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Rettungsfolter

Hello, Freunde der Rettungsfolter,

wie bitte? Ihr lasst euch als Freunde der Folter ansprechen, ohne mich von der Tenne zu fegen? Bußfertig korrigiere ich: Hello, Gegner der deutschen Jurastudenten und amerikanischen Psychologen.

„51,3 Prozent der befragten Jurastudenten hielten eine staatliche „Rettungsfolter“ in bestimmten Lagen für wünschenswert. Hinzu kam, dass fast ein Drittel – 31,8 Prozent – für die Wiedereinführung der Todesstrafe plädierte.“

Nicht nur unbeleckte Erstsemester – reinrassige deutsche Abiturienten und erstklassige Früchtchen unseres deutschen Bildungswesens – wandeln auf Dabbeljus Spuren, auch ein Vorsitzender des Deutschen Richterbundes namens Gert Mackenroth „schwadronierte über erlaubte Fälle von Folter. Und zwei Drittel der Deutschen wollten, dass Daschner nicht bestraft wird.“ Gegen solche Nestbeschmutzer der Menschenrechte durch die professionelle Mitte der Gesellschaft sind Pegadisten Dresdner Maulhelden. (Christian Rath in der TAZ)

In den USA spielen die akademischen Psychologen ein Doppelspiel. Stephen Soldz ist ein Kritiker der Amerikanischen Psychologenvereinigung (APA), die „zwar öffentlich die Folter kritisiert, aber hinter verschlossenen Türen die Zusammenarbeit zwischen CIA und Verhaltensforschern angebahnt und ihr das deontologische (= ethische) Fundament geliefert hat. Wenige Wochen nach der Veröffentlichung des Folter-Berichts zeigt eine Umfrage, dass 58 Prozent der US-Amerikaner Folter in bestimmten Situationen für angemessen halten. Soldz befürchtet, dass sich an dieser Stimmung bis zu den kommenden Präsidentschaftswahlen nichts ändern wird. Und er ist nicht einmal sicher, ob in den USA je ein Folterverantwortlicher Rechenschaft vor Gericht

ablegen muss. Selten wird die Verrohung der politischen Kultur in den USA deutlicher, als wenn es um Folter geht. Auf die Veröffentlichung des Senatsberichts über die brutalen Methoden in den CIA-Geheimgefängnissen, die weltweit einen Aufschrei des Entsetzens ausgelöst haben, gab es an der Heimatfront vor allem Schulterzucken. Zudem traten die Verteidiger der „verschärften Verhörmethoden“ selbstbewusst auf wie nie. Sie argumentierten, so etwas sei manchmal eben «nötig»“. Schreibt Dorothea Hahn in der TAZ.

Putin – der das Völkerrecht brach – lebe in seiner eigenen Welt, diagnostizierte die deutsche Völkerpsychologin Angela Merkel. Dann müsste der Westen in einer multipel eigenen Welt leben – diagnostizierte Merkel nicht. Wenn alle Machtblöcke in ihrer eigenen Welt leben, ist die Welt dahin. Dann können UNO und Den Haag ihre Pforten schließen, die Nachkriegsepoche der universell geltenden Menschenrechte wäre perdu.

Den Haag will die Menschenrechtsverletzungen Israels im Gazakrieg untersuchen. Avigdor Lieberman, der eine andere Welt als die seine gar nicht kennt, ist empört und will mit Hilfe seiner deutschen Freunde den internationalen Gerichtshof finanziell ausbluten. „Wir werden unsere Freunde in Kanada, in Australien und in Deutschland auffordern, die Zahlungen schlicht einzustellen“, sagte Lieberman im israelischen Rundfunk.“ Schreibt Susanne Knaul aus dem Heiligen Land.

Warum nur finanziell ausbluten? Ein gezielter Raketenschlag aus einem der von Deutschland gelieferten U-Boote wäre weitaus effizienter, oh Freund der deutschen Kanzlerin, die ihrem Lieblingsverbündeten bedingungslose Loyalität geschworen hat.

Deutsch sein heißt, im Namen deutscher Sonderrechte Menschen und Völker verderben und zur Buße die Völkerrechtsverbrechen der Freunde – die, gewiss, nicht ganz so gewaltig sind wie die deutschen – bedingungslos abnicken. (Nicht alles, was kein deutsches Völkerrechtsverbrechen ist, ist kein Völkerrechtsverbrechen.)

Fiat amicitia, pereat mundus, es lebe die Freundschaft, auch wenn die Welt unterginge. Hierzulande nennt man diese Moral von der Geschicht Vergangenheitsbewältigung. Bei mächtigen Freunden ist Merkel blind und taub. Bei weniger mächtigen schwingt sie die Peitsche. Frag nach bei den Griechen.

Die letzten Aufrechten Amerikas haben einen Bericht über die amerikanische Folterpraxis veröffentlicht. Merkel müsste die deutschen Justizbehörden veranlassen, gegen ihre besten Freunde Dabbelju, Cheney und Rumsfeld strafrechtliche Untersuchungen einzuleiten. Sagt Wolfgang Neskovic, ehemaliger Richter am Bundesgerichtshof, in einem TAZ-Interview:

„Wir haben ein Völkerstrafgesetzbuch, das auch die Folter unter Strafe stellt, und zwar nach dem Weltrechtsprinzip: Folter irgendwo auf der Welt kann in Deutschland strafrechtlich verfolgt werden, unabhängig davon, ob Opfer oder Täter Deutsche waren oder ob die Folter auf deutschem Boden stattgefunden hat. Es können also in Deutschland auch Ermittlungen gegen US-Amerikaner eingeleitet werden.“ (TAZ-Interview)

Wird denn nun in Deutschland gegen Gottes eigenes Land ermittelt? Niemals, solange dort christliche Urwerte gelten, flüsterte die mächtigste Christenfrau der Welt in ihr Handy, wohl wissend, dass die NSA ihre Liebesbotschaft dem mächtigsten Christenmann der Welt getreulich überliefern wird. Gemäß dem biblischen Überwachungsmotto: „was ich im Dunklen sage, das saget im Licht und was ich euch ins Ohr flüstere, das prediget auf den Dächern.“

Der Terror hat auch seine guten Seiten. Die alten Freunde rücken wieder zusammen, die digitalen Überwacher waren schon immer ein Herz und eine Seele. Die Gegner der Weltausspähung sind ohnehin nur ausgekochte Christenfeinde. Und Snowden erst: der ist – laut BILD-Reichelt – ein Verräter der extraordinären Judas-Kategorie. Erhielt er von Putin nicht 30 Silberlinge für seine gotteslästerliche Tat?

Danke, Terroristen, ihr habt das westliche Lager wieder gekittet. Ob die Attentäter gehirnamputierte Marionetten der CIA waren? Ende der Verschwörungstheorie.

Neskovic kommentiert die ganz eigene Welt Merkels & Obamas:

„Das zeigt die ganze Doppelzüngigkeit. Wenn der eigene Anspruch nur für andere gilt, aber nicht für einen selbst, verliert man an Glaubwürdigkeit. Wir müssen zumindest für uns in Deutschland sicherstellen, dass wir nicht in gleicher Weise die Glaubwürdigkeit verlieren. Wenn Frau Merkel im Zusammenhang mit der Ukraine von der Herrschaft des Rechts schwadroniert, dann kann das ja nicht nur für die „bösen Russen“, sondern muss auch für die „guten Amerikaner“ gelten. Sie scheint das nicht zu begreifen.“

Der Westen rüstet zum zweiten 30-jährigen Glaubenskrieg. CDU-Politiker wie Laschet und Spahn unterlassen keinen öffentlichen Auftritt, um ihr Publikum zum Kircheneintritt oder -besuch aufzufordern. Gäbe es denn einen Anstieg des Bösen, wenn es keine beunruhigende Zunahme an gotteslästerlichem Verhalten der Heiden gäbe?

Die Berliner Regierung steht unter dem Diktat von Ex-Ossi-Christen, die ihre Segenswünsche der ungläubigen Gesellschaft überstülpen, ob die Gesellschaft es will oder nicht.

Kein Papst-Besuch, der im BR-Kanal nicht in epischer Länge übertragen würde. Der oberste Katholik kennt jeden gesalbten PR-Spruch, um der staunenden Welt symbolische Nächstenliebe zu verkünden. Symbolisch ist, wenn ER warnt und appelliert, dann tatenlos das Weite sucht.

Stopp, nicht ganz tatenlos. Jenes Mädchen, das die Frage stellte: warum lässt Gott es zu, dass Kinder auf der Straße und in der Prostitution enden? drückte er innig an die weiße Soutane. Seine Antwort wirkte wie ein stummer Donnerhall: diese Frage ist unbeantwortbar.

Ein Gott, der erklärbar wäre, was wäre das für ein lächerlicher Gnom? Selbstredend hätte ER das Böse verhindern können, ausreichend allmächtig ist er ja. Wollen tat er aber nicht – um dem freien Willen der Menschen nicht zu nahe zu treten. Da muss Er die neuesten Ergebnisse der deutschen Gehirnforscher – die allesamt ketzerische Calvinisten sein müssen – noch nicht gelesen haben.

Wenn demnächst die Genies aus Silicon Valley superintelligente Roboter hergestellt haben werden, die über Nacht die Herrschaft über die Menschen übernehmen – wer ist dann schuld am Putsch der Geschöpfe gegen ihre Schöpfer? Nicht die Schöpfer, die den freien Willen ihrer Golems in ihrem neuen Roboterrecht feierlich deklariert haben.

Das GG wird dann RGG heißen (nein, nicht Religion in Geschichte und Gegenwart), sondern Roboter-GrundGesetz. Und im Vorwort des RGG wird ein göttlicher Roboter Einzug halten: im Bewusstsein der Menschen vor Gott, dem obersten Maschinisten Himmels und der Erden, geloben wir Gehorsam der digitalisierten Heilsgeschichte bis unser Algorithmen-Messias kommen wird, zu richten alle Roboter- und Fortschrittsfeinde in Ewigkeit.

Geschichte muss dem Menschen entgegenkommen, hatte der fromme Aufklärer Habermas erklärt. Die Grünen haben das sofort verstanden. Nun kommen sie der Heilsgeschichte entgegen, damit das Heil ihnen entgegen kommt. In derselben Woche, in der der französische Laizismus zwölf Tote zu beweinen hatte, beschlossen die deutschen Grünen, dem Laizismus für immer Ade zu sagen: diese Gotteslästerei sei nichts für Deutsche.

(Merkels Kategorie der Gotteslästerung hatte voll bei ihnen eingeschlagen. Und da sie demnächst eine schwarz-grüne Herz-Jesu-Koalition anstreben, lag der Entschluss irgendwie nahe.)

„Fast 30 Jahre ist es her, dass der Kölner Erzbischof Joseph Kardinal Höffner erklärte, die Grünen seien für Katholiken nicht wählbar. Heute ist ungewiss, ob die Ökopartei die Kirche oder die Kirche sie übernommen hat. Die beiden wichtigsten LandespolitikerInnen der Grünen, der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Nordrhein-Westfalens stellvertretende Ministerpräsidentin Sylvia Löhrmann, sitzen im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK). Bei den Protestanten sind Grüne ebenfalls an vorderster Front dabei, wie das Beispiel der Ex-EKD-Präses Katrin Göring-Eckardt zeigt.“ Schreibt Anja Krüger in der TAZ.

Gott und das Heilige wesen überall, du kannst hinkommen, wohin du willst. Überall wirst du zwangsgeliebt. Doch wenn du ehrlich bist, brauchst du das – wenn du ein echter Deutscher bist. Deutsch sein und das Unaussprechbare und Numinose spüren: das ist eins.

Im SPIEGEL, dem neuen Sturmgeschütz des abendländischen Glaubens allemal. Hatte Augstein junior bereits alle Religionen vom Bösen dieser Welt rein gewaschen, kommt heuer seine Kollegin Hoffmann (die mit der Schwäche für eine Diktatur, zwecks fürsorglicher Rettung der Demokratie), um den Laizismus ein für allemal im Rhein zu begraben. „Deutschland ist – anders als Frankreich – kein laizistisches Land, keines, in dem Staat und Religion streng voneinander getrennt sind.“

Ja warum denn nicht, um Gotteswillen? Antwort: „Der historischen Tradition und den Überzeugungen der Deutschen entspricht ein strenger Laizismus nicht.“

Ach so, die Deutschen sind fromm, weil sie – fromm sind. Eine saubere und des SPIEGELs würdige Antwort. Heidnische Logiker würden von Pleonasmus sprechen: ein weißer Schimmel ist immer weiß. Die Deutschen, sie sind nun einmal so, wie sie sind.

Solche Antworten nannte man einst den Sonderweg der Deutschen. Lass die schnöde Welt sein, wie sie will, wir Deutschen sind kern-deutsch und gottgläubig, Basta.

Nun wissen wir auch, mit welcher Diktatur die fromme Christ-iane liebäugelt: mit der theokratischen. Jesus – oder sein Stellvertreter – sollen das Haupt der deutschen Gemeinde bilden. Zur Not würde der SPIEGEL sich mit Pastorin Göring-Eckardt begnügen. Das Traumpaar der Hamburger wäre aber das Madonnenduo Angie & Katrin, unter der sanften Regie des Rostocker Oberpastors Bruder Joachim. Welch eine postsozialistische Dreieinigkeit.

Nun zeigt sich der bislang verborgene Kern des Marxismus: es ist die christliche Heilsgeschichte, die sich von innen nach außen gestülpt hat. Der Kapitalismus bringt es an den Tag. Deutschland braucht dringend Christentum, das gottverlassene Land könnte sonst an Werte-Verfall zugrunde gehen. Hoffmann: „Trotzdem wird der Staat auch weiterhin auf die Religionsgemeinschaften angewiesen sein. Sie helfen, als Träger von Schulen, Kindergärten, Pflegeeinrichtungen. Er braucht sie auch als Vermittler von Werten.“

Nun wissen wir, warum die Deutschen solche Kopfnicker und Demuts-Darsteller sind: man impft sie von Kindesbeinen an mit Werten, die sie zu lutherischen und vatikanischen Untertanen prädestinieren. Kaum können sie gehen und stehen, schon steht ein Priester vor ihrer Nase und erzählt ihnen das Märchen vom Sündenfall und dass der kleine Sven in die Hölle kommt, wenn er dem Popen oder der frommen Tante nicht aufs Wort gehorcht. Hier endlich kommt der Begriff Pädo-philie zur Entfaltung. Priester, die Kinder lieben, wollen nur, dass sie in den Himmel kommen. Was habt ihr denn gedacht?

Die ZEIT lässt die Sau raus und zeigt ungeschminkt ihren deutschen Sonderweg. Als es in Frankreich rund ging, wollten sie – aus falsch verstandener Solidarität – nicht im Geringsten die schrecklichen antiislamischen Karikaturen nachdrucken. Wie heißt es im heutigen Slang der Eigentlichkeit? „Das ist nicht meins“. Ganz frei und unabhängig wollten sie zeigen, wofür sie in deutscher Innerlichkeit einstehen: „für Liebe, Leben, Lachen“. Ist das nicht herzallerliebst und klingt nach der BUNTEN, der LANDLUST und dem Ratgeber für die Menopause: Optimiere dein Leben, besonders nach 50? (ZEIT Online)

Doch es geht auch seriöser, wenn die ZEIT erklären will, warum sie der globalen Hysterie des „Je suis Charlie“ eine Abfuhr erteilt. ZEITonline-Chef Jochen Wegner suchte Erklärungshilfe im angelsächischen Raum, der über die gotteslästerlichen Franzosen alles andere als amused war – und wurde fündig beim Chefredakteur der New York Times, der innerhalb eines Tages seine Meinung mehrere Male geändert hatte. Das sei echter Journalismus: wechsle deine Moral, wie sich der Wind dreht.

Gesetze, wie in Stein gemeißelt, gäbe es für windige Schnellschreiber nicht. Pardon, dann könnte es auch keine universellen Menschenrechte geben? Gestern die UN-Charta, heute die Dabbelju-Foltermoral, morgen gar nichts und übermorgen das Gegenteil von nichts – oddr? Schreiber, sei unberechenbar und unvergleichlich, sei du selbst – außerhalb aller moralischen Spießerei, besonders außerhalb dieses abstoßenden Menschenrechts-Einheitsbreis!

„Auch wenn manche Medien gerne einen anderen Eindruck erwecken wollen: Journalismus folgt nicht ewigen Regeln, die einst auf Steintafeln übergeben wurden. Manche Regeln werden buchstäblich jeden Tag neu verhandelt, nicht nur in einer bestimmten Redaktion, sondern manchmal auch in ein und demselben Kopf. So kann es geschehen, dass sogar ein Monolith des Journalismus wie die BBC einfach unterwegs die Richtung ändert – und die eigene Karikatur-Entscheidung wieder aufhebt.“ (Jochen Wegner in ZEIT-Online)

Selbstverständlich solidarisiert sich die ZEIT mit ihren Kollegen aus Paris. Doch aber nicht dadurch, dass sie sich solidarisiert, pardon für identisch erklärt! Wie kann man sich solidarisieren, ohne sich mit den Werten der Solidarsubjekte zu identifizieren?

Treten Franzosen nicht ein für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit? Gelten diese Werte nur heute? Kann man seine Werte nach Belieben in der Sondermülltonne ablegen? Ist Demokratie ein Wert für den Augenblick, morgen beten wir Diktatoren an?

Sind die Deutschen der Weimarer Republik nicht freudig zur Gewaltmoral der neuen Machthaber übergelaufen, weil sie die Werte einer neuen messianischen Endzeit witterten? Haben sie seit Hegel und der Romantik ihre Werte nicht von den zeitlosen Werten der Aufklärung abgelöst und der Diktatur der Heilsgeschichte untergeordnet?

Gibt es keine absoluten Werte, die wir mit Klauen und Zähnen verteidigen müssen? Ist der Demokrat ein wetterwendisch Männlein, das sich jeden Tag neu erfinden muss?

In einem nicht ausgewiesenen Hauptkommentar des SPIEGEL (das Magazin zeigt gern das Konterfei seiner EdelschreiberInnen, doch seine Meinung präsentiert er in Dunkelmännermanier) schrieb Anonymus, dass sein Blatt selbstredend für Demokratie, Menschenrechte, Rechtsstaat und Freiheit eintrete. Nicht aber für die eine Wahrheit, die das Signum eines autoritären Rechtspopulismus sei.

Doch wie könnten sie für eine allein seligmachende Religion eintreten, wenn sie die eine Wahrheit ablehnen? Wie könnten sie für Menschenrechte eintreten, wenn diese morgen abgelehnt sind? Ist absolute Wahrheit identisch mit Unduldsamkeit und inquisitorischer Infallibilität?

So weit sind wir im christlichen Abendland gekommen, dass Jesus ständig mit Sokrates verwechselt wird. Die jesuanische Absolutheit war von der Unduldsamkeit eines göttlichen Allwissenden. Nach dem grässlichsten Motto der Weltgeschichte: wer nicht für mich ist, der ist gegen mich.

Sokrates kannte keine theoretische, nur eine moralische Absolutheit: die Selbstbestimmung des Menschen, der seine Position nicht durch das Schwert, sondern allein durch Argumente und vorbildliches Verhalten verteidigt. Besser Unrecht erleiden als Unrecht tun: das ist die sokratische Absolutheit eines Denkers, der seiner Sache so sicher ist, dass er niemanden töten muss, um an seinen Standpunkt glauben zu können.

Nicht Erfolg, Reichtum und Reputation bei denen, die sich trügerisch blenden lassen, ist das Kriterium des Wahren, sondern die Stimme der eigenen Selbstbesinnung, die sich als zoon politicon von der Gesellschaft überprüfen lässt – und sich selbst überprüft. Hätte Sokrates seinen Tod akzeptiert, wenn er von seiner selbstkritischen Moral nicht absolut überzeugt gewesen wäre?

Es gibt Absoluta in einer Demokratie: der Glaube an die Würde des Menschen, an die Menschenrechte, an die denkerische und moralische Autonomie, an Freiheit und Geschwisterlichkeit aller Menschen. Wer diese Absoluta aufgibt, hat Demokratie aufgegeben.

Die Allergie gegen ein religiös-menschenfeindliches Absolutum hat mit dem selbstbestimmten Glauben an die Würde und Humanität jedes Menschen nichts zu tun. Immer verwechseln die Abendländer den unterdrückten Widerwillen gegen ihren intoleranten Kinderglauben mit den Errungenschaften der griechischen Aufklärung.

Wie begründet die ZEIT ihre beschämende Unsolidarität mit den Werten der Französischen Revolution? Mit einem einzigen Argument: wir sind deutsch – und nicht französisch.

Das war die Haltung der „1914“-Bewegung vor dem Ersten Weltkrieg, die mit den universellen 1789-Werten der Französischen Revolution nichts zu tun haben wollte. Generelle Werte für alle Menschen? Das sei eine absurde Illusion. Jede Nation habe die Werte, die sie im Schoß ihrer eigenen Tradition ausgebrütet habe. Werte müssen national gewachsen, nicht abstrakt hergeleitet sein. Deutsche haben deutsche Werte – sonst nichts. Es ist wie bei Goethes Quidam:

Ein Quidam sagt: „Ich bin von keiner Schule!
Kein Meister lebt, mit dem ich buhle;
Auch bin ich weit davon entfernt,
Dass ich von Toten was gelernt.“
Das heißt, wenn ich ihn recht verstand:
„Ich bin ein Narr auf eigne Hand.“

Hier begann die Deutsche Bewegung, die sich das Sonderrecht anmaßte, die ganze Welt nach deutschem Recht zu liquidieren. Deutsches Recht war die Macht der einmaligen und unvergleichlichen Deutschen, die sich keinen universellen Werten unterwarfen.

Die Prinzipien der Deutschen Bewegung hat sich die ZEIT zu eigen gemacht. Bis jetzt in der Theorie.