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nichtsdesto-TROTZ XXI

Tagesmail vom 24.05.2021

nichtsdesto-TROTZ XXI,

„Sollen die Kirchen den heiligen Geist mal brausen lassen, auf dass er ihnen den Weg weist.“ (Casdorff)

Es waren nicht nur Kirchen, die an Pfingsten den Geist brausen ließen. Es waren die deutschen Weltglitzernden, die ihren Geist der Bergpredigt den europäischen Völkern hinaussandten – nein, senden wollten. Vergeblich. Das Licht scheint in die Finsternis, doch die Finsternis hat es nicht begriffen.

„Dem Songtitel wird dann noch eine zeitgemäße Message mitgegeben, das Lied richte sich gegen Hass im Netz und überhaupt auf der Welt. Propagiert wird darin, nimmt man es mal biblisch, das wohl bekannteste Zitat aus der Bergpredigt: „Wer euch auf die rechte Wange schlägt, dem haltet auch die andere hin.“ (Berliner-Zeitung.de)

Heute genügt kein ernster Hergereister, der mit mahnendem Finger auf die Welt zeigt. Heute braucht die Bergpredigt ein zeitgemäßes Framing, es muss lustig zugehen, wenn die Menschen von Oben verurteilt werden:

„So ernst das Anliegen dem Sänger Jendrik sein mag, so kindergeburtstagsmäßig hat er es inszeniert, in bunten Farben, hektischen Tanz-, Hopps- und Stepptanzschritten fegt er über die Bühne, verfolgt von einer tanzenden XXL-Hand, die mal einen Stinkefinger zeigt und mal ein Peace-Zeichen.“

Wie sollte die Welt auch lachen, wenn es in der Lukas-Bergpredigt heißt:

„Wehe euch, die ihr jetzt lacht, denn ihr werdet trauern und heulen. Selig seid ihr, wenn euch die Menschen hassen, euch ausschließen und schmähen.“

Deutschland, ein Land der tätigen Nächstenliebe? Merkwürdig, das sieht Europa anders. Die ökonomischen Verlierer unter den Verbündeten werden von Merkel hart bestraft: solidarische Hilfe oder bail out unter Freunden? Nicht mit der Pastorentochter, die ihre Almosen-Pflicht mit einer einmaligen Flüchtlingsaktion hinter sich gebracht hatte. Danach der alltägliche, kaltherzige Machiavellismus. Mit der Bergpredigt die Welt regieren? Das gelang nicht einmal Bismarck.

Vorletzter Platz für den lachenden Bergprediger-Nachahmer – der für Merkels nationale Eigensucht bluten musste. Die unsichtbare Hand, die prästabilierte Harmonie des göttlichen Uhrmachers, sie funktioniert nicht mehr. Menschenhände denken nicht daran, Gottes abwesende Hände zu ersetzen.

Dabei fing der Abend so verheißungsvoll an. Vor dem fröhlichen Wettbewerb der Nationen gab es den Segen: das „Wort zum Sonntag“. Ausgeschlossen, dass wegen Tandaradei die Ausschüttung des himmlischen Opiums ausfallen könnte.

Umgekehrt ist alles möglich. Der „Presseclub“ oder Anne Wills politische Talkshow am hohen Fest der Ausgießung des Geistes? Undenkbar. Politik wird lästig und überflüssig, wenn tagelange Sportberichte die Menschen in Bann halten. Die QUOTE wurde zur heiligen Norm der Öffentlich-Rechtlichen. Gegen das Gesetz der Quote darf kein Intendant verstoßen.

Heribert Prantl durfte das Brausen des Geistes keinem Song-Contest überlassen. Er begab sich auf das dünne Eis der Versöhnung von Glauben und Vernunft.

„In diese wirre Welt kommt dann, so sagt es die Schöpfungsgeschichte, Gottes Geist und sein Befehl: Es werde Licht! Man mag dies den Wahlspruch der Aufklärung in biblischer Lesart nennen. Es kommt Erleuchtung; Ordnung kommt in die Unordnung. Und zwar nicht am Nullpunkt der Zeit, sondern immer wieder und wieder. Das ist Schöpfung; sie ist nichts ewig Vergangenes, sondern etwas ewig Wiederkehrendes. Die Schöpfung beginnt nicht aus dem Nichts, sondern inmitten der Störung, der Unordnung, der Zerstörung und der Vernichtung.“ (Sueddeutsche.de)

„Man mag“: wie großmütig, den Einzelnen seinem Geschmack zu überlassen. Die allpräsenten Kochshows zeigen Wirkung, indem sie die vatikanische Dogmatik nachwürzen dürfen. Was wäre das Salz der Erde, wenn es salzlos würde?

Bewundernswert der neue Denkermut des SZ-Predigers, beherzt in die Fußspuren der Ahnen der deutschen Lebensphilosophie zu treten, die die Aufklärung für überflüssig erklärten durch Aufklärung der Aufklärung: Aufklärung, über sich selbst aufklärt, mündet zurück in den Glauben.

Am Anfang war das Nichts? Das konnten sie so nicht stehen lassen, die Wiederentdecker der Natur vom Schuster Böhme bis zum gewaltigen Allversöhner von „Sein und Nichts“ namens Hegel:

„Der Anfang enthält also beides, Sein und Nichts, Sein und Nichts; es ist die Einheit von Sein und Nichts, – oder ist Nichtsein, das zugleich Sein, und Sein, das zugleich Nichtsein ist.“ (Wissenschaft der Logik)

Das Nichts konnte auf keinen Fall das logische Gar-Nichts sein, denn das widerspräche der All-Präsenz des Schöpfers. Freilich, der schöne und geordnete Kosmos der Griechen konnte es auch nicht sein. Sonst wäre jede Schöpfung des Sehr Guten überflüssig gewesen.

Was also wäre zu tun? Was Prantl und die mystischen Deutschen am meisten lieben: einen heiligen Kompromiss suchen. In das ewig gärende Walle-Walle der Unordnung strömt der Geist der Ordnung. Doch keiner Ordnung für immer und ewig, sondern einer zerbrechlichen, die immer wieder zurückfällt in das Chaos des Ungrundes. Ungrund wurde zu einem Lieblingswort Schellings, der, wie alle Denker der Romantik, vom erleuchteten Schuster Jakob Böhme beeindruckt war.

Was immer werden muss und nie vollendet sein darf (in irdischer Zeit), ist, was die Deutschen am meisten liebten: das Werden. Nichts ist vollendet in sich, alles muss sich ewig entfalten und verfallen, entwickeln und verrotten.

Die Philosophie hat die intellektuelle und reelle Welt als ein Werden zu begreifen. Das Werden ist eine haltungslose Unruhe, die in ein ruhiges Resultat zusammensinkt.“ (Hegel)

Wenn etwas im Resultat in sich zusammensinkt, verliert er es jede Spannkraft, wird langweilig, unkreativ und wehrlos. Es muss sich wieder zur Unruhe aufrappeln, um wieder ins haltungslose, aber fruchtbare Werden zu gelangen. Das ist deutscher Rhythmus: ohne Unruhe, Spannung, ohne anspornendes Element des Bösen – keine Bedeutung in der Welt.

Ungrund? Klingt das nicht wie das Widerwort von Grund? Doch Vorsicht. Den Lebensphilosophen widerstrebte das heidnische Entweder-Oder. Das Unverträgliche musste, nach Streit und Konflikt, wieder zusammenfinden. Die Streithähne mussten sich die Hände reichen.

Am Ende steht die Versöhnung, merkt euch das, ihr Gottlosen! Freilich, nach der Versöhnung beginnt das Werden von vorne. Es gibt keine Ankunft, keinen Ruhepunkt, in dem die Deutschen aufatmen dürften.

„Ungrund, das nicht weiter „Begründete“, Unergründete, Bodenlose, daher ungründige Erste, tritt erst im 16. Jahrhundert neben Abgrund, Urgrund auf. Bei Jakob Böhme ist es, (wie die Gottheit Eckharts und das Mysterium magnum des Paracelsus), die anfangslose, unaufgeschlossene Einheit vor allem besonderen Leben. Friedrich Wilhelm Schelling bezeichnet den Ungrund als absolute Indifferenz vor aller Dualität und verwendete ihn als Synonym für Urgrund.“ (Hoffmeister, Wörterbuch der philosophischen Begriffe)

Alles klar auf der Andrea Doria? Pardon, erst müssen wir noch Urgrund klären:

„Urgrund, das schöpferische Erste, das die Mannigfaltigkeit der Welt geheimnisvoll in sich birgt und aus sich hervorbringt.“ (ebenda)

All diese Widersprüche kann man nur begreifen, wenn man das Geheimnisvolle anerkennt. Wer mit dreistem Oberflächenverstand in den Tempel des Geheimnisses eindringen will, der wird bestraft. Schiller hatte dieses in formvollendete Verse gefasst. Ein Jüngling wollte alles wissen. Doch ach, allein der Versuch war ein Verstoß gegen das Geheimnis, des Jünglings Heiterkeit war für immer dahin.

Ein Jüngling, den des Wissens heißer Durst
Nach Sais in Ägypten trieb, der Priester
Geheime Weisheit zu erlernen, hatte
Schon manchen Grad mit schnellem Geist durcheilt,
Stets riß ihn seine Forschbegierde weiter,
Und kaum besänftigte der Hierophant
Den ungeduldig Strebenden. »Was hab ich,
Wenn ich nicht alles habe?« sprach der Jüngling.
»Gibts etwa hier ein Weniger und Mehr?
Ist deine Wahrheit wie der Sinne Glück
Nur eine Summe, die man größer, kleiner
Besitzen kann und immer doch besitzt?

Er sprichts und hat den Schleier aufgedeckt.
Nun, fragt ihr, und was zeigte sich ihm hier?
Ich weiß es nicht. Besinnungslos und bleich,
So fanden ihn am andern Tag die Priester
Am Fußgestell der Isis ausgestreckt.
Was er allda gesehen und erfahren,
Hat seine Zunge nie bekannt. Auf ewig
War seines Lebens Heiterkeit dahin,
Ihn riß ein tiefer Gram zum frühen Grabe.
»Weh dem«, dies war sein warnungsvolles Wort,
Wenn ungestüme Frager in ihn drangen,
»Weh dem, der zu der Wahrheit geht durch Schuld,
Sie wird ihm nimmermehr erfreulich sein. (Das verschleierte Bild zu Sais)

Wahrheit durch Schuld? Das war die Absage Schillers an die Griechen und an die westliche Aufklärung. Durch eigene Kraft durfte der Mensch nicht zur Wahrheit kommen. Entweder wird sie geoffenbart – bei Schiller nicht mehr möglich – oder sie bleibt für immer verborgen. Das Licht der Aufklärung und die Dunkelheit des Glaubens müssen miteinander vereint werden: das war ab jetzt nationale Pflicht. Große Denker haben geheimnisvoll zu sein, verständige Denker sind trivial und geheimnislos.

In der biblischen Religion war selbstherrliche Wahrheit verboten:

„Du sollst dir kein Gottesbild machen, keinerlei Abbild, weder dessen, was oben im Himmel, noch dessen, was in den Wassern unter der Erde ist.“

Hier konnte sich Schiller dem Trend der Deutschen Bewegung – weitgehend identisch mit der Lebensphilosophie – nicht entziehen. Das autonome Suchen nach Wahrheit wird von deutschen Tiefendenkern mit der Begründung diffamiert: eine absolute Wahrheit gebe es nicht.

Kann sein, doch woher wissen sie es? Wie haben sie die Nichterkennbarkeit – erkannt? Auch Kant behauptet, die Natur an sich könnten wir nicht erkennen. Unsere Erkenntnisfähigkeit habe Grenzen? Wie kann man diese Grenzen definieren, wenn man sie nicht zu einem bestimmten Teil überschritten hätte?

Was ist eine absolute Wahrheit? Dreimal darfst du raten: die Erkenntnis Gottes, also Gehorsam gegen das biblische Erkenntnisverbot.

Sokrates` Erkenntniswillen war von zweierlei Art. Naturphilosophisches Erkennen erschien ihm eines Tages überflüssig. Was könnte er von Sonne, Mond und Sternen lernen, damit es im Leben der Polis nützlich wäre?

Was er aber unbedingt wissen wollte, war die Antwort auf die Frage: Wie sollen wir miteinander leben, damit wir ein glückliches Leben führen können? Hier glaubte er, die „absolute Wahrheit“ erfasst zu haben: Unrecht erleiden ist besser als Unrecht tun. Das war das griechische Paradigma der Bergpredigt, doch ohne deren Verfälschungen durch Himmel und Hölle. Gut ist man nicht, um durch Seligkeit belohnt zu werden oder als Gesamtsieger der Heilsgeschichte zu triumphieren.

Auch Schiller schwimmt zwischen Glauben und Unglauben. Die Unfähigkeit, sich zu entscheiden, verwandelten die Deutschen in die höchste Fähigkeit, die Fähigkeit zur dialektischen Synthese. Das Nichts durfte kein Gar-Nichts, es musste das Chaos sein. Ordnung als Bereinigung des Chaos durfte kein perfekter Garten Eden sein, sondern musste ewig werden, immerdar zwischen Perfektion und Tohuwabohu schwanken.

Goethe war konform mit seinem schwäbischen Alter Ego:

Wer immer strebend sich bemüht,
Den können wir erlösen.“

Der dezidierte Nichtchrist spricht plötzlich von Erlösung, der griechisch empfindende Heide von der Inkompetenz des Menschen zum Glück.

„Werd ich zum Augenblicke sagen:
Verweile doch! Du bist so schön!
Dann magst du mich in Fesseln schlagen,
Dann will ich gern zugrunde gehn!“

Kein Glück auf Erden. Die Sehnsucht nach dem Land der Griechen war weitgehend verflogen. Glück, Ziel aller philosophischen Schulen, war ausgeschlossen. Die höchste Form möglichen Glücks waren Unglück und Glück im Werden und Vergehen. Keine Ruhe, keine Erfüllung hienieden. Aber auch kein total am Boden zerstörtes Unglück. Unterwegs sein ist alles, das Ziel ist nichts. Humane Utopien sind ausgeschlossen.

Das war zugleich die Beschreibung der deutschen Politik im Durchwurschteln zu einem imaginären Ziel. Ewige Unruhe im Werden, weshalb wir – nicht anders als die Amerikaner – nicht nach hinten schauen dürfen. Auch die Vergangenheit ist nicht durchsichtig, auch sie wogt unablässig zwischen nie ruhender Unabgeschlossenheit und wallendem Werden. Mit der fantastischen Zukunft wird es nicht anders als beim Zauberlehrling:

„Wehe! Wehe

Ach, da kommt der Meister!
Herr, die Not ist groß!
Die ich rief, die Geister
werd ich nun nicht los.“
„In die Ecke,
Besen, Besen!
Seids gewesen.
Denn als Geister
ruft euch nur zu diesem Zwecke,
erst hervor der alte Meister.“

Der alte Meister ist der uralte Gott, ohne den der Mensch nicht auskommt. Die Aufklärer, die sich von ihm losreißen wollten, müssen scheitern. Deshalb will Prantl eine kunstreiche Synthese aus Aufklärung und Glauben.

Harmoniesüchtige Deutschen können sich nicht entscheiden. Die scharfe Logik des Ja oder Nein ist heidnisch für sie. Sie fürchten die Rache des Abgelehnten. Alles müssen sie miteinander versöhnen. Sie wollten die Welt erlösen durch Harmonie der Gegensätze.

Hinter dem Zwang zur dialektischen Allversöhnung steht die Aversion gegen die biblische Scheidung der Menschheit in Erwählte und Verworfene. Das war der Erfolg der Aufklärung. Doch je mehr sie miteinander versöhnten, je mehr mussten sie alles spalten, damit sie als die Besten die Menschheit beglücken könnten. Eine wirkliche Versöhnung darf es nicht geben, das wäre der Meuchelmord am Werden.

So wallt es ewig hin und her zwischen vergeblicher Versöhnung und faktischer Spaltung. Daher kommt die Lieblingsparole der Deutschen: Alles zu komplex, ein Helles oder Dunkles gibt es nicht.

Prantl muss sich mutig gefühlt haben, als er die katholische Dogmatik verabschiedete. Während er über das Brausen des Geistes schrieb, wurde er von diesem durchdrungen.

Was ist das für eine Schöpfung, die plötzlich keine mehr ist? Eine Ordnung des Chaos ist keine Schöpfung, denn wer hat das Chaos erschaffen? Nur bornierte Kreationisten glauben an die Schöpfung aus dem Nichts? Nein, Herr Prantl, das ist katholische Dogmatik.

Wie unschwer zu erkennen, ist der Streit um das Nichts ein Streit zwischen Frommen und heidnischen Griechen. Eine Schöpfung aus dem Nichts widersprach dem Grundsatz der Griechen: aus Nichts kann nichts werden (ex nihilo nihil fit).

Prantl kann sich nicht entscheiden zwischen rationalem Kausalitätsbegriff und dem irrationalen Glauben an die Schöpfung aus Nichts. Also schließt er einen seiner geliebten Kompromisse: beide liegen richtig, indem beide falsch liegen. Richtig: ein Gott hat von AUSSEN eingegriffen, falsch: die natürliche Kausalität ist dennoch richtig.

Nun stehen wir ratlos. Was will Prantl? Zwischen den Zeilen enthüllt er sein Ziel: den Glauben an das Jenseits will er auch für Nichtgläubige dialektisch verbindlich machen:

„Der Versuch, diese Finsternisse zu erhellen, ist der Versuch, das Notwendige, also das Notwendende zu tun. Dies verbindet das Diesseits und ein Jenseits, auch wenn man an ein Jenseits nicht glaubt. Das Jenseits – es ist nämlich dann jenseits der Finsternis.“

Wer der Meinung ist, auf Erden müsse die Dunkelheit bekämpft werden, wird nicht umhin können, mit seinem Tun das Diesseits und das Jenseits notwendig zu verbinden. In traditionellen Worten: wer Licht in die finsteren menschlichen Verhältnisse bringen will, benötigt die Kraft der jenseitigen Helligkeit. Wer dies tut, glaubt zugleich an das Jenseits, ob er will oder nicht.

Es muss eine Kategorie von Heiden geben, die christlicher sind, als ihnen bewusst ist. Unbewusst gehören sie in die Gemeinde der Heiligen. Die katholischen Bischöfe werden Prantl dankbar sein. Mit seiner Eingemeindung intuitiver Christen hat er die Zahl der Kirchenflüchter ausgeglichen.

Zugleich fühlt sich Prantl befugt, allen, die seinen Glaubensspiralen nicht folgen, die Leviten zu lesen:

„Für die einen existiert nur das Erdenleben; sie glauben zu wissen, dass mit dem Tod alles endgültig aus ist; Gott ist für sie allenfalls ein Gerücht. Für die anderen ist das ganz anders: Sie hoffen über den Tod hinaus; sie wollen nicht akzeptieren, dass es keine ewige Gerechtigkeit geben soll; vor allem aber erwarten sie, dass nicht der Tod, sondern die Liebe das letzte Wort hat.“

Gottlose müssen lieblose Gesellen sein. Sie glauben nicht an ewige Gerechtigkeit. Was ist ewige Gerechtigkeit? Wer nur an das Diesseits glaubt, dem wäre es die Erfüllung seiner Träume, wenn hier auf Erden Gerechtigkeit waltete. Mit anderen Worten: wer nicht an das Jenseits glaubt, kann die Menschheit nicht lieben. Wer lieben will, muss glauben. Damit hat Bruder Prantl die Notwendigkeit bewiesen: alle guten und moralischen Menschen glauben unbewusst an die ewige Gerechtigkeit. Wenn nicht, können sie keine guten Menschen sein. Sie bleiben Menschen ohne Liebe.

Unfreiwillig hat Prantl sich als unpolitischer Mensch entlarvt. Denn jedes moralisch-politische Tun, das Gerechtigkeit herstellen will, ohne an ein ewiges Leben zu glauben, bliebe ein liebloses Unterfangen. Nicht gottlose Politik kann die Menschheit erlösen, sondern glaubende und liebende Christen. Prantl und seine Kanzlerin sind sich einig: das politische Herumwühlen im irdischen Morast bleibt ergebnislos. Sinnvoll allein ist der Glaube an eine ewige Gerechtigkeit.

Doch bei all seiner geheimnisvollen Dialektik unterläuft ihm die fatale Fehlleistung, pardon, die biblische Bestätigung, dass Natur ein ewiges Chaos ist, das durch das Werden göttlicher Ordnung zwar gelegentlich geordneter wird, doch die gewonnene Ordnung zerfällt immer wieder in das überwundene Chaos:

„Ordnung kommt in die Unordnung. Und zwar nicht am Nullpunkt der Zeit, sondern immer wieder und wieder. Das ist Schöpfung; sie ist nichts ewig Vergangenes, sondern etwas ewig Wiederkehrendes. Die Schöpfung beginnt nicht aus dem Nichts, sondern inmitten der Störung, der Unordnung, der Zerstörung und der Vernichtung. Die Schöpfungsgeschichte, die Ostergeschichte, die Pfingstgeschichte: Es geht immer darum, wieder aus der Destruktivität, aus der Todeszone zu kommen.“

Wieder? Das Wieder hat nur Sinn, wenn die Zwischenordnung zerfällt, damit sie stets aufs neue hergestellt werden kann. Traditionell gesprochen: die Natur ist das Böse, das stets bekämpft werden muss und dennoch nie besiegt werden kann. Das Böse ist die unerlässliche Energie des Werdens. Wäre das Böse besiegt, wäre die Heilsgeschichte vollendet. Der liebe Jüngste Tag stünde vor der Tür.

Solange Heilsgeschichte unterwegs ist, solange kann die ungebärdige Natur keinen Frieden mit dem Menschen schließen. Nicht die Grünen, nicht die wissenschaftlichen Ökologen können die Natur retten, sondern nur der Schöpfer selbst (der gar keiner ist, sondern nur ein notdürftiger Reparateur der ewigen Unordnung) wäre in der Lage, die Schöpfung zu bewahren, dem Chaos zeitlich begrenzte Ordnungsphasen abzuringen.

Fazit der Predigt Prantls: Deutsche, kehrt zurück zum unfehlbaren Glauben! Wenn nicht, werdet ihr in der Hölle eines statischen Tohuwabohus landen.

Die lutherische Pastorentochter denkt in ähnlichen Kategorien wie der bayrische Katholik. Ihr restringierter Wortschatz aber würde es ihr nie gestatten, eine wortmächtige Predigt wie die von Heribert Prantl zu halten.

Die Folgerung ist unausweichlich: Prantl muss Kanzler werden. Das Brausen des Geistes muss die ganze Nation erfassen und die aussichtslose Politik ersetzen. Nur der Schöpfer kann seine Schöpfung bewahren, dessen Allmacht von Prantl ramponiert wurde. Weder ist er ein Schöpfer aus dem Nichts, noch ist er fähig, das Chaos mit einem Donnerwort zu verbannen.

„Es ist ja Böses und Gutes in der Natur. Weil denn alle Dinge von Gott kommen, so muss ja das Böse auch von Gott kommen […] Die bittere Qualität ist auch in Gott, aber […] als eine ewigwährende Kraft, ein triumphierender Freudenquell, der den Himmel, die Sterne, die Elemente und die Kreaturen beweglich macht.“ (Jakob Böhme)

Fortsetzung folgt.