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nichtsdesto-TROTZ XLVII

Tagesmail vom 23.07.2021

nichtsdesto-TROTZ XLVII,

These: „Wenn wir jetzt anfangen, uns noch entschuldigen zu müssen dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land.“

Antithese: „Wir haben schon sehr viele afghanische Flüchtlinge aufgenommen. Wir müssen anders an die Sache herangehen.“ Deutschland könne nicht alles kompensieren, „was in Afghanistan an Schwierigem passiert“. „Nicht alle diese Probleme können wir dadurch lösen, dass wir die Menschen aufnehmen.“

Synthese?

Ein unfreundlichesGesicht zeigen, aber dennoch helfen? Nicht alles kompensieren, nicht alle Probleme lösen, sondern nur die einfache Pflicht erfüllen: die Menschen vor der Tyrannei zu retten?

Bewertung des Experten:

„Wir können nicht alle Probleme ‚dadurch lösen, dass wir die Menschen aufnehmen‘ – das ist etwas ganz anderes als der ‚humanitäre Imperativ‘ von 2015.“ Und: „In Verbindung mit der Bilanz des Afghanistan-Einsatzes ist es das Eingeständnis der Ratlosigkeit.“ (CDU-Historiker Rödder)

Bilanz:

Humanität wird in der deutschen Politik geschreddert. Die dialektische Fähigkeit zur Synthese des Unvereinbaren – die Deutschland nie besessen hat –, wird zu Grabe getragen. Nicht offiziell, das widerspräche den hohen abendländischen Werten, die im heiligen Vaterland gelten. Dazu fehlte Muttern auch das intellektuelle Rüstzeug.

Niemand trägt Trauer über den Verlust der Humanität? Humanität? Hat das irgendwas mit Politik zu tun? Selbst der Experte spricht ratlos von „Ratlosigkeit“. Als ob jemand irgendetwas vermissen würde: müssten wir nicht unsere Ratlosigkeit überwinden, um zur tugendhaften Gewissheit zu kommen? Müssen gar nichts.

Niemand spricht von Widersprüchen oder Unüberbrückbarkeiten. Machiavelli und Humanität sollen unvereinbar sein? Nur moralische Traumtänzer können das behaupten. Hegel hat die humanitäre Pflicht der Aufklärung beseitigt und Machiavelli zum Matador der Machtpolitik des neuen Deutschlands gekürt.

Machiavellismus war ein „Bruch mit Recht und Sittengebot.“ Er „zermürbte die Schranken der Sittlichkeit und ließ den inneren Menschen erkalten. Immer andere ideale Mächte mussten dieser dämonischen Wirkung das Gegengewicht halten. Früher die kirchlich-religiösen Gebote, später das humanitäre Aufklärungsideal.“ (Meinecke, Die Idee der Staatsraison)

Der Zweikampf zwischen Machiavelli und Humanität wurde entschieden mit dem Ende der Aufklärung. Sittlichkeit wurde zur Moral der Spießer, Politik war keiner anderen Norm mehr verpflichtet als dem bedenkenlosen Willen zur Macht.

„Der tiefe Mangel der westlich-naturrechtlichen Denkweise war, dass sie, angewandt auf das wirkliche Staatsleben, bloßer Buchstabe blieb, die Staatsmänner nicht durchdrang, die moderne Hypertrophie der Staatsraison nicht gehindert hat und ratlose Klagen, doktrinäre Postulate oder innere Verlogenheit und Cant (Heuchelei) zur Folge hatte. Der tiefe Mangel des deutsch-historischen Denkens wurde die beschönigende Idealisierung der Machtpolitik durch die Lehre, das sie eine höhere Sittlichkeit sei. Das wurde zur Berechtigung einer naturalistischen und biologischen Gewaltethik.“ (ebenda)

Meinecke hätte den Satz vervollständigen müssen mit der theologischen Erlaubnis zu allem Bösen, das durch kein Gutes verhindert werden darf. Den Erwählten sind alle Dinge möglich. Christliche Botschaft ist antinomisch, sie erlaubt uneigennützige Friedfertigkeit – und höllische Grausamkeit.

„Der ich das Licht bilde und die Finsternis schaffe, der ich Heil wirke und Unheil schaffe.“ „Geschieht ein Unglück in einer Stadt und der Herr hätte es nicht gewirkt?“

„Höhere Sittlichkeit“ wurde seit Hegel zur Verbrämung grenzenloser Unsittlichkeit. Warum wurden die Deutschen so abgründig böse? Weil sie die göttliche Erlaubnis hatten, ja mehr: die absolute Pflicht zum Bösen als Ausdruck des absoluten Guten.

Die Griechen erfanden die strenge Logik, das Entweder-Oder des Guten und Schlechten, nicht identisch mit dem theologischen Guten und Bösen. Sie entwickelten zwei streng getrennte Naturrechte: das Naturrecht der Starken (heute würden wir von Machiavellismus sprechen) – und das Naturrecht der Schwachen, aus dem die universalistischen Werte der Menschenrechte hervorgingen. Das sind die wahren Werte eines humanen Abendlandes.

Keine größere Verwirrung als mit dem Begriff des Naturrechts, das Thomas von Aquin von Aristoteles übernommen hatte, um die moralische Dominanz Gottes auch den Heiden und Gottlosen zu predigen. Im Leben aller naturreligiösen Völker sind Gebote Gottes die Gebote der Natur. Niemand kann seine Amoralität damit verteidigen, dass Gott nicht beweisbar und der Gottlose den Forderungen einer Phantasmagorie nicht verpflichtet sei.

Nur den „höheren“ Verpflichtungen der Bergpredigt ist der Gottlose nicht gewachsen. Nur der Geist Gottes befähige den Sünder zum Erfüllen der Agape.

Was das Naturrecht betrifft, verwenden ihn die – katholischen – Theologen nach Belieben. Protestanten kennen kein Naturrecht, denn für Luther ist Natur minderwertig, daher zu keinem basalen Recht fähig. Thomas und der Vatikan suchten eine gewisse Verbindung mit der griechischen Vernunft. Luther verabscheute Vernunft und Aristoteles.

In seiner Darstellung der katholischen Kirche im Dritten Reich zerlegt Guenther Lewy die Naturrechtslehre der Päpstlichen:

„Den deutschen Katholiken schärfte man 1937 ein, dass es sündhaft sei, dem nationalsozialistischen Staat Widerstand zu leisten, wie die spanischen Katholiken aufgerufen wurden, General Franco gegen die Zweite Republik zu unterstützen. Im Zweiten Weltkrieg versicherte man den katholischen Staaten in beiden Lagern, dass sie einen gerechten Krieg führten. Die Sklaverei wurde einst von führenden Theologen im Einklang mit dem Naturrecht definiert. Heute wiederum verteidigt die Kirche die Gleichberechtigung der Menschen. Das völlig Unterschiedliche wird mit den gleichen naturrechtlichen Grundsätzen verteidigt. Das alles führt zum unvermeidlichen Schluss, dass dieses Naturrecht eine leere Hülle ist, in der eine Vielzahl moralischer Auslegungen Platz hat. Es ist ein Instrument der Kirche, das die Funktion hat, die passive und akkomodative Haltung der Kirche in allen Fragen zu artikulieren.“ (Die katholische Kirche und das Dritte Reich)

Dieses alles umfassende und nichts verbietende Naturrecht wurde in der Böckenförde-Doktrin zum eisernen Fundament der Demokratie erklärt. Wenn alles zusammenbricht, wird der Glaube es retten. Kirchen haben sich mit jedem Regime verstanden.

Was bei den Katholiken das Naturrecht, ist bei den Protestanten die Obrigkeitsklausel in Römer 13:

„Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott; wo aber Obrigkeit ist, ist sie von Gott angeordnet. Darum: Wer sich der Obrigkeit widersetzt, der widerstrebt Gottes Anordnung; die ihr aber widerstreben, werden ihr Urteil empfangen.“

Was sind abendländische Werte? Das katholische Naturrecht, die „leere Hülle“, die sich mit allen Göttern und Teufeln verträgt? Oder der protestantische Untertanengeist, der sich jeder Obrigkeit, und sei sie noch so verrucht, in blindem Gehorsam unterwirft?

Vor allem die christlichen Parteien wollen das Christliche der abendländischen Werte bewahren. Streng genommen, müssten sie damit auch jene Werte bewahren, die den Völkerverbrechern zur Legitimation ihrer schlimmsten Gräuel dienten.

Zu diesen Gräueln zählte auch der Antisemitismus. Zwar haben die Kirchen in neuen Dokumenten ihrem Antisemitismus abgeschworen und behaupten seitdem das Gegenteil. Doch solche gekünstelten Lippenbekenntnisse würden sie nie davon abhalten, unter ähnlichen Bedingungen wie im Dritten Reich dieselben Verbrechen als Pflicht ihres Glaubens zu deklarieren.

Die Prinzipien der Kirche sind so aalglatt und geschmeidig, dass sie in jeder Situation vertreten können, was ihnen ihr antinomischer Genius im Augenblick des Kairos einflüstert. Christliche Dogmen sind die geschmeidigsten, beliebigsten, allseitig verwendbaren Verhaltensprinzipien aller Religionen der Welt. (Kairos ist der von Gott auserwählte richtige Zeitpunkt.)

Der wankende Untergrund ihrer moralischen Prinzipien ist die Hauptursache der Bodenlosigkeit der C-Parteien, genauer: aller deutschen Parteien, die sich abendländischen Werten verpflichtet fühlen.

Wenn die „rechten“ Traditionalisten der C-Parteien ihrer Kanzlerin vorwerfen, sie hätte die Grundsätze ihrer Partei durch Übernahme sozialdemokratischer oder grüner Werte verraten, so ist das Humbug. Im Katholizismus gilt: derjenige bestimmt das Naturrecht je aufs Neue, der gerade die Macht besitzt. Im allseits verwendbaren Naturrecht gibt’s keinen harten Kern, der sich immer gleich bliebe.

In protestantischen Kirchen besitzen die jeweiligen Obrigkeiten das Recht, in gottgleicher Unfehlbarkeit die politischen Werte zu verändern. Katholiken müssen am Naturrecht drehen, Protestanten interpretieren gleich die Heilige Schrift ganz aufs Neue.

Die Fähigkeit, sich regelmäßig neu zu erfinden, beruht auf der Genialität der Kirchen, sich in jedem Augenblick der Geschichte anders zu kostümieren. Orwells Wahrheitsministerium hat die Kirchen als Vorbild genommen. In unregelmäßigen Abständen werfen die Kirchen ihre maroden alten Kleider in die Tonne und kleiden sich auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten und Wichtigkeiten neu ein.

Was aber sind nun exakt abendländische Werte?

Kurt O. Wörl wagt die steile These:

„Alles, aber wirklich alles, was wir heute als abendländische Werte betrachten, ist alles andere als christlicher Natur, als da beispielhaft wären:

Freiheit,
Gleichheit,
Brüderlichkeit,
Menschenwürde,
Menschenrechte,
Humanität
Demokratie,
Rechtsstaatlichkeit,
Sozialstaatlichkeit,
Religionsfreiheit,
Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit usw.“ (Neuronensturm.de)

Zufall, dass – mit Ausnahme des Wortes brüderlich – kein einziger Begriff der Liste in der Schrift erwähnt wird?

In Theokratien gibt es weder Gleichheit, noch Menschenrechte, weder Demokratie noch Religionsfreiheit, weder Humanität noch Menschenwürde, weder Geschwisterlichkeit noch Rechtsstaatlichkeit … Gottesstaaten sind Urformen der modernen Totalitarismen.

Und dennoch gibt es immer wieder Bestrebungen, die universalistische Ethik der Demokratie aus biblischen Grundsätzen abzuleiten. Man beruft sich auf Gottes Gebote, die sich unterschiedslos an alle Menschen richten. Diese Gebote gibt es tatsächlich, sie sind – wie der Dekalog – verbindlich für alle Menschen.

Dennoch gibt es einen gewaltigen Unterschied: Gottes universalistische Gebote sind heteronom, sie werden den Menschen von Oben befohlen, verbunden mit schrecklichen Strafandrohungen (Verdammnis in die Hölle) oder Seligkeitsversprechen (selig sind, wer…)

Der wahre Universalismus mündiger Menschen besteht aus selbsterdachten und selbstbestimmten philosophischen Prinzipien, die in jeder Demokratie in Streitgesprächen und Verständigungsdialogen gemeinsam erarbeitet werden müssen. Die einzige Autorität sind Argumente, die auf Erfahrung beruhen und der Logik des ausgeschlossenen Widerspruchs unterstehen. Logik ist das Gegenteil von Dialektik.

In der Dialektik gibt es keine Widersprüche, die nicht mit der Wünschelrute in Harmonien verwandelt werden könnten. Widersprüche sind vorübergehende Konflikte, die im Lauf der Geschichte automatisch gelöst werden. Die Harmonien sind, sowenig wie die marxistische Revolution das Reich der Freiheit eröffnet, das Werk der Menschen, sondern einer automatischen Heilsgeschichte.

Logik kennt bei fundamentalen Widersprüchen stets ein Entweder-Oder. Im Gegensatz zu biblischen Antinomien, die keine Entscheidung fordern, gibt es sehr wohl ein Entweder-Oder. Nur humanistischen Bemühungen der Menschheit kann es gelingen, das Entweder der Menschlichkeit gegen das Oder der Unmenschlichkeit peu à peu zu erringen. Nicht in faschistischer Zwangsbeglückung, sondern durch die Anziehungskraft geschwisterlicher Solidarität.

Die Deutschen hingegen verharren in einer unbeweglichen „negativen Dialektik“. An die absolute Endharmonie können sie nicht mehr glauben. Dafür glauben sie an das solide Sowohl eines relativen Guten – im Wirtschaftlichen –, wie an das Als-Auch gewisser Übel, die die unvermeidlichen Schattenseiten jeden Fortschritts sind. Jeder Fortschritt muss bezahlt werden mit unbeabsichtigten, aber unabwendbaren Nachteilen – die durch weiteren Fortschritt überwunden werden können, der aber leider leider wieder mit anderen Übeln erkauft werden muss. Und so fort in alle Ewigkeit.

Beispiel: zwar werden die Reichen überproportional immer reicher, dennoch profitieren auch die Armen: steigt der Pegel, heben sich alle Schiffe, die eleganten Yachten und die ärmlichen Boote. Der Fortschritt ewigen Wirtschaftswachstums zerstört zwar die Natur, zum Ausgleich aber gelingt es den Kühnen und Kalten, andere Planeten zu erobern, um die verschlissene Erde hinter sich zu lassen.

Die Deutschen hassen das logische Entweder-Oder. Sie wurschteln sich – wem ähneln sie damit? – immer durch die  laue Mitte der Indifferenten und moralisch Blinden. Ihre Ablehnung des Entweder-Oder ist gut gemeint. Sie wollen niemanden verteufeln und den Eliten nicht den Himmel der Seligen reservieren. Auf Erden soll es überhaupt keinen Himmel und keine Hölle geben.

Gleichwohl verwechseln sie das logische und humane Entweder-Oder mit dem theologischen Gut und Böse. Das logische und autonome Entweder-Oder aber ist weder eine Seligsprechung noch eine Verdammnis. Es ist ein politisches Programm mit utopischer Zielsetzung.

In einem erfolgreichen Lernprozess könnte die Menschheit ihre ideologischen und politischen Konflikte so hinreichend lösen, dass es zu einem Friedensschluss mit Mensch und Natur kommen könnte. Das sollte das Ziel aller Völker sein.

Diese Utopie aber müssen die Deutschen ablehnen, sonst würden sie an das Entweder des Guten glauben. Das Oder wäre der Untergang. Davon wollen wohlstandsberechtigte Deutsche nichts hören. Das Vertrauen in die Kraft der Humanität wird ihnen verboten vom Rest ihres christlichen Glaubens, der die autonome Fähigkeit des Menschen – an die sie angeblich nicht glauben – in die Hölle verdammt.

Ihre Halbherzigkeit verurteilt die Deutschen nicht nur zum politischen Stillstand, sondern zur kraftlosen Hinnahme des wachsenden Elends der Schwachen in klimatischer und ökonomischer Hinsicht. Sie wollen keine politischen Radikalinskis sein – sondern nur auf Kosten radikaler Verelendung des größten Teils der Menschheit ihr bequemes Wohlstandsleben führen.

Ihre weltmeisterliche Nächstenliebe hat mit solidarischer Empathie nichts zu tun. Der barmherzige Samaritaner bringt den Notleidenden zum Nächstbesten, den er bezahlt, um befreit seines Weges zu ziehen. Das ist Almosen-Eitelkeit, mit Politik hat diese singuläre Tat nichts zu tun. Die Kanzlerin ist eine Meisterin singulärer Glanzleistungen, um ihre generellen Inhumanitäten zu überdecken. Ihre Untertanen glauben ihr willig.

Liebt Jesus die Natur? Er verflucht den Feigenbaum, der es wagt, keine Früchte zu tragen, wenn der Herr der Welt zufällig vorbeikommt. Und wer sagte den Satz: „Wieviel mehr wert seid ihr als die Vögel?“

Will der Erlöser den Menschen Frieden auf Erden bringen, den Frieden der Familien und Generationen? „Ich bin gekommen, Feuer auf die Erde zu werfen; was wollte ich lieber, als dass es schon brennte.“ „Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Denn ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter. Und des Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen sein. Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert; und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert.“

Will der Herr sozialen Frieden zwischen Armen und Reichen? Als der Reiche in der Hölle landete, sah er „Abraham von ferne und Lazarus in seinem Schoß. Und er rief und sprach: Vater Abraham, erbarme dich meiner und sende Lazarus, damit er die Spitze seines Fingers ins Wasser tauche und kühle meine Zunge; denn ich leide Pein in dieser Flamme. Abraham aber sprach: Gedenke, Kind, dass du dein Gutes empfangen hast in deinem Leben, Lazarus dagegen hat Böses empfangen; nun wird er hier getröstet, du aber leidest Pein. Und in all dem besteht zwischen uns und euch eine große Kluft, dass niemand, der von hier zu euch hinüberwill, dorthin kommen kann und auch niemand von dort zu uns herüber.“

Es gibt weder Erbarmen, noch Vergebung, weder Gleichheit noch Würde. Es gibt nur ewige Strafen in höllischer Pein, die von niemandem vergeben werden.

Nun könnte man jene bekannten Stellen anführen, die von den Frommen zum Beweis ihrer unübertrefflichen Liebesethik propagiert werden. Ein überflüssiger Akt, denn das theologische Entweder der Seligkeit ist nur wenigen Erwählten vorbehalten, das Oder ewiger Pein gilt für die Massen der Verdammten.

Von wem ist in den folgenden Zitaten die Rede?

„Sie scheint brennende Wertfragen überhaupt nicht zu kennen. Stattdessen relativiert sie ständig. „Nicht lesbar sein“, ist eine der Lektionen, die sie gelernt hat. Sie betritt die politische Bühne mit Stärken, die viele Demokraten als Schwächen betrachten: Relativismus, Indifferenz in Wertfragen, moralisches Desinteresse, Verzicht auf Bekenntnisse. Von Visionären der untergehenden DDR umgeben, von Visionären des Westens empfangen, blieb sie das Unikat ohne Bekenntnis. Sie wartet, wie sich die Dinge entwickeln. „Nur keine Bekenntnisse, von denen man später abrücken muss. Nicht berechenbar werden.“ Fast inkognito saß sie in Versammlungen des Demokratischen Aufbruchs, wo endlich geträumt werden durfte – und schwieg. Sie bleibt die Beobachterin, sie wird nicht verstrickt. Wenn sie ans Rednerpult tritt, fühlen wir: sie würde am liebsten gar nichts sagen. Vor allem nichts Klares. Ihr Motto: rede geheimnislos und ohne Leidenschaft, dann wird keiner deine Sätze umgraben. Sie pflegt die „Unleserlichkeit“ in ihrem Sprachstil. Wer heute nicht lesbar ist, kann morgen nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Sie wendet den Relativismus auf alle Gebiete des politischen Handelns an. (alles in: Gertrud Höhler, Die Patin)

Alle taktischen Vorsichtsmaßnahmen, die sie in der DDR lernte, überträgt sie auf den Westen. Im Westen müsste man sie eine Postmoderne nennen – der paradoxen Art, die ihren lutherischen Glauben als Fassade benutzt, um ihren machtgierigen Schlingerkurs zu überdecken.

Wer hat sie am meisten bewundert? Die Medien, die ihr bis aufs I-Tüpfelchen gleichen. Sie verstecken sich in gleicher Weise hinter einer meinungslosen „Objektivität und Sachlichkeit“, legen Wert auf Faktentreue ohne politische Zielvorstellungen. Wie oft schrieben sie über die Heldin ihrer Herzen: in ihrer gewohnten Sachlichkeit, ihrer kühlen Emotionslosigkeit. Wie fühlten sie sich wohl bei ihrer erfolgreichen Mutter, die es draußen in der Welt den Männern zeigte – ohne wahrzunehmen, dass Mutter das männliche Paradigma zur Perfektion brachte.

Ein Gottestalent aus dem Osten zeigte dem Westen, wie man in beredter Stummheit, nichtssagenden Hohlformeln und moralfreier Politik die Deutschen überzeugt und männlichen Machthabern der Welt Respekt abnötigt.

Wer von ihren männlichen Vorgängern hatte eine derartige Strahlkraft wie das unscheinbare „Mädel Kohls“, das aus dem Nichts kam, um aufzusteigen zur Herrin Europas und zur mächtigsten Frau der Welt?

Fortsetzung folgt.