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nichtsdesto-TROTZ XL

Tagesmail vom 07.07.2021

nichtsdesto-TROTZ XL,

„Die Bourgeoisie sorgt für die ununterbrochene Erschütterung aller gesellschaftlichen Zustände, für ewige Unsicherheit. Alle festen eingerosteten Verhältnisse werden aufgelöst, alle neu gebildeten veralten, ehe sie verknöchern können. Die uralten nationalen Industrien sind vernichtet worden und werden noch täglich vernichtet. An die Stelle der alten lokalen und nationalen Abgeschlossenheit tritt ein allseitiger Verkehr, eine allseitige Abhängigkeit der Nationen untereinander.“

Marx, Bewunderer der permanenten Zerstörung, um ein irdisches Paradies zu errichten (also ein echter deutscher Romantiker), schrieb den obigen Unsinn, der noch heute in jeder Politikerrede nachklingt: wir leben in Zeiten des Umbruchs. Was heute gilt, ist morgen Schrott. Schauen wir nicht zurück, um nicht belästigt zu werden vom Anblick der Trümmer unserer Vernichtungswut. Denn wir sind konstruktiv.

Weil wir in Zeiten des Umbruchs leben, werden die Mächtigen konstant mächtiger, die Reichen reicher, die Monopole weltbeherrschender – und die Schwachen immer elender. Ja, die Unsicheren werden immer unsicherer, aber nicht, weil sich alles ändert, sondern im Gegenteil, weil sich gerade nichts ändert. Die Bedeutungslosen sind schon seit Tausenden von Jahren bedeutungslos.

Nichts ändert sich, zäh und klebrig wälzen sich die Verhältnisse ihrem Finale entgegen: jener Zerstörung alles Irdischen, die von den Verantwortlichen noch heute entrüstet dementiert wird, um sie morgen umso sicherer zum apokalyptischen Ereignis werden zu lassen.

Will jemand schuld sein an der Destruktion des menschlichen Geschlechts? Die Schuld an unserem misslingenden Leben haben wir abgeschafft. Wir sind nichts als gehorsame Knechte unseres Schicksals, das von niemandem beeinflusst werden kann.

Wie zerstören wir? Durch Stabilisierung, die wir Fortschritt nennen, damit niemand auf die Idee komme, den Akt als indirekte Totalzerstörung zu entlarven. Die Unsicherheiten und Gefahren der Gegenwart sollen ja durch fortschreitende Wissenschaft und Technik permanent verbessert werden.

Da die Hauptschuldigen jede Schuld am Verhängnis des Menschengeschlechts abgeschafft haben, wird die Gattung schuldlos und unbefleckt die Erdenbühne verlassen.

Würde jedoch der Aufstieg des Menschen in seine erträumte Gottähnlichkeit gelingen, wäre klar, wem das Verdienst gebührt: jenen, die alles Komplexe durchdrungen, alles Unmögliche möglich gemacht haben.

„Mann der Arbeit, aufgewacht, und erkenne deine Macht! Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will!“

Die Männer der Arbeit wurden von jenen hinters Licht geführt, die ihnen revolutionäre Kräfte zusprachen. Zur Lenkung seines Geschicks ist der Mensch unfähig. Nur die Geschichte kann ihn an die Hand nehmen. Nur sie entscheidet über den Zeitpunkt der künftigen Revolution.

Warum sind die Linken erloschen? Weil sie noch immer von jener Revolution träumen, die die Christen Wiederkehr ihres Herrn nennen. Welch gottlose Tat, noch frömmer sein zu wollen als die Frommen, doch im schicken Gewand der Revoluzzer. Ballt die Faust in der Tasche, schaut kühn in die Welt – und träumt weiter vom Sankt Nimmerleinstag!

Wenn schon Revolutionsschwärmer an den Verhältnissen nichts ändern können: wer dann? Die Konservativen? Die haben‘s schon in ihrem Firmenlogo: wer beim ernsthaften Verändern ertappt wird, der fliegt.

Konservare heißt bewahren. Passt das Wort nicht zum ständigen Umbruch, von dem die Konservativen faseln? Am liebsten mit der Zusatzformel: wer sich nicht ändert, bleibt sich nicht treu. Das ist ja die Lösung: weil sie sich nicht verändern, können sie sich gar nicht treu bleiben. Also verändern sie sich tatsächlich – dank altdeutscher dialektischer Künste.

Und was machen die lieben Genossinnen und Genossen? Sie haben die negative Dialektik ihrer 68er Revoluzzerzeit überwunden und üben sich in Hegel‘scher Harmonisierung aller Widersprüche: sie sind weder Fisch noch Fleisch, weder konservativ noch umstürzend, weder CDU noch Marx, sondern immer beides – oder nichts. Denn auch das ist identisch.

Sie haben das Luftanhalten in tiefen Gewässern entdeckt und stecken ihren Kopf unter Wasser – nachdem sie zuvor versprachen, auf keinen Fall zu ersticken, um physikalischen Gesetzen nicht übermäßigen Respekt zu zollen. Da sie die Rolle der Opposition als Mist definieren, wollen sie lieber an der Tafel der Reichen und Mächtigen sitzen, als den Mist der Proleten ausräumen.

Haben wir diesen Losern nicht schon tausendmal erklärt, sie sollen aufsteigen, um Seit an Seit die Lobbyisten zu ehren?

Die SPD will nicht regieren, sondern mitregieren. Weder wollen sie Verantwortung übernehmen für die offizielle Politik, noch die Rolle der Kläffer spielen. Womit sie beweisen, dass sie nicht erwachsen sind.

Sie sind in die Jahre gekommenen Kinder, die nicht daran denken, auf eigenen Beinen zu stehen. Sich aber alles von Mutti sagen lassen, das wollen sie auch nicht.

Sie befinden sich im Dilemma einer Rolle, die von Konservativen nicht nachempfunden werden kann: sie wollen etwas verändern. Aber sie dürfen nichts verändern, denn jede Veränderung wäre eine weitere Annäherung an eine humane Gesellschaft. Das aber wäre eine Utopie, die von Popperschüler Helmut Schmidt mit Hohn und Spott überzogen wurde. Eine Partei mit utopischer Zielsetzung müsste kollektiv zum Arzt gehen, um sich auf ihren Geisteszustand überprüfen zu lassen.

Die Partei unter Schröder wollte sich unter den Augen Schmidts nicht lächerlich machen. Sie spürte den neuen Wind aus Washington, der nicht mehr auf Verständigung der Völker setzte, auf Menschenrechte und gleichberechtigte Mitsprache aller Nationen in der UN. Sondern auf den neuen neoliberalen Machtkurs, der Vernunft abservierte und dem blinden allmächtigen Markt folgte.

Das bedeutete, die Weltgeltung des Reformers Gorbatschow zurückzufahren, seinen Nachfolger Putin, der anfänglich dem Kurs Gorbatschows folgte, zur Randfigur der Weltpolitik zu degradieren, Amerika aber und die europäischen Staaten zu globalen Matadoren zu erklären. Für diesen Zweck war der machtversessene Neoliberalismus exakt die angemessene Wirtschaftsweise.

Außerstande, den neuen Weltkurs zu durchdenken und eigene Schlussfolgerungen zu ziehen, entschloss sich Schröder, beim englischen Premier Blair unterzuschlüpfen und sich den „dritten Weg“ erklären zu lassen. Das war der Totalbankrott einer SPD, die es satt hatte, nur die Sache der Verlierer zu vertreten. Die Aufsteiger schnupperten Höhenluft.

Das Eintrittsgeld in den Klub der Weltgiganten bestand in der Übernahme eines uralten kapitalistischen Rezeptes: die Armen wurden zu Faulen erklärt, die an jeder Wirtschaftsdelle schuldig waren. Nicht nur die traditionellen Armen mussten dran glauben, sondern ein Großteil der unteren Mittelschichten, die durch die Wirtschaftskrise abgerutscht waren.

Sie wurden zu einem einzigen Klumpen der Nieten und Versager zusammengepfercht und herabgedrückt auf ein Überlebensniveau voller Demütigungen durch eine arrogante Bürokratie, die, wie stets in Deutschland, nach oben katzbuckelt und nach unten austeilt.

In beispielloser Illoyalität gegenüber ihren uralten Genossen, wurden die Aufsteiger zu homo novi (Emporkömmlingen) einer sich überall bildenden Multimillionärs- und Milliardärsschicht, die sich global zusammenschloss, um sich überall auf der Welt die besten Happen zu sichern.

Wo fremde Geldgiganten zuschlagen, haben einheimische Durchschnittsverdiener keine Chance mehr. Die Fremden schnappten sich die lukrativsten Wohnprojekte. Mit welchem Ergebnis? Dass viele Wohnungen unbezahlbar wurden.

Das war der Sündenfall der europäischen Linksparteien, die nach Macht süchtig wurden, auch wenn ihr Charakterprofil dabei Schaden erlitt.

Kurz: die SPD befindet sich im Utopiestau. Wer ein humanes Endziel ansteuert, kann nicht einfach die Bremse ziehen. Denn die Menschen spüren, dass die Partei sich untreu wird und ihre Suche nach der besseren Welt dem Glamour der Aufsteiger opfert. Es entsteht ein Rückstau, der nur durch irreale Kampfparolen wie „gleiche Chancen durch Bildung“ erträglich gemacht werden soll.

Einst war das Ziel der SPD die Umwandlung eines ungerechten Ausbeuterstaates in eine gerechte Herrschaft des Volkes. Hier war es gleichgültig, ob man ein wenig weiter oben oder unten war. Überall sollte man ein gleichberechtigtes, erfülltes Leben führen können. In solch einem egalitären System mussten Aufstieg und Abstieg irrelevant sein. Man hatte niemandes Herr und niemandes Knecht zu sein.

Die SPD ist entwurzelt, sie hat kein Profil mehr. Es blutet einem das Herz, die Mitläufer der Eliten zu sehen, wie sie lustlos in ihren alten Parolen wühlen, die sie längst für überholt halten – und dennoch weiterpredigen müssen. Jeder substantielle Gedanke wird von ihnen sofort zurückgewiesen: vergiss es, du Phantast, deine Verstiegenheiten kriegen wir in keiner Parteiversammlung durch.

In keiner Partei wird frei gedacht. Nur Konservative können sich dieses Gedankenverbot leisten, weil sie nichts anderes wollen als die Macht über das IST. Wer das IST verändern will, weil es menschenfeindlich ist, muss gegen Widerstände ankämpfen. Ein ewiger Brei aus Kompromissen verstopft alle Kanäle der Veränderung ins Bessere.

Stückwerkstechnologie? Anders geht es nicht. Veränderungen mit einem Donnerschlag führen in den Faschismus. Die einzelnen Schritte der Stückwerktechnologie müssen jedoch zielorientiert sein und dürfen nicht improvisiert werden. Man sollte wissen, wohin die Reise geht, um gemeinsame Schritte zu planen.

Die SPD ist eine der ältesten Parteien Deutschlands. Das bloße Alter aber ist noch kein Ruhmesblatt. Mit Recht ist die einstige Arbeiterpartei stolz auf die Otto-Wels-Rede gegen Hitlers Ermächtigungsgesetz. Auf Eberts Kurswechsel von der internationalen Solidarität zu Kaiser Willems Kriegseinsatz aber kann sie nicht stolz sein.

Da hatten sie sich bereits mit dem Virus Macht infiziert. Macht aber und ein standhaftes Profil sind nur schwer vereinbar. Über Nacht waren sie keine Nobodys mehr, sie gehörten zum Establishment, wo man realpolitisch denken muss. Die Träume der Kleinen müssen abgelegt werden.

Just die einst Verachteten öffneten sich dem Ungeist der deutschen Bewegung: am deutschen Wesen soll die Welt genesen. Deutschland, Deutschland über alles. Die Deutschen müssen die Herren der Welt werden. Kaum hatten sie von der Macht gekostet, wurden sie besoffen von der eigenen Wichtigkeit. Der internationale Verbrüderungsgedanke der Proleten wurde vom Krieg ausradiert.

Noch heute gilt das Gesetz: gib den Vernachlässigten ein Leckerli – und sie beten die kritisierte Kanzlerin an, wenn sie zur Audienz vorgelassen werden. Shitstorms sind nicht nur ordinäre Hassregungen, sondern eine perverse Art, auf die eigene vernachlässigte Persönlichkeit aufmerksam zu machen. Denk an mich, du Idiot, ich bin auch jemand. Niemand hört mir zu, wenn ich nicht brülle wie eine gesengte Sau.

Die SPD muss von vorne beginnen, sie muss das tun, was die Presse so abschätzig zu kommentieren pflegt: die Partei beschäftigt sich mit sich selbst. Seine kollektive Biografie erarbeiten ist die Voraussetzung, um mit sich ins Reine zu kommen.

Die Erinnerungsarbeit muss sie spätestens mit der Aufklärung beginnen, danach folgt die Reihe der Herren: Marx, Lassalle, Bernstein, Ebert und Otto Wels, schließlich Schumacher, Wehner, Willy Brandt, Helmut Schmidt, der Streit zwischen Lafontaine und Schröder bildet den Abschluss.

Jeder Ortsverein hat sich an dieser Erinnerungsarbeit zu beteiligen. Die Ergebnisse müssen protokolliert und allen Parteimitgliedern mitgeteilt werden. Dann der große Parteitag, an dem die kathartische Selbstbesinnung debattiert werden muss. Eine bequemere Methode, sich von den Müllhalden der Vergangenheit zu befreien, gibt es nicht.

Sie riecht schon, die Vergangenheit – nach Verwesung, Fäulnis und Verderben.

Die Grünen sind wesentlich jünger als die SPD, haben aber vergleichbare Probleme. Von Anfang an lebten sie vor allem von Anregungen aus der amerikanischen Hippiebewegung, der dortigen Selbstkritik an der winzigen technisch-militärisch-ökonomischen Elite, die den ganzen Kontinent beherrschte.

Rachel Carson, Lewis Mumford, Jeremy Rifkin, Noam Chomsky und andere radikale Kritiker des american way of life wurden hier gierig aufgenommen. Petra Kelly war sozialisiert in Amerika. Erst die Vorbilder jenseits des Großen Teichs ermutigten die Deutschen, sich einzureihen in die Ökologiebewegung, die sich von Amerika aus über die Welt verbreitete. Bei uns stand eine ratlose 68er-Bewegung bereit, ihre Desorientiertheit mit Ideen vom Großen Bruder zu kurieren und sich neuen Zielen zuzuwenden.

Doch die unerfahrenen, jungen Grünen standen ratlos in der Manege. Auf der einen Seite hatten sie Angst, ihre Naturparolen könnten denen der Nationalsozialisten ähneln, auf der anderen hatten sie in der Frankfurter Schule kaum etwas von der Errettung der Natur gehört.

Von der Naturphilosophie der Griechen, der Naturverachtung des Christentums hatten sie ohnehin keine Ahnung. Eine grundlegende Philosophie hatten sie nicht zu bieten. Warum verloren die Fundis den Streit mit den Realos im Handumdrehen? Weil sie nichts Elementares zu bieten hatten. Schon gar nicht gegen robuste Rhetoriker wie Joschka Fischer, die nur ein Ziel kannten: an die Macht, ihr sentimentalen Blümchenanbeter.

„Allein das Aussehen ist Zeichen dieses Inneren: selbstgestrickte Pullover, Sandalen aus Leinen oder Rohleder, nein, da wird keiner vom Hang zum Kleider-Luxus getrieben. Sie beschränken sich auf ein Minimaleinkommen, geben das übrige an Ökofonds ab oder für sonst nötige Parteiarbeit.“

So romantisch und naiv kam die früheste „Philosophie der Grünen“ von Manon Maren-Grisebach daher. Eine Auseinandersetzung mit griechischen Kosmosverehrern im erbitterten Streit mit der Naturflucht der Urchristen gab es nicht. So wenig wie mit der berechenbaren, aber sinnenfeindlichen Natur der ersten Wissenschaftler, den Ur- und Abgründen der deutschen Lebensphilosophie oder generell der männlichen Parole: Wissen ist Macht.

Und schon standen christliche Gelehrte bereit, den kopflosen Urgrünen zu Hilfe zu eilen. Der Religionsphilosoph Georg Picht, Carl Friedrich von Weizsäcker, Schüler Heisenbergs, der seine Nazibegeisterung vergessen machen musste, mitsamt all ihren Schülern, hatten das Rüstzeug, um den unbedarften Sandalenträgern das Stichwort zu geben, das sie instinktiv gesucht hatten: Naturrettung ist Bewahrung der Schöpfung.

Nach vielem Umherirren waren die Grünen wieder angekommen in der Sicherheit ihres kindlichen Glaubens – übersetzt in szientifische Weltformeln. Progressive Naturrettung war vereinbar mit uralten Konfirmationssprüchen. Mehr braucht ein Deutscher nicht, der Vernunft und Glauben dialektisch versöhnen will.

Da sie aber ihren Kinderglauben nicht mehr überprüfen wollten, entging ihnen eine Kleinigkeit: die Schöpfungsbewahrung stand auf den ersten Seiten des Schöpfungsberichts:

„Und Gott, der Herr nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaue und bewahre.“

Es war nur die simple Aufforderung, den Garten Eden zu bebauen und zu nutzen.

Ein dogmatischer Auftrag, die Schöpfung vor Unterordnung, Missbrauch und langfristiger Vernichtung zu bewahren, widerspräche den apokalyptischen Aussagen am Ende des Neuen Testaments:

„Es wird aber des Herrn Tag kommen wie ein Dieb; dann werden die Himmel zergehen mit großem Krachen; die Elemente aber werden vor Hitze schmelzen, und die Erde und die Werke, die darauf sind, werden nicht mehr zu finden sein. Wenn nun das alles so zergehen wird, wie müsst ihr dann dastehen in heiligem Wandel und frommem Wesen, die ihr das Kommen des Tages Gottes erwartet und ihm entgegeneilt, wenn die Himmel vom Feuer zergehen und die Elemente vor Hitze zerschmelzen. Wir warten aber auf einen neuen Himmel und eine neue Erde nach seiner Verheißung, in denen Gerechtigkeit wohnt.“

Gott selbst wird die sündige Natur vertilgen und eine ganz neue erschaffen. Das haben die wenig bibelfesten Grünen bis heute nicht verstanden. Das entspricht der deutschen Haltung zur Religion: sie muss sich von selbst verstehen, Näheres will niemand wissen. Man Könnte sagen: bei der Schöpfungsbewahrung der Grünen handelt es sich um eine Synthese aus uraltem Glauben und moderner Wissenschaft – auf dem Boden biblischer Blindheit.

Gewiss, auch die Nationalsozialisten wollten die gefährdete Natur retten. Doch diese Rettung war eingebettet in die christliche Heilsgeschichte, in der das 1000-jährige Reich dem Reich des wiederkehrenden Herrn entsprach.

Hitler verachtete die Vernunft und die rationale Naturverehrung der Gottlosen. Denn er war der Sohn der Vorsehung, auf den die eschatologische Christenheit gewartet hatte. Er war Erfüllung und Ende der „verzögerten Parusie“, die endlich ans Ziel gekommen war.

Mit dem Naturbegriff der Nazis muss sich kein rationaler Naturretter identifizieren. Das hätten die Grünen nur verstanden, wenn sie sich mit der Aufarbeitung der Vergangenheit gründlich beschäftigt hätten.

Ihre Parteitaktik schwankte zwischen Grundsatztreue und immer schmiegsameren Anpassungsformeln, um sich die Chance ihrer Regierungsfähigkeit nicht zu vermasseln. Zwischen notwendigen Kompromissen und kompromissloser Überzeugung gibt es keinen goldenen Königsweg. Hier hilft nur ein gerüttelt Maß an unbestechlicher Authentizität, verbunden mit gesundem Menschenverstand.

Gleichwohl machten die Grünen den Fehler, die Prinzipien ihrer Naturrettung nicht kompromisslos genug dargelegt zu haben. Sie sprachen zu wenig über Grundsätze und agierten zu hilflos, um im entscheidenden Augenblick einer möglichen Machtbeteiligung ihre Chancen zu wahren.

Die arglistige Kampagne gegen Baerbock, angeführt von der grünen-hassenden BILD, entlarvt die wahre Haltung der Deutschen gegenüber allen ökologischen Maßnahmen. Sie müssten offen sein für die Schwierigkeiten einer fundamentalen Veränderung. Doch davor haben sie Angst. Also stürzen sie sich in die Illusion: warum soll sich plötzlich alles ändern, wenn unter der Ägide der Mutter alles wohltuend unverändert bleiben konnte?

Bis gestern betrachteten die Deutschen die Grünen als interessante Salon-Ökologen: nicht alles falsch, was sie zu sagen haben. Doch sie übertreiben maßlos.Mit der Kandidatur Baerbocks aber bemerkte die Bevölkerung, dass die Salon-Grünen tatsächlich an die Macht wollen.

Hier meldete sich ihr emotionales Schutzbedürfnis: nein, wir wollen keine mahnende und belehrende Ersatzmutter. Wir wollen auch weiterhin die Droge eines Mutterfriedens, den wir kennen und dem wir vertrauen.

Baerbock kann tun und lassen, was sie will. In einem Punkt ist sie für das deutsche Gemüt unerträglich: sie ist nicht Merkel.

Fortsetzung folgt.