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Ökologische Autarkie

Hello, Freunde der ökologischen Autarkie,

sie verstießen gegen alle Regeln, erzeugten Schulden, die höher waren als alle Völkerhaushalte zusammen und brachten die planetarische Ökonomie in Einsturzgefahr. Nicht aus Versehen, nicht aus Unfähigkeit: in kaltblütiger Absicht und mit vollem Bewusstsein. Sie zockten und gewannen.

Wenn Wirtschaft brummt, verdienen sie. Stürzt sie ein, verdienen sie gigantisch. Ergo müssen sie die Weltwirtschaft zum Einsturz bringen, um sich regelmäßig zu beweisen, was sie sind und bleiben wollen: die Herren des Universums. Die Krise der Menschheit, der Schaden aller Völker, die Ausraubung der globalen Massen – das ist der Stoff, an dem sie trunken werden vor Macht und Unvergleichlichkeit.

Auch Griechen verstießen gegen Regeln. Doch sie begingen den unverzeihlichen Fehler, klein und unbedeutend zu sein. Für ihre Peanuts müssen sie gigantisch bestraft werden.

Lüge wenig und dir glaubt niemand. Lüge gigantisch und alle erheben dich zum Messias. Habe minimale Schulden bei der Bank und sie wird dir das Leben zur Hölle machen. Habe gigantische Schulden – und die Bank gehört dir.

Wir müssen die Zockerwirtschaft in alle Einzelteile zerlegen und zurückkehren zur Autarkie. Zurückkehren heißt nicht regredieren und Vergangenes verherrlichen. Sondern die Zukunft der Menschheit in zeitloser Zuverlässigkeit sichern.

Die Wahrheit ist keine Funktion der Zeit. Das Motto der Veränderung muss lauten: so autark wie nötig, so vernetzt wie möglich. So unabhängig, um uns im Notfall selbst zu ernähren. So kooperativ und welt-verbunden, wie es der Einklang mit der Natur zulässt. Was möglich ist, bestimmen ökologische

Überlebens-Notwendigkeiten.

Das ist keine Absage an Globalisierung, sondern die wahre Verbundenheit mit der Gattung. Wirtschaft darf nicht länger eine internationale Waffe zur Unterdrückung abhängiger Völker sein.

In der Moderne ist Wirtschaft zur Herrin der Menschheit geworden. Ihren erschlichenen Thron muss sie verlassen und wieder zur Dienerin der Menschheit werden. Evolution, Geschichte, Religion, Fortschritt, Wirtschaft: alle Mächte, die sich zu Despoten der Menschen aufgeschwungen haben, müssen sich dem Willen der Menschen ergeben.

Dienende Besen hat der Mensch in Götter verwandelt – die ihn auf den Schutt der Geschichte kehren werden, wenn er ihnen nicht unmissverständlich zu verstehen gibt:

„In die Ecke,
Besen, Besen!
Seids gewesen.
Denn als Geister
ruft euch nur zu diesem Zwecke,
erst hervor der alte Meister.“

Nein, nicht nur der alte Meister: die ganze mündige Menschheit muss ihre angemaßten Gottheiten zur Kenntlichkeit entlarven und ihnen zeigen, dass niemand den Menschen kujonieren darf. Im Einklang mit der Natur ist der Mensch alleiniger Herr seines Schicksals. Und ist er’s nicht, wird er zu seinem eigenen Totengräber.

Die Deutschen schwadronieren über ein Verbot des Suizids. Mit dem Suizid der Gattung haben sie keine Probleme. Das Leben des Einzelnen ist ein „Geschenk Gottes“, das er nicht eigenmächtig verwerfen darf. Dann muss das Leben der Gattung ein Geschenk des Teufels sein, das man an der Garderobe mit Abscheu zurückgeben muss.

Noch hat der Mensch sich auf der Erde nicht nachhaltig eingenistet und lebt im Jenseits seiner natürlichen Zusammenhänge. Bislang diente ihm das Jenseits als imaginärer Fluchtpunkt seiner ungelösten irdischen Probleme. Eine erträumte und eingebildete Flucht ist eine gefährliche Verführung, sich seinem irdischen Schicksal klaglos zu ergeben – anstatt seine Probleme an der Wurzel zu packen.

Die Wurzel aller Probleme ist die Einsicht, dass der Mensch sein Schicksal selbst gestaltet. Was er selbst gemacht hat, muss er selbst korrigieren und verändern. Sein Geschick auf Erden verantworten heißt nicht, eingebildeten Mächten Rede und Antwort zu stehen. Sondern sich selbst befragen und sich selbst Antwort geben.

Katerstimmung. Das Griechenproblem diente dem Entertainment der abendländischen Erregungsbeschleunigung. Nach großem Eklat droht nun ein mattes Ende. (Selbst Bosbach und seine vier Musketiere vom hohen C könnten um ihren heroischen Abgang betrogen werden.)

Vielleicht ein Ende mit Verständigung? Wie abstoßend. In letzter Minute könnte das Opfer vom Scheiterhaufen springen und lebend davonkommen? Wie ekelhaft langweilig. Nichts Widerlicheres als entdramatisierte, passionslose Vernunft.

Die subkutane Devise der rechtgläubigen Passionsspiele war – Blut. Wir wollen Blut sehen und spüren. Blut ist ein ganz besonderer Saft. Griechischer Wein als Blut der Erde genügt nicht mehr. Auch nicht das symbolische Blut des heiligen Leichnams. Das Gebiss der neomaskulinen Angela ist groß und mächtig und will echte Knochen von griechischen Losern und Flüchtlingen knacken. Das Knacken soll man von Lissabon bis an die polnische Ostgrenze hören. Wehe denen, die sich den Regeln des erbarmungslosen Wettbewerbs verweigern.

„Das menschliche Leben ist einsam, armselig, ekelhaft, tierisch und kurz.“ Sprach Hobbes, der Erfinder der modernen Konkurrenz. Ist es natürlich nicht. Aber im rechtgläubigen Abendland muss es so sein. Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf? Wie harmlos. Wölfe halten zusammen wie Pech und Schwefel. Der Mensch ist dem Menschen – ein Gläubiger oder ein Christ. Den Slalom ins Himmelreich kann nur einer gewinnen:

„Wisset ihr nicht, daß die, so in den Schranken laufen, die laufen alle, aber nur einer erlangt den Preis? Laufet nun also, dass ihr ihn erlangt. Ein jeglicher aber, der da kämpft, enthält sich aller Dinge; jene also, daß sie eine vergängliche Krone empfangen, wir aber eine unvergängliche. Ich laufe aber also, nicht als aufs Ungewisse; ich fechte also, nicht als der in die Luft streicht; sondern ich betäube meinen Leib und zähme ihn, daß ich nicht den andern predige, und selbst verwerflich werde.“

Der eine, der den Wettkampf um den himmlischen Preis gewinnt, ist das EINPROZENT der Lieblinge Gottes, die schon 99% des gesamten Reichtums der Welt in erwählten Händen halten. Dachten die heidnischen Griechen, sie könnten den Preis erringen, ohne ihren Leib zu betäuben, sich zu zähmen und zu malochen wie die Deutschen?

Heiden und Ungläubige leben in den Tag hinein, gläubige Wettbewerber denken bereits in der Jugend an festverzinsliche Papiere und an die Riesterrente. In amerikanischen Elite-Kitas müssen Vierjährige bereits eine Bewerbungsrede halten, wie sie ihr künftiges Siegerleben zu finanzieren gedenken. Schon liegen deutsche Kitas auf der Lauer, um die Sitten des amerikanischen Weltgeistes zu imitieren.

Um Missverständnissen vorzubeugen: die schärfsten Kritiker des Kapitalismus kommen aus Amerika, nicht aus dem postmarxistischen Deutschland, das vor sich hindämmert, auf den Wink der proletarischen Heilsgeschichte wartet und vom nächsten Marx träumt, der sich in hiesigen Sumpfgebieten nie einstellen wird. Die SPD kennt den Namen Marx gar nicht mehr, die Grünen haben ihn nie gekannt. Die Linken haben Marx nur verschieden interpretiert, es kömmt drauf an, ihn zu verändern.

Wer Naomi Klein, David Graeber, James Galbraith und Noam Chomsky gelesen hat und noch immer nicht weiß, wie Alternativen zu Merkels Knochenbrecherkapitalismus aussehen könnten, der sollte – Hand in Hand mit allen deutschen Parteien – unter den Rock der Lutheranerin schlüpfen und gemeinsam Halleluja singen.

Eine Regierung, die sich von ihrem Großen Bruder ehrlos abhören, überwachen und abschöpfen lässt und ihre Prostration mit dem Satz unterstreicht, Deutschland könne ohne solche Freunde nicht überleben, die wandelt bereits wieder auf einem Sonderweg.

Der Sonderweg ab romantischen Zeiten war einer der himmelsstürmenden Exzellenz, welche Erlösungswünsche und Verbrechen zur katastrophalen Synthese brachte.

Der heutige Sonderweg verbindet ökonomische Devotheit und blindwütenden Übereifer zu neuarischer Herrenmentalität. Unter der viel zu langen Ägide der Kanzlerin hat Europa es nicht nur geschafft, sich selbst zu zerfleischen, sondern auch die Gefahr des Krieges heraufzubeschwören.

Michael Stürmer, Doyen der deutschen Historiker, die immer machtbrünstiger und unversöhnlicher werden, beschreibt das Innenleben der deutschen Neuherren in der WELT:

„Es ist die Zeit der schöpferischen Zerstörung. Aber nicht in dem tröstlichen schumpeterschen Sinn, dass Unternehmen untergehen und neu entstehen, sondern als weltpolitisches Leitmotiv und Öffnung in eine unbekannte Zukunft, wo hergebrachte Vorrechte nichts mehr wert sind. Den industriellen Demokratien des Westens ging nicht nur der Sinn für ihre Interessen und ihr Überleben verloren. Sie verspielen auch die Zukunft mit Sozialsystemen, die kaum mehr finanzierbar sind, mit Technikängsten, die alles und jedes fürchten, mit Eitelkeiten, die nicht mehr gedeckt sind durch Leistung, und mit Bequemlichkeiten, die längst zum Hemmnis wurden. Die Welt ist also im Aufbruch, aber nicht in dieselbe Richtung. Wenn Imperien fallen, dann tun sie es, nach einem alten Wort, nicht mit einem Seufzer, sondern mit einem Knall. Und wenn Imperien entstehen, dann gilt das Gleiche.“ (Michael Stürmer in WELT.de)

Warten auf den nächsten Knall heißt, militärisches Aufrüsten zum nächsten Knall. Die unbekannte Zukunft ist die Zeit der Endausscheidung im Kampf um die Erdherrschaft. Sozialsysteme sind hinderlich und beeinträchtigen den Wehretat. Kritik an der hypergenialen Silicon Valley-Technik des globalen Überwachens und Beherrschens ist lächerlich. Politische Leitideen eines selbstbestimmten Lebens in Freude und natürlicher Geborgenheit sind selbstgefährdend und gemeingefährlich.

Global denken, regional handeln? In der Versenkung verschwunden. Die Weltimperien igeln sich ein, definieren ihre Reviergrenzen, zählen ihre Verbündeten und gemeinsamen Gegner. Dann kann‘s los gehen. TTIP soll die Alte und Neue Welt noch enger verzahnen:

„Dabei lassen sich die möglichen Vorteile eines Abkommens schon daraus erahnen, dass in Gestalt von Europa und den USA der größte Wirtschaftsraum der Welt entstehen würde. Dieser Verbund ist die logische Weiterentwicklung jener Politik, die den Wohlstand des Westens geschaffen hat.“ Schreibt Alexander Hagelüken in der SZ, der den Kritikern den ungeduldigen patriarchalischen Rat gibt, es nun wirklich gut sein zu lassen.

Drittweltstaaten gucken endgültig in die Röhre. Der Westen will es jetzt wissen. Verliererstaaten müssen abgehängt werden. Menschen, zieht euch warm an. Die Zeiten werden ungemütlicher. Rüstet zum Endkampf. Kritiker müssen aus dem Weg geräumt werden, sie kriegen nie den Hals voll:

„Ein TTIP, das Europas Schutzrechte wahrt, wäre ein großer Gewinn. Die Regierungen dürfen ihn nicht zugunsten von Kritikern opfern, denen kein Ergebnis gut genug sein wird.“

Die Brics-Staaten – Brasilien, Russland, Indien und China – sind die Gegner in der anderen Welthälfte, die man so lange provozieren wird, bis sie zu Wunschfeinden hochgereizt wurden.

„Die Verteufelung der BRICS wird unaufhörlich fortgesetzt werden, und zwar auf verschiedenen Niveaus; vorzugsweise wird Russland ins Visier genommen werden – ein Land, das nebenbei gesagt den Dritten Weltkrieg auslösen wird. Wieso? Weil die US-Amerikaner es gesagt haben.“ (Politik im Spiegel)

Die Weltgeschichte ist das Weltgericht. (Schiller)

„Die Weltgeschichte ist nicht der Boden des Glücks. Die Perioden des Glücks sind leere Blätter in ihr.“ (Hegel)

Deutschland kehrt zurück zum tragischen Heroismus neudeutscher Recken. Lieber in Walhall tollkühn untergehen als das läppische Leben in einer Idylle verplempern. Selbst Kant verachtete das „arkadische Schäferleben bei vollkommener Eintracht, Genügsamkeit und Wechselliebe“. Alle Talente blieben dort „auf ewig in ihren Keimen verborgen.“

Jetzt ist es nicht mehr weit zur Verherrlichung des männer-erziehenden Krieges. Die schneidige Verteidigungsministerin lässt schon Ich-Ideale des neuen Streiters Christi entwerfen.

„Der Krieg ist unser Vater. Daher sollen unsere Wertungen auch heroische, auch Wertungen von Kriegern und nicht solche von Krämern sein, die die Welt mit ihrer Elle messen möchten. Wir werden nirgend stehen, wo nicht die Stichflamme und Bahnen geschlagen, wo nicht der Flammenwerfer die große Säuberung durch das Nichts vollzogen hat. Weil wir die echten, wahren und unerbittlichen Feinde des Bürgers sind, macht uns seine Verwesung Spaß. Wir aber sind keine Bürger. Wir sind Söhne von Kriegen und Bürgerkriegen.“ (Ernst Jünger)

Schritt für Schritt kehren die Deutschen auf den Sonderkurs ihrer Vorkriegsjahre zurück. Obwohl die Zeichen der Wiederkehr des Vergangenen sich häufen, wähnen sie sich auf dem Weg zu neuen Ufern. Den Blick zurück verbieten sie sich. Von Amerika, ihrem biblischen Vorbild, haben sie gelernt, starren Auges in die Zukunft zu schauen.

Im Ersten Weltkrieg kämpften sie als Helden gegen die Krämer ihrer angelsächsischen Vettern. Heute sind alle westlichen Krämer zu Wegbereitern der Helden geworden, die sich anschicken, die Macht ihres Geldes mit der Macht ihrer Waffen zu vervollständigen. Die grenzenlose Verbreitung der Wirtschaft hat nicht zu mehr Vertrauen unter den Völkern beigetragen.

Der Liberalismus ist zur unbegrenzten Herrschaft der Tycoons geworden. Die Vision des Adam Smith war naiv. Nie hätte er sich das heutige System einer despotischen Geldwirtschaft vorstellen können. Was sollte Übles geschehen, wenn ehrliche Händler nur das Ihre suchen – ohne ihre Nachbarn zu schädigen? Ist aber das autistische Verfolgen eigener Interessen nicht automatisch ein Schädigen fremder Interessen?

„Gibt man daher alle Systeme der Begünstigung und Beschränkung auf, so stellt sich ganz von selbst das einsichtige und einfache System der natürlichen Freiheit her. Solange der Einzelne nicht die Gesetze verletzt, lässt man ihm völlige Freiheit, damit er das eigene Interesse auf seine Weise verfolgen kann … Der Herrscher wird dadurch vollständig von einer Pflicht entbunden, bei deren Ausübung er stets unzähligen Täuschungen ausgesetzt sein muss und zu deren Erfüllung keine menschliche Weisheit oder Kenntnis jemals ausreichen könnte, nämlich der Pflicht oder Aufgabe, den Erwerb privater Leute zu überwachen und ihn in Wirtschaftszweige zu lenken, die für das Land am nützlichsten sind.“ (Adam Smith, Der Wohlstand der Nationen)

Das war die Trennung des Staates vom Markt. Wie könnte ein Einzelherrscher klüger sein als alle Marktteilnehmer zusammen, um das Gesamtwohl der ganzen Nation zu errechnen und zu bestimmen?

Auf solche Stellen berufen sich alle Hayekianer, um ihre Staatsaversion zu rechtfertigen. Hier rächt sich, dass Demokratien unterschiedslos zu Staaten degradiert werden. In Demokratien entscheidet aber kein solitäres Oberhaupt. Jeder Citoyen ist ein Parteigänger der Demokratie und hat die Wächterfunktion einer lebendigen Volksherrschaft auszuüben.

Die fromme Fabel von der Unsichtbaren Hand hat vollends die Magie des alleswissenden Marktes aus der Taufe gehoben. Smith, der in seinem ersten Buch – „Theorie der ethischen Gefühle“ – von der sittlichen Richtigkeit der Handlungen, der Sympathie mit anderen Menschen ausging, lässt in seinem zweiten Buch alles sympathische Einfühlungsvermögen zwischen den Menschen vermissen. Welche Gründe auch immer mitgespielt haben mögen: in seiner Volkswirtschaft gibt’s nur noch Akteure, die ausschließlich ihr eigenes Wohl verfolgen.

Um von vorneherein Befürchtungen zu widerlegen, egoistische Individuen könnten das Staatsgebilde zerstören, erfand Adam Smith die Unsichtbare Hand. Obgleich kein Mensch an das Gemeinwohl denkt, stellt es sich am Ende dennoch wohltätig ein.

Bei Hayek geht die wohltätige Schlussbilanz verloren. Der Glaube an den allwissenden Markt aber bleibt. Doch das Ergebnis für den Einzelnen wird zum puren Zufall, für Hayek identisch mit dem unerkennbaren Willen Gottes. Auch wenn der Markt noch so grausam erscheint, etwas Besseres gibt’s nicht in der Evolution. Hayek bezieht sich auf eine Stelle des „Prediger“ im Alten Testament, in der Gott mit Zeit & Zufall gleichgesetzt wird:

„Ich wandte mich und sah, wie es unter der Sonne zugeht, daß zum Laufen nicht hilft schnell zu sein, zum Streit hilft nicht stark sein, zur Nahrung hilft nicht geschickt sein, zum Reichtum hilft nicht klug sein; daß einer angenehm sei, dazu hilft nicht, daß er ein Ding wohl kann; sondern alles liegt an Zeit und Zufall“.

Wen das gute und wen das böse Los trifft, ist Gottes Geheimnis und lässt sich weder erkennen noch durch Taten erwirken – und seien es die tugendhaftesten und vorbildlichsten.

Aus solchen Stellen leitete Calvin, Vater des neocalvinistischen Kapitalismus, seine Lehre von der unbegreifbaren Prädestination ab. Das Schicksal ist nicht machbar, Herr Nachbar.

Justament dieser Glaube an die Unbeherrschbarkeit des menschlichen Schicksals wurde zur amerikanischen Ideologie des allzu gewissen Selfmademans, jenes Mannes des eisernen Willens, der alles im Griff zu haben scheint. Selbst den Willen Gottes. Ihre aufgesetzte Selbstgewissheit beginnt die amerikanische Nation inzwischen zu verlieren und fällt zurück auf den Glauben der Furcht und des Schreckens vor dem Herrn des Himmels.

Wie weit ist dieses Gefühl des Ausgeliefertseins an Vorherbestimmung entfernt vom naiven Kinderglauben einer unsichtbaren Hand, die alles zum Besten regelt?

„Wenn daher jeder einzelne soviel wie nur möglich danach trachtet, sein Kapital zur Unterstützung der einheimischen Erwerbstätigkeit einzusetzen und dadurch dieses so lenkt, daß ihr Ertrag den höchsten Wertzuwachs erwarten läßt, dann bemüht sich auch jeder einzelne ganz zwangsläufig, daß das Volkseinkommen im Jahr so groß wie möglich werden wird. Tatsächlich fördert er in der Regel nicht bewußt das Allgemeinwohl, noch weiß er wie hoch der eigene Beitrag ist. Wenn er es vorzieht, die eigene nationale Wirtschaft anstatt die ausländische zu unterstützen, denkt er nur an die eigene Sicherheit, und wenn er dadurch die Erwerbstätigkeit so fördert, daß ihr Ertrag den höchsten Wert erzielen kann, strebt er lediglich nach eigenem Gewinn. Er wird in diesem wie auch in vielen anderen Fällen von einer unsichtbaren Hand geleitet, um einen Zweck zu fördern, der keineswegs in seiner Absicht lag. Es ist auch nicht immer das Schlechteste für die Gesellschaft, dass dieser nicht beabsichtigt gewesen ist. Indem er seine eigenen Interessen verfolgt, fördert er oft diejenigen der Gesellschaft auf wirksamere Weise, als wenn er tatsächlich beabsichtigt, sie zu fördern.“ (Adam Smith, Der Wohlstand der Nationen)

Obgleich kein Einzelner das allgemeine Wohl anstrebte, wird dieses sich automatisch einstellen. Das könnte man füglich einen intakten Kinderglauben nennen. Selbst bei denen, die sich – wie der Stoiker Smith – von der Gewissheit ihrer frommen Kinderstube weit entfernt hatten. Alles wird gut, obgleich niemand das Gute will.

Goethes Optimismus ist vom selben Fleisch, wenn er ausgerechnet Mephisto sagen lässt: Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft. Bei allem bösen Wollen wird am Ende das Gute siegen.

So glaubten die Aufklärer und Idealisten des 18. und 19. Jahrhunderts das Satanische des christlichen Glaubens für immer überwunden zu haben: das Böse machten sie zur Marionette des Guten.

Die Absicht war löblich, die Konsequenzen wurden verheerend bis monströs. Die Zuversicht, das Böse überwunden zu haben, wurde zu einem „ruchlosen, selbstgerechten“ Optimismus, der alles Böse tun konnte, ohne sein Tun selbstkritisch zu beäugen. Am Ende dieser Linie steht Himmler mit seinen Höllenschergen, die ein ganzes Volk abschlachten – und sich dennoch auf die Schultern klopfen konnten: wohlgetan, Söhne des deutschen Volkes, die ihr moralisch einwandfrei für Gott und Vaterland gestritten habt.

Obgleich der Neoliberalismus wesentlich humanere Züge zeigt, ist auch er mit einem unerschütterlichen Weltbeglückungszwang kontaminiert. Der Neoliberalismus ist felsenfest von der calvinistischen Notwendigkeit zur Weltmissionierung überzeugt. Gottes Wille darf mit allen Mitteln durchgesetzt werden. Die gläubige Gesinnung heiligt alles Tun – und sei es noch so pervers und inhuman. Was aus Glauben geschieht, kann keine Sünde sein.

Adam Smith beginnt mit der Tauschgesellschaft. Die Grundlage des Kapitalismus soll der vertrauensbildende Vorgang des gerechten Tausches sein. Das ist historischer Humbug und psychologischer Unfug.

Das Vertrauen einer familiären Urgruppe kennt keinen Tauschvorgang. Es gibt, was immer es geben kann und nimmt, was es benötigt. Ein gerechter Tausch hingegen beruht auf quantitativer Gleichwertigkeit des Getauschten. Ein solch rechnerisches Einschätzen eigener und fremder Tauschgaben wäre ein kompletter Misstrauensantrag und würde das Urvertrauen in der Sippe zerstören. Unfreiwillig bestätigt Smith das Misstrauen in den Tauschvorgang, wenn er ihn so beschreibt:

„Dagegen ist der Mensch fast immer auf Hilfe angewiesen, wobei er jedoch kaum erwarten kann, daß er sie allein durch das Wohlwollen der Mitmenschen erhalten wird. Er wird sein Ziel wahrscheinlich viel eher erreichen, wenn er deren Eigenliebe zu seinen Gunsten zu nutzen versteht, indem er ihnen zeigt, daß es in ihrem eigenen Interesse liegt, das für ihn zu tun, was er von ihnen wünscht. Jeder, der einem anderen irgendeinen Tausch anbietet, schlägt vor: Gib mir, was ich wünsche, und du bekommst, was du benötigst. Das ist stets der Sinn eines solchen Angebotes, und auf diese Weise erhalten wir nahezu alle guten Dienste, auf die wir angewiesen sind. Nicht vom Wohlwollen des Metzgers, Brauers und Bäckers erwarten wir das, was wir zum Essen brauchen, sondern davon, daß sie ihre eigenen Interessen wahrnehmen. Wir wenden uns nicht an ihre Menschen-, sondern an ihre Eigenliebe, und wir erwähnen nicht die eigenen Bedürfnisse, sondern sprechen von ihrem Vorteil.

Das war eine komplette Misstrauenserklärung in das angeblich vertrauensbildende Grundelement des Frühkapitalismus. Nicht Menschenliebe dominiert seitdem die Welt der Wirtschaft, sondern das eigensüchtige Interesse.

Wenn alle Wirtschaftsteilnehmer egoistisch handeln, kann das Gesamtergebnis der kollektiven Eigensucht nicht uneigennützig und wohlwollend sein. Das Böse, das gezähmt werden sollte, feierte fröhliche Urständ und wurde zum beherrschenden Element der westlichen Ökonomie.

Griechenland macht aus der Not eine Tugend und kehrt zur Autarkie solidarischer Menschen zurück. In der TAZ wird das Leben in einem griechischen Dorf geschildert, das die patriarchale Selbstsucht der Interessen mit tätiger Humanität überwinden will:

„Im Dorf ist es einfacher zu leben“, sagt Ionnis Psilas, der nach dem Konkurs seines Autoimportunternehmens hoch verschuldet ist. „Du kannst Sachen von deinen Nachbarn bekommen und gibst ihnen etwas. In Athen ist man bloß ein Fremder.“ (TAZ.de)

Zwischen dem solidarischen Dorf und der entfremdeten Stadt, in der das eigensüchtige Interesse die Wirtschaft beherrscht, zeigt sich die alte Kluft. Im Kapitalismus wurde die Stadt zum Hort der Freiheit idolisiert, das Dorf zur dumpfen Gemeinschaft der Unfreien dämonisiert.

Jede Wirtschaft der Zukunft, die human sein will, wird die Vorteile der Stadt und des Dorfes vereinen, ohne ihre Nachteile zu übernehmen. Wirtschaft ist dazu da, die Menschen lebenstüchtig zu machen. Sie taugt nicht zur Befriedigung eitler Konkurrenzwünsche. Wer Wirtschaft zum Konkurrenzmittel oder zur Erniedrigungsmethode der Mitmenschen pervertiert, wird keine Zukunft erleben.

Eine humane Ökonomie wird solidarisch sein – oder sie wird nicht sein. Mit autarker Bescheidenheit ist Mutter Natur allemal kompatibel. Sollte ihr die Menschheit aber weiterhin die Haare vom Kopfe fressen, um sich irren Luxus und hierarchische Macht zu verschaffen, wird sie den homo sapiens als unerträglichen Parasiten von der Erde tilgen.