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nichtsdesto-TROTZ XII

Tagesmail vom 03.05.2021

nichtsdesto-TROTZ XII,

wie wird die Wirtschaft der Zukunft sein, die nach Ende der Einschließung beginnen wird?

Jetzt, auf der Stelle, muss die Erneuerung beginnen – oder eine Ökodiktatur nach dem Muster der Coronakrise wird über uns hereinbrechen.

Kommt Not übers Land, werden alle Demokraten gnadenlos weggeschlossen. Notstandsgesetze werden aus den Schubladen geholt und das Ende der Grundrechte einläuten.

Warum verschleppen die Mächtigen alle rettenden Klimamaßnahmen? Warum weigern sie sich, das Notwendende in Angriff zu nehmen?

Sie hoffen auf den Notstand, der ihnen das Recht geben wird, das Volk endgültig ruhig zu stellen. Not kennt kein Gebot, sie ist permanenter Ausnahmezustand. Wer den Ausnahmezustand erklären kann, hat die Macht. Laut Carl Schmitt wird der Ausnahmezustand die Welt endgültig in Freund und Feind trennen.

„Im Notfall gibt es keine Verpflichtung des Souveräns gegenüber dem Volk.“ (Schmitt)

Die Mächtigen werden die souveränen Freunde sein, die die Ohnmächtigen, Abhängigen und Überflüssigen als Feinde ruhigstellen werden. Der Ausnahmezustand wird zum Normalfall werden.

Die ursprüngliche Begründung – mit außerordentlichen Maßnahmen die Not zu wenden – wird aus dem Gedächtnis verschwinden. Die Mächtigen werden mit Superreichen und Supertechnikern zur Einheit verschmelzen und mit einer totalitären Herrschaft das Ende der Menschheit bringen.

Alles, was jetzt mit demokratischen Mitteln misslingt, wird dann mit Not und Zwang exekutiert werden. Also muss jetzt alles blockiert werden, damit sich Volksherrschaften als unfähig erweisen, das Unheil mit demokratischen Maßnahmen zu wenden. Die Ausnahme muss zum Normalfall werden. Die Mächtigen scharren innerlich permanent mit den Hufen: die Tatenlosigkeit der Gegenwart wird ihnen den Weg zur Allmacht ebnen.

Sollte es den Demokraten misslingen, die Eintracht mit Natur und Mensch herzustellen, wird die Epoche der Freiheit vorbei sein.

Eine zukünftige humane Wirtschaft wird allein der Bedürfnisbefriedigung der Menschheit dienen. Alles, was darüber hinaus ist, ist von Übel. Bedürfnisse werden sich danach richten müssen, was die Natur dem Menschen anbietet. Der Mensch muss sich nach der Natur richten, er muss aufhören, die Natur nach seinem gottgleichen Bilde zu schänden.

Die zukünftige Wirtschaft wird eine genossenschaftliche sein.

Die Trennung von Besitzer und Abhängigen wird der Vergangenheit angehören. Arbeit-nehmer werden identisch sein mit Arbeit-gebern. In Genossenschaften wird der Kurs des gemeinsamen Betriebs mit demokratischen Methoden entschieden.

Jede kapitalistische Zusammenballung von Macht und Reichtum wird ausgeschlossen sein.

Eine Spaltung der Menschheit in Bevorzugte und Benachteiligte wird es nicht mehr geben.

Demokratische Gleichheit wird auch die Wirtschaft prägen. Politische Gleichheit und wirtschaftliche Ungleichheit vertragen sich nicht.

Die athenische Urpolis erlebte triumphale Zeiten, überwand die Benachteiligung der Frau, beendete die Sklaverei und erfand die Erfolgsformel dieses humanen Prozesses, die noch heute das Vorbild vieler Völker ist: die Menschen- und Völkerrechte.

Dennoch scheiterte die Polis und wurde von gigantischen Weltreichen abgelöst, in denen erst nach 1000 Jahren die Demokratie wieder entdeckt und politisch rehabilitiert wurde.

Auch heute könnte die Demokratie scheitern: aus innerer Schwäche und äußerer Rivalität mit autoritären Systemen, deren ökonomische Effizienz die der schwächelnden Demokratien in den Schatten zu stellen droht.

Die Wirtschaftspotentaten der Demokratien erwecken nicht gerade den Eindruck, als wollten sie energisch und bedingungslos für den Erhalt der Volksherrschaft eintreten. Hemmungslos nutzen sie ihre ökonomische Macht, um ihre Interessen auf Kosten aller anderen durchzusetzen. Immer öfter kokettieren sie mit dem chinesischen Modell, welches dabei ist, die westlichen Staaten auf allen Gebieten zu übertrumpfen.

Warum scheiterte das athenische Urmodell – wenn auch erst nach heftigen internen Kämpfen? Weil die Freiheit der Polis auch der Expansion der Wirtschaft zugutekam, die zum Spielfeld jener wurde, die ihre Mitmenschen zu Untermenschen deklassieren wollten.

Der Gedanke des Wettbewerbs, ursprünglich ein rein athletischer, später ein kultureller, wurde zum „Naturrecht der Starken“, einer Ideologie der geschwächten Adligen, die die demokratische Pöbelherrschaft vernichten wollten, um ihre einstigen Privilegien zurückzugewinnen:

Demokratie sei, so ein Starker, eine Verfassung zum Vorteil der „schlechten Leute“, die sich auf Kosten der „rechten Leute“, die ihnen geistig überlegen seien, amüsieren würden, wozu sie das Geld der Vermögenden plündern wollten. Der hasserfüllte Schwur eines Oligarchen lautete:

„Ich will dem Volke feindlich gesinnt sein und, so viel ich kann, zu seinem Schaden beitragen.“

Das war die Lehre vom Recht des Stärkeren, das von Nietzsche nicht erfunden, sondern nur noch in Übermensch-Phantasien übersetzt werden musste. Gerecht war, dass der Stärkere über den Schwachen herrsche und alle Vorteile genieße.

Für Kallikles war das Recht des Stärkeren gleichbedeutend mit hemmungsloser Zuchtlosigkeit. Menschen, die der gängigen Moral mit der Forderung nach Selbstzucht (Sophrosyne) und rechtmäßiger Moral huldigten, wurden als Toren und Schwächlinge verhöhnt. Moral erschien ihm „wider alle Natur“, als wertloses Geschwätz.

Wir sehen: nichts Neues im Staate Dänemark, auch in heutigen Zeiten nicht. Nur die Nomenklatur änderte sich und wurde demokratisch übertüncht. Das Recht des Stärkeren, in athenischen Zeiten unverblümt formuliert, wird heute als liberale und individuelle Freiheit gepriesen. WELT-Chef Poschardt ist völlig unoriginell mit seiner unbegrenzten Freiheitsforderung für seinen edlen Porsche. Streng genommen ist er ein archaischer Vertreter des Naturrechts der Starken.

Dass die athenische Demokratie überhaupt entstehen konnte, lag am Naturrecht der Schwachen, einem Plädoyer für die Gleichwertigkeit aller Bürger.

Lykophron wandte sich gegen alle Standesprivilegien. Den Adel erklärte er für etwas Hohles. Was schön daran sein soll, sei unersichtlich. Seine angemaßte Würde beruhe lediglich auf dem Titel. In Wirklichkeit unterschieden sich die Geringen in nichts von den Adligen. „Gott hat alle Menschen freigelassen, die Natur hat niemand zum Sklaven gemacht.“

In der Formulierung des Antiphon: „Von Natur aus sind wir alle gleich. Atmen wir doch alle durch Mund und Nase und essen wir doch alle mit den Händen.“

Wahrer Adel, so Euripides, bestehe allein in Besonnenheit und Verstand, sei eine Gabe der Natur und nicht des Reichtums. Reichtum sei etwas Ungerechtes, ein Mittel zur Verweichlichung. Armut hingegen bringe tüchtige und zum Handeln entschlossene Männer hervor.

Das war der Grundkonflikt der werdenden Polis, die nur zum Erfolgsmodell wurde, weil sich alle egoistischen Eigeninteressen dem Gemeinwohl unterordnen mussten. Die Überordnung des Gemeinwohls über alle Privatinteressen: das war die Geburtsformel der Demokratie.

Der Ausgleich der Interessen als Grundprinzip der Verfassung war das große Verdienst Solons, der durch seine „mittlere Linie sein Volk aus schwerem sozialem Streit zum Frieden führen konnte.“

Nichts, außer Namen und Begriffen, hat sich bis heute geändert. Hayek hat das Naturrecht der Starken zum Gesetz der Evolution, ja des christlichen Gottes, erklärt. Die Reichen und Mächtigen verklären ihre Stärke als Voraussetzungen des Fortschritts. Nur wenn eine Flut kommt, heben sich alle Boote. Die Flut ist das alleinige Verdienst der Starken.

Die Polis hatte keine Chance, sich allzu lange über Wasser zu halten. Kraftreserven und Machtakkumulation der Reichen dehnten sich durch imperiale Kriege und globale Ausweitung der Wirtschaft ins schier Unendliche, während die Schwächeren ihren begrenzten Lebensraum nicht überschritten. Die Wirtschaft wuchs ins Endlose, die Mehrheit der „Schwachen“ blieb bei ihrem Leisten.

Die Schwachen waren anfänglich nicht allein, sie erhielten Unterstützung von den aufkommenden Schulen der Philosophie, von denen die meisten für Gerechtigkeit eintraten.

„Wenn im Staate möglichste Gleichheit und Brüderlichkeit bestehen soll – sagte Aristoteles – so ist da, wo starke Gegensätze von arm und reich sich finden, die Verwirklichung dieser Prinzipien unmöglich.“ Denn Besitzlosigkeit nötige die Armen zu demütiger Unterwürfigkeit. Die Abhängigkeit von den Reichen bringe sie in eine Lage, in der sie sich von den letzteren beherrschen lassen müssten, wie die Sklaven von ihren Herrn, zumal viele Reiche eben nur so zu herrschen gewohnt seien wie Herren über die Sklaven.

So entsteht im Staat ein anderer Staat, nicht von freien Männern, sondern von Herren und Knechten, von denen diese mit Missgunst zu jenen empor- und jene mit Verachtung auf diese herabschauten. Ein Staat der Gleichen und Brüderlichen sieht anders aus.

Aristoteles kommentiert: wer nicht über ein gewisses Maß an Besitz verfüge, mit dem er sich wirklich frei als Gleicher unter Gleichen fühlen könne, wer sich zudem einem Abhängigkeitsverhältnis beugen müsse, der sei nicht befähigt zur Ausübung von Pflichten und Rechten, welche der hellenische Staat von seinen Vollbürgern verlangte. Wie könne man einmal Herr, dann aber Diener sein?

Dieser Riss zwischen Oben und Unten, Reichen und Abhängigen, war für Robert von Pöhlmann die Urwunde der Demokratie.

„In der Agora mochte sich der Besitzlose an den Schlagwörtern der Freiheit und Gerechtigkeit berauschen, auf der Bühne, die das Leben bedeutete aber klang es ihm ganz anders in den Ohren. Da empfand er vor allem die Mißachtung seiner Armut und Niedrigkeit: Wir leben nicht, wie wir wollen, sondern wie wir müssen. Wer kein Geld hat, wandelt unter Lebenden wie ein Toter. Selbst der Sklave wird geehrt, wenn er zu Reichtum gelangt – der Freie, der arm ist, gilt nichts. Arm sein, heißt missachtet und ehrlos zu sein. Viele zwingt die Armut, sich wider die Natur mit Dingen abzugeben, die ihrer unwürdig sind.“

Hier wird Armut aus der emotionalen Innensicht der Armen geschildert. Heute werden die Armen mit dem „Argument“ abgebügelt, sie sollten froh sein, in diesem prächtigen Staate zu leben, wo niemand verhungern müsse. In anderen Staaten sei es viel schlimmer. Dass die Kluft zwischen Armen und Reichen seit Jahr und Tag ungebremst wächst, wird als Naturgesetz hingenommen. Die Armen können sich abrackern, wie sie wollen, sie müssen in grauen Betonsarg-Hochhäusern hausen, in denen Corona herrscht und die Kinder nur wissen, was ein hundeverschissener und scherbenübersäter Spielplatz ist.

Heute wird von satten Edelschreibern gerühmt, der Kapitalismus habe die absolute Armut in der Welt überwunden. Wie undankbar diese Befreiten sein müssen, wenn sie sich als die Verachtetsten unter den Verachteten fühlen.

Sind sie nicht selber schuld?

Haben wir nicht das beste Bildungs- und Aufsteigersystem der Welt?

Das war schon in Athen nicht anders:

„Unser Gemeinwesen gibt dir doch freie Bahn, dich emporzuarbeiten, sagte man auch damals zu dem Armen. Es ist eine Schande, wenn du es nicht tust. Dem Faulen hilft Gott nicht. Ein seltsamer Optimismus in einer freien Gesellschaft, in welcher der Arbeiter nichts als ein Werkzeug für den Besitzenden war, um selbst auf der Leiter des Reichtums emporzuklettern. Wer das nicht kann, der ist freilich an seinem unwürdigen Zustand selber schuld“ – kommentiert Pöhlmann.

Und er zitiert Wilhelm Roscher, einen jener sozial denkenden deutschen Ökonomen, die heute, weil sie ihr Fach nicht so rechnerisch verstanden wie die Engländer, der Vergessenheit anheim gegeben wurden:

„Roscher bemerkte einmal zum Widerspruch der Demokratie: alle Gleichheit vor dem Gesetz, alle aktive Beteiligung am Staat sei für die Masse nichts als eine papierne, aufreizende Phrase, wenn der Arbeitslohn nicht hoch ist.“

Hat sich heute das kleinste Tüttelchen geändert? Wo wütet Corona am heftigsten? Wo fühlen sich die meisten von der Gesellschaft abgeschnürt und verachtet? Es soll Saturierte geben, die stolz darauf sind, noch nie in den Vierteln der Nobodys gewesen zu sein.

Die SPD betrügt sich mit gleichen Bildungschancen, als ob Bildung das beste Beförderungsmittel nach Oben sei. Wahre Bildung hat mit sozialem Aufstieg nicht das Geringste zu tun. Im Gegenteil: kämen die Heranwachsenden durch Bildung zur Auffassung der Hundlinge (Kyniker), Nichtshaben sei die größte Tugend des Menschen, würden Massen an ehrgeizlosen philosophierenden Obdachlosen die Lyzeen verlassen.

Die SPD hat nicht mal das Niveau Solons, der die Reichen stutzte, um die Armen zu heben. Was soll das für ein absurdes Ziel sein, in die Etagen jener aufzusteigen, die noch gestern als Ausbeuter der Nation galten? Bildet euch mit den besten Inhalten des Denkens, damit ihr rücksichtslos über eure Konkurrenten hinweg trampeln könnt, um in amoralische Höhenluft aufzusteigen?

„War es wirklich intellektuelle und moralische Tüchtigkeit, die im wirtschaftlichen Ringen die größten Erfolge einheimste? Waren nicht immer diejenigen die stärksten, die nicht am gebildetsten, sondern am skrupellosesten verfuhren, dem Geiste der Gleichheit, Brüderlichkeit und Gerechtigkeit Hohn sprechend?“

Gerade die größten Schurken – so Euripides – führe der Reichtum in die erste Reihe. Und Menander: „Kein braver Mann ist je schnell reich geworden.“ Ja, der Arme täte besser dran, ein Schuft zu werden. Dann wären seine Chancen, es in der Welt zu was zu bringen, erfolgversprechender.

Diese Erkenntnisse waren in Griechenland präsent, heute findest du sie nirgendwo mehr.

Paradiesische Lobsprecher der Gesellschaft haben heute das Sagen. Wer dagegen aufmuckt, wird an den linken oder rechten Rand der Gesellschaft gespuckt.

Das Wort Gerechtigkeit gibt es heute nicht mehr. Keine Talkshow, die dieses Thema debattieren würde. Als der Neoliberalismus wie eine Naturgewalt über Deutschland hereinbrach und jeder Edelschreiber den Ehrgeiz entwickelte, in der Avantgarde des Zeitgeistes mitzumarschieren, hörte man zum letzten Mal die Frage: Was, Herr Henkel, verstehen Sie unter Gerechtigkeit? Stereotype Antwort: Ach wissen Sie, unter Gerechtigkeit versteht jeder was anderes. Ende der Debatte.

Kann man debattieren, wenn man derselben Meinung ist? Die Postmoderne sorgte dafür, dass jeder seine eigne subjektive Meinung haben darf. Ende der Debatte.

Warum wird heute nicht mehr gestritten? Weil es nichts mehr zu streiten gibt. Rechtzeitig hat das Schicksal dafür gesorgt, dass es weder Objektivität noch Wahrheit gibt. Das lag auch am Sieg der quantitativen Naturwissenschaften, die objektive Wahrheit nur dort zuließen, wo man messen und rechnen kann. Philosophieren war damit exkommuniziert.

Alles, was nach Moral roch, war in das Reich des Gequassels abgeschoben.

Solange Philosophie in Athen eine lebendige Kraft war, wurde die Herrschsucht der Reichen eingedämmt. Mit der Beschleunigung der Globalisierung aber kam die kritisch denkende Ausbildung der Bevölkerung nicht mehr mit. Die Raffgier zog in rasendem Tempo davon, das Denken verharrte meditierend auf der Stelle. Keine Aussicht, das hellenische Weltreich ähnlich mit Geist zu infizieren, wie einst die Heimatstadt der Philosophie.

Geist ist kein Erfolgsmodell, das mit links seine Gegner überzeugen kann. Er braucht unberechenbar viel Zeit. Seine Meinungsverschiedenheiten lassen sich durch objektive Methoden des Messens und Rechnens nicht aus der Welt schaffen.

Nach dem Sieg der quantitativen Objektivität Galileis beeilten sich alle Geisteswissenschaften, diese „nüchterne und sachliche“ Methode des sich Verständigens zu übernehmen. Was sich nicht berechnen ließ, wie das heikle Thema Moral (oder Ethik), wurde aussortiert. Zu den Moral-Aussortierern gehörten Adam Smith – und Karl Marx. Ökonomie reinigte mit eisernem Besen ihre Formeln von jeglichem Du sollst. Wie Natur zur berechen- und manipulierbaren Maschine geworden war, so auch die Ökonomie. Nur einige Neukantianer im zurückgebliebenen Deutschland verstanden den Zeitgeist nicht, sondern blieben beim kategorischen Imperativ.

Gerechtigkeitsdenken war das einzig wirksame Mittel der athenischen Demokraten, dem Treiben der Kapitalisten Einhalt zu gebieten. Heute ist das Gerechtigkeitsdenken an der tiefsten Stelle des Flusses begraben.

Hinzu kommt der moderne Ehrgeiz (selbst von Ausbeutungsgegnern), in Athen weit und breit keinen Kapitalismus zu erkennen. Unter ihnen an vorderster Stelle ein Karl Marx, der zwar von Aristoteles lernte, dass es in Athen eine Wirtschaft gab, die sich nicht mehr mit „Bedarfsdeckung“ begnügte, sondern reich werden wollte, um des Reichwerdens willen. Gleichwohl sah er die Griechen nur als kunstbesoffene Heiden, die keine Ahnung hatten, wie man Wunderwerke erfindet wie der spätere christliche Kapitalismus.

Bevor die Proleten das Paradies betreten dürfen, muss der Kapitalismus dafür sorgen, dass das Paradies real vorhanden sein wird. Es müssen besiegte Feinde sein, denen die Proleten den neuen Garten Eden mit lang wartender demütiger List abnehmen würden.

Revolution wurde zur Metapher ewigen Wartenkönnens. Nicht anders als bei den Christen, die noch immer auf die Wiederkehr ihres Herrn warten. Wenn alles wartet, muss das Tempo der Entwicklung in rasende Beschleunigung übergehen, damit die Objekte der Begierde sich den Ungeduldigen so bald wie möglich zeigen.

Als der hellenische Kapitalismus die Philosophie soweit geschwächt hatte, dass sie sich mit der Stabilisierung privater Existenzen begnügte, stand Rom vor der Tür. Hier eskalierte die Kluft zwischen Armen und Reichen ins Unermessliche. Die Armen hatten gar nichts mehr, von Tag zu Tag mussten sie von der Regierung buchstäblich durchgefüttert werden.

Dann kam das Christentum. Es siegte, weil die Menschen in jeder Hinsicht ausgelaugt und erschöpft waren. Die Kraft des Denkens und moralischen Widerstands war verbraucht. Die Feinde der Römer an den Grenzen wurden immer bedrohlicher, die Sklavenaufstände waren gescheitert. Alles lag am Boden, jegliche Hoffnung war zerstört. In dieser Situation hörten die Römer die Schalmeienklänge von der Gerechtigkeit Gottes – im Himmel. Das Diesseits war zum Reich des Antichrist geworden.

Doch was war das für eine Gerechtigkeit, der sie Glauben schenkten? Sie war eine Brüskierung der irdischen Gerechtigkeit, eine paradoxe Intervention. Ihr Menschen müsst mir schon vertrauen, wie meine himmlische Gerechtigkeit aussehen wird, sagte der Gott. Mit der primitiven Gerechtigkeit der Heiden jedenfalls hat sie nichts zu tun:

„Diese Letzten haben nur eine Stunde gearbeitet, doch du hast sie uns gleichgestellt, die wir des Tages Last und die Hitze getragen haben. Er antwortete aber und sagte zu einem von ihnen: Mein Freund, ich tu dir nicht Unrecht. Bist du nicht mit mir einig geworden über einen Silbergroschen? Nimm, was dein ist, und geh! Ich will aber diesem Letzten dasselbe geben wie dir.“

Heribert Prantl, der es wagt, die Neutralität der Medien links liegen zu lassen und sich gemein zu machen mit dem Heiligen, hat eine Predigt über den Text gehalten. Die entscheidenden Stellen hat er ignoriert: Gottes Gerechtigkeit verhöhnt die Gerechtigkeit der Griechen.

„Oder habe ich nicht Macht zu tun, was ich will, mit dem, was mein ist? Siehst du darum scheel, weil ich so gütig bin? So werden die Letzten die Ersten und die Ersten die Letzten sein.“

„Aber es gibt etwas, was mir unsympathisch ist an diesem Protest: Mit wäre es lieber, wenn da nach oben protestiert würde, wenn also die viel arbeitenden Leute mehr Geld, wenn sie einen Zuschlag verlangen würden. Nein, das tun sie nicht. Sie treten nach unten und protestieren gegen die Gleichstellung der anderen. Statt sich zu freuen, dass der Habenichts auch satt wird, schimpft der Habewenig über die Gleichmacherei.“ (Sueddeutsche.de)

Gleichmacherei? Es ist das blanke Gegenteil. Die Menschen werden zu Erwählten und Verworfenen. Gottes Gerechtigkeit ist – in den Augen der Menschen – die blanke Willkür. Gottes Moral unterstellt sich nicht der moralischen Zensur des Menschen.

Noch deutlicher wird Gottes Gerechtigkeit zur Verhöhnung der menschlichen im Gleichnis von den anvertrauten Pfunden:

„Herr, ich wusste, dass du ein harter Mann bist: Du erntest, wo du nicht gesät hast, und sammelst ein, wo du nicht ausgestreut hast; und ich fürchtete mich, ging hin und verbarg deinen Zentner in der Erde. Siehe, da hast du das Deine. Sein Herr aber antwortete und sprach zu ihm: Du böser und fauler Knecht! Wusstest du, dass ich ernte, wo ich nicht gesät habe, und einsammle, wo ich nicht ausgestreut habe? Dann hättest du mein Geld zu den Wechslern bringen sollen, und wenn ich gekommen wäre, hätte ich das Meine wiederbekommen mit Zinsen. Darum nehmt ihm den Zentner ab und gebt ihn dem, der zehn Zentner hat. Denn wer da hat, dem wird gegeben werden, und er wird die Fülle haben; wer aber nicht hat, dem wird auch, was er hat, genommen werden. Und den unnützen Knecht werft hinaus in die äußerste Finsternis; da wird sein Heulen und Zähneklappern.“

Christliche Religion macht sich nicht gemein mit der Gerechtigkeitsvorstellung der Menschen. Sie stellt alles auf den Kopf und behauptet das Gegenteil. Wer Gott vertrauen will, muss sein irdisches Denken ad absurdum führen.

„Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der HERR; sondern so viel der Himmel höher ist denn die Erde, so sind auch meine Wege höher denn eure Wege und meine Gedanken denn eure Gedanken.“

Eine christliche Politik, die ihren Glauben ernst nähme, müsste die Menschen so lange nerven und lähmen, bis sie sich in blindem sacrificium intellectus (Opferung des Verstandes) den paradoxen Verheißungen des Himmels ergäben.

Nach Corona wird sich zeigen, welchen Weg Deutschland wählen wird: entweder wird es ins Reich des Glaubens regredieren und vernunftfeindlichen Parolen des Himmels vertrauen – oder aber dem frischen Wind der FFF-Jugend folgen, der Natur eine Chance und der Menschheit eine gerechte Ordnung geben.

Vermutlich wird es die letzte Gelegenheit der Menschheit sein, eine lebensrettende Entscheidung zu treffen.

Fortsetzung folgt.