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Religion ist Politik

Hello, Freunde westlicher Werte,

in welchem Land befinden wir uns, wenn ein Milliardär die Präsidentschaftskandidaten aussucht? Ganz offiziell und nicht hinter den Kulissen? Die geeignetsten Kandidaten im Interesse eines anderen Landes? In der Ostukraine – oder in der besten Demokratie der Welt?

Über den beispiellosen Vorgang erschien in deutschen Medien keine Zeile. Wir sind fest im westlichen Lager. Äquidistant zu West und Ost? Wir haben nicht die geringste Distanz zu Washington & Jerusalem.

Es gibt einen alten Streit zwischen Uri Avnery und Noam Chomsky: wedelt der Hund mit dem Schwanz oder der Schwanz mit dem Hund?

Rein zufällig hat das Oberste Gericht in den USA zeitgleich die Grenzen von Wahlkampfspenden aufgehoben. Natürlich geht’s nicht um Spenden. Es geht um einen Deal: Geld kauft Macht.

Demokratie ist tot, Amerika eine Plutokratie oder die obszöne Herrschaft des Geldes. Das war der neocalvinistische Kontinent vielleicht von Anfang an, doch jetzt ist‘s amtlich. Niemand trickst. Niemand heuchelt. Die blanke Wahrheit hat die Heuchelei vertrieben. Uri Avnery schreibt:

„Der Kasino-Mogul, Sheldom Adelson, organisierte eine öffentliche Vorstellung seiner Macht. Er lud die vier wahrscheinlichsten republikanischen Kandidaten für die nächsten Präsidentenwahlen in sein Las Vegas Wett-Paradies ein, um

einen auszuwählen. Alle Eingeladenen beachteten natürlich die Aufforderung.

Es war eine beschämende Vorführung. Die Politiker krochen vor dem Casino-Herrn. Mächtige Gouverneure von bedeutenden Staaten taten ihr Bestes, um sich selbst wie Bewerber bei einem Jobinterview gut zu verkaufen. Jeder von ihnen versuchte, über den andern zu triumphieren und versprach dem Mogul, alle Bitten zu erfüllen.

Flankiert von israelischen Leibwächtern nahm Adelson die amerikanischen Hoffnungsvollen in die Zange. Und was verlangte er vom zukünftigen Präsidenten der USA? Als erstes und wichtigstes: blinden und bedingungslosen Gehorsam gegenüber einem anderen Staat: Israel.

Adelson ist einer der reichsten Juden in der Welt. Er ist auch ein Fanatiker vom rechten Flügel – nicht nur ein amerikanischer Rechter, sondern auch ein israelischer.“

Adelson kauft sich nicht nur republikanische Kandidaten, er überflutet ganz Israel mit einer kostenlosen Massenzeitung, die sich in den Dienst Netanjahus stellt. Die Gazette wird „Israel heute“ genannt. Sie wird für nichts über das ganze Land verbreitet. Seine Leserschaft ist jetzt die Größte im ganzen Land.

„Der einzige Zweck von Adelsons Zeitung ist es, Benjamin Netanjahu zu dienen, persönlich und politisch, bedingungslos und offen. Dies ist eine solch unverhohlene Einmischung in Israels Politik durch einen ausländischen Milliardär, dass dies eine Reaktion auslöst: alle Knesset-Fraktionen, die Rechten wie die Linken (außer Likud, natürlich) haben eine Forderung unterzeichnet, um dieser Korrumpierung von Demokratie ein Ende zu setzen.“

Das Eigenartige an der amerikanisch-israelischen Symbiose ist der verborgene Konflikt zwischen beiden Ländern. Obama ließ nicht nur Merkel abhören, sondern auch israelische Minister (ob Netanjahu, wurde nicht bekannt). Amerika hat einen amerikanischen Mossad-Spion, der schon lange in Haft sitzt, bis heute nicht frei gelassen. Dass die beiden Alphatiere Obama und Netanjahu nicht miteinander können, kann jeder Fernsehzuschauer erkennen, der die beiden im Oval Office nebeneinander sitzen sieht.

Die Israel-Lobby in Amerika scheint nicht mehr monolithisch zu sein. Die junge Generation löst sich vom bedingungslosen Unterstützungskurs der friedensunfähigen Regierung in Jerusalem, besitzt aber kein Gegenkonzept und flieht in politikferne Betätigungen.

In Tel Aviv sind die Demonstrationswellen längst abgeflossen. Junge Israelis wandern eher nach Berlin aus, als im eigenen Land die um sich greifende Herrschaft der Ultras zu stoppen. Über 2000 Jahre Diasporaleben inmitten anderer Länder kann man nicht in einer Generation abschütteln. Wie lange benötigte Deutschland, um in die Reihe halbwegs demokratischer Nationen aufgenommen zu werden?

Der zionistische Erwartungsdruck legendärer Gründerväter scheint wie Zentnerlasten auf den Schultern der Jungen zu liegen. Die besten Errungenschaften der Landnahme-Generation – die kapitalismuskritischen Kibbuzim – sind Geschichte geworden. Das Land wurde eines der neoliberalsten Länder der Welt, die Kluft zwischen Reich und Arm ähnelt den Verwerfungen in den USA.

Die Nachfolgegenerationen scheinen sich – verglichen mit den Titanen der Einwanderer – als Versager zu fühlen, die die paradiesischen Erwartungen der Avnery-Generation nicht erfüllen können. Auch das Palästinenser-Problem scheinen sie eher auszublenden, als dass sie das unterdrückte Volk als gleichberechtigtes anerkennen könnten.

Kerry, der mit großer Energie die Friedensverhandlungen begann, hat schon das Handtuch geworfen. Was geschieht, wenn der Prozess offiziell begraben wird? Deutschland hüllt sich in philosemitische Stummheit, kritisiert nicht, schlägt nichts vor, ignoriert vollständig die Probleme seiner Nahostfreunde. Wer solche Freunde hat, braucht sich um Feinde nicht zu kümmern.

Avnery war lange Zeit ein unverwüstlicher Optimist trotz alledem und alledem. Doch seine Kommentare werden immer düsterer:

„ES GIBT keinen Weg, um die Korruption des politischen Prozesses in den USA – und hier – zurückzuschlagen, ohne dass das Wahlsystem völlig verändert wird. So lange so große Summen benötigt werden, um gewählt zu werden, wird die Korruption unangefochten herrschen. Bis solch eine Reform stattfindet, werden die Adelsons und die Olmerts die Demokratie korrumpieren.“

In Israel geht die Angst um, die Juden könnten ihren ersten Staat nach langer Zeit in den Sand setzen. Natürlich funktionieren die alten Schuldzuweisungen, dass alle Welt die Niederlage des jungen Staates wolle. Wie könne man sich sonst gegen die hämische Dominanz der Gojim behaupten?

Jene Stimmen, die selbstgerechte Schuldzuweisungen als gefährlich und schädlich für die eigene Nation zurückweisen, gehören zur kleinen Minderheit der Selbstkritischen, die laut autostereotypischem Klischee als Selbsthasser gelten. In Deutschland haben sie keine Chance, ihre Stimme kontinuierlich ertönen zu lassen. Wann erschien Uris letzter Artikel in der TAZ?

Die großen Gazetten wissen, was sie zu tun haben, um Haaretz, Gideon Levy, Zuckermann und andere wache Geister bei uns zu unterdrücken. Das vielseitig begabte Deutschland kann nicht nur durch Feindschaft und Hass zerstören. Sondern auch durch Schalmeienklänge der Freundschaft.

In den Sprüchen des Alten Testaments wird vor den süßen Worten jener Fremden gewarnt, die einen verderben will:

„Denn von Honigseim triefen die Lippen der Fremden,

und glätter als Öl ist ihr Gerede in der Knesseth,

Zuletzt aber ist sie bitter wie Wermut,

scharf wie ein zweischneidig Schwert.

Den geraden Weg des Lebens schlägt sie nicht ein,

ihre Pfade gehen irre, ohne dass sie es merkt.“

Auch wenn Deutschland sich komplett verweigert: die ganze nichtchristliche Welt sieht genau, welche Unfassbarkeiten sich im harten Kern des westlichen Bündnisses abspielen. Was sind dagegen die ordinären Völkerverbrechen eines Putin? Soviel zur Äquidistanz Deutschlands im neuerwachten Ost-West-Konflikt.

Deutschland ist nicht nur unfähig, Israel distanziert zu sehen, sondern auch den Großen Bruder jenseits des Ozeans. Niemand muss Putin in Schutz nehmen, wenn er sagt: was Weltherrschaft betrifft, hat Obama die Nase vorn. Was er über die Welt wissen will, weiß er, seine Partner kennt er besser, als sie sich selbst. Internationale Konferenzen könnte er sich sparen: Number One sieht, hört und belauscht alles, was sie zur Sicherung ihrer Weltführungsstellung glaubt, wissen zu müssen. Was sind dagegen die jämmerlichen Truppen, die Putin an der Grenze zur Ukraine aufmarschieren lässt?

Was eigentlich verbindet Amerikaner und Juden/Israelis? Ist die Verbindung zwischen den „alten“ und „neuen“ Juden wirklich eine herzlich-freundschaftliche? Natürlich nicht. Die Beziehung beruht nicht auf gleichen rationalen Interessen, sondern allein auf Religion.

Man könnte von einer schein-brüderlichen unio apokalyptica sprechen. Endzeitchristen brauchen das ursprünglich auserwählte Volk, dessen Bekehrung zum christlichen Erlöser das Ende der Geschichte ankünden soll. Offiziell lieben sie sich, inoffiziell hassen sie sich immer mehr.

Uri: „Uns wird erzählt, dass Antisemitismus in Europa und in der ganzen Welt auf dem Vormarsch ist. In der verrückten geistigen Welt des Antisemitismus kontrollieren Juden den Kosmos. Und hier haben wir einen Juden, direkt aus den Seiten der „Protokolle der Weisen von Zion“ der versucht, den Herrscher des mächtigsten Landes auf dem Planeten zu ernennen.“

Zum Antisemitismus der ganzen Welt gehört der latente, doch immer offener zu Tage tretende Antisemitismus der Amerikaner. An unbemerkter Stelle (ja, auch in der hochprekären Beziehung des NCIS zum Mossad in der gleichnamigen TV-Serie) entlarven sich ungelöste Tiefenprobleme zwischen dem Volk des Ursprungs und jenen Einwanderern, die in Amerika das neue Kanaan erkennen wollten.

Beide monotheistische Völker tun, als wären sie im Geiste des gemeinsamen eschatologischen Gottes in brüderlicher Harmonie verbunden. Davon kann keine Rede sein. Es handelt sich um eine scheinbrüderliche gegenseitige Instrumentalisierung zur eigensüchtigen Vorbereitung des Geschichtsfinales. Man braucht sich, man liebt sich nicht.

Inzwischen wurde klar, welche Funktion die dämlichen Protokolle der Weisen zu Zion haben sollten. Man wollte von den Texten der Heiligen Schrift ablenken, in denen die Weltpolitik der auserwählten Völker in unüberbietbarer Klarheit beschrieben wird. Wozu braucht man Verschwörungstheorien, wenn Gott selbst seine Pläne der Menschheit mitgeteilt hat?

Man kann den Faktor Religion in der Politik natürlich dementieren und Karl Marxens materiellen Interessen den Vorzug geben. Es gibt viele Möglichkeiten, den Kopf in den Sand zu stecken. Schon seltsam, die Religion zur wichtigsten Herzensangelegenheit zu erklären, um im selben Moment die innere Stimme Gottes zur belanglosen Nebensache zu degradieren.

Nicht der römische Zeus hat die Welt erobert, sondern die Religion der ewigen Seligkeit und Verdammung. Was sind Schwerter und Kanonen gegen fanatische Märtyrer, die ihr klägliches irdisches Leben für ewige Wonnen im Jenseits eintauschen?

Was sind Verschwörungstheorien? Nichts als unbewiesene Hypothesen zur Erklärung seltsamer Zufälle, die möglicherweise keine sind.

Jeder Naturwissenschaftler beginnt mit einer Verschwörungstheorie und sucht sie durch Fakten oder Experimente zu beweisen. Gelingt das nicht, sind die Hypothesen noch lange nicht widerlegt.

In den Medien hat sich die Manie verbreitet, Verschwörungstheorien in Bausch und Bogen als wahnhafte Vorurteile zu entlarven. Aber ohne Beweis, dass die Vermutungen falsch sein müssen.

Schon möglich, dass 9/11 nur das Werk von AlQuaida ist. Doch wer kann, ohne das Ganze vollständig zu rekonstruieren, mit Sicherheit behaupten, dass nicht auch interne amerikanische Mächte mitmischten, um das Attentat innen- und außenpolitisch zu verwerten und Amerika in seiner messianischen Rolle des Bösenbekämpfers zu revitalisieren?

Man kann nicht im Brustton der Überzeugung sagen, man könne nichts wissen, um gleichzeitig jene zu widerlegen, die angeblich etwas wissen. Wer nichts weiß, weiß auch nicht, ob der angeblich Wissende sich täuscht oder nicht.

Verschwörungstheorie ist der diskriminierende Name für das legitime Bedürfnis, sein Nichtwissen zu reduzieren. Menschen ertragen nur schwer kognitive Dissonanzen in ihrem unmittelbaren Lebensbereich. Wer würde es für Verschwörung halten, wenn man Milliardären unterstellte, dass sie hinter den Kulissen über eine gemeinsame Strategie der EINPROZENT gegen den Rest der Welt sprächen? Zumal, wenn sie selbst vom Krieg der Reichen gegen die Armen reden, den sie gewinnen würden?

Der Sinn des sokratischen Satzes: ich weiß, dass ich nichts weiß, war die Aufforderung, penibel zu unterscheiden zwischen nachweisbarem und scheinbarem Wissen, zu dem die ewig unbeantwortbaren Fragen nach Gott und ähnlichen Fiktionen gehören.

Vieles wissen wir nicht, vieles werden wir niemals wissen. Was nicht bedeutet, dass man uns vorschreiben dürfte, was wir nur vermuten, sicher wissen könnten oder aber niemals wissen werden.

Nicht selten spielen bei der Entstehung des Antisemitismus Fragen nach Macht und Einflussbereich der Juden eine Rolle. Solche Fragen nüchtern zu beantworten, gehört zur Kompetenz aller Demokraten. Überschätzen sie die Juden, um sie hassen zu dürfen? Unterschätzen sie dieselben, um dem Verdacht des Antisemitismus durch Reaktionsbildung zu entgehen?

Hier hülfen nur empirisch nachweisbare Daten. Hätte man vor 20 Jahren Scharons Rede zitiert, die Juden beherrschten Amerika, wäre man in der BRD exkludiert worden. Heute liegen die Beweise auf dem Tisch und niemand in Deutschland dreht sich nach ihnen um.

Das numinose Verhältnis zwischen Juden und Deutschen muss entmythologisiert werden, auf dass es zu fruchtbaren Dialogen und Streitgesprächen kommen kann. Politisches Erkennen heißt, die Weltgeschehnisse realistisch einschätzen zu lernen. Niemand darf gigantisch dämonisiert, niemand leichtsinnig unterschätzt werden.

Der Nahostkonflikt ist für die ganze nichtwestliche Welt der prototypische Beweis, dass der christlich-jüdische Westen zur friedlichen Kompromissfähigkeit mit seinen Gegnern nicht fähig ist. In seiner blinden Loyalität zur ultrarechten Regierung in Jerusalem zeige der Westen, dass er kein Interesse an einer langfristigen Ausgleichspolitik mit der nichtchristlichen Welt hegt.

Es ist Unsinn, dass rein materielle Interessen den Gang der Geschichte bestimmen. Echte Heilsreligionen sind geistig und materiell. Das geistige Wort ward materielles Fleisch und wohnte unter uns. Religion macht seine Gläubigen nicht zu spirituellen Luftgeistern.

Erst, wenn die Menschheit die geistigen und materiellen Interessen der Religionen kritisch zur Kenntnis nimmt, wird sie die Rivalität der Religionen als Kern irdischer Weltbeherrschungsversuche durchschauen.