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nichtsdesto-TROTZ XLI

Tagesmail vom 09.07.2021

nichtsdesto-TROTZ XLI,

„Liebe Oma,

Ich hoffe, dir geht es gut, und ich wünschte, ich könnte schreiben, dass du dir keine Sorgen um mich machen musst. Es scheint, als käme die Normalität langsam wieder zurück, mit der Impfung kann ich dich auch wieder unbesorgter besuchen. Gleichzeitig brennt aber die Welt, und keiner schaut hin.

Ich weiß, der Weltuntergang wird immer vorher-gesagt, aber die Bilder von Katastrophen aus der ganzen Welt machen die Bedrohung sehr greifbar. Unglaubliche Hitzewellen in Nordamerika mit fast 50 Grad Celsius sind beste Voraussetzungen für Waldbrände und kosten auch Hunderte Menschen das Leben. Emissionen steigen nach dem letzten Jahr wieder rasant an, und es gibt kaum Schlagzeilen.

Auch dir macht die Hitze zu schaffen, Mama hat dir neulich erst ein Klimagerät für die Wohnung gekauft. Wenn eine ähnliche Hitze Europa erreicht, werden wir einen weiteren Dürresommer erleben und eine weitere Klimakatastrophe beobachten, die dann als ‚Vorbotin‘ des Klimawandels betitelt wird.

Doch es sind keine ‚Vorboten‘ mehr, die Klimakrise ist längst da, und die Verschiebung in die Zukunft sorgt dafür, dass wir nicht ins Handeln kommen.

Wir wissen, dass die Klimakrise heute schon viel zu vielen Menschen die Lebensgrundlage raubt, ganz akut stecken mehr als 500 000 Menschen in Madagaskar in einer Hungersnot. Und trotzdem werden Milliarden in fossile Energien gesteckt und neue Gaspipelines gebaut.

Wieso ist das alles so ungerecht? Wieso kümmert sich die Politik nicht darum, die werden doch dafür bezahlt, die komplexen Krisen und Probleme unserer Gesellschaft zu lösen, oder? Ist das ein finales Eingeständnis, dass die Politiker*innen alles für den Status quo und den Wahlkampf geben, anstatt ehrlich zu sein? Ich habe keine Angst vor der Klimakrise, weil ich Angst um meine persönliche Zukunft habe, sondern weil sich Ungerechtigkeiten potenzieren, die wir endlich an der Wurzel anpacken müssen.

Wir stehen angeblich in einem Generationenkonflikt, doch wie hättest du oder Mama diese Krisen verhindern sollen? Ich will lieber über die Kraft so vieler Menschen sprechen, die sich engagieren und demonstrieren auf den Straßen für Gerechtigkeit, gegen Klimazerstörung, gegen Rassismus, für übergreifende Solidarität und offene Grenzen. Denn all diese Menschen geben mir Hoffnung und dir vielleicht auch!“ (Line Niedeggen, FFF)  (Frankfurter-Rundschau.de)

„Liebster Vater,

Auch Du hast übrigens, entsprechend Deiner ähnlichen Lage mir gegenüber, eine Art Gegenwehr versucht. Du pflegtest darauf hinzuweisen, wie übertrieben gut es mir ging und wie gut ich eigentlich behandelt worden bin. Das ist richtig, ich glaube aber nicht, daß es mir unter den einmal vorhandenen Umständen im wesentlichen genützt hat.

Seit jeher machtest Du mir zum Vorwurf (und zwar mir allein oder vor anderen, für das Demütigende des letzteren hattest Du kein Gefühl, die Angelegenheiten Deiner Kinder waren immer öffentliche), daß ich dank Deiner Arbeit ohne alle Entbehrungen in Ruhe, Wärme, Fülle lebte. Ich denke da an Bemerkungen, die in meinem Gehirn förmlich Furchen gezogen haben müssen, wie: »Schon mit sieben Jahren mußte ich mit dem Karren durch die Dörfer fahren.« »Wir mußten alle in einer Stube schlafen.« »Wir waren glücklich, wenn wir Erdäpfel hatten.« »Jahrelang hatte ich wegen ungenügender Winterkleidung offene Wunden an den Beinen.« »Als kleiner Junge mußte ich schon nach Pisek ins Geschäft.« »Von zuhause bekam ich gar nichts, nicht einmal beim Militär, ich schickte noch Geld nachhause.«

Anschließend an solche Erfahrungen pflegtest Du in bitterem Scherz zu sagen, daß es uns zu gut ging. Aber dieser Scherz ist in gewissem Sinn keiner. Das, was Du Dir erkämpfen mußtest, bekamen wir aus Deiner Hand, aber den Kampf um das äußere Leben, der Dir sofort zugänglich war und der natürlich auch uns nicht erspart bleibt, den müssen wir uns erst spät, mit Kinderkraft im Mannesalter erkämpfen. Ich sage nicht, daß unsere Lage deshalb unbedingt ungünstiger ist als es Deine war, sie ist jener vielmehr wahrscheinlich gleichwertig – (wobei allerdings die Grundanlagen nicht verglichen sind), nur darin sind wir im Nachteil, daß wir mit unserer Not uns nicht rühmen und niemanden mit ihr demütigen können, wie Du es mit Deiner Not getan hast. Ich leugne auch nicht, daß es möglich gewesen wäre, daß ich die Früchte Deiner großen und erfolgreichen Arbeit wirklich richtig hätte genießen, verwerten und mit ihnen zu Deiner Freude hätte weiterarbeiten können, dem aber stand eben unsere Entfremdung entgegen. Ich konnte, was Du gabst, genießen, aber nur in Beschämung, Müdigkeit, Schwäche, Schuldbewußtsein. Deshalb konnte ich Dir für alles nur bettlerhaft dankbar sein, durch die Tat nicht. Franz.“ (Kafka, Brief an den Vater, 1919)  (Projekt-Gutenberg.org)

Aust: Wir sind, das kann man vielleicht in diesem fortgeschrittenen Alter schon sagen, wahrscheinlich die glücklichste Generation, die es in Deutschland jemals gegeben hat. Im Frieden gezeugt, im Frieden geboren. Dann haben wir den wirtschaftlichen und politischen Aufstieg dieses Landes miterlebt, das ist schon ein ziemliches Privileg.

Harms: Ja, wir sind eine glückliche Generation. Wir haben Friedenszeiten erlebt. Wenn man sich vorstellt, wie Europa zuvor von Kriegen zerfurcht worden ist, dann können wir nur dankbar dafür sein. Deshalb meine ich, dass wir ein glücklicher Jahrgang, auch eine glückliche Generation sind. Es gab zwar im Hintergrund die Teilung Deutschlands, aber es ging ja immer aufwärts.

Aust: Ich komme mir manchmal so vor, als würde ich am Ufer sitzen, und die ganze Zeit ist irgendwie an mir vorbeigezogen. Und zufällig war ich immer dabei, so wie Forrest Gump in diesem verrückten amerikanischen Film, der durch eine komische filmische Montage immer bei wichtigen Ereignissen der Geschichte dabei gewesen ist.“ (WELT.de)

Line Niedeggen schreibt nicht nur an ihre eigene Oma, sondern vermutlich an viele Omas der Republik. Wider Erwarten macht sie ihnen keine Vorwürfe. Hätte sie nicht Gründe genug, die älteren Generationen anzuklagen, in welch desaströsem Zustand sie ihren Kindern und Kindeskindern die Welt hinterlassen würden? Nein, sie verteidigt Oma und Mutter, die die Krisen gar nicht hätten verhindern können. Vor ihrer persönlichen Zukunft habe sie keine Angst. Es ginge um die Ungerechtigkeiten der Welt, die jetzt dringend an der Wurzel gepackt werden müssten.

Hier aber müsse sie konstatieren: „Wieso kümmert sich die Politik nicht darum, die werden doch dafür bezahlt, die komplexen Krisen und Probleme unserer Gesellschaft zu lösen, oder? Ist das ein finales Eingeständnis, dass die Politiker*innen alles für den Status quo und den Wahlkampf geben, anstatt ehrlich zu sein?“ Die PolitikerInnen seien nicht ehrlich. Die Arbeit, die sie tun müssten– die Probleme der Gesellschaft zu lösen – würden sie boykottieren.

Ein sanft klingendes, aber messerscharf durchdringendes Warnsignal nicht nur an Deutschland, sondern die ganze Welt.

Kafka wendet sich nur an seinen eigenen Vater – obgleich vermutlich viele Söhne den Brief unterschreiben könnten. Aus armen Verhältnissen habe sich der Vater nach oben gearbeitet. Sein Sohn aber kann ihm nicht dankbar dafür sein, dass er in guten Zeiten aufwachsen konnte. Weder versteht der Vater den Sohn, noch der Sohn den Vater, obwohl der Jüngere sich redlich bemüht, sich in die Situation des Älteren hineinzuversetzen. Dabei sind die äußeren Verhältnisse gar nicht besorgniserregend.

Der jungen Generation warf der Vater vor, dass es ihr zu gut ginge, weshalb sie träge und teilnahmslos geworden sei, um das Werk der Väter zu würdigen und fortzusetzen. Kafka beschreibt sein problematisches Verhältnis zum Vater in psychologischen Kategorien, gesellschaftskritische Anklagen an die Politik, gar an die ganze Welt, liegen ihm ferne.

Aust und seine Generation kennt überhaupt keine Kritik. Sie fühlen sich als Glückskinder des Schicksals, die das Privileg gehabt hätten, die vermutlich besten Zeiten Deutschlands zu erleben – wofür sie dankbar wären. Welch eine Wendung durch Gottes Fügung, hätte ein großer Deutscher gesagt: der schrecklichsten Zeit der Deutschen folgt unmittelbar die glücklichste. Austs Worte sind ein Rückblick in Wehmut – und geheimem Stolz: war es wirklich ein Zufall, dass ihre Generation die schönsten Zeiten erleben durften? Hatten sie es nicht doch verdient durch eine – bislang in Deutschland unbekannte – weltoffene und demokratische Politik?

Davon will Aust nichts hören: „Ich komme mir manchmal so vor, als würde ich am Ufer sitzen, und die ganze Zeit ist irgendwie an mir vorbeigezogen. Und zufällig war ich immer dabei, so wie Forrest Gump in diesem verrückten amerikanischen Film, der durch eine komische filmische Montage immer bei wichtigen Ereignissen der Geschichte dabei gewesen ist.“

Glück ist Zufall, unverdientes Privileg. Gründe und Kausalitäten für das Gute und Gelungene gibt es so wenig wie Schuld für das Misslungene und Böse. Als Journalist war Aust ohnehin kein Verantwortlicher für Politik: er schaute und beobachtete, sitzend am Ufer, wie die Dinge irgendwie an ihm vorbeizogen.

Welchen Rat könnte er der FFF-Jugend geben, um die glücklichen Zeiten wieder zu erlangen? Keinen. Vielmehr maßregelt er sie, weil sie übertrieben schwarz male und seiner Generation den Vorwurf mache, die Welt dem Abgrund entgegenzutreiben.

Hat diese glückliche Aust-Generation aus der deutschen Geschichte gelernt? Da schwelgen die Lieblinge des Schicksals in Erinnerungen – und verlieren kein einziges ermunterndes Wort an die beunruhigte Jugend der Welt.

Zu Unrecht fühlt Aust sich angegriffen und keilt zurück: stört nicht die letzten glücklichen Jahre unseres Lebens, die ihr blind der Wissenschaft vertraut und die Tradition deutscher Apokalyptiker in gefährlicher Weise fortsetzt.

Die entscheidende Frage bleibt: Warum können die Deutschen die Gefahren nicht erkennen, die sich täglich akkumulieren und uns allen das Verderben bringen – wenn wir die Ursachen nicht energisch bekämpfen?

Diese Frage wird nicht zum ersten Mal gestellt. In der Nachkriegszeit gab es mehrere Krisen, in denen sie hochkam, weil das Überleben der Menschheit bedroht schien, nein, bedroht war.

Bei den ersten Atombombenabwürfen in Hiroshima und Nagasaki. Beim Vietnamkrieg. Im Kalten Krieg, als die Gefahr eines Atomkrieges nur durch beherztes Eingreifen sowjetischer Offiziere verhindert werden konnte. In der ersten globalen Ökobewegung, als der Welt bewusst wurde, dass sie dabei war, sich zu zerstören, wenn sie das Steuerrad nicht rapide herumreißt.

Darüber schrieb Günther Anders zwei Bände mit dem Titel: „Die Antiquiertheit des Menschen. Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution“ und prägte den Begriff des „prometheischen Gefälles“.

„Seine Kritik an der Zivilisation in der Mitte des 20. Jahrhunderts setzt am Gefälle zwischen der Unvollkommenheit des Menschen und der immer größer werdenden Perfektion der Maschinen an. Dieses Phänomen nennt Anders prometheisches Gefälle. Hiermit verknüpft er die prometheische Scham, d. h. die von dem Wunsch, selbst wie eine Maschine zu sein, erzeugte Scham des Menschen angesichts der eigenen Unterlegenheit gegenüber seinen technischen Schöpfungen. Die Diskrepanz zwischen der Leistungsfähigkeit des Menschen und der seiner Geräte werde größer, seit das Werkzeug als Verlängerung und Verbesserung menschlicher Organe durch die Maschine mit ihrer Eigendynamik ersetzt werde; dies sei der Beginn der Antiquiertheit des Menschen gewesen. Das Mensch-Sein – im Grunde das Leben überhaupt – erscheine nun als antiquierte Daseinsform; der Mensch erzeuge mittels Arbeit Produkte, mit denen er sich selbst überflüssig mache.“ (Wiki)

Seine Maschinen werden immer perfekter, während der Mensch auf der Stelle tritt. Er schämt sich seiner Unterlegenheit, ist aber unfähig, das Verhängnis zu korrigieren. Seine Maschinen machen ihn überflüssig oder zu einer antiquierten lächerlichen Figur.

Ist diese Unterlegenheitsscham noch heute zu bemerken? Es scheint, als ob sie inzwischen durch immer perfektere Maschinen erledigt worden ist. Die Scham wurde ins Gegenteil verkehrt. Der kläglich unvollkommene Mensch ist stolz darauf geworden, sich selbst überflüssig zu machen.

Das zeigt der Traum von Silicon Valley, den Menschen durch Algorithmen unsterblich zu machen. Dann hätte es das unvollkommene Wesen geschafft, die abendländische Gottwerdung des Menschen – von der er seit 2000 Jahren träumt – in triumphale Realität zu verwandeln.

Wer sich unvollkommen fühlt, weil er Mensch ist, muss es durch eine jenseitige Religion kompensieren. Nach seinem irdischen Leben wird er seine wahre Bestimmung im DRÜBEN finden.

„Aus dem Munde der jungen Kinder und Säuglinge hast du eine Macht zugerichtet um deiner Feinde willen, dass du vertilgest den Feind und den Rachgierigen. Wenn ich sehe die Himmel, deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne, die du bereitet hast: was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst? Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott, mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt. Du hast ihn zum Herrn gemacht über deiner Hände Werk, alles hast du unter seine Füße getan: Schafe und Rinder allzumal, dazu auch die wilden Tiere, die Vögel unter dem Himmel und die Fische im Meer und alles, was die Meere durchzieht.“

Das ist kein Widerspruch: der gottähnliche Mensch beginnt seine irdisch-himmlische Karriere als heiliges Kind. Das ist der Traum einer Menschheit, die ihre Probleme nicht mehr lösen kann. Sie will ganz von vorne beginnen wie ein Kind. Aber ein Kind, das mit göttlichen Fähigkeiten ausgestattet sein muss. Darunter geht nichts. Und wer kein Kind ist, der muss es werden:

„Wer nun sich selbst erniedrigt wie ein Kind, der ist der Größte im Himmelreich. Und wer ein solches Kind um meines Namens willen aufnimmt, der nimmt mich auf.“

Eine Kampfansage gegen die heidnische Figur des alten Weisen, der ein Leben lang Erfahrungen sammeln musste, um das Fazit seines Denkens zu ziehen. Diesen Weisen zu würdigen, wäre jedoch die Anerkennung der autonomen Lernfähigkeit des Menschen. Ausgeschlossen. „Lasset die Kindlein zu mir kommen und wehret ihnen nicht“: das ist keine Liebe zum neugierigen, lernbegierigen Kind, sondern zu einem unmündigen Wesen, das alles der Gnade des Himmels verdankt.

Wer wird den Wettlauf um den Titel des wahren Erlösers der Welt gewinnen? Der mächtige Kaiser Augustus – oder das hilflose Kind in der Krippe bei Ochs und Esel?

„Im Mittelalter galt Vergil als der Dichter schlechthin und zugleich als Vorbote des Christentums – in der 4. Ekloge wird die Geburt eines Knaben in Worten vorausgesagt, die stark an Christi Geburt erinnern.“

Wird der römische Kaiser Augustus – oder das unscheinbare Kind in der Wiege die kollabierende Welt erlösen? Topp, die Wette gilt, dass das lächerlich machtlose Kind das Rennen machen wird – dank Gottes Hilfe. Menschliche Fähigkeiten werden zuschanden, doch Gott ist in den Schwachen mächtig. Wenn prometheische Scham sich mit Hilfe eines weisen Kindes zur via triumphalis eines göttlichen Erlösers entwickelt, haben Gottlose keine Chancen mehr.

FFF-„Kinder“ sind selbstbewusste Jugendliche, die sich ihre Weisheiten selber erwerben wollen. Der Protest einer Nation gegen naseweise Gören ist noch immer der uralte christliche Protest gegen Heiden, die ihren eigenen Kopf einschalten wollen.

Heilige Kinder hingegen müssen sich durch Offenbarung  belehren lassen. Und ganz unmöglich ist es, wenn diese Kinder die alten Generationen anklagen, allein am Elend des Verfalls schuldig zu sein.

Das prometheische Gefälle ist der Grund, warum der Mensch seine Schwäche durch Maschinen kompensieren muss. Nicht seine moralische Lernfähigkeit ist gefragt, sondern die Technik, die alle menschlichen Defizite ausgleicht. Scham wandelt sich in Stolz, ja in Hybris, weil der unterlegene Mensch fähig ist, Wesen zu erfinden, die ihn immer weiter übertreffen: seine selbst erfundenen IQ-Maschinen.

Das ist die Wiederholung eines göttlichen Dramas. Da der Schöpfer unfähig ist, den Menschen zu erlösen, muss er ein Wesen erfinden, das diesen Job stellvertretend für ihn ausführt: sein eigener Sohn. Was der Sohn für Gott, ist die Maschine für den Menschen.

Noch hat der heutige Zukunftsanbeter die Maschine nicht mit Geist ausgestattet, doch lange wird es nicht mehr lange dauern, bis eine gottgleiche, selbst denken könnende IQ-Maschine aus der Taufe gehoben wird. Die prometheische Scham wird sich in messianischen Jubel, die ecclesia patiens in eine ecclesia triumphans verwandeln. Voraussetzung des jenseitigen Jubelgeschreis ist die irdische Selbsterniedrigung. Wer der Erste unter euch sein will, sei euer Letzter. Gott ist in den Schwachen und Demütigen mächtig. Wer sich aber selbst vertraut, wird die Quittung von Oben erhalten.

Wer errettet werden will, darf seinen eigenen Fähigkeiten nicht trauen. Er muss taub und blind bleiben und auf das Wehen des Geistes warten.

Das sind die Gründe, warum gläubige Menschen nichts sehen und hören dürfen.

„Deshalb rede ich ihn Gleichnissen zu ihnen, dass sie mit sehenden Augen nicht sehen und mit hörenden Ohren nicht hören und verstehen.“

Gleichnisse sind nicht nur dazu da, einfachen Menschen die Geheimnisse des Glaubens zu vermitteln, sondern im Gegenteil: hören, sehen und verstehen sollen den Menschen vergehen. Sie sollen dumm gemacht werden. Ihren Sinnen und Gehirnen sollen sie nicht mehr vertrauen können. Schafe müssen vom Hirten rund um die Uhr gelenkt und geleitet werden.

Womit wir bei Günther Anders‘ Apokalypse-Blindheit angekommen wären, der das neutestamentliche Denk- und Wahrnehmungsverbot in moderne Vokabeln übersetzt:

„… die Tatsache, dass heute „eschatologische Windstille“ herrscht, obwohl das Ende effektiv in den Bereich der Möglichkeit gerückt ist … ist geradezu gespenstisch.“

Dies umso mehr, als in vielen politischen Strömungen – und nicht nur in totalitären – eschatologische Ambitionen sichtbar wurden. Doch diese Strömungen glaubten an ein himmlisches Ende nur für sich, die Feinde sollten zur Hölle fahren.

Das Gefühl des Erwähltseins christlicher Nationen ist so beherrschend, dass niemand an ein schreckliches Ende glauben kann. Und dieser selbstsicher-überhebliche Glaube an die eigene Superiorität macht unfähig, die Spuren eines höllischen Verfalls wahrzunehmen. Nicht die Sinne entscheiden über den Glauben, der Glaube entscheidet, was Sinne wahrnehmen und Köpfe denken dürfen. Das Denk- und Wahrnehmungsverbot sind die Gründe, warum die Menschen das apokalyptische Ende der Welt nicht bemerken dürfen.

Wie lassen sich biblische Paradigmen mit modernen Vokabeln formulieren? Wie kommt es, dass sich die einst allpräsente Angst vor der Apokalypse in schneidige Zukunftserwartung verwandelt hat?

Nach Anders ist der Fortschrittsglaube an das automatisch Bessere der Grund, warum Menschen ihr selbst produziertes Elend nicht wahrnehmen können. „Die Fähigkeit, uns auf „Ende“ einzustellen, ist uns durch den generationenlangen Glauben an den angeblich  automatischen Aufstieg der Geschichte genommen worden. Selbst denjenigen unter uns, die an Fortschritt schon nicht mehr glauben.“ (Anders)

Hiermit hätten wir den Ursprung der religiösen Bedeutung des modernen Fortschritts gefunden. Fortschritt hat die Funktion, die apokalyptische Angst der Frommen vor dem ungewissen Ende der Geschichte zu betäuben. Fortschritt wurde zur Beruhigungsdroge all jener, die sich vor dem höllischen Ende der Heilsgeschichte fürchten. Alle wollten zu den Siegern gehören, unabhängig von ihrer mangelhaften moralischen Integrität. Diese Siegeszuversicht konnte nur der triumphierende Fortschritt der Technik verbreiten.

Nur eine endlos fortschreitende naturbesiegende Technik war imstande, die Ängste der potentiell Verdammten in freudige Zuversicht auf eine glanzvolle Zukunft zu verwandeln.

Schluss musste sein mit den angstmachenden Sprüchen:

„Und den unnützen Knecht stosset hinaus in die Finsternis, die draußen ist. Dort wird Heulen und Zähneknirschen sein.“

Warum lachen die Deutschen über den hinterwäldlerischen Glauben an ein apokalyptisches Ende? Weil sie multiple Ersatzdrogen zur Verfügung haben. Da muss niemand mehr Angst haben vor Heulen und Zähneklappern, selbst wenn ihm der Glaube abhanden gekommen ist. Solange Mutter gütig lächelt und der Fortschritt weiterhin unbeirrbar den Weltraum erobert, sind die Deutschen immun gegen alle Zukunftspanik.

Die Apokalyptiker der lästigen jungen Generation aber müssen mit Rede- und Demonstrationsverbot zum Schweigen gebracht werden. Gott sei den Sündern gnädig.

Fortsetzung folgt.