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Roter Riese

Hello, Freunde des Roten Riesen,

nein, nicht Putins, der weder rot noch Riese ist. Es geht um die Quelle alles irdischen Lebens, den Mittelpunkt des Seins, den Ursprung der Erkenntnis. Wär nicht das Auge sonnenhaft, die Sonne könnt es nicht erblicken.

Wo wir uns der Sonne freuen,
Sind wir jede Sorge los;
Daß wir uns in ihr zerstreuen,
Darum ist die Welt so groß.   (Johann Wolfgang)

Goethe ist ein Moderner, die Sonne hat er im weltimperialen Griff. Jetzt müssten Begriffe wie Kitsch und Romantik fallen, doch wer erträgt die noch? Da muss schon der philosophische Urfaschist kommen, bei dem es ohne Gewalt nicht geht. Nicht zur Sonne, nicht zur Freiheit.

„Und, sprach ich, wenn ihn einer mit Gewalt von dort durch den unwegsamen und steilen Aufgang schleppte und nicht losließe, bis er ihn an das Licht der Sonne gebracht hätte, wird er nicht viel Schmerzen haben und sich gar ungern schleppen lassen? Und wenn er nun an das Licht kommt und die Augen voll Strahlen hat, wird er nicht das Geringste sehen können von dem, was ihm nun für das Wahre gegeben wird.“

Der Weg zur Wahrheit ist unwegsam, steil und schmerzhaft. Wer wollte ihn freiwillig gehen? Doch wer nicht will, der muss. Man lese zeitgenössische Erklärungen des Faschismus und vergleiche sie mit dem Höhlengleichnis. Wer würde nicht schamrot werden über

den narzisstischen Satz, wir lebten in Zeiten des Fortschritts?

Faschismus ist Mitleid und glühendes Erbarmen mit den Menschen, die in gottverdammter, gottverfluchter Verblendung blind und taub sind und bleiben wollen. Ihr Leben verfehlen und verpfuschen sie für Tandaradei. Wozu sind sie auf Erden? Wer erlaubte diesen Rohrkrepierern, ins Sein geworfen zu werden? Sie müssen gerettet werden. Mit aller Macht. Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt.

Sind diese Kreaturen nicht unschuldig? Ist es nicht Strafe genug für sie, in der Welt verharren zu müssen? Müssen sie ihr unerbetenes Leben auch noch töricht in den Sand setzen können? Bruder Faschist kann nicht mit ansehen, wie seine Geschwister zum Teufel gehen. Er muss sie retten – und müsste er sie vernichten. Wen Bruder Gott liebt, den züchtigt oder liquidiert er.

Faschismus ist die verzweifelte Rettung der Menschheit – durch Vernichtung. Lieber tot und gerettet, als lebendig verloren. Hier stehen wir am Ursprung des Faschismus, an der Quelle der Erlöserreligion. Sie, die Zwangserlöser, die Gewaltbeglücker, können es nicht mit ansehen, dass der Mensch verdirbt, die Welt verloren geht.

Die kürzeste Verbindung zwischen übergroßem Mitleid und verzweifeltem Retten wollen ist Terror, Faschismus, gewalttätige Erlösung. Terroristen sind private Faschisten in Feindesland. Jene leiden am meisten an der Welt, die das Leid der Menschen für immer beheben wollen. Sie glauben zu wissen: was ausgelöscht ist, kann nicht mehr leiden.

Das Böse ist das Beste – das es nicht ertragen kann, als Bestes verkannt zu werden. Also muss es zur Tat schreiten, den Menschen mit aller Gewalt einhämmern, wer auf Erden das Beste ist: wer den Schein des Bösen nicht scheut. In allem Bösen sind sie gut und anständig geblieben.

Das Geheimnis des Faschismus: bei ihm sind Böses und Bestes identisch. Oder theologisch: Gott ist Gott und Teufel in einem, deus revelatus und deus absconditus. Der Teufel ist der Knecht Gottes und vollstreckt das Werk des Herrn – auf alternative Weise. Wenn nicht im Guten, dann im Bösen. „Drum geb ich ihm den Gesellen zu, Der reizt und wirkt und muss als Teufel schaffen.“

Judas ist vom Teufel besessen. Als unfreies Werkzeug Gottes muss er den Herrn verraten, ihm bleibt keine Wahl: „Wie sollen denn die Schriften erfüllt werden, dass es so kommen muss?“ Wie könnte der Sohn Tod und Teufel überwältigen, wenn es diese nicht gäbe? Tod und Teufel sind Sparringspartner der Heilsgeschichte.

Faschismus ist die größte Versuchung des mitleidenden und mitfühlenden Menschen, der es nicht erträgt, seine messianischen Bedürfnisse nicht in die Tat umzusetzen. Ihm fehlt nicht nur Geduld, ihm fehlt vor allem Vertrauen in den intelligenten, lernenden, sich entwickelnden und vernunftbesitzenden Menschen, der keineswegs abgrundtief verdorben ist und durchaus in der Lage, dem Menschen beizustehen – ohne ihn messianisch zu massakrieren.

Faschistische Versuchungen sind unausweichlich, solange man den Menschen zur verkommenen Kloake erklärt. Noch steht der Mensch unter dem Diktat autoritärer Fremdeinschätzung und handelt, wie er von oberen Instanzen beurteilt und verurteilt wird. (Eltern, geschieht euch ganz recht, wenn ich mir die Finger erfriere – hättet ihr mir doch Handschuhe gekauft).

Würde er an seine eigene lernfähige Humanität glauben, könnte er seinen Glauben in selbsterfüllender Prophezeiung erfüllen. So muss er sich in selbsterfüllender Destruktion vernichten, wenn er von Kindesbeinen an zum Auswurf der Schöpfung erklärt wird (Nocebo).

Einmal an der Sonne angekommen, will der Erleuchtete nicht mehr zurück in die Höhle der Dunkelheit. „Zuletzt aber, denke ich, wird er auch die Sonne selbst, nicht Bilder von ihr im Wasser oder anderwärts, sondern sie als sie selbst an ihrer eigenen Stelle anzusehen und zu betrachten imstande sein. Glaubst du, es werde ihn danach noch groß verlangen und er werde die bei jenen Geehrten und Machthabenden beneiden?“ Wird er nicht „lieber alles über sich ergehen lassen, als wieder solche Vorstellungen zu haben wie dort und so zu leben? – So, sagte er, denke ich, wird er sich alles eher gefallen lassen, als so zu leben.“

Der Weise will nicht mehr zurück, um sein Sonnenglück mit dem Elend der Dunkelheit zu vertauschen. Allein, er muss. Auch er wird vergewaltigt. Die Gewalt, die er erleidet, gibt er weiter an jene, die er zwangsbeglücken muss.

Gott ist oberster Gewalttäter, der willkürlich Ausgewählte unter seinen Geschöpfen mit unerbetenen Offenbarungserlebnissen zwingt, seine gläubigen Jünger zu werden, um sie zu den Menschen zu schicken und sie mit Überredungslist und Gewalt zu bekehren. Oh Mensch, wer bist du, dass du mit Gott streiten willst? Wird etwa das Werkzeug zum Werkzeugmacher sagen: warum hast du mich so erschaffen? Oder hat der Töpfer nicht die Macht, aus demselben Material Sinnvolles – und Abscheuliches zu machen?

Was hat die Sonne mit dem Untergang von Mensch und Erde zu tun? Es ist so sicher wie das Amen im Gebet: die Sonne, Inbild des Lebens, wird unseren Planeten vernichten. Der Untergang des homo sapiens ist gewiss:

„Abwenden lässt sich der Weltuntergang langfristig nicht. Das liegt an unserem Zentralgestirn, der Sonne. Sie wird in den kommenden Milliarden Jahren immer heller strahlen und sich langsam zu einem Roten Riesen aufblähen. Durch die Hitze verdampft sämtliches Wasser auf der Erde – spätestens in drei Milliarden Jahren wird wohl kein Leben mehr möglich sein.“ (SPIEGEL Online)

Laut SPIEGEL drohen der Menschheit zwölf apokalyptische Gefahren. Für jeden Jünger Jesu eine. Doch Entwarnung: „Immerhin ist die Menschheit mindestens neun der zwölf Apokalypse-Szenarien nicht hilflos ausgeliefert. Der Klimawandel etwa ließe sich theoretisch ebenso verhindern wie ein Atomkrieg oder die Fabrikation tödlicher Erreger in einem Biolabor.“

Das klingt tröstlich. Doch seit wann ist der SPIEGEL für Optimismus bekannt? Bei näherem Zusehen ist er so optimistisch wieder nicht. Theoretisch lässt sich der Untergang verhindern. Doch für die Praxis ist der SPIEGEL nicht mehr zuständig. Das überlässt er – ja, wem eigentlich? Politikern? Experten? Den Betern?

Leicht zu überprüfen. Das Blatt hat eine genaue Vorstellung, was Politiker im Allgemeinen und Besonderen tun sollten: „Fünf Themen, die Schwarz-Rot verschläft.“ Bestimmt finden wir in dem Artikel eine saftige Ermahnung an die Berliner Einlullgarde, aus der russen-allergischen und griechen-feindlichen Beschäftigungstherapie endlich zur überlebenswichtigen Öko-Sache zu kommen.

Was finden wir? Gedanken zur Steuerreform, einem Einwanderungsgesetz, einer digitalen Agenda, gegen Langzeitarbeitslosigkeit und – last not least – gegen soziale Spaltung. (SPIEGEL Online)

Und wo bleibt die Öko-Katastrophe? Sollte der SPIEGEL die Menschheit doch schon aufgegeben haben? Iwo. Auf dem Titelblatt der jetzigen Printausgabe lesen wir verheißungsvoll: „Der verheizte Planet. Wie die Gier nach Wachstum unser Klima zerstört.“ Da wird das Sturmgeschütz der Demokratie den Schlafmützen aus Berlin bestimmt einheizen, dass ihnen Hören und Sehen vergeht!

Aha: ein Interview über das brisante Thema mit – keinem einzigen deutschen Politiker. Nur mit einer kanadischen Expertin namens Naomi Klein, die sich in ihrem Leben um das Thema schon verdient gemacht hat.

So also sieht das mediale Wächteramt in Deutschland aus. Schmissige und skandalträchtige Schlagzeilen, Gespräche mit Fachleuten, mit denen man sich dekorieren oder die man als lächerliche Übertreiber vorführen kann – und dann nix. Kein Thema für gewählte Volksvertreter? Für Eliten, die das Komplexe der Realität beherrschen und auf das dumme Volk herunterschauen?

Noch einmal in Schönschrift: der SPIEGEL veröffentlicht einen Artikel über das wichtigste Thema der Menschheit und kommt nicht auf die Idee, die Gewählten der Republik zur Rede zu stellen. Demokratie fällt durch die Ritzen. Das Überleben der Gattung ist zur arbeitsteiligen Sache von Experten geworden.

Deutsche, pennt weiter. Wir leben in einer Expertokratie, einem Zellfortsatz des platonischen Faschismus der Weisen. Schon jeher waren die Deutschen graecomanische Bewunderer Platons. Schon jeher waren deutsche Eliten volksverachtende Selbstbewunderer, die nur sich selbst als Durchblicker und politische Rädelsführer gelten ließen. Der Mob soll sich auf der Straße als Pegida selbst desavouieren.

(Jan Fleischhauer beschreibt die Griechen als schnorrende Revoluzzer in trauriger Gestalt. Sind fremdenfeindliche Pegida-Formeln einen Deut gehässiger? Mit Milliarden werden Banken gerettet, doch für Flüchtlinge, die in Angst und Schrecken ihre Heimat verlassen, ist kein Geld in den kommunalen Kassen? Wir sind nicht das Sozialamt der Welt, so Seehofer, aber das exportmächtigste Land, das andere Staaten mit Krediten und Dingen überschwemmt? Merkel spielt den Friedensengel, doch gegen den Slogan „Solidarität mit den Griechen“ schäumt sie im Gleichklang mit ihrem sonst so jovial tuenden Finanzminister?)

Weltrettung ist Chefsache beim SPIEGEL. Das Interview mit Naomi Klein führt der neue Chefredakteur Brinkbäumer in Toronto höchstselbst. Doch wie bescheiden, er stellt sich nur als Redakteur vor. Nur Petitessen? Nein, nur symptomatische Duckbewegungen, um für das Ganze nicht verantwortlich zu sein.

Wie asymmetrisch und weit entfernt von allem streitfähigen Dialog die kritische Frage an Klein, ob sie denn klimafreundlich lebe. Und wie steht‘s mit ihm selbst? Flog Brinkbäumer nicht mit dem firmeneigenen Jet nach Kanada, um ein Gespräch zu führen, das man per Skype längst führen könnte? Muss nur die Expertin sich verantworten, der kritische Journalist aber ist aus dem Schneider? Weil er tut, als sei er unabhängig vom Überleben der Gattung?

Ist er noch immer der nicht-partizipierende Fenstergucker, der sich einbildet, er lebe gar nicht in dieser Welt? Dabei steht es fünf vor zwölf für die gesamte Menschheit? Der Gattung geht es um Sein oder Nichtsein, doch unsere Edelschreiber reden über das Liebesleben der Grashüpfer? (Verzeihung Grashüpfer, auch ihr gehört zum Reigen der Lebewesen) Petitessen, ja?

Warum ist das Überleben der Menschheit gefährdet? Was sind die Ursachen der selbstverschuldeten Lebensunfähigkeit?

Es liegt am naturzerstörenden Wachstumskapitalismus – lautet die Generalthese Kleins. Der Menschheit wurde eingebläut, der Markt richte alles. Viele Firmen wurden privatisiert, der IWF zementierte einen zügellosen Kapitalismus. „Das führte zu einem ungeheuren Anstieg der Treibhausgasemissionen.“

So einfach kann es der SPIEGEL-Mann der weltbekannten Autorin nicht machen. Wäre sie nicht so berühmt, er hätte ihr längst populistische Vereinfachung vorgeworfen. Vermutlich ist er ein Anhänger der Komplex-Philosophie. Einfache Thesen müssen schon deshalb falsch sein, weil sie einfach sind. Sie verstoßen gegen das postmoderne Dogma: wir verstehen nichts von der Welt (außer den Eliten), und selbst, wenn wir sie verstünden, könnten wir die Welt nicht verändern (außer den Eliten). Gibt’s die Welt überhaupt? Gibt’s überhaupt so etwas wie den Kapitalismus – oder ist er die Vogelscheuche seiner simplistischen Gegner?

Natürlich spricht Brinkbäumer nicht Klartext, raffiniert verpackt er seine Meinung in Suggestivfragen: „Missbrauchen Sie den Klimawandel nicht für Ihre Kapitalismuskritik?“

Wenn sie‘s täte, würde sie es bemerken? Wenn sie‘s bewusst täte, dürfte sie es zugeben, ohne sich zu blamieren? Sie entlarvte sich als hintertriebene Gauklerin. Was soll also diese sinnlose Insinuation?

Überraschend verlässt Brinkbäumer die Rolle des Fragenden und bringt seine Gegenthese: „Wenn Sie ein spezielles Problem dadurch lösen wollen, dass Sie die gesamte Gesellschaftsordnung umstürzen, werden Sie es nicht lösen. Das ist utopisch.“ Man könne nicht ökologisch handeln, wenn man warte, bis sich der Kapitalismus aus dem Staub gemacht habe, weiß Gegenrevoluzzer Brinkbäumer mit Bestimmtheit.

These gegen Antithese. Ist das nicht der Wärmetod eines Gesprächs? Des Spiegelgesprächs allemal, das kein Gespräch auf gleicher Augenhöhe ist, sondern ein sinnloses Quälritual. Das einseitige Befragen müsste von einem geschliffenen Dialog abgelöst werden, in dem jeder jeden überprüfen könnte.

Mediale Interviews sind amputierte Frage- und Antwortspiele unter Erwachsenen, die nicht erwachsen sein wollen. Geht es um echte Gespräche, kann es nur gleichberechtigte Disputanten geben. Keine sich doof stellenden Frager und allwissende Beantworter.

Das asymmetrische Interview spiegelt das uralte Überlagerungsproblem der Hochkultur. Auf der einen Seite die Dummköpfe, auf der anderen die Besserwisser. Oberschicht gegen Unterschicht. Sokrates ist für sein mäeutisches Streitgespräch umsonst gestorben.

Steht ein Dialog konfrontativ im Patt, hätten die Kontrahenten nur eine Chance, das gestrandete Schifflein flott zu kriegen – wenn sie schlicht und einfach definieren würden, was sie unter ihren Hauptbegriffen verstehen. Was ist Kapitalismus? Gibt es Alternativen?

Brinkbäumer, der neue Kopf des Magazins, ist völlig überfordert. Er kann sich nur suggestiv-fragend wiederholen. Kapitalismus abschaffen, das werden Sie, Frau Klein, niemals schaffen. Woher hat Brinkbäumer seine phänomenalen prophetischen Erkenntnisse? Ist er nicht selbst ein terrible simplificateur?

Längst hätten die beiden die empirische Ebene der Fakten verlassen müssen, um in den philosophischen Untergrund zu gehen und die aktuelle Ebene aus der historischen Tiefe neu aufzupflügen. Klein kann sich wehren, wie sie will, ihr Gesprächspartner hält sie für eine schreckliche Vereinfacherin.

Einst galt in der klassischen Philosophie das Motto: simplex sigillum veri, das Einfache ist das Siegel der Wahrheit. Heute gilt das Gegenteil und niemand hält es für nötig, die beiden Grundprinzipien auf ihre Plausibilität zu überprüfen.

Die Sterilität heutiger Debatten hängt ab vom Mangel an philosophischer Dialogfähigkeit. Man will nicht wissen, dass Begriffe Biografien haben. Dass sie anamnestisch entschlüsselt werden müssten.

Gibt es nicht massenhaft Definitionen von Kapitalismus? Kapitalismus ist ein Labyrinth aus vielen verschlungenen Einzelphilosophien. Für Max Weber ist er ein Abkömmling des Calvinismus. Wäre diese These richtig, müsste man nicht folgern: ohne Beendigung des Calvinismus gibt es keine Chance, die religiöse Wirtschaftsform zu beenden? Sagen fromme Amerikaner nicht selbst, ihr Gott sei für alle Dinge auf der Welt zuständig, der Mensch könne also niemals für die Klimakatastrophe verantwortlich gemacht werden?

Im SPIEGEL-Artikel wird ein Republikaner zitiert, der just diese Behauptung aufstellt und sich empört zeigt über die gottlosen Thesen deutscher Ökologen. „Gott ist noch immer da oben“, so argumentiert der neue Vorsitzende des Umweltausschusses Jim Inhofe, „die Arroganz mancher Leute zu glauben, dass wir, die Menschen, verändern können, was Er mit dem Klima tut, finde ich ungeheuerlich.“

Das verräterische Zitat hätte die Gesprächspartner anregen müssen, über das gespannte Verhältnis zwischen Theologie und Ökologie und über die widersprüchlichen Bibeldeutungen in Amerika und Deutschland nachzudenken. So aber plätschert das Gespräch substanzlos dahin. Das wichtigste Thema der Gegenwart wird durch Diskursunfähigkeit verramscht.

Warum bleiben die Menschen so gefährlich passiv, wenn es um ihr Überleben auf einem Planeten geht, den sie zu einem Brutofen aufheizen? Weil sie von allen Seiten indoktriniert werden, der Mensch könne sein Schicksal nicht selbständig gestalten. Sein Fatum werde vollständig determiniert von Gott, der Evolution, wirtschaftlichen Naturgesetzen, seiner Hirnstruktur, seiner biologischen Veranlagung, der Geschichte oder der Heilsgeschichte.

Hayeks Neoliberalismus, eine radikale Ideologie der Gegenaufklärung, hat den Westen zu einem „demütigen“, nichts-wissen-könnenden Geschichtsgehorsam degradiert. Hayeks „spontane Ordnung“ – eine Ordnung, die nicht vom Menschen stammt – berief sich auf schottische Theologen wie Ferguson, dessen Grundmaxime lautete: die spontane Ordnung der menschlichen Gesellschaft ist wohl das Ergebnis menschlichen Handelns, nicht jedoch menschlicher Entwürfe. Der Mensch denkt, Gott lenkt. Es kommt nicht auf moralische oder unmoralische, verantwortliche oder unverantwortliche Menschen an. Es kommt allein auf Gottes Regiment an.

Dass der Mensch mit seiner Vernunft sein Schicksal autonom gestalten könne, hielt Hayek für eine ungeheure Anmaßung und die Krankheit einer überheblichen Menschheit. Seid untertan allen Obrigkeiten, die ihr nicht versteht und niemals verstehen werdet, so lautet der Unterwerfungsimperativ Hayeks. Welcher Obrigkeit? Des allwissenden Marktes. Die ökologische Bewegung hielt Hayek für reine Scharlatanerie.

„Gegen die zentrale These des Club of Rome Berichts bezieht Hayek 1983 in einer Podiumsdiskussion Stellung, indem er verkündet, dass man sich von der angeblichen Verknappung der Rohstoffe nicht ins Bockshorn jagen lassen soll. Das sei einfach Unsinn und nicht wahr. Vielmehr würden durch die Entdeckung neuer Lagerstätten fast alle bekannten Rohstoffvorkommen stets zunehmen. In der Energiepolitik stellt sich Hayek dem aufgeregten Geschrei der ökologisch-pazifistischen Bewegung gelassen entgegen: «Wenn wir wirklich vor der Kohle so viel Angst haben, können wir uns auf die viel gesünderen und viel weniger gefährlichen Atomkraftwerke verlassen.»“

Trägt die Naturverschmutzung nicht dazu bei, dass viele Menschen nicht mehr überlebensfähig sind? Für Hayek kein Problem. Lebensunfähige Menschen werden von der „spontanen Ordnung“ der Natur selektiert und eliminiert.

„Im Hinblick auf das Bevölkerungswachstum vertritt Hayek eine Auffassung, die ihm den Vorwurf des Sozialdarwinismus eintrug: für eine Welt, die auf Ideen der Gleichheit und Gerechtigkeit gegründet ist, ist das Problem der Überbevölkerung unlösbar. Wenn wir garantieren, dass jeder am Leben erhalten wird, der erst einmal geboren ist, werden wir sehr bald nicht mehr in der Lage sein, dieses Versprechen zu erfüllen. Gegen Überbevölkerung gibt es nur eine Bremse, nämlich dass sich nur Völker erhalten und vermehren, die sich selbst ernähren können.“ (Hans Jörg Hennecke, F. A. von Hayek)

Wieder einmal schockierte der SPIEGEL, ohne wirklich aufzuklären. Doch eine dauerschockierte, unaufgeklärte Öffentlichkeit wird zunehmend allergisch gegen plärrende Reizüberflutungen. Es ist wie in Max Frischs Drama: der Biedermann und die Brandstifter. Je mehr der Brandstifter warnt, je mehr „durchschaut“ der listige Biedermann die gewollte Provokation und geht gewitzt und schlau – seinem Untergang entgegen.

Je mehr die Zeit drängt, je weniger darf der Mensch seiner Vernunft vertrauen. Roboter und allwissende Algorithmen werden die Menschheit durch Vernichten retten wollen. Der Ökofaschismus wird zur Ideologie der Zukunft.