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nichtsdesto-TROTZ XIX

Tagesmail vom 19.05.2021

nichtsdesto-TROTZ XIX,

im israelisch-palästinensischen Konflikt werden die universellen Menschenrechte verleugnet.

Bedingungslose Loyalität einem Staat gegenüber ist ein Wechsel von allgemein gültigen Werten zu partikularen Rechten einer bevorzugten Menschengruppe. Loyalitäten müssen sich an allgemeinen Normen messen lassen.

Wer sich universellen Rechten verpflichtet fühlt, ist loyal zu allen Menschen und Nationen. Besondere Gelöbnisse erübrigen sich.

Wer die Rechte einer partikularen Gruppe höher einschätzt als die allgemeinen aller Menschen, hat das Fundament der Demokratie verlassen. Er nimmt Abschied von der Aufklärung und kehrt zurück in das Reich der Erlöserreligionen, in denen die Menschen in Selige und Verdammte gespalten werden.

Der theokratische Kern ist das Fundament aller modernen totalitären Staaten. In Platons Faschismus gab es keinen Gott, der die Menschheit spaltete, sondern weise Philosophen, die sich unfehlbar berechtigt fühlten, widerspenstige Untertanen zum Tode zu verurteilen.

Platon wurde zum Vorläufer des Christentums und Lieblingsphilosophen der Deutschen. Von beiden Seiten fühlten sie sich berechtigt, einen Sohn der Vorsehung zum gottgleichen Herrn über Leben und Tod zu erheben.

Christentum, Judentum und Islam sind drei Erlöserreligionen, deren Kern die Gleichheit aller Menschen verleugnet und die Sonderrechte ihrer Gläubigen behauptet. Wenige werden am Ende der Geschichte gerecht gesprochen, die Masse der Menschheit wandert ins Feuer.

„Nicht für die Welt bitte ich, sondern für die, welche du mir gegeben hast. Sie sind nicht aus der Welt, wie ich nicht aus der Welt bin.“

„»Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig; und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich.« So liegt es nun nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen. So erbarmt er sich nun, wessen er will, und verstockt, wen er will. Nun sagst du zu mir: Was beschuldigt er uns dann noch? Wer kann seinem Willen widerstehen? Ja, lieber Mensch, wer bist du denn, dass du mit Gott rechten willst? Spricht etwa ein Werk zu seinem Meister: Warum hast du mich so gemacht? Hat nicht der Töpfer Macht über den Ton, aus demselben Klumpen ein Gefäß zu ehrenvollem und ein anderes zu nicht ehrenvollem Gebrauch zu machen?“

„Es ist zwar ein furchtbarer Ratschluß (decretum horribile), das gebe ich zu; aber dennoch wird niemand leugnen können, daß Gott, bevor er den Menschen erschuf, zuvor gewußt hat, welchen Ausgang er nehmen würde, und daß er dies eben darum vorauswußte, weil er es in seinem Ratschluß so bestimmt hatte!“ (Calvin)

Es zeugt von außerordentlicher Dreistigkeit der Christen, die Menschenrechte aus der brutalen Spaltung der Menschen in Erwählte und Verdammte abzuleiten.

„Durch die Erwählung wurde die menschliche Würde fest begründet. Nichts konnte stärker wirken als die Lehre von der Imago Dei, der Gottebenbildlichkeit des Menschen. Aus ihr ließen sich Freiheit und Gleichheit aller ohne Einschränkung ableiten.“ (Gerhard Oestreich, Geschichte der Menschenrechte …)

Wenn Gottebenbildlichkeit bedeutet, einem Gott ähnlich zu sein, dessen Heilsgeschichte für die Mehrheit seiner Geschöpfe in ewiger Unseligkeit endet, dann ist sie der Tod aller Menschenrechte.

Woher kommt es, dass christliche Theologen mit bestem Wissen und Gewissen lügen dürfen, dass sich die Balken biegen? Weil alle Sünden gestattet sind, die der Gewinnung der Seligkeit dienen:
„Wenn aber die Wahrhaftigkeit Gottes durch meine Lüge noch erhöht worden ist zu seinem Ruhm, warum werde ich dann noch als Sünder gerichtet?“

Oestreich kennt keinerlei Hemmungen, das Gegenteil der Wahrheit als Wahrheit auszugeben:

„Stellt man für das heidnische Altertum die abschließende Frage, ob es „Menschenrechte“ gekannt hat, so kann diese nicht bejaht werden.“ (ebenda)

Man vergleiche diese Geschichtsfälschungen mit Äußerungen eines Stoa-Experten:

„Scharf weist Eratosthenes die Scheidung des Menschen in Griechen und Barbaren, wie sie Aristoteles vertrat, als völkische Anmaßung zurück. Für Aristoteles war es noch ein Dogma, dass Barbaren geistig minderwertiger und von Natur aus zur Versklavung bestimmt seien. Die Stoa stellte ihm den Satz entgegen, der dann von römischen Juristen aufgenommen wurde und sich später im Abendland durchsetzte: „Von Natur ist kein Mensch Sklave; alle sind zur Freiheit geboren.“ (Pohlenz, Die Stoa)

„Der grandiose Zug dieser stoischen Ethik, welche zur sittlichen Autonomie fortschreitet, hat ihr den stärksten und dauerndsten Einfluss verschafft, den je eine philosophische Ethik hat erringen dürfen.“ (Dilthey)

Der Kern aller drei Erlöserreligionen ist totalitär. Was nicht bedeutet, alle Anhänger dieser Religionen seien faschistische Terroristen. Im Laufe der Neuzeit haben sich die großen Mehrheiten einem intuitiven Humanismus zugewandt. Da sie sich aber noch immer als Anhänger dieser Religionen bekennen, setzen sie sich dem Verdacht aus, die totalitären Vertreter ihrer Religion – die sich vom Wortlaut ihrer heiligen Texte nicht lösen – zu schützen. Den meisten liegt das ferne, dennoch bringen sie nicht den Mut auf, sich auch offiziell von ihrer Religion zu trennen. Sei es aus Angst vor Repressalien, sei es aus falsch verstandener Solidarität.

Das führt uns zur brisanten Frage; gibt es einen importierten, islamischen Antisemitismus?

Traditionell waren Mohammedaner keine hasserfüllten Judenfeinde. Weshalb europäische Juden, auf der Flucht vor christlichen Pogromen, in islamische Länder zu flüchten pflegten. Dort waren sie zwar nicht gleichberechtigt, konnten aber friedlich ihres Glaubens leben. Warum sollte sich das geändert haben?

Den Deutschen kommt es gerade recht, dass die größten Horden wutschnaubender „Antisemiten“ keine Deutschen sind. Damit sind sie nicht wenig entlastet. Was völlig unterging, ist, dass der „importierte Antisemitismus“ keine religiösen Gründe hat, sondern rein politische. Die Juden haben ihnen Land weggenommen, ihr palästinensisches Brudervolk unterdrückt und sich zu einer gefährlichen atomaren Nation entwickelt.

Der Hass der Moslems gegen Juden wendet sich gegen politische Gegner, von denen sie sich bedroht, gedemütigt und schikaniert fühlen. Mit religiösem Antisemitismus hat das Ganze nichts zu tun. Die Probe aufs Exempel als Gedankenexperiment: würde Israel sich als friedlicher Verbündeter seiner Nachbarn darstellen, verwandelte sich die gegenwärtige Kollektivwut in Wohlgefallen.

Emanzipierte Mohammedaner kritisieren zurecht die Deutschen, dass sie den terroristischen Kern des Islam weder sehen noch bekämpfen wollen. Aus Angst, das eigene Christentum unter die Lupe nehmen zu müssen, hat sich die deutsche Multikulti-Gesellschaft einer falschen Toleranz ergeben. Sie verbietet sich jede Religionskritik, um ihren eigenen Glauben zu schonen.

Gleichzeitig gilt, dass Kritiker des gewalttätigen Islam die beiden anderen Erlöserreligionen zu schonen pflegen. Das bestärkt die erschlichene Überlegenheit der Deutschen, dass ihr christlicher Glaube längst alle faschistischen Elemente abgestoßen habe.

Ein Blick auf die fundamentalistischen Christen in Amerika und die ultraorthodoxen Juden in Israel könnte uns das Gegenteil lehren. Doch über diese heiklen Themen wird hierzulande das Tuch des Schweigens gebreitet. In Deutschland gibt es keine Religionskritik.

Die heiligen Schriften strotzen von Widersprüchen. Die Frommen zitieren gern ethisch wohl klingende Stellen, ihre Gegner die gewaltverherrlichenden. Welche Methode ist legitim?

Wenn ein Mensch Liebe wie Hass predigt: was wird ihn davon zurückhalten, seine Feinde zu drangsalieren? Die Pflichten zur Liebe? Wenn Hass genau so legitim ist wie Liebe, wird Liebe reserviert für untergeordnete Zwecke, der Hass gegen Feinde aber auf keinen Fall verboten.

Das führt zur Auffassung, Hass sei nicht weniger legitim als Liebe. Also gibt es keine Pflicht, Hass zugunsten von Liebe einzustellen. Schreckliches Beispiel: die Deutschen. Als sie ihre Todfeinde, die Juden, millionenfach töteten, hatten sie stets das Gefühl, aus Liebe zu Mensch und Natur zu handeln. Wenn Hass gleichberechtigt ist mit Liebe, rückt er dieser immer näher, bis er mit ihr eins geworden ist.

Die Bibel hat mancherlei Anwandlungen zu ethisch klingenden Äußerungen. Der Ablauf ihrer Heilsgeschichte aber ruiniert jede Menschenliebe. Ein Schöpfer, der seine gesamte Schöpfung mit den meisten seiner Geschöpfe der höllischen Plage überlässt, kann kein liebender Gott sein. Das apokalyptische Ende hat das letzte Wort.

Der Streit um Israel und Antisemitismus ist ein unerklärter Streit um universelle Menschenrechte. Gelten in der Bewertung der israelischen Landnahme-Politik die Maßstäbe der Völker- und Menschenrechte – oder haben die Normen der Aufklärung zu schweigen, wenn es um heilige Dinge der Religion geht?

Die Besetzung palästinensischer Gebiete in den letzten Jahrzehnten ist für Ultraorthodoxe, die zunehmend die israelische Politik dominieren, nichts weniger als heilige Landnahme. Vor 1000en von Jahren hatte Jahwe ihnen das paradiesische Land versprochen. Da Gottes Wort nicht veraltet, gilt die Verheißung für immer, zumal die Zeiten sich dem Ende nähern, an dem Gott alles in allem sein wird:

„Und der HERR wird König sein über alle Lande. An jenem Tag wird der HERR der einzige sein und sein Name der einzige. Und das ganze Land wird verwandelt werden. Und dies wird die Plage sein, mit der der HERR alle Völker plagen wird, die gegen Jerusalem in den Kampf gezogen sind: Ihr Fleisch lässt er verwesen, während sie noch auf ihren Füßen stehen, und ihre Augen werden in ihren Höhlen verwesen und ihre Zungen werden in ihrem Mund verwesen. Und es werden eingesammelt die Güter der Völker ringsumher: Gold, Silber und Kleider über die Maßen viel. Und alle, die übrig geblieben sind von allen Völkern, die gegen Jerusalem zogen, werden jährlich heraufkommen, um anzubeten den König, den HERRN Zebaoth, und um das Laubhüttenfest zu halten.“

Das sind religiöse Visionen der Frommen, die sie mit Hilfe des israelischen Staates in politische Realität zu verwandeln gedenken. Die Palästinenser, schon lange Zeit vor der israelischen Staatenwerdung dort ansässig, sind störende Elemente, die vertrieben oder unterdrückt werden müssen. Netanjahu hat sich diese Visionen zu eigen gemacht. Ob aus religiöser Überzeugung oder reinem Machthunger ist irrelevant.

Nach universellen Völker- und Menschenrechten ist Landnahme ein Verbrechen. Nach Überzeugung der Ultraorthodoxen ein göttliches Privileg.

Da göttliche Gebote nur für diejenigen gelten, die an diesen Gott glauben, kann religiöse Ethik keine universelle sein. Sie kann nur eine partikulare Pflicht sein. Gläubigen ist es gleichgültig, was Heiden von ihrer partikularen Ethik halten. Sie verachten universelle Rechte, für die alle Menschen gleich sind. Für Erwählte sind nichterwählte Menschen weder gleich noch gleichberechtigt.

Der ideologische Kern der Auseinandersetzung um Israels Politik bleibt ein öffentliches Geheimnis.

Dabei tobt der Kampf zwischen universeller und partikularer Ethik schon seit Abkehr der amerikanischen Politik von der UN-Charta mit ihren universellen Rechten.

Diese Abkehr begann in jener Zeit, als die amerikanisch-jüdischen Neocons das Bündnis mit den Evangelikalen suchten, denen die heidnischen Gesetze der UN schon lange ein Ärgernis waren.

„Der Neokonservativismus hat sich seit Ende der 1960er Jahre zu seiner heutigen Gestalt entwickelt. Fundamentale Merkmale des Konservatismus wie die Vorrangigkeit von Familie, Heimat, Staat und Nation sowie die Betonung von Religion sind auch dem Neokonservatismus eigen.“ (K. M. Kodalle, Gott und Politik in USA)

Die fundamentalistischen Strömungen aus Christen- und Judentum schlossen sich zusammen, um dem „heidnischen Universalismus“ den Abschied zu geben.

„Kristol versucht, mit aller Gewalt, in die Schuhe der Evangelikalen zu schlüpfen. Ihm zufolge hängt das erstarkte Selbstbewusstsein der Juden mit einer Abwendung vom „universalistischen säkularen Humanismus“ zusammen. Die Juden werden „jüdischer“; merkwürdigerweise scheinen sie sich zu wünschen, dass die Christen „christlicher“ werden. Die Wende zur höheren Wertschätzung religiöser Identität sei zu verstehen als Reaktion auf „eine tiefgreifende moralische und spirituelle Krise, die die gesamte westliche liberal-säkulare Mentalität erfasst hat. Die Neocons bestehen darauf, dass Politik und Recht durch transzendente Werte abgestützt werden. Säkulare Legitimationen zur Orientierung des Gemeinwesens sind unzulänglich, wenn es um das Überleben der Demokratie geht.“ (ebenda)

Viel früher als Deutschland spürte Amerika die Verfallszeichen der Nachkriegsdemokratie. Wenn Gefahr ist, wächst das Rettende auch: die Rückkehr an die Hand Gottes. Sie ist unvereinbar mit der Dominanz heidnischer Denkweisen.

Zurück zur Bibel. Diese Parole war zugleich eine ermutigende Geste an die Ultraorthodoxen in Israel, dem atheistischen Zionismus den Fehdehandschuh hinzuwerfen. Mit vollem Erfolg, wie man heute sehen kann. Der junge Staat Israel hat seine religionsfeindliche Gründeratmosphäre ins Gegenteil verkehrt. Die neue Besatzungspolitik wurde begründet mit biblischen Verheißungen, universelle UN-Normen wurden verächtlich macht.

Dennoch blieb der Gleichklang zwischen christlichen und jüdischen Frommen oberflächlich. Die Amerikaner hofften auf eine baldige Wiederkehr ihres Herrn. Um Ihm den Weg zu bereiten, sollten die Juden zuerst zum christlichen Glauben konvertieren. Darauf warten die christlichen Fundamentalisten bis heute – vergeblich. Hier sammelt sich im Untergrund ein gefährliches antisemitisches Potential. Heute Verbündete, morgen erbitterte Feinde.

Die Regression konnte sich auf gewichtige Teile der amerikanischen Gründerszene berufen, die aus antiken Vorbildern und biblischen Grundsätzen bestand.

„Welch großen Einfluss man auch immer einer verbesserten Erziehung … einräumen mag, so sprechen doch Vernunft und Erfahrung gegen die Annahme, die Moralität in der Nation könne unter Ausschluss religiöser Prinzipien gedeihen.“ (George Washington in seiner Abschiedsrede)

Das klingt wie der „Gottesbezug“ der deutschen Verfassung und die Böckenförde-Doktrin, dass Werte der Demokratie nur durch religiöse Fundierung gesichert werden könnten. Deutschlands Verfassung ist ein undurchdachtes Plagiat der amerikanischen. Aus eigenen Traditionsbeständen hatte sie (fast) nichts zu bieten, um die junge Demokratie aufzubauen.

Was Tocqueville den Amerikanern konstatierte, könnte er heute den Deutschen attestieren. Er war sich sicher, „dass alle Amerikaner tief davon überzeugt sind, dass ein religiöser Glaube unerlässlich ist für die Aufrechterhaltung der republikanischen Institutionen.“ (ebenda)

Was sind universelle Rechte?

„Universalität im Menschenrecht steht für Allgemeingültigkeit. Das heißt, dass die Menschenrechte überall und für alle Menschen jederzeit gültig sind. Sie stehen als Naturrecht über jeglichem positiven Recht und sind damit unabhängig von sowie in ihrem Wesensgehalt unantastbar durch staatliche Gesetzgebung.“

Wer sich auf Religion beruft, beruft sich auf partikulare Rechte. Sie gelten nur für Gläubige und Erwählte. Gottes Gebote richten sich wohl an die ganze Menschheit. Aber mit diametral auseinander klaffenden Konsequenzen. Ungläubigen werden sie zur Verdammung angerechnet, weil sie die Gebote nicht erfüllen. Den Frommen sind sie ein Fanal ihrer Erwählung. Denn nur Erwählte sind in der Lage, die Forderungen des Herrn per Gnade zu erfüllen. Gottes Wort ergeht an alle, aber nur, um die Frommen selig zu machen und die Ungläubigen ewig zu bestrafen.

„Aber ich sage euch: Viele werden kommen von Osten und von Westen und mit Abraham und Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tisch sitzen; aber die Kinder des Reichs werden hinausgestoßen in die äußerste Finsternis; da wird sein Heulen und Zähneklappern.“

Seit seiner jüngsten Landnahmepolitik hat sich Israel von der UN und deren universalistischer Ethik verabschiedet. Vorwürfe, dass seine imperiale Politik gegen Menschen- und Völkerrechte verstoße, kontert Jerusalem mit eiskalter Gegenattacke: ethisch dekorierter, in Wirklichkeit unverhüllter Antisemitismus.

Als die Kanzlerin ihre bedingungslose Loyalität erklärte, verließ sie mit einem Fuß das Terrain universalistischer Menschenrechte und betrat den Geltungsbereich des Heiligen, das sich zum Despoten der Politik erklärt. Mit der EU äußert sie kraftlose Floskeln, die sie mit ihrem ganzen Verhalten ad absurdum führt.

Der Kampf gegen Antisemitismus wird in Deutschland nicht ernst genommen. Kein Mensch weiß, wogegen er kämpfen soll. Erst wenn es zu Gewalttaten kommt und die Juden wieder einmal auf gepackten Koffern sitzen müssen, atmen die Regierenden auf. Jetzt können sie den Kampf mit aller Härte des Gesetzes der Polizei und Justiz übergeben.

Der SPIEGEL zitiert die Definition des Antisemitismus -Beauftragten Samuel Salzborn:

„Auf der Verstandesebene wird hier zwar meist historisch kundig über Nationalsozialismus und Antisemitismus reflektiert, dennoch gibt es auch hier, wie es vorgestern Abend der Berliner Antisemitismus-Beauftragte Samuel Salzborn in den »Tagesthemen« formulierte, leider doch und leider unbewusst »Erinnerungsabwehr, Schuldabwehr«, also eine »Nicht-Bereitschaft, die Schoa zu thematisieren, gerade auch in den eigenen Familiengeschichten«.“ (SPIEGEL.de)

Bedenkenswerte Punkte, die Salzborn erwähnt. Doch jetzt muss die Frage gestellt werden: Wenn wir Schuld- und Erinnerungsabwehr als Grundlagen des Antisemitismus akzeptieren: wer wäre dann Antisemit? Antwort: fast alle deutschen Edelschreiber, die nichts mehr von Schuld halten und fast alle Intellektuellen, die von objektiver Wahrheit und Erinnerungsarbeit nichts wissen wollen.

Die Dogmen der Gegenwart lauten: nicht nach hinten schauen, Vergangenheit ignorieren; die Zukunft ist das Land unserer Sehnsucht. Jeder Tag beginnt am Punkte Null, eine Vergangenheit, die unsere Gegenwart prägt, gibt es nicht.

Desgleichen wird jegliche Schuld als Ursachenerforschung verabscheut:

„Schuld. Was für ein kurzes, hässliches Wort. So hässlich und kurz wie all die Verkürzungen, die mit dieser archaischen Idee einhergehen. Natürlich hat das Schuldprinzip in manchen Lebensbereichen eine Berechtigung, im Gerichtssaal etwa. Allerdings greift offenkundig das Denken um sich, dass so ziemlich alle Missstände durch Schuldzuweisungen aufzulösen seien, so als bestünde die Welt nur aus Schuldigen und Unschuldigen, aus Schuldsprüchen und unentschuldbaren Fehltritten, aus Schuldnern und Umschuldungen. Inzwischen bröselt dieser gesellschaftliche Kitt jedoch, das Schuldprinzip ist in den Vereinsheimen, Facebook-Gruppen und Wohnzimmern der Republik längst angekommen.“ (SPIEGEL.de)

Nähmen wir Salzborns Kriterien ernst, läge der gärende Sumpf des Antisemitismus nicht an den Rändern, sondern in der Mitte der Gesellschaft: bei gebildeten Eliten und Repräsentanten der Politik. Erinnerungskultur gibt es nicht, das Prinzip Schuld wird ausgemustert.

Hass gegen die Juden ist unvereinbar mit einer vitalen Kultur universeller Humanität. Die Bedingung aller prophylaktischen Vermeidung des Antisemitismus wäre die Rehabilitation der allgemeinen Menschheitsethik, verbunden mit rigoroser Kritik an jeder partikularen Religionshybris.

Antisemitismus kann nur bekämpft werden, wenn Juden nicht länger als Menschen zweiter Wahl oder Schuldige an allen Übeln der Welt verfolgt werden.

Auch der deutsche Antisemitismus gründete in einer partikularen Religionsethik: völkische Christen wollten selbst das auserwählte Volk sein, weshalb die Juden aus der Geschichte verschwinden mussten.

Antisemitismus gehört zu jenen partikularen Verirrungen, mit denen sich selbsternannte Erwählte befugt fühlen, andere Menschen als Untermenschen auszuschließen.

Wer gegen Judenhass kämpfen will, muss bedingungslos eintreten – für universelle Menschheitsrechte.

Fortsetzung folgt.