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nichtsdesto-TROTZ XLIX

Tagesmail vom 28.07.2021

nichtsdesto-TROTZ XLIX,

„»Ich denke, es ist mehr als wahrscheinlich, dass wir in einem Krieg enden werden – einem echten Krieg mit einer Großmacht – als Folge eines Cyberangriffs von großer Tragweite, und die Wahrscheinlichkeit nimmt exponentiell zu«, sagte Biden.“ (SPIEGEL.de)

Offensichtlich gibt es zu wenige Bedrohungen auf der Welt. Aus Angst vor einer scheiternden Apokalypse benötigen wir immer vollendetere Suizid-Szenarien. Die Selbstgefährdung, auch sie, steht unter dem Diktat der Perfektion von Fortschritt und Wachstum.

Wenn wir schon Schluss machen, dann aber gründlich. Wäre doch gelacht, wenn wir jene Tierarten, die Opfer der Natur wurden, nicht in den Schatten stellen würden. Im Gegensatz zu ihnen werden wir Märtyrer unserer eigenen Taten.

Darunter machen wir‘s nicht: wir sind Täter, die sich selbst zu Opfern machen. Damit gehen wir als unvergleichliche Gattung in die Geschichte der Evolution ein – die kein Mensch mehr schreiben wird. Nur wer den Tod nicht scheut, wird ihn überwinden.

„Verschlungen ist der Tod in den Sieg: Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel?“ „Du Tor, was du säst, wird nicht lebendig gemacht, wenn es nicht zuvor stirbt. Es wird gesät in Verweslichkeit, es wird auferweckt in Unverweslichkeit.“

Das ist das Gesetz der christianisierten Welt: wir müssen uns massakrieren, kreuzigen, ausrotten, damit wir ein unvergleichlich neues Leben starten können.

„Der erste Mensch ist von der Erde, irdisch, der zweite Mensch ist vom Himmel.“

Wir müssen unseren alten Adam zur Strecke bringen, um als neuer Adam das himmlische Universum zu beherrschen.

Biologen sehen das Gesetz der Selbstzerstörung bereits in der Geschichte der Evolution: das Leben sei blutig und selbstzerstörerisch durch grenzenloses Wachstum.

„Wenn Arten sich unkontrolliert vermehren, zerstören sie sich selbst. Sie beuten ihre Ressourcen solange aus, bis ihr Ökosystem zusammenbricht. Garant für das Aussterben ist der verantwortungslose Egoismus: wenn wir im Wettbewerb zu erfolgreich sind, zerstören wir uns selbst.“ (Flannery, Auf Gedeih und Verderb)

Damit wäre Herbert Spencers Vorstellung vom „Überleben der Stärksten“ auf den Kopf gestellt.

„Die Menschheit schwingt unberechenbar zwischen triumphalistischen und apokalyptischen Theorien hin und her.“ (ebenda)

Die christliche Vision des Weltuntergangs ist nicht die Fortsetzung der These von der Selbstzerstörung der Stärksten – sondern die Antwort auf diesen Pessimismus.

Die Gläubigen – die von Gott erwählten „Stärksten“ – werden zwar auf den ersten Blick mit allen anderen Wesen untergehen. Doch dann werden sie vom Tode auferstehen und unsterbliche Wonnen erleben.

Die biblische Religion ist eine Antwort auf die Erfahrung der Gattung, dass selbst die Erfolgreichen nur ihr eigenes Grab schaufeln können: der irdische Tod ist überwindbar durch den Glauben an ein Jenseits. Auf Erden schwach, doch unüberwindbar in der Hoffnung auf den Erlöser von Oben, der die Prozedur am Kreuz vorweggenommen hat.

„Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“ „Deshalb habe ich Wohlgefallen an Schwachheiten, Misshandlungen, an Nöten, an Verfolgungen und Ängsten um Christi willen, denn wenn ich schwach bin, dann bin stark.“ „Es wird gesät in Schwachheit, es wird auferweckt in Kraft.“

Für Schwachheiten, Misshandlungen, Nöte, Ängste und Verfolgungen in reichlichem Maß haben die Frommen auch wirklich gesorgt.

Die Religion definiert Schwäche und Stärke neu. Sie denkt nicht daran, die Spaltung der Welt durch Frieden für alle zu beenden. Die Sicht der Menschen stellt sie auf den Kopf. Wer nach menschlichem Gutdünken stark war, wird von Gott zum Schwachen degradiert und geht für immer verloren. Wer schwach war, wird zum Starken – wenn er glaubt.

Die Auseinandersetzung um Starke und Schwache war der Grundkonflikt der Demokratie, den sie bewältigen musste, um eine stabile Polis zu werden. Der politische Ausgleich zwischen Gewaltigen und Ohnmächtigen war die oberste Maxime der Volksherrschaft.

Die Emanzipationsbestrebungen des Pöbels waren den traditionellen Edlen ein Gräuel.

„Denn die Demokratie lief immer mehr auf eine weitgehende Befriedigung der Masseninstinkte hinaus und hasste jede Art einer über die Gleichförmigkeit der Menge sich erhebenden Überlegenheit, sei es an Macht, Besitz oder an Bildung. Nur zu begreiflich, dass vornehme, kraftvolle und geistig hochstehende Persönlichkeiten diese Massenherrschaft als ein drückendes Joch empfanden, das sie abschütteln wollten. Die ganze Verfassung der Polis sei auf den „Vorteil der schlechten Leute“ eingestellt, die sich Kosten der geistig überlegenen Leute amüsieren würden. Die von der Volksversammlung erlassenen Gesetze seien im selben Sinne Gewalt, wie die Herrschaft der Tyrannen. Der Hass zwischen Demokraten und Oligarchen erreichte einen solchen Grad, dass nicht wenige Mächtige zu schwören pflegten: „Ich will dem Volke feindlich gesinnt sein und, so viel ich kann, zu seinem Schaden beitragen.“

Diese Phänomene gibt es noch heute. Ökologische Gesetze, die von den Grünen gefordert werden, werden von den Edlen der Republik als diktatorische Maßnahmen diffamiert. Was wären die Starken, wenn sie mit ihren edlen Karossen die ordinäre Masse nicht pfeilschnell überholen könnten?

Privilegien, ob sinnvoll oder gemeinschaftsschädlich, betrachten sie als unantastbare Freiheiten. Wenn der FFF-Pöbel es wagt, aufzumucken, muss man diese vorlauten Grünschnäbel zur Ordnung rufen: solange ihr euch auf unsere Kosten amüsiert, habt ihr euch zu benehmen.

Schon wird, wie in den Verfallszeiten der Antike, die Mär vom heiligen Kind lebendig. Wie alt ist Greta, das leidende Prophetenkind des Weltuntergangs? Die nächsten Generationen der Naturschützer werden noch jünger sein. In ihren Schulen können sie alles lernen, nur nicht die Beantwortung ihrer Herzensfrage: Wie retten wir unsere Zukunft?

Was das Naturrecht der Starken in Athen in klaren Lettern forderte, praktizieren die Giganten von heute stillschweigend mit ökonomischer Überlegenheit. Nie würden sie es wagen, ihre wahre Meinung öffentlich zu verkünden:

„Meines Erachtens beweist die Natur selbst, die Gerechtigkeit bestehe darin, dass der Edlere mehr Vorteile hat als der Geringere und der Leistungsfähigere mehr als der Unfähige. Bei allen Lebewesen sieht man, dass dies als gerecht empfunden wird: der Stärkere herrsche über den Schwachen und habe mehr Vorteile als dieser. Wenn eines Tages ein Mann aufsteht, der die natürliche Kraft dazu besitzt, dann schüttelt er alles ab, zerreißt seine Bande und tritt unser Buchstabenwerk, unsere Suggestionen und naturwidrigen Gesetze mit Füßen.“ (Nestle)

Ohne hämische Fußtritte kommt die Philosophie nicht davon – die gerade dabei war, die Menschenrechte zu entwickeln.

„Die Beschäftigung mit der Philosophie sei zwar im jugendlichen Alter eine nützliche Übung im Denken, doch länger betrieben für Politiker nicht nur unnütz, sondern geradezu schädlich. Das Recht der Starken sei hemmungslose Zuchtlosigkeit, während die Leute mit der moralischen Forderung nach Rechtlichkeit und Selbstzucht Toren und Schwächlinge seien. Deren Moral sei nichts als naturwidriges, wertloses Geschwätz.“

Hat sich irgendwas Nennenswertes geändert? Wir haben dieselben Vornehmen, die ihre Charakterlosigkeit als Vorrecht der Tüchtigen betrachten. Ihre Verachtung der Philosophie und humanen Moral zeigen sie unverblümt: nie wirst du einen philosophischen Begriff von der Kanzlerin hören. Philosophie ist unter dem Niveau einer Physikerin.

Was war die Antwort der damaligen Philosophie? Das Leben und Sterben des Sokrates:

„Seine Ethik war unabhängig von jedem Unsterblichkeitsglauben und nur diesseitig orientiert. Wer ihr folgt, der ist der wirklich starke, freie und tapfere Mensch, der nichts fürchtet, auch den Tod nicht und unabhängig von allen Menschen und Dingen sich selbst genügt, fest und sicher im Sturm des Lebens steht. Diese Ethik hat Sokrates weniger gelehrt als gelebt. Sie ruht auf den Pfeilern der Autonomie und Autarkie. Diese Übereinstimmung von Denken und Handeln, diese Rechtschaffenheit ohne Pathos, diese Bedürfnislosigkeit ohne Eitelkeit, diese Ruhe und Sicherheit in allen Lebenslagen, die dem Toben der Menge ebenso standhielt wie die heitere Gelassenheit im Tode: das war es, was an diesem einzigartigen Mann einen unauslöschlichen Eindruck hinterließ.“ (ebenda)

Nietzsches Umwertung aller Werte war nur zum Teil eine genaue Bewertung des Christentums. Richtig war, dass die Jenseitssüchtigen die Starken der Welt ablehnten. Falsch, dass die Schwachen in ihrer Ablehnung der Starken wirklich schwach waren. Sie wurden zu den wahren Starken, die den Himmel eroberten. Dort triumphierten sie in Ewigkeit über die Verdammten.

„Wer von Oben her kommt, der ist über allen. Wer von der Erde herstammt, der stammt von der Erde, wer vom Himmel her kommt, der ist über allen.“ „Ihr seid von unten, ich bin von Oben, ihr seid aus dieser Welt, ich bin nicht von dieser Welt.“

Die ersten männlichen Hochkulturen waren bereits im Verfall. Die Menschheit musste reagieren, wenn sie nicht verzweifeln wollte. Es gab zwei Antworten: die Athener stemmten sich gegen den Verfall mit Entwicklung der Demokratie und Menschenrechte für alle, der jüdische, christlich werdende Monotheismus mit der Jenseitshoffnung für die Erwählten. Hier verwandelte sich irdische Schwäche in überirdische Stärke – und politische Stärke in ewige Schwäche.

Die Kategorien Schwäche und Stärke blieben intakt. Nur der Inhalt der Begriffe vertauschte sich. Nietzsche kehrte zurück zum athenischen Naturrecht der Starken. Seine Lehre verbreitete sich in Deutschland und rollte den Teppich aus für den starken Mann, der da kommen sollte: Adolf Hitler. Nietzsche blieb ein Christ: der wirklich Starke wird seine Feinde besiegen in alle Ewigkeit.

Kein Aufschrei im Lande, wenn Deutschlands bester Verbündeter und mächtigster Mann der Welt über einen fast unvermeidlichen Krieg der Weltmächte spekuliert. Keine Debatte nirgendwo. Haben die Deutschen sich schon aufgegeben? Ducken sie sich weg, um sich in stummer Unbedeutendheit durchzuschlängeln?

Was sind Bidens Gründe?

„Das Thema Cybersicherheit steht auf der Agenda der Biden-Regierung weit oben. Zuletzt hatte eine Reihe von öffentlichkeitswirksamen Angriffen auf Unternehmen wie die Netzwerkmanagementfirma SolarWinds, die Firma Colonial Pipeline, den Fleischverarbeitungsbetrieb JBS und die Softwarefirma Kaseya den USA weit mehr geschadet haben als nur den gehackten Unternehmen. Einige der Angriffe wirkten sich in Teilen der Vereinigten Staaten auf die Kraftstoff- und Lebensmittelversorgung aus. Die Regierung in Washington sehe eine wachsende Bedrohung durch Russland und China. Biden sagte, der chinesische Präsident Xi Jinping sei »todernst« wenn es darum ginge, »die mächtigste Militärmacht der Welt sowie die größte und bedeutendste Volkswirtschaft der Welt bis Mitte der 40er-Jahre, also bis 2040, zu werden.“

Amerika hat kein angestammtes Recht, auf immer die stärkste Nation der Welt zu bleiben. Es ist nicht fluchwürdig, wenn China die geltenden Wettbewerbsregeln nutzt, um an die Spitze vorzurücken und Amerika auf die Plätze zu verweisen.

Brandgefährlich aber ist das Problem der Cybersicherheit: wenn eine fremde Nation fähig ist, das eigene nationale Leben mit technischer Fernwirkung zu destruieren.

Wieder ein Beispiel für die unbedachte, ja gewollte Gefährdung durch den Fortschritt. Die elektronische Vernetzung der Völker wäre eine wundervolle Möglichkeit gewesen, die Menschheit ins Gespräch zu bringen. Doch das war nur die propagandistische Vorderseite der Genies, die mit ihrer Erfindung Ruhm und Ehre einheimsen wollten.

Die Rückseite – die sie anfänglich hemmungslos propagierten – waren ihre totalitären Weltbeherrschungsträume, die entweder niemand ernst nahm oder gar für angemessen und unvermeidlich hielt. Wenn die eigenen Leute sich gottähnlich aufplustern und die Welttyrannei für sich beanspruchen, drückt man gerne mal die Augen zu. Ist doch für einen guten Zweck.

Hier zeigten sich die brennenden Wundmale der westlichen Demokratien, die keine Skrupel kennen, das Tamtam einer kosmopolitischen Demokratie als Humbug zu erklären.

Fortschrittsfreunde wären glaubhafter, wenn sie bewiesen, dass sie voraussehbare Gefahren der neuen Technik frühzeitig und mit internationalen Verträgen zu verhindern suchten. Doch es gab nicht den leisesten Anhauch einer ernstzunehmenden Debatte. Die frühen Bewunderer der intelligenten Maschinen wehrten sich vehement gegen jede Einschränkung ihrer ungeahnten neuen Freiheiten. Bis heute hat sich im Westen nicht herumgesprochen: die eigene Freiheit, alles zu können, ist die Verurteilung der anderen zum Marionettendasein.

Deutsche Regierungen sind ohnehin fortschrittsbesoffen bis zur Stumpfsinnigkeit. Wenn die deutsche Kanzlerin von einer „befreundeten“ Nation überwacht wird, ohne Alarm zu schlagen, ist Hopfen und Malz verloren.

Dieselbe Stummheit oder Feigheit wie gegenüber Amerika zeigt Merkel gegen China:

„Merkel ist keineswegs blind gegenüber den inneren Widersprüchen des chinesischen Parteistaats, doch zeigte sich immer wieder tief beeindruckt von der Entschlossenheit, mit der die KP-Führung ihre Entwicklungsziele verfolgt. Der „Spiegel“-Journalist René Pfister beobachtete: „In Gedanken ist Merkel eine Revolutionärin, sie findet, dass alles viel schneller gehen muss, in Europa, in Deutschland.“ Doch die Blockaden und die Selbstverliebtheit in den Status Quo – vor allem der Westdeutschen – verhinderten dies in ihren Augen. Eines von Merkels größten Versäumnissen ist es, dass sie nie versucht hat, politische Unterstützung für ein ambitioniertes Reformprogramm zu gewinnen. Stattdessen wählte sie die innere Emigration für ihr Revoluzzertum.“ (TAGESSPIEGEL.de)

Würde diese Analyse stimmen, wäre Merkel die heimliche Bewunderin eines totalitären Überwachungsstaates. Sie wäre damit das genaue Gegenteil einer standfesten Demokratin. Ist sie gar eine verhinderte Revoluzzerin? Katastrophaler ginge es nicht.

Sie wäre keine Lutheranerin, sondern eine verhinderte sozialistische Fanatikerin. Hinter ihrer offiziellen Fassade wäre sie eine absolute Pessimistin, die an die Demokratien nicht mehr glauben kann.

„Doch die Kanzlerin treibt eine tiefer sitzende Angst an. Sie hält Deutschland und das fragile Gebilde Europa für zu schwach im Wettbewerb mit China. Sie ist skeptisch ob der Zukunftsaussichten eines Kontinents, der aus ihrer Sicht nur noch bei den Sozialausgaben Weltspitze ist. Wie ihr Biograph Stefan Kornelius schon 2013 urteilte, befürchtet Merkel, „dass das freiheitliche System nicht überleben könnte, dass Demokratie und Marktwirtschaft am Ende zu schwach sein könnten“. Merkel redet kaum darüber. Manchmal bekommt die Öffentlichkeit einen kleinen Einblick. So berichtete Merkels bulgarischer Amtskollege Borissow nach einem Besuch während der Eurokrise, die Kanzlerin habe bemerkt, „dass auch die Maya und viele andere Zivilisationen verschwunden sind“.“

Eine Frau, die ihre Nation, ja das ganze westliche System, innerlich aufgegeben hat, kann unmöglich die Kraft und Zuversicht aufbringen, an der Zukunft ihres Volkes zu arbeiten. Dies aber wäre ein Generalverbrechen an ihren Untertanen, denen sie per Eid versprach, Schaden abzuwehren und ihren Nutzen zu vermehren. Ihr Sachlichkeitsgetue mit treuherzigem Augenaufschlag: ich bin sicher, wir schaffen das, wäre eine infame Irreführung.

Ihre subliminale Botschaft an das Volk würde dann lauten: Deutsche, ich glaube nicht mehr an euch, ihr seid nicht besser als die Maya, die von wenigen spanischen Söldnern hinweg gefegt wurden.

Hätte René Pfister Recht mit seiner Vermutung, die Kanzlerin sei eine invertierte Revoluzzerin, wäre Deutschland einer perfekten Hochstaplerin aufgesessen.

Gibt es Reaktionen auf diesen unfasslichen Artikel? Deutschland dämmert – ohne ein Apfelbäumchen zu pflanzen – in wortloser Angststarre seinem lieben Jüngsten Tag entgegen.

Fortsetzung folgt.