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Tagesmail

Samstag, 07. Januar 2012 – Hambach die Zwote

Hello, Freunde des Mitredens,

Zuhören, ja. Mitreden, nein. Ist das repräsentative Demokratie oder schon Postdemokratie? Politiker reden, Gazetten schreiben, Untertanen lesen, hören zu – und halten die Klappe.

Quietisten nannte man früher fromme Menschen, die sich völlig dem Willen des Himmels und der gottgewollten Obrigkeit überließen. Sie empörten sich nicht, muckten nicht auf. Zu den Weltläuften hatten sie keine Meinung und wenn ja, wurde sie der überlegenen Weisheit Gottes untergeordnet.

Diesen stummen Quietismus haben wir heute nicht mehr. Wir haben einen gespaltenen. Der Normalmensch quietiert und dumpft vor sich hin. Im Internet wollen so viele Wichtigtuer mitreden, dass die Meinungskönige und Sprachverwalter der Republik – die Edelfedern – sich nur noch wasserdicht abschirmen können. Sie fühlen sich überschwemmt – und reden mit niemandem mehr. Sie haben sich zu unaufgeklärten Absolutisten der Deutungs- und Kommentarhoheit hochgeschraubt.

Es müsste jemand mal nachrechnen: ich vermute, die Quote Politiker-zur-Wählermasse ist weitaus günstiger als die Quote Edelfedern-zu-Passivlesern. Lesen, ja, Leserbriefe, so viel ihr wollt. Doch mitreden – ist der Mensch größenwahnsinnig?

Der Slogan „Diskutieren Sie mit“, wird zum PR-Gag. Schlauerweise wird kein Objekt genannt: Diskutieren Sie mit uns. Das Uns gibt es nicht. Es ist zum pluralis negationis geworden. Da gäbe es ja eine Adresse, an die man sich halten könnte. Der greise Martin Walser hat

den Braten schon lange gerochen. Adressierte Sprache sei Klarheit, kopfgesteuerte Klarheit aber partout nichts für einen Bodensee-Novalis.

Aber auch nichts für abgeschottete Skriptokraten. Nichts Schlimmeres für Medienfürsten, als sich mit dem gewaschenen Volk zu zanken. Früher war das Volk ungewaschen, heute ist der gewöhnliche Mann sensibel, gewaschen, parfümiert, gecremt und will mit der sphinxhaften Geliebten immer nur reden und reden, immerfort Zartgefühl, Fürsorge und Verständnis geben, anstatt sie aufs Bett zu schleudern und zu nehmen. Nehmen wäre in gewissen Situationen seliger denn Geben. Doch das klingt nach Beuteschema und korrekter Gier. Waschlappen! zürnt das quietistische Liebchen im emanzipierten Kreis der Freundinnen – und bleibt allein.

Wie die Gesellschaft, so ihre in Geschlechter polarisierten Mitglieder. Wie die Demokratie, so ihre in Schichten gespaltenen Bürger. Politiker und Medien sind wie Frauen. Sie wollen im Mittelpunkt stehen, aber das Gequatsche derer, die sie anbeten, sollte sich im Rahmen halten.

In Berlin werden endlich die geheimen Wasserverträge öffentlich debattiert. Das gewaschene Volk darf zuhören, muss aber das ungewaschene Maul halten. Vielleicht dürften sie mitreden, wenn sie auch von innen einen guten Geruch hätten und den Mächtigen sagten, was die Mächtigen gern hören wollten?

Wären sie waschechte Christen, sie täten es. Denn jene sind „Aus dem obigen Geschlechterkampf könnte man allerdings auch folgern: gebt nicht mehr so viel passives Zartgefühl für die mit allen Wassern gewaschenen Maulhelden. Nehmt euch eure Rechte. Wann endlich stinkt’s euch, ihr parfümierten Waschlappen? Waschlappen und Wulff, das alliteriert, kann also nach den Gesetzen der Talkshow-Schlagzeilen nicht falsch sein.

Wo haben sich nur die Horst Eberhard Richter-Nachfolger verkrochen? Niemand aus der hochbezahlten Versteherkaste, der sich des Leidens des jungen Christian annähme? Dabei hat er’s zum Individuum ineffabile, zum unvergleichlichen Einzelnen, noch gar nicht gebracht. Nur zum durchschnittlichen homo christianis effabile, also zur Null-Acht-Fuffzehn-Ausgabe eines CDUlers.

Also legen wir ihn auf die Couch, auch er soll mal BILD-ungenervt und frei assoziieren dürfen.

Unter seinen Scheltrednern soll es allerhand Urchristen geben, die natürlich keine kreuzbraven Kirchgänger sind. Je weniger sie einmal im Jahr den Weihnachtsgottesdienst besuchen, je jesuanisch-symbiotischer werden sie. Da viele Scheinchristen momentan die Kirche fliehen – natürlich nur um schnöder Kirchensteuereinsparung willen -, gibt’s gute Hoffnung, dass aus Kircheneskapisten echte Bergprediger werden.

Im Übrigen darf man sich nur wundern, wie unchristlich die medialen Tugendbolzen Bruder Christian niederbügeln. Sie ähneln jenem Pharisäer, der im Tempel betete: „Oh Gott, ich danke dir, dass ich nicht bin wie dieser erbarmungswürdige Bundespräsident, Lügner, salamitaktische Verheimlicher, Schnorrer, Demutsheuchler.“ Vor jedem selbstgerechten Kommentar müssten sie eine öffentliche Beichte ihrer Sünden ablegen: „Oh Gott, sei mir schreibendem Sünder gnädig. Auch ich betrüge meine Frau, wenn auch nur in Gedanken und bin neulich schwarz mit der U-Bahn gefahren.“

Wulff wird wegen schlecht inszenierter Buße ins Fegefeuer kommen und eine zweite Chance erhalten. Doch die Augstein&Prantl-Pharisäer werden in der untersten Hölle schmoren. „Denn jeder, der sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden.“ Und kommet mir nicht mit der faulen Ausrede, Heribert&Jakob, euer Privatleben ginge niemand was an, Schreiben sei euer Job, mit dem ihr Kohle machen müsstet. Schämt euch, ein Christ ist immer im Dienst.

Also Bruder Wulff, leg los. „Aufgewachsen in ärmlichen Verhältnissen, war ich verurteilt, frommer Gutmensch zu werden, ohne dass meine Erziehungsberechtigten mir von Hayek und von Mises am Gitterbett vorgelesen hätten.“ Stopp, was für eine schreckliche Kindheit, schon habe ich alles verstanden.

Hat der bekehrte Christ Rösler nicht gerade die Gutmenschen zu kapitalistischen Untermenschen erklärt? Hat Goethe nicht eindeutig gedichtet: Edel sei der Mensch, hilfreich und schlecht? Nur Schlechtmenschen kommen in einer schlechten Welt voran, da kann Broder noch so sehr mit der Achse des Guten höhnen.

Man muss ein moralisches Wrack werden, wenn man aus ärmlichen Verhältnissen stammt. Schau dir deinen Vorgänger in Hannover an oder Joschka, den ungarischen Donauschwaben, wie er mit Pipelines Diridari macht.

Gute Menschen, die authentisch schlecht sind, kommen alle aus wohlbehüteten Millionärskreisen, können Hummer von Langusten unterscheiden und alle Konkurrenten wirtschaftlich-korrekt zu Mus machen.

Natürlich bist du Opfer! Opfer einer allesgebietenden und allesverbietenden Religion, im nie geklärten Kampf mit einer darwinistischen Wirtschaft, die von Angelsachsen als praktisches Evangelium, von Deutschen als Werk des Satans hingestellt wird. Wenn nicht mal Geißler, Eppler und Jochen Vogel, die Altchristen vor dem Herrn, den geringsten Durchblick haben, wie dann erst du, mein törichter Azubi. Geh nach Haus, mein Sohn und sündige hinfort nicht mehr.

Wenn du noch mal einen Kredit brauchst, geh zu deinen erklärten Feinden und kauf dir keine primitive Klinkerhütte. Wir müssen uns ja schämen, wie spießig unsere Nummer Eins hausen muss. Ach ja, Gruß an Bettina. Das hochmütige Wesen beim Tragen sündhaft teurer Kleider, die sie selten bezahlt, sollte sie gefälligst einstellen. „Wie ein goldner Ring am Rüssel des Schweines, so ein schönes Weib ohne Sitte.“ (

1832, das Fest von Hambach in der lieblichen Vorderpfalz. Da ging’s um Demokratie und Pressefreiheit gegen alle Winkeldespoten. Siebenpfeiffer und Wirth. Über letzteren hat Michael Krausnick eine Biografie geschrieben, Bommarius in der FR/BZ stellt sie vor.

Warum benennt man diese ach so hoffnungsvolle Revolte nach einem Monat: Vormärz? Und nicht nach Aufruhr, Empörung, Freiheitswillen? Nein, man guckt oberlehrerhaft auf den Kalender! Wie wär’s, das epochale Ereignis, auf das die Deutschen wahrhaft stolz sein könnten, (soviel von dieser Sorte haben sie in ihrer Geschichte nicht „geliefert“) – 1832, die Erste, zu nennen?

Einen Satz hat Bommarius in seiner verdienstlichen Lobrede auf die Hambacher vergessen. Pressefreiheit gilt nicht nur für Wulff & Co, sondern auch für die – Presse. Wenn die Vierte Gewalt, die momentan im spätrömischen Delirium versinkt, sich nicht kritisch selbst an die Brust nimmt, ist das Buch vergebens geschrieben worden.

Tatsächlich gibt’s heute zwei Außenseiter, die sich dem Stechschritt der geschlossenen Medienkohorten verweigern. Zuerst Mely Kiyak, deren flotte Mädchenschnauze heute mehr andeutet, als dass sie ihren KollegInnen den Star stechen würde. „Alle, wirklich alle, schreiben und drucken im Gleichschritt. Gemeinsam wurde der Würdenträger entkleidet. Vorneweg die eine Zeitung, die mit der täglichen Entgleisung.“

Und jetzt? Was machen, wenn der Kaiser nackt, die Zuschauer aber auch bloß und unverhüllt dastehen?

Ulrich Schulte von der TAZ geht da schon deutlicher mit BILD ins Gericht, die Katz und Maus mit dem ersten Politiker spielt und dabei ihre Hände in Unschuld wäscht. Solche Kritik der „schmutzspeihenden sexistischen Boulevardpresse“ ist wahren Edelfedern wie Prantl & Augstein weit unter ihrer Würde. Deren Kampagne unterstützen sie nur von weitem mit ihrer hochmoralischen Feder.

Was fehlt noch in unserer Sammlung? Die Frage: was würde Jesus persönlich über Wulff sagen? FAZ-Herausgeber Schirrmacher weiß es.

Pardon, nicht Jesus, sondern Kafka. Das unübertreffliche Wörtchen kafkaesk hat man schon lange nicht mehr gehört. Schirrmacher hat mit Kafka seine Karriere gemacht und beileibe keine fiktive. Erst Promotion über den Rätselhaften, dann Reich-Ranicki, der das Talent entdeckte und zu seinem Nachfolger kürte. Seitdem ist Kafka ein Bekenntnis, weniger eine Erkenntnis.

Nachdem Schirrmacher spät, aber nicht zu spät, entdeckt hat, dass er in einem kapitalistischen Land lebt, wanken bei ihm alle „moralischen und wissenschaftlichen Ordnungen“.

Falsche Prämissen führen zu falschen Konklusionen, indeed, Herr Schirrmacher. Doch welche sind falsch? Dass Geerken nicht schon der Freund von Vater Wulf sein kann? Nach Popper ist eine These richtig, solange sie durch handfesten Gegenbeweis nicht falsifiziert ist. Wo sind Ihre empirischen Belege? Ich höre nix. Es soll unwahrscheinlich sein, dass Wulff bei Maschmeyer schnorrt, nur weil jener auch den „politischen Todfeind“ Schröder bei Laune hielt? Da kennen Sie aber das Wesen der Geldkumpanei und der Klumpenbildung der Eliten nur aus Hauffs Märchen „Das kalte Herz“.

Sie sollten ab und zu Umgang mit Frankfurter Bankern einüben, auch wenn’s Ihnen schwer fällt. Die alerten Herrn wohnen ja bei Ihnen um die Ecke. Doch zum Wesentlichen. Wulff könne in „Zeiten der Ökonomisierung“ nicht klar genug zwischen „Freundschaft und Geschäftsbeziehung“ unterscheiden? Einmal betone er interesselose Freundschaft, dann wieder die ökonomisch-vorteilhafte Beziehung?

Ökonomisierung gibt es nicht erst seit gestern. Hat es jemals Freundschaften unter Karrieristen, zumal neoliberalen, gegeben, die „uneigennützig oder interesselos“ gewesen wären? Leben Sie in einem Wolkenkuckucksheim, aus dem Sie erschauernd die kafkaeske Realität als Sieg der Fiktion über die Weltordnung erblicken?

Welche Weltordnung seit Evas Sündenfall war nicht unter der Geissel religiöser oder sonstiger Fiktionen? Die ganze Finanzdespotie der Gegenwart ist der Sieg des fiktiven Kapitals über die handfeste Realität aller Malocher und ehrlichen Produzenten.

Ja, berechnende Kumpanei ist keine Freundschaft. Doch wo beginnt und endet eine sinnvolle Beziehung, die das Materielle nicht ausschliesst? Gab es im Bereich der Literatur nicht wertvolles Mäzenatentum, das hungernden Schreibern zu ihrem Werk verhalf?

Interesselose Freundschaft gibt’s nicht mal bei Aristoteles. Geistige Interessen sind auch Interessen. Ein echter Freund fördert seinen Freund und will von ihm gefördert werden. Und selbst die hochgerühmte uneigennützig-neutestamentarische Agape hat nichts anderes im Sinn, als mit guten Werken das Reich der Himmel zu erobern. Ihre Bemerkungen strotzen nur so von Realitätsverlust und nicht vorhandenem Problembewusstsein.

Ist das höchste Amt im Eimer, fragt die TAZ? Natürlich, antwortet Uta Ranke-Heinemann, Tochter eines noch anständigen doppelpromovierten SPD-Bundespräsidenten und selbst mal Kandidatin von Bisky: „Was mit Bundespräsident Wulff los ist, ist mir egal – ich bin von allen Politikern enttäuscht. Nicht nur dieses Amt, sondern unsere ganze Politik ist im Eimer.“

Bravo, Uta. Nicht nur die ganze Politik ist im Eimer, auch die gesamte Vierte Gewalt. Ja, die ganze Elite. Volk, auf nach Hambach, die Zwote!