erwarten und müsste mit dem Schlimmsten rechnen: dem Mitleid und der Caritas seiner Nachbarn. Möglicherweise mit krimineller Verwahrlosung oder Verhungern.

Wenn das Gemeinwesen nur aus reziprokem Austausch bestünde, wäre die Kritik berechtigt. Denn Adam Smiths System setzt gesunde, tüchtige Menschen voraus, die etwas leisten können, was der Gesellschaft nützlich und notwendig ist. Fällt diese Voraussetzung flach, müsste eine Tauschgesellschaft noch andere Tugenden aktivieren, die über das bloße Do ut des-Prinzip (ich gebe, damit du gibst) hinausgehen.

Ich bin überzeugt, dass solche menschlichen Tugenden eine Selbstverständlichkeit für Smith waren, die er nicht noch einmal erwähnen wollte. Das Moralische verstand sich für ihn von selbst.

Leider hat er nicht mit der Dummheit und Verschlagenheit seiner ökonomischen Nachfolger gerechnet, die sein Buch bis heute als Grundlage des Kapitalismus preisen und verfälschen, indem sie längst das Gegenteil von dem tun, was der stoische Moralphilosoph für richtig hielt.

Smith machte nämlich den Fehler, seine Selbstverständlichkeiten in seinem zweiten Buch („Der Wohlstand der Nationen“) nicht mehr zu erwähnen. Da alle Wirtschaftsprofessoren nur noch das zweite lesen – inzwischen nicht mal das, wie man der Redaktion unter der Hand mitteilte – lesen sie das in unseren Breitengraden verfemte Wort: Eigenliebe.

Alles, was mit Eigen- beginnt, ist in einer Kultur verpönt, die den Satz: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst, als Un-eigennützigkeit interpretiert, als Hingabe im Dienste des Nächsten unter Aufopferung eigener Interessen. Das ist Unsinn, oder sagen wir: ist die Deutung des Klerus, der die Uneigennützigkeit und Opferwilligkeit seiner doofen Schäfchen ausnützte, um sich auf deren Kosten zu mästen.

Stopp, waren die Leute wirklich so dumm, um sich auf diese billige Weise aussaugen zu lassen? Ja und Nein.

Nein, denn sie glaubten, für ihren schwer erarbeiteten Obolus etwas viel Sinnvolleres zu erhalten als das, was sie selber geben konnten, nämlich die ewige Seligkeit. Das war das Tauschgeschäft: ideelles Heil gegen Materielles, Seligkeit gegen Cash.

Ja, denn die jenseitige Währung war nur eine Nullnummer, heute mit Aktien einer tollen Firma zu vergleichen, die nur auf dem bunten Prospekt der Betrüger existiert und mit der Realität nichts zu tun hat. Gäbe es ein jenseitiges Heil, wäre jedes materielle Angebot eine Nichtigkeit, verglichen mit dem, was den Tauschenden in einem unendlichen Leben in Saus und Braus erwartete.

Das christliche Gebot der Nächstenliebe ist nichts als die Goldene Regel, die in vielen Kulturen zuhause ist. Sie ist beileibe nicht das Besondere, die sie laut Bergpredigt sein sollte, die mit aller Macht die Heiden und Zöllner übertrumpfen will. „Denn wenn ihr nur die liebt, die euch lieben, was habt ihr für einen Lohn? Tun nicht auch die Zöllner dasselbe? Und wenn ihr nur euren Bruder grüßt, was tut ihr Besonderes? Tun nicht auch die Heiden dasselbe? Ihr nun sollt vollkommen sein, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist.“ ( Neues Testament > Matthäus 5,46 ff / http://www.way2god.org/de/bibel/matthaeus/5/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/matthaeus/5/“>Matth. 5,46 ff)

Da müsste erst mal bewiesen werden, dass der Vater vollkommen ist. Seine Feinde liebt er nämlich so penetrant, dass er sie eine Ewigkeit in der Hölle grillen lässt. Zu einer solch unüberbietbaren Grausamkeit wären weder Zöllner noch Heiden fähig. Was hier als Vollkommenheit dargestellt ist, ist nichts als eine dreiste Parole, die in sich selbst zusammenfällt.

Wie viele Generationen eifriger Jesu-Anhänger haben den Versuch unternommen, der Fata Morgana der Perfektheit zu folgen und sind darüber elendiglich zerbrochen? Wer Feinde lieben soll, muss den Luxus vorhandener Feinde haben oder sie per Achse des Bösen erst aus den Rippen schwitzen.

In einem dörflichen Tauschgeschäft ist der Bäcker selten der Feind des Metzgers. Wenn der Bäcker den Metzger ständig übers Ohr hauen wollte, weil er ihn nicht leiden könnte, wäre das alles andere als ein sinnvoller Egoismus, denn er würde auf Dauer verarmen. Anfänglich würde er zwar reicher werden, langfristig aber abschirren, denn er könnte nichts mehr an den Metzger verkaufen.

Das Liebesgebot ist nichts als eine simple Regel des wohlverstandenen Eigennutzens, den man gar nicht als Eigen-nutz bezeichnen müsste, als läge der Akzent auf Eigeninteresse, das ein Fremdinteresse ausschlösse. Es besteht gar kein Widerspruch zwischen Eigen- und Fremdinteresse.

Der Tausch ist kein unterschwellig feindseliger oder misstrauischer Akt, den man mit aufgesetzten Rationalisierungen mühsam bändigen und zivilisieren müsste. Es ist auch kein Wettbewerb, sondern eine Kooperation auf höchster Ebene der Solidarität, in der es zugeht wie in einer vernünftigen Familie oder WG. Wenn jeder tut, was er am besten kann, ist für das Ganze am besten gesorgt.

Die heutige Ökonomie ist keine reziproke Tauschwirtschaft auf gleicher Augenhöhe der Akteure, sondern ein Hauen und Stechen völlig unterschiedlicher Marktteilnehmer. Was könnte ein Tante-Emma-Laden mit Aldi oder Lidl tauschen? Hier fressen die Monopole die Winzlinge gnadenlos auf.

Wenn wir die berühmten Sätze von Adam Smith unter die Lupe nehmen, werden wir entdecken, dass er Probleme gehabt haben muss. Denn er schlingert ganz ungewöhnlich durch alle Begriffe.

Nicht vom Wohlwollen des Metzgers, Brauers und Bäckers erwarten wir das, was wir zum Essen brauchen, sondern davon, dass sie ihre eigenen Interessen wahrnehmen. Wir wenden uns nicht an ihre Menschen-, sondern an ihre Eigenliebe, und wir erwähnen nicht die eigenen Bedürfnisse, sondern sprechen von ihrem Vorteil. Niemand möchte weitgehend vom Wohlwollen seiner Mitmenschen abhängen, außer einem Bettler und selbst der verlässt sich nicht allein darauf.“

Smith hätte den christlichen Begriff der Nächstenliebe nicht im Sinne des Klerus übernehmen dürfen (den er verachtete), dann hätte er ihn auch nicht mit einer leicht sündigen Eigenliebe kontrastieren müssen.

In der Goldenen Regel sind Menschen- und Eigenliebe keine Gegensätze, sondern identisch. Ich liebe die Menschen, wenn ich mich selber liebe. Liebe ich mich nicht, kann ich auch die Gemeinschaft nicht lieben. Eigenliebe und Menschenliebe sind keine Begriffe, die sich gegenseitig beschädigen müssen, um sich selbst zu nützen. Vielmehr sind sie kommunizierende Röhren. Je mehr ich mich liebe, je mehr liebe ich die anderen.

Eigenliebe ist nicht Eigensucht, wo mein Interesse das fremde Interesse ausschließt. Kein Geschäftsmann würde auf den Trick hereinfallen, wenn sein Partner so täte, als hätte er vor allem das fremde Interesse im Auge und nicht sein eigenes.

Smith wird seinen eigenen Moralprinzipien untreu, wenn er zwischen beiden Interessen einen Gegensatz konstruiert, den es unter fairen Partnern gar nicht geben kann. Auch die Reibung zwischen Wohlgefallen und Interesse ist tendenziell falsch und überflüssig.

Hier kommt ein für damalige Verhältnisse neues Wort ins Spiel, das die Debatte bis heute verkompliziert und verfälscht hat: Interesse. Interesse soll technisch und cool klingen, als ob es ein exakt berechenbares Bedürfnis im luftleeren Raum gäbe.

Ist Interesse der Ausdruck für minderwertige Eigenliebe? Menschenliebe also etwas Besseres? Bin ich ohne Menschenliebe, wenn ich meinen Interessen folge? Interesse soll wissenschaftlich und moralfrei klingen, als ob keine Moral im Spiele wäre, wenn Interessen ausgehandelt werden.

Bin ich in Kooperation mit einem Partner, muss mein Interesse die Interessen des anderen automatisch mit berücksichtigen, damit auch meine auf ihre Kosten kommen. Macht der andere Bankrott, bin ich selbst gefährdet.

In vorangegangenen Sätzen hatte Smith den Tausch noch sinnvoll formuliert: „gib mir, was ich wünsche und du bekommst, was du benötigst.“ Hier sind Eigen- und Menschenliebe im Ausgleich. Heute klingt Interessenpolitik eigensüchtig und egoistisch im kaltherzigen Sinn. Wer auf seine Interessen achtet, für den sei kein Raum für Liebesgeschenke, so die harten Marktwirtschaftler.

Ein Staat, der auf seine Interessen achte, könne sich keinen überbordenden Sozialetat erlauben. Aber ja doch, wenn er seine wahren Interessen kennt, weiß er sehr wohl, dass es ihm umso besser geht, je weniger unglückliche Menschen er auf seinem Terrain durchfüttern muss. Auf deren Leistungen könnte er nur rechnen, wenn die Bürger munter, selbstbewusst und nicht gedemütigt wären.

Gesunde Menschen wollen etwas tun, sie wollen ihren Beitrag leisten, um der Gesellschaft zu nützen. Kein Mensch mit Selbstachtung will auf Kosten anderer leben, wenn er selbst in der Lage ist, sich zu ernähren. Also muss man Menschen in diese Lage bringen.

Womit klar sein muss, dass ein Staat, der seine Menschen verkommen lässt, sich selbst schädigt. Menschen werden nur dann zur Last und zur Gefahr, wenn man sie als Last und Gefahr behandelt.

Die gefährdetsten Staaten sind jene, in denen die Eigensüchtigen das Kommando haben. Von ihren eigenen Interessen haben sie keine Ahnung, sofern man unter Interesse etwas Lebensfreundliches und Menschenzugewandtes versteht. Versteht man aber darunter den Hang zur Selbstzerstörung, dann handelt der Westen tatsächlich interessengeleitet.

Indem Smith in der Gegenüberstellung von eigenem und fremdem Vorteil schwankt – ich soll den fremden Vorteil betonen, meinen eigenen aber nicht erwähnen – bringt er eine Kluft in das rationale Interesse, die heute zur Identität von Eigensucht und Interesse führte.

Die heutige Politik, im Fahrwasser wirrer Ökonomen, handelt, als ob es zwischen eigenen und fremden Interessen einen Widerspruch gäbe. Noch immer tun sie, als seien sie allein auf der Welt und die Geschicke Griechenlands oder Somalias berührten sie nicht.

Das trifft nicht nur für den europäischen Raum zu, sondern für die ganze Welt. Tret ich für Klimaverbesserung ein, sehe ich mein Schicksal mit dem Schicksal der ganzen Welt verbunden. Ein deutsches Klima wird kein eingefleischter Europagegner erfinden, der die eigenen Interessen rücksichtslos auf Kosten der anderen betont.

Unser rationales Interesse muss sein, die Interessen der ganzen Menschheit zu sehen und mit den unsrigen zu koordinieren. Niemand wird ungerupft davonkommen, wenn Natur und Erde ramponiert werden.

Die bornierten Eigensüchte unserer wirtschaftlichen Eliten werden nicht von rationalen Interessen geleitet, sondern vom Interesse an beschleunigten Katastrophen und einem rasanten Untergang.

Adam Smith hätte sich mit der simplen Formel begnügen können: der Vernünftige sorgt für sich und seine Gemeinschaft. Nicht im Sinne eines primären Raffens und eines sekundären Almosengebens, sondern durch Herstellen von Strukturen, in denen der Vorteil der einen nicht zum automatischen Nachteil des andern gereicht.

Einen Unterschied zwischen sinnvoller Menschen- und vernünftiger Eigenliebe gibt es nicht. Der Lobgesang auf egoistische Eigensucht ist zunehmend der Schwanengesang von Lebensuntüchtigen.

Zwar hatte Smith sich intensiv mit Mandevilles Paradoxie auseinandergesetzt, dass private Laster öffentliche Tugenden seien. Doch er blieb noch zu sehr von dessen Durchlöcherung des Kausalitätssatzes infiziert. 

Ein Laster bleibt ein Laster in all seinen Auswirkungen, eine Tugend in allen Belangen eine Tugend. Aus Widersprüchen folgt Widersprüchliches, aus Lastern kann keine Tugend entstehen. Das widerspricht dem Satz der Kausalität, der keine Bocksprünge macht und keine Wunder oder Satanisches zulässt.

Der Raffgierige erkennt nie die Interessen der anderen, er ist immer besessen von seinen sogenannten Vorteilen, auch wenn sie ihn einer revolutionären Menge ans Messer liefern. Fremdschädigende Egoisten sehen nie die Zeichen an der Wand.

Die Menschheit hat inzwischen einen Vernetztheitsgrad erreicht, dass ein kranker Schmetterling in Peking ein Bienensterben im Markgräflerland auslöst. Wären Laster wirklich die Geburtshelfer eines befriedeten Wohlstandes, wären sie keine Laster. Wären Tugenden die Ursachen einer maroden und verfallenden Gesellschaft, wären sie keine Tugenden.

Was wollen wir? Gehen wir endlich dazu über, die Zweideutigkeiten unseres verwirrten Moralgeflechts zu beenden. Niemals wird es uns gut gehen, wenn wir schlecht handeln. Niemals wird es uns schlecht gehen, wenn wir gut handeln.

Über gut und schlecht aber müssen wir uns einigen. Die Verwirrung entstammt einer Heilstheologie, in der der gute Gott einen bösen Teufel braucht, um seine Geschäfte voranzubringen. Das christliche Gute schließt das Böse nicht aus, insofern ist es gar keine Moral, sondern ein Handgemenge aus beliebigem Bösen und Guten, das je nach Situation eingesetzt werden kann.

Das wahre Gute würde die Ursachen seiner Fehlhandlungen analysieren und lernend peu à peu ausmerzen. Das Böse hat kausale Ursachen, also kann es erkannt und minimiert werden.

Der herrschende Neoliberalismus wird die Menschheit zugrunde richten, wenn man ihm gestattet, das Gesetz der Kausalität zu durchlöchern und an seine Stelle das Wunder und das unvermeidliche Böse zu setzen.

Der rationale Mensch muss seine Widersprüche aufdecken, anstatt mit ihnen zu kokettieren. Er muss auf die Kausalität des Guten aus Gutem setzen. Das wäre das Lernprogramm einer Menschheit, die sich nicht dem Zufall und koboldartigen Schicksalsmächten auslieferte.

Wer glücklich werden will, muss die Logik des Glücks lernen.