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Polemisches Streitgespräch

Hello, Freunde der Polemik,

polemos heißt Krieg oder Streit. „Polemik bezeichnet einen meist scharfen Meinungsstreit im Rahmen politischer, literarischer oder wissenschaftlicher Diskussionen.“

Um Kriege mit Waffen zu vermeiden, müssen „Kriege mit Worten“ geführt werden. Ein Krieg mit Worten will nicht den Kontrahenten vernichten, sondern dessen hanebüchenen Argumente.

Laut Wiki gehören in die Reihe bekannter Polemiker „im deutschen Sprachraum unter anderem Gotthold Ephraim Lessing, Arthur Schopenhauer, Heinrich Heine, Karl Marx sowie Kurt Tucholsky und Karl Kraus.“ Keine ehrenwerten Namen, die mit scharfer Feder unhaltbare Zustände und Ideologien anprangerten?

Alle Aufklärungsepochen vom Beginn der vorsokratischen Philosophie bis zur gegenwärtigen Attacke Pankaj Mishras gegen den Westen sind polemisch. (Heraklit forderte die Bürger seiner Heimatstadt Ephesos auf, sich Mann für Mann zu erhängen.)

Wer Klarheit haben will, muss scharf schießen. Scharf schießen nicht mit Kanonen – dies für abendländische Hornochsen –, sondern mit geschliffenen Argumenten die Denkfehler, Zweideutigkeiten, doppelten Wahrheiten, Lügengespinste, Heucheleien und Anmaßungen der Mächtigen in Staub verwandeln.

Nur der Mächtigen? Vor allem der Mächtigen, deren gedankliche Rechtfertigungen den Ohnmächtigen mehr schaden als Pistolen und Gewehre: für Schwache und Ohnmächtige sind Konstruktionen hoher Worte – seien sie

philosophischer oder religiöser Natur – schwer zu durchschauen.

Wem es gelingt, mit Worten unantastbarer Offenbarungs- oder autoritärer Wahrheitsqualität die Massen zu beeindrucken, denen der Mut ausgetrieben wurde, mit dem eigenen Kopf zu denken, der kann sich viel polizeiliche oder militaristische Abschirmung der Eliten sparen.

„Seid untertan der Obrigkeit, denn es gibt keine außer von Gott“: das war der wirksamste Militärkordon gegen aufmüpfige Bauern und Revolutionäre, der in heiligen Worten je erfunden und installiert wurde. Wer sich auf den Himmel und andere unwiderlegbare Weisungsinstanzen berufen kann, besitzt die Lizenz zur Unterdrückung Andersdenkender.

Muss der Polemiker den Konsens anstreben? Er muss nichts, außer in äußerster Klarheit und Wahrheitsliebe seine Meinung kundtun – um Konsens auf der Wahrheitsbasis anzustreben. Einen anderen Konsens kann es nicht geben. Denn der wäre nichts als ein fauler Kompromiss.

Wiki setzt der Polemik die Apologetik gegenüber, nimmt aber im selben Satz den Gegensatz zwischen Polemik und Apologetik zurück: „Als Gegensatz dazu wird auch die Apologie genannt, obgleich natürlich auch eine solche Rechtfertigungs- bzw. Verteidigungsrede durchaus polemisch sein kann.“

Apologie ist eine Verteidigungsrede. Die berühmteste Apologie ist die des Sokrates, der vor dem Athener Volksgericht – wegen Einführung neuer Götter und Verführung der Jugend zu autoritätskritischem Denken – angeklagt wurde. Der arbeitslose Rattenfänger würde die Jugendlichen in ihrer Gehorsamsbereitschaft verderben.

Sokrates verteidigte sich nicht nur mit dem ganzen Arsenal seiner Denkschärfe, umgekehrt griff er frontal die demokratische Kompetenz seiner Ankläger an – und forderte für seine „Lebensleistung“ gar eine offizielle Ehrung der Regierung.

Zwischen persönlichen und sachlichen Angriffen kann nicht immer reinlich unterschieden werden. Wer mit „populistischer“ Rhetorik die Massen aufwiegelt, um eine intakte Demokratie abzuschaffen und eine Despotie zu errichten, der müsste kompromisslos als Despot, Diktator oder Faschist entlarvt werden.

(Genau genommen dürfte keine Rhetorik, die das Volk – „populistisch“ kommt von populus = das Volk – hinters Licht führen, degradieren und beherrschen will, populistisch genannt werden.)

Wer mit Verdrehung der Wahrheit seine Gegner aus dem Weg räumen will, um seinen Aufstieg zur Macht zu befördern, dessen „persönliche“ Lauterkeit muss in Zweifel gezogen werden können. Die Grenzen zu ziehen zwischen persönlicher Verunglimpfung und trefflich-scharfzüngiger Charakteranalyse obliegt in Demokratien der öffentlichen Meinung und der Rechtssprechung.

In der TAZ polemisiert Andreas Fanizadeh gegen Pankraj Mishras Auszeichnung auf der Leipziger Buchmesse und dessen „polemische antiwestliche Positionen.“ Es ist ein Generalverriss des Mishra-Buches „Aus den Ruinen des Empire“. (Andreas Fanizadeh in der TAZ)

Es gebe Debatten, die seien nicht totzukriegen. Dazu gehöre die „die ewige Mär vom bösen Westen und den guten außereuropäischen Gesellschaften. Nach Kolonialismus, zwei Weltkriegen und Nationalsozialismus sind die aufgeklärten Westeuropäer deswegen besonders gerne bereit, sich in aufklärerischer Demut ab und an eine gehörige Abreibung verpassen zu lassen, eine Art Ablasshandel für tatsächlich bis heute feststellbare Entwicklungsunterschiede auf den verschiedenen Kontinenten unserer lieben Erde“.

Mishra sei ein „antiwestlicher Peitschenschwinger“. Wie könne ein „dermaßen vor sich hin ethnisierender Vertreter der asiatischen Renaissance tatsächlich zur interkontinentalen Verständigung beitragen?“ Antwort: indem er die Peitsche gegen den Westen schwingt.

Eine kleine Peitsche, deren Klang man nur im Umkreis von 100 Metern hört, soll unfair sein gegen die jahrhundertalte Waffen-, Wirtschafts- und Technikwalze, die der Westen als Instrument des heiligen Krieges gegen die Ungläubigen und Heiden der Welt einsetzte, um Milliarden Menschen ihrer Tradition zu entreißen und gewaltsam dem naturzerstörenden Kapitalismus des Westen zu unterwerfen?

„Vor sich hin ethnisieren“ soll wohl bedeuten: Mishra ordnet die Menschheit Ethnien und Hemisphären zu, die die wirtschaftliche Globalisierung und die Vernetzung der Welt zu einem globalen Dorf längst zur Makulatur gemacht hat.

Wir sind alle eins im Herrn. Millionen Flüchtlinge strömen nicht aus Afrika nach Europa, sondern aus Europa nach Afrika. Die kriegerischen Brennpunkte liegen nicht im Nahen Osten und an der europäischen Grenze zu Asien, sondern mitten in der Provence und in Brandenburg. Der höchste Wohlstand befindet sich nicht in Amerika, sondern in Afghanistan und Pakistan. Zu den Teilnehmern der wirtschaftlich potentesten Länder der Welt, G8, gehören nicht Kanada und England, sondern Bangladesh und der Sudan. Silicon Valley ist kein Ort in Kalifornien, sondern ein Vorort von Bombay. Die NSA ist keine Erfindung westlicher Weltbeherrschungssucht, sondern die Realisierung des chinesischen Yin-und-Yang-Denkens. Die ökologischen Katastrophen sind keine Folgewirkungen der abendländischen Hybris: Wissen ist Macht, sondern eine unmittelbare Konsequenz der konfuzianischen Devise von „Maß und Mitte“.

Nicht nur, dass Mishra nicht den Funken von Weltkenntnis besitze, er maße sich auch an, „für hunderte Millionen Asiaten“ sprechen zu können. Und wie er das tat: „Die Idee Europas als Verkörperung von Vernunft und Freiheit wurde von Asiaten niemals uneingeschränkt geteilt und kann auch nicht von ihnen geteilt werden.“

Die Idee Europas? Wenn die Wirklichkeit nicht mit der Idee vereinbar sei, umso schlimmer für die – Wirklichkeit, sagte der Europäer Hegel, der völlig davon überzeugt war, dass all seine Ideen Realität werden würden. Der protestantische Gott – den Hegel Weltgeist nannte – würde mit heilsgeschichtlicher Notwendigkeit dafür sorgen.

Wer kein hegelianischer Anbeter der lutherischen Rose im Kreuz ist, muss von der nüchternen Realität ausgehen, in der sich Idee und Wirklichkeit hart im Raume stoßen.

Warum sollten indische und chinesische Weise die europäischen Begriffe von Vernunft und Freiheit „uneingeschränkt“ teilen, wenn sie eigene Begriffe hatten – die bei näherem Zusehen vielleicht nicht schlechter waren als die europäischen?

Hätte ein gleichberechtigter und gewaltfreier Dialog zwischen den Kulturen diese Fragen nicht erst stellen müssen, bevor die Kulturen sich entscheiden könnten, die Begriffe anderer Kulturkreise für überlegen zu halten? Oder ist es unausweichliches Geschick der europäisch gelenkten Evolution, dass alle Nullitäten des Okzidents besser sein müssen als die besten Gedanken des Orients und Asiens?

Vor allem, welche Vernunft der Europäer soll die allerbeste sein? Waren die Europäer sich denn einig über Vernunft und Freiheit?

Ist der amerikanisch-neoliberale Freiheitsbegriff derselbe wie die Freiheit der rheinischen Soziallehre? Gibt es nicht in der Auslegung der Völker- und Menschenrechte gewaltige Unterschiede zwischen Washington und Europa?

Ist der Freiheitsbegriff Hegels und seines Schülers Marx nicht das pure Gegenteil der kantischen Freiheit? Ist Bertrand Russell vereinbar mit Fichte, Churchill mit Hitler, Adam Smith mit Stalin, ja, Rousseau mit Voltaire?

Nicht zu vergessen: ist eine zu propagandistischen Zwecken vorgetragene Idee schon die Wirklichkeit dieser Idee? Gab es im europäischen Kolonialismus nie den klaftertiefen Abgrund zwischen Wort und Tat, menschenfreundlichen Absichten und unerhörten Barbareien?

Ist es nicht kinderleicht nachzuvollziehen, dass bei solch kollektiven Heucheleien die Opfer der nichtwestlichen Zwangsbeglückungen an nichts mehr glauben können, was den edlen Megaphonen des Westens entströmt?

Wie könne ein einziger Mensch die Chuzpe aufbringen, im Namen von „hunderten von Millionen Asiaten“ zu sprechen? In der Tat eine Unverschämtheit, wenn Europäer und Amerikaner nicht im Namen von Menschen, sondern gleich im Namen Gottes sprechen. Eines unfehlbaren Gottes und seiner unfehlbaren Stellvertreter und Propheten. Die Asiaten wären gut beraten, beim nächsten Streitgespräch sich nicht mehr auf Mensch und Natur zu beziehen, sondern sich einen nagelneuen Gott in algorhitmischer Omnipotenz aus der Retorte zaubern.

Weiß ein aufgeklärter Europäer nicht, dass jeder Mensch im Namen aller Menschen redet, ja reden muss, weil er im Namen einer allgemeinen Vernunft spricht, vor der alle Menschen gleich sind? Jeder Mensch, der einen einzigen vernünftigen Satz sagt, sagt zugleich, dass seine Vernunft im Prinzip die Vernunft aller Menschen ist.

Im Prinzip heißt: die Gleichheit kann durch verschiedene Umwelten verfälscht worden sein. Dann wäre es die Pflicht vernünftiger Wesen, durch strenge und sorgsame Gespräche das Gemeinsame auszugraben und das Verschiedene auszugrenzen – wenn nach reichlicher Prüfung das Subjektive der Einen dem Subjektiven der Anderen nicht einleuchten wollte.

Vorbild ist die sokratische Mäeutik, in der Sokrates sich nicht anheischig macht, seinem Partner etwas beizubringen wie man ein leeres Glas mit Wasser füllt, sondern seinem Mitdisputanten jene Wahrheit anamnestisch zu entlocken, die er schon immer in sich hatte. Ein „Sieg“ über den Kontrahenten wäre kein Sieg über einen Besiegten, sondern die Selbstbesiegung eines Menschen, der durch Erinnerung sich der ursprünglichen Wahrheit seines Ich rückversichert.

Heute wird Sokrates vorgeworfen, er hätte mit listigen Suggestivfragen seine eigene Meinung den Befragten eingeimpft.

a) Jede Methode ist durch Missbrauch pervertierbar. Deshalb ist sie noch lange nicht widerlegt.

b) Jeder Leser der sokratischen Dialoge – sofern sie nicht die Konstrukte seines Schülers Platon sind – kann sich ans löbliche Werk machen und die Argumente des Sokrates durch den Mörser drehen, um der philosophischen Forschung einen unnennbaren Dienst zu erweisen.

c) Sokrates bot jedem seiner Kritiker an, die Rolle des Fragenden zu übernehmen, sodass er die Antworten geben könne. Mit anderen Worten: die Rollen des Fragenden und Antwortenden sind beliebig vertauschbar.

d) Kein Ergebnis eines sokratischen Dialogs erhob den Anspruch auf unerschütterliche Wahrheit. Zumeist endeten die frühsokratischen Dialoge in einer Sackgasse und hätten solange wiederholt werden müssen, bis beide Partner Zustimmung signalisieren. Kein Mensch ist unfehlbar. Der Prozess der Wahrheitssuche muss solange fortgesetzt werden, bis beide Partner die grüne Fahne hissen. Selbst dieser Konsens wäre kein Beweis absoluter Wahrheit.

e) Obgleich Sokrates die theoretische Suche nach der Wahrheit für unendlich, ja für unbeantwortbar hielt – von Göttern wisse er nichts und könne er nichts wissen –, war er davon überzeugt, dass Menschen sich zu moralisch-politischen Zwecken auf humane Grundsätze einigen könnten. Vom Jenseitigen und sonstigen Phantastereien wisse er nichts, doch wisse er ganz genau, dass Unrecht erleiden immer besser sei als Unrecht tun. Wer anderen Unrecht tut, könne niemals Frieden und Glück seiner Seele finden.

f) Mag sein, dass die höchst verschiedenen Weltkulturen in unwichtigen Religions- und Gottesfragen sich niemals einigen werden. Das würde aber nicht bedeuten, dass sie in demokratischen Menschenrechtsfragen sich partout nicht einigen könnten. Jede Kultur hat ihre Form der Vernunft und Menschenwürde. Die müssen miteinander verglichen und auf kulturübergreifende Kompatibiltät überprüft werden.

Wer auch nur einmal die Bücher chinesischer und griechischer Philosophen zur Hand nimmt, wird über den frappierend ähnlichen Geist erstaunen. Es gibt genügend Wesensgleichheit zwischen allen Menschen dieser Welt, um nicht der Mär des Westens vom unvergleichlichen Individuum (individuum est ineffabile) auf den Leim zu gehen. Wenn wir uns nicht ausreichend ähnlich sind, werden wir niemals zu allgemeinen und allgemein verbindlichen Menschenrechten kommen.

Mishra stellt die Frage: „War die moderne Zivilisation Europas tatsächlich „universell“ und „freiheitlich“, wie ihre Anhänger behaupten, oder diskriminierte sie die nichtweißen Rassen?“ Welche Interessen verfolgte der Westen im Osten wirklich? War es tatsächlich immer die Absicht, Freiheit und Vernunft zu bringen oder zu erweitern?

Antwort: „Der Westen betrachtet Asien von jeher aus der engen Sicht seiner eigenen strategischen und wirtschaftlichen Interessen; ohne dabei die kollektiven Erfahrungen und subjektiven Sichtweisen der asiatischen Völker zu untersuchen oder sich überhaupt nur vorzustellen.“

Ist Mishra ein Vertreter irrationaler Unfreiheit, wenn er die warnende Stimme des Zhang Jumnai zitiert, die vor der Dominanz des Westens warnt:

Es ist vollkommen klar, wer in der heutigen Welt die Starken und wer die Schwachen, wer die Tauglichen und wer die Untauglichen sind. Die Zukunft wird wahrscheinlich von Wohlstand ohne Gleichheit und von Reichtum ohne Frieden geprägt sein.“

Sind diese Worte aus dem Jahre 1923 nicht eine präzise Vorausschau unserer Gegenwart?

Oder wenn Mishra Rabindranath Tagore aus dem Jahre 1924 zitiert: „Wir werden dem Westen in seinem Wettbewerb, seinem Egoismus und seiner Brutalität nicht folgen“, sind das nicht sinnvolle Verweigerungsworte dem Westen gegenüber, aus denen mehr Vernunft spricht als aus allen Büchern von Hayek und Friedman?

Die Konfrontation zwischen den zwei gegensätzlichen Lebensweisen fasste in den 1920er Jahren Zhang Junmai in folgenden Worte zusammen:

„Die Grundprinzipien, in denen unsere Nation gründet, sind Qietismus (= Ruhe und Mäßigung) im Unterschied zum westlichen Aktivismus, psychische Zufriedenheit im Unterschied zum Streben nach materiellen Vorteilen, agrarische Selbstversorgung im Unterschied zum Profitstreben und ein moralisches Gefühl für Brüderlichkeit statt Rassenstrennung.“ Einer auf Armut basierenden landwirtschaftlichen Kultur fehle es zwar an industriellem Wissen, nicht aber an der Fähigkeit, ein gewisses Maß an Gleichheit und trotz Knappheit den Frieden zu gewährleisten.

Sind das Sätze der Unvernunft und des Unfriedens? Hat chinesische Kultur nicht über viele Jahrhunderte diese Sätze nicht nur behauptet, sondern in der politischen Wirklichkeit bewiesen?

Oh, yes, Sir! Auch China war nicht perfekt. Doch das Land der Mitte war eine lernfähige Kultur. Würden die Chinesen sich entscheiden, zu ihren Ursprüngen peu à peu zurückzukehren, wären sie mit Sicherheit zum Dialog mit dem Westen fähig. Kompromisse müssten ohnehin alle Länder der Welt miteinander schließen.

Wenn der Osten aufhören würde, den Westen zu imitieren und begönne, ihn an seinen uralten, verdrängten Maßstäben zu messen, würde er sich nicht selbst auch im selben Spiegel betrachten müssen?

Fanizadeh unterstellt Mishra, er verschweige die aktuellen Menschenrechtsverletzungen Chinas:

„Wer den Westen wie Mishra in Leipzig pauschal anklagt, aber vor den Menschenrechtsverbrechen der außereuropäischen Regime schweigt, klingt nach einem Lautsprecher national(religiös)er Chauvinisten. Als weitaus einflussreicher als das „verbrecherische Projekt des Nationalsozialismus“ bezeichnet Mishra das Selbstverständnis der „Europäer als Herrenrasse“, welches „bis heute ein erstaunliches Maß an Legitimation“ genieße. Sein Leipziger Diskurs zielte dabei auf aktuelle Politik, nicht Geschichte. Eine Kritik des historischen europäischen Kolonialismus ist selbstverständlich. Doch wer diese nur dazu benutzt, um menschenrechtlichen Universalismus, Liberalismus und das Konzept der individuellen Freiheit als „imperialistisch“ zu denunzieren, sollte besser mit der europäischen Neuen Rechten diskutieren.“

Das sind westliche Sätze, die vor Hetze der bodenlosen Art nicht zurückschrecken. Nicht nur dies: die Aussagen Mishras werden mit faschistischen Sätzen Lewitscharoffs gleichgestellt – verbunden mit der Folgerung: „Einmal auspeitschen, bitte.“

Das ist Postkolonialismus in verstockter Selbstüberhebung. Wenn der Westen jedes Ernstnehmen östlicher Kritik als Selbstbestrafung oder Demutsübung verwirft, geht seine interkulturelle Dialogfähigkeit gegen Null.

Wäre der TAZ-Artikel für den Westen repräsentativ, wäre ein kommender Weltkrieg zwischen den beiden Hemisphären unvermeidlich. Verglichen mit Fanizadeh ist Thilo Sarrazin ein philanthropischer Friedensstifter.

Wie kommt eine Stimme von solch blind-wütiger, westlicher Herrenmentalität in eine linke Gazette?

Der „Sokratische Marktplatz“ fordert die TAZ zu einem öffentlichen Streitgespräch.