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nichtsdesto-TROTZ XIV

Tagesmail vom 07.05.2021

nichtsdesto-TROTZ XIV,

wird es eines fernen Tages einen Weltfreudentag geben?

Einen Tag der Freude für alle Naturwesen, die nach langer Fron befreit aufatmen, und für alle Menschen, die ohne Angst und Sorgen sich ihrer Erdentage erfreuen können?

Keinen Himmel auf Erden, sondern eine Erde ohne Himmel, die aus eigener Kraft das Leben hienieden mit Freudenfesten und Glücksgefühlen feiern kann?

Welttage gibt es für alles: Welttag der Arbeit, der Gesundheit, der Musik. Der entscheidende, alles zusammenfassende, alle Menschen beglückende Tag fehlt: der Weltfreudentag.

Welch eine trügerische Vision für alle, die an einen jenseitigen Himmel glauben, an einen zukünftigen Garten Eden im Weltall für eine Handvoll Milliardäre.

Melinda Gates, die feinfühlige Menschenfreundin, ertrug ihren Bill nicht länger, der mit seinen Guttaten noch immer reicher werden wollte. Im Traum war ihr der Herr begegnet, der ihr das Gleichnis vom Jüngling erzählte:

„Eines fehlt dir. Geh hin, verkaufe alles, was du hast, und gib’s den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben, und komm, folge mir nach! Er aber wurde betrübt über das Wort und ging traurig davon; denn er hatte viele Güter. Und Jesus sah um sich und sprach zu seinen Jüngern: Wie schwer werden die Reichen in das Reich Gottes kommen.“

Wochenlang konnte Melinda solidarisch mit den Notleidenden in Afrika zusammenleben, doch eine Vorstellung marterte sie unentwegt: was, wenn eine Delegation dieser Hungernden und Elenden eines Tages vor den Pforten ihrer Traumvilla in Medina erschiene, um Einlass zu begehren, weil die Vielen nirgendwo einen Platz fänden, um ihr Haupt hinzulegen? Müsste sie dann nicht den Fehler des reichen Jünglings vermeiden, um den Forderungen ihres Herrn gerecht zu werden?

Sie wusste, wie es schon Amerikanern schwer fiel, die Schwelle ihres pompösen Hauses zu überschreiten:

„»Es ist für fast alle Leute schwer, in mein Haus einzutreten«, hat Melinda Gates einmal gesagt. Sie meinte damit die Erfahrung, dass etwa Freunde ihrer drei Kinder oder andere Normalsterbliche zu Besuch kommen und eingeschüchtert an der Pforte ihres 6000-Quadratmeter-Anwesens in Medina bei Seattle klingeln. Damit sich Besucher wohlfühlen beim Eintritt in ihr Haus, so hat Melinda Gates erzählt, sei zuweilen eine gewisse Annäherungszeit notwendig. Ein Übergangsritual. Manchmal setze sie sich also mit den Ankömmlingen in die Eingangstür, in Yoga-Pants und ohne Make-up, rufe den Haushund dazu, man streichle denselben zusammen, »bis wir wirklich eine Gemeinschaft sind«. Sie sagt: »Ich muss mehr tun, um solche Barrieren einzureißen.«“ (SPIEGEL.de)

War sie konsequent und glaubwürdig genug im Erweis ihrer Nächstenliebe? Oder betrog sie sich selbst mit dürftigen Almosen – auch wenn diese gigantisch erscheinen mochten, verglichen mit Liebesgaben von Normalsterblichen?

Bill hatte ihr religiösen Perfektionszwang vorgehalten, sie würde allmählich den Kontakt mit der Realität verlieren. Hatte er nicht Recht? Oder war er es, der die mahnende Stimme des Herrn nicht hören wollte?

„Jesus antwortete wiederum und sprach zu ihnen: Liebe Kinder, wie schwer ist’s, ins Reich Gottes zu kommen! Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher ins Reich Gottes komme. Sie entsetzten sich aber noch viel mehr und sprachen untereinander: Wer kann dann selig werden? Jesus sah sie an und sprach: Bei den Menschen ist’s unmöglich, aber nicht bei Gott; denn alle Dinge sind möglich bei Gott.“

War das kein Todesurteil über ihre guten Taten, die – so Bill – niemals einen Spitzenplatz unter den Reichsten der Welt gefährden dürften?

Das einstige Vorzeigepaar stand vor der Urfrage des Evangeliums: predigte die Frohe Botschaft Reichtum – oder Armut, um selig zu werden?

Obwohl römisch-katholisch, hatte Melinda schon immer die lutherische Absage an jede Werkgerechtigkeit präferiert. Nicht die größten Liebestaten würden sie in den Himmel bringen, sondern allein die bedingungslose Gnade.

Bill hingegen blieb hartnäckig bei seinem amerikanischen Calvinismus:

„Die Prädestination lässt sich zwar nicht positiv beeinflussen, drückt sich jedoch im Diesseits durch Erfolg aus.“

Benjamin Franklin blieb Bills lebenslanges Vorbild:

„Siehst du einen Mann rüstig in seinem Beruf, so soll er vor Königen stehen.“ „ Im Hause des Frommen ist großer Reichtum, das Einkommen des Gottlosen aber wird zerrüttet.“ „Reichtum verschafft viele neue Freunde, aber der Arme wird von seinem Freunde verlassen.“ „Der Arme ist auch seinem Nächsten verhasst, der Reiche aber hat viele Freunde.“ „Dem Reichen sind seine Güter eine feste Burg, den Dürftigen wird ihre Armut zum Verderben.“ „Lässige Hand bringt Armut, fleißige Hand schafft Reichtum.“ „Wie lange willst du noch liegen, du Fauler, wann willst du aufstehen von deinem Schlafe? Geh hin zur Ameise, du Fauler, betrachte ihre Weise dass du klug werdest.“ „Denn jedem, der hat, wird gegeben werden, und er wird Überfluss haben: dem aber, der nichts hat, wird auch das genommen, was er hat.“

Die Ehe von Melinda und Bill musste scheitern an der Unvereinbarkeit von Luther und Calvin. Amerika ist tief zerrissen, nicht nur zwischen demokratischer Vernunft und Erlösungsglauben, sondern zwischen unvereinbaren Auslegungen der Heiligen Schrift. Schrecklich anzusehen, wie fromme Reiche seelisch darben müssen, weil sie nicht wissen können, ob ihr Reichtum schriftgemäß ist.

Nun überlegt Melinda, ihren gesamten Reichtum den Armen zu geben und den Milliardären das Evangelium der bedingungslosen Armut zu predigen. Wahre Not ist kein Mangel an äußeren Gütern, sondern Mangel an Gerechtigkeit der Reichen.

Wahre Freude, so wird sie ihnen vermitteln, besteht nicht im Horten des Mammons, sondern sie „… freut sich nicht der Ungerechtigkeit, sondern freut sich mit der Wahrheit.“ „Die Fröhlichen, als freuten sie sich nicht, und die Kaufenden, als behielten sie es nicht.“ „Jetzt freue ich mich in den Leiden für euch.“ „Freuet euch, dass ihr mit Christo leidet.“

Freude besteht im Leiden, nur Leiden führt ins Himmelreich. Freut euch, wenn man euch malträtiert, denn der Weg zur Seligkeit ist ohne Kreuz undenkbar.

Die Begriffe der Welt werden ins Gegenteil verkehrt. Doch unter dem Deckmantel der Unverträglichkeit werden die Gesetze der Welt unverändert übernommen. Leiden ist die Maske des künftigen Triumphs, Demut die Maske der Hybris, die Letzten werden die Ersten sein. „Welcher will groß werden unter euch, der soll euer Diener sein.“

Das Christentum stellte die Machtgesetze der Welt auf den Kopf, um sie unter falschen Namen erst recht zur Geltung zu bringen. Die Umwertung der Werte war nur ein Trickunternehmen, um die Welt mit einer neuen Moral zu verblüffen, aber mit uralten Machtmethoden unter ihre Kontrolle zu bringen. Nietzsche durchschaute nicht das Manöver der „Kontrafaktur“, die die Welt mit neuen Losungen und Formeln beeindrucken will und sie doch mit purer Gewalt domestiziert.

Die Deutschen durchschauen diese Tricks bis zum heutigen Tage nicht, weshalb sie einer Pastorentochter auf den Leim gingen, die überhaupt keine politischen Grundsätze hatte, sondern nur auf die fahrende Kutsche aufsprang:

Hoch auf dem gelben Wagen
sitz ich beim Schwager vorn.

ich möcht so gerne noch schauen,
aber der Wagen der rollt.

Ich blieb so gern bei der Linde,
aber der Wagen der rollt.

Was auch immer sie gewollt hätte: es war belanglos. Der rollende Wagen entschied. Wichtig war nur, die Ziellosigkeit durch scheinbare Geschäftigkeit hinter demütiger Maske zu präsentieren. Das gelang perfekt, die Deutschen brauchten zur Beruhigung ihres erregbaren Gemüts nur eine willfährige Jasagerin.

Erst Corona entzauberte das magische Spektakel. Nun müssen die Deutschen sich schämen, warum sie einer frommen Komödiantin aufsaßen.

„Nach 16 Jahren Kanzlerschaft gleicht die Bundesrepublik im internationalen Vergleich einer digitalen Wüste. Dass der Modernisierungsbedarf Deutschlands tatsächlich enorm ist, hängt zwangsläufig mit dem CDU-geprägten vergangenen Jahrzehnt zusammen, das eins der abwartenden Bräsigkeit war. Schönen Gruß an die Bundeskanzlerin! Dass Wohnen für viele längst zur Armutsfalle geworden ist, zumindest in den Städten, sollte eines der Kernthemen dieses Bundestagswahlkampfes sein. Es ist die vielleicht größte soziale Frage der Gegenwart.“ (SPIEGEL.de)

Corona enttarnte Deutschland zur Kenntlichkeit. Welche Probleme gibt es nicht, die sträflich vernachlässigt wurden? Zwei, drei gute Taten zu Tarnzwecken, das Große und Ganze zur Ruhigstellung der Nerven führt blind ins Verderben.

Fromme Maskenträger sind die gefährlichsten. Deutschland steht vor der unangenehmen Aufgabe, aus dem Schlummer der rasenden Beschleunigung aufzuwachen und sich ans desillusionierende Tageslicht zu gewöhnen.

Seit dem Mittelalter hatte sich das Abendland die Kunst der frommen Kontrafaktur in allen Variationen angeeignet. Alles Heidnische, das ihnen nützlich erschien, wie Menschenrechte und Demokratie, stilisierten sie um in Erkenntnisse des Heiligen.

Auch in der Musik. Die Freude des Lebens wurde Amor geraubt und dem Herrn übergeben:

In dir ist Freude in allem Leide,
o du süßer Jesu Christ!

Wenn wir dich haben, kann uns nicht schaden
Teufel, Welt, Sünd oder Tod;
du hast’s in Händen, kannst alles wenden,
wie nur heißen mag die Not.

„Dieser klassische Fall einer „Kontrafaktur“ (geistliches Lied nach einem weltlichen und auf dessen Melodie gedichtet) verbirgt hinter seiner fröhlichen Oberfläche manche Überraschung. Vorlage ist das italienische Tanzlied „A lieta vita amor ci invita“ („Zum fröhlichen Leben lädt Amor uns ein“). Nun lädt uns Christus nicht nur zum fröhlichen Leben, sondern auch zur „Freude in allem Leide“, ja zum fröhlichen Sterben ein. „An dir wir kleben in Tod und Leben“, lautete es im zweiten Teil der ersten Strophe ursprünglich, und die Zeile „nichts soll uns scheiden“ verweist auf die Stelle im 8. Kapitel des Römerbriefs, wo Paulus nach allen anderen „Gewalten“ zuletzt auch dem Tod die Macht abspricht, uns von Gott zu trennen. Die Melodie zeigt alle Eigenschaften unterhaltsamer Tanzlieder jener Zeit. In der Spannung zum hintergründigen Text entsteht so eine Art „Totentanz“, der dem Grauen des Todes eine geradezu trotzige Fröhlichkeit gegenüberstellt.“

Freuet euch im Herrn heißt auf Starkdeutsch: Seid bereit für Katastrophen und Strafaktionen Gottes. Aus dem heidnischen Amor und einem fröhlich ausgelassenen Tanzlied wird eine Rechtfertigung irdischen Leids. Orwells 1984 war eine Beschreibung der Zukunft – als lineare Fortsetzung der letzten 1000 Jahre, in denen sich die Kirche betrügerisch heidnische Erkenntnisse aneignete, um sie als eigene Erzeugnisse zu präsentieren.

Schillers Freude schlägt andere Töne an. Freude wird zur kosmopolitischen Verbundenheit der „Millionen“ dieser Welt – wenngleich es ohne Vater im Himmel noch immer nicht geht. Freude wird zum Band, das die Menschen mit der Natur verbindet:

Freude, schöner Götterfunken,

Seid umschlungen Millionen!
Diesen Kuß der ganzen Welt!
Brüder – überm Sternenzelt
muß ein lieber Vater wohnen.

Freude trinken alle Wesen
an den Brüsten der Natur,
Alle Guten, alle Bösen
folgen ihrer Rosenspur.

Wollust ward dem Wurm gegeben,

Freude heißt die starke Feder
in der ewigen Natur.

Allen Sündern soll vergeben,
und die Hölle nicht mehr seyn.

Selbst die Bösen werden am Busen der Freude genährt, die Hölle aber wird getilgt. Das war ein echter Fortschritt, wenngleich noch immer in frommer Dekoration.

Europa nimmt seine Hymne nicht ernst. Das wird die Staatengemeinschaft langfristig zerbrechen. Nur wenn die Nationen lernen, in gemeinsamer Freude Feste zu feiern, wird keine fremde Macht ihre Zusammengehörigkeit zerbrechen.

BILD feiert das absehbare Ende der Pandemie. Aber nicht in Freude, sondern in nationalem Stolz: wir haben es geschafft, wir haben es besser geschafft als erwartet, als unsere Nachbarn und Konkurrenten. Deutscher Stolz ist keine Freude über die eigene Leistung, sondern stets ein zwanghafter Vergleich mit anderen. Erst waren wir schlechter als andere und mussten uns schämen, jetzt haben wir wider Erwarten doch noch unsere alte Überlegenheit zurückerobert. Jetzt können wir auf den Putz hauen. Deutsch sein, heißt den Völkern der Welt überlegen sein.

„Das hat nicht irgendwer, das haben WIR geschafft. Voran Impfstoff-Forscher, Ärzte und Pfleger. Aber auch ein jeder von uns. WIR haben zusammengehalten, uns gegenseitig geschützt. Wir können stolz sein. Jeder Einzelne für sich. Und wir als Land.“ (BILD.de)

Werden die Deutschen ein ausgelassenes Fest feiern, wenn Corona besiegt sein wird – um mit frischen Kräften die Klimaprobleme anzugehen? Kann man sich die ausgelaugte Kabinettsriege im lachenden und überschäumenden Reigen vorstellen?

Die Medien vorneweg werden sich in emotionsfeindliche Posen werfen, um ihre staatsmännische Pflicht nicht leichtsinnig über Bord zu werfen. Und was ist ihre Pflicht? Trostlos beschreiben, was ist und sich nicht gemein machen mit kindischen Gefühlen. Noch nie war die Situation so bitter ernst.

Woher kommt die Aversion gegen das sinnliche Leben? Wenn wider Erwarten Emotionen geäußert werden, dann nur über das Böse: Entsetzen und Empörung über schreckliche Ereignisse. Trauer kommt nur vor als Trauergottesdienste der Kirchen. Gottlose Trauer oder Freude ist bereits ein Anschlag gegen den Gottesbezug in der Verfassung.

Starke Gefühle gehören nicht zum Bestand dessen, was ist. In ihrer Feindschaft gegen das Sinnliche sind Gazetten die Plagiatoren der quantitativen Naturwissenschaften. Ein Kenner der Geschichte spricht vom „Verbrechen“ Galileis:

„Durch seine Konzentration auf Quantität hat Galilei die reale Welt der Erfahrung disqualifiziert. Er hat den Menschen auf diese Weise aus der lebenden Natur in eine kosmische Wüste vertrieben. In Galileis Fall lag die Bestrafung für den Genuss des Apfels der Erkenntnis im Wesen der Erkenntnis selbst: diese vertrocknete und fade Frucht war außerstande, Leben zu erhalten und Leben zu reproduzieren. Ein riesiges Gebiet der realen Welt, die ganze Welt der lebenden Organismen, war aus dem Bereich der exakten Wissenschaft ausgeschlossen. Sie wurden als „subjektive“ schlechthin nicht zur Kenntnis genommen. Nur noch Kadaver und Skelette blieben geeignete Objekte der Erforschung. Im Interesse der Objektivität eliminiert die neue Wissenschaft den gesamten fühlenden Menschen und all seine subjektiven Taten. Seit Galilei heißt diese Praxis objektive Wissenschaft. (Mumford, Mythos der Maschine)

Der christliche Dualismus zwischen göttlicher Sphäre und dämonischer Natur verwandelte sich in den Dualismus aus objektiver und subjektiver Erkenntnis. Das Objektive konnte erfasst werden. Das Leben aus Denken und Fühlen wurde als subjektive Belanglosigkeit aus der seriösen Forschung und sachlichen Berichterstattung ausgeschlossen.

Untergründig spürten die Edelschreiber den Mangel an Lebendigkeit – und erfanden den „Relotiuseffekt“, jene Aufpeppung und Anreicherung schlichter Tatsachen mit allen Duftwässerchen sinnlicher Imagination, um die Aufmerksamkeit des Publikums nicht zu verlieren.

Erst in letzter Zeit trauen sich die kühlen und neutralen Beobachter, ihr bislang verdrängtes Ich ins Spiel zu bringen. Ist denn das die Possibility, dass Journalisten Wesen aus Fleisch und Blut wie du und ich sein sollen?

Doch, doch, auch sie wollen Gefühle und Empfindungen erfassen. Was ist Liebe, was hält eine Beziehung zusammen, welche Erziehung ist die beste? Zur Beantwortung dieser Fragen werden aber nicht Meinungen aus Vergangenheit und Gegenwart gesammelt, sondern allein die Ergebnisse quantitativer Untersuchungen.

An Trivialität sind die Ergebnisse kaum zu überbieten. Alle literarischen und philosophischen Erfahrungen der Vergangenheit hingegen werden ignoriert. Was zählen subjektive Schmankerl, verglichen mit „statistisch-validen“ Messdaten? Selbst wenn die Daten nur Antworten auf subjektive Suggestionsfragen sind?

Die Krönung dieser Entsubjektivierungsorgien war Skinners Verhaltensmanipulation, mit der er die Menschheit in eine geräuschlos funktionierende Maschine verdinglichen wollte. Sein Fazit: „Wir nehmen die Geschichte nicht ernst.“

Und somit alle Vergangenheit, das biografische Werden der Gegenwart. Warum das Heute so defekt werden konnte, wird systematisch verbannt. Der Mensch wird – wie bei Locke – zum leeren Blatt, das von jeder Gegenwart nach Belieben neu bekritzelt werden kann.

Jedes Verstehen des Menschen ist ausgeschlossen, wenn keine individuelle Geschichte erzählt werden kann. Dann wird die Gegenwart zur Hydra, die sich in jedem Augenblick aus Nichts erzeugt.

So kann es kein Verstehen geben. Weder der Entstehung von Glück und einem gelungenen Leben, noch von der Entstehung schuldhaften Versagens, das nur durch Erinnerung verstanden und korrigiert werden könnte.

Wenn nur noch zählt, was gezählt und berechnet werden kann, kann ein geglücktes Leben nichts anderes sein als quantitative Produktion, Konsum als Leistung und nicht als sinnlicher Genuss. Sinnlichkeit und Denken aber gehören zusammen wie Gefühle und Erkenntnisse, die sich gegenseitig überprüfen und ergänzen.

Warum versiegt die Kommunikation, das lebendige Gespräch, der agonale Dialog zwischen den Zeitgenossen? Weil sie nicht subjektives Zeug labern wollen. Sie wollen objektiv unterrichtete und emotionsfrei reagierende Götter aus der Maschine sein.

Was ist wahres Glück, das mit Milliarden-Vermögen und Ablass-Almosen nicht erkauft werden kann?

„Es ist das Gemeinschaftsgefühl der Menschheit, das gerechten Verhältnissen entspringt – ohne jede Rücksicht auf Erfolg und äußeren Schein. Gerechtigkeit ist Harmonie von Intellekt und Gefühlsleben, die Frucht gerechter politischer Verhältnisse. Sie verbürgt den inneren Frieden und die freudige Stabilität der Seele.“ (Max Pohlenz über platonische Philosophie)

Zum glücklichen Leben gehören nicht nur Zahlen von Eigentum und Besitz. Sondern Lustgefühle sinnlichen Erlebens. Warum müssen sexuelle Emotionen immer mehr durch Lust-Maschinen erzeugt werden? Weil subjektives Empfinden immer mehr gezwungen wird, sich quantitativ messen und objektiv vergleichen zu lassen.

Ergebnis: je trivialer und quantitativer das erotische Begehren, je mehr wird es zur quantité négligeable. Ist der Mensch zur perfekten Maschine degeneriert, kann er abtreten – und Platz schaffen der Supermaschine, die auf Knopfdruck vor lebens- und sinnenfeindlicher Intelligenz birst.

Für eine humane Menschheit kann es nur ein Ziel geben: das planetarische Glück der Gattung, die sich mit illusionären Zukunftsvisionen nicht länger betrügen muss. Sondern in der Freude des Hier und Jetzt ein erfülltes Leben führen kann.

Fortsetzung folgt.