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nichtsdesto-TROTZ XCVIII

Tagesmail vom 19.11.2021

nichtsdesto-TROTZ XCVIII,

geht eine Erneuerung durchs Land?

Ist Corona für die Deutschen ein Weckruf, dass sie sich ändern müssen?

Leichtlebige Südländer scheinen vorbildlicher zu sein als disziplinierte Deutsche – sagte der ewige Jüngling Giovanni die Lorenzo in einer Talkrunde.

Italien, Spanien sind mustergültig im Impfen, Deutschland geht am Krückstock. Wie ist das möglich? An dieser Stelle drängen sich wichtige Fragen auf – aber nicht für deutsche Medien.

Ihre Interviewer zeichnen sich dadurch aus, dass sie bestimmte Fragen niemals stellen: die entscheidenden. Die Fragen nach den Gründen. Die Fragen nach den Ursachen.

Die Neuzeit hat die Ursachen menschlicher Entwicklung getilgt. Was daran liegt, dass die Moderne keine Gesellschaft als Geflecht lebendiger Menschen kennt, sondern nur als mechanisches System.

System ist ein wissenschaftlich klingender Begriff für eine Maschine. Maschinen kennen keine selbstproduzierten Ursachen ihres Versagens. Wenn sie nicht funktionieren, sind es Konstruktions- oder Materialfehler ihrer Erbauer.

Mit ihnen, die kein Selbst haben, hat das nichts zu tun. Ab in die Werkstatt und repariert – und schon laufen sie wieder.

Niklas Luhmanns Systemtheorie hat Deutschland in eine Maschine verwandelt. Seitdem wird er verehrt als Abschaffer des altmodischen menschlichen Faktors – der in sich hört und seine lange, lange Entwicklung verfolgt, um sich auf die Spur zu kommen.

Wer seine Entwicklung durchschaut, kennt auch die Ursachen und Gründe seines Könnens und Versagens.

Ursachen liegen immer in der Vergangenheit und benötigen viel Zeit, um sich zu entwickeln und das Verhalten der Menschen zu prägen.

Organismen unterscheiden sich von Maschinen dadurch, dass Mutter Natur ihnen von Anfang an alle Möglichkeiten eines gelingenden und misslingenden Lebens in nuce mitgegeben hat. Was der Mensch draus macht, ist seine Sache.

Er kann, sofern seine Mitmenschen ihn nicht mit Gewalt dran hindern, lernen, ein glückliches Leben zu führen. Er kann aber auch die Welt in Schutt und Asche legen. Alles liegt an ihm. Zwar ist er von der Natur in vieler Hinsicht determiniert, dennoch ist sein Geist fähig, seine Prägungen frei in seinen Dienst zu stellen.

Maschinen haben kein Innenleben, das lernen und sich entfalten könnte. Alle „Gründe“ ihres Verhaltens liegen im Kopf ihrer Konstrukteure, die absolute Gewalt über sie haben. Ob sie funktionieren oder nicht, liegt allein in den Händen ihrer Schöpfer aus dem Nichts.

Das könnte sich ändern, wenn die angekündigten Intelligenzmaschinen die Herrschaft über die Erde angetreten und ihre veralteten humanoiden Erfinder überflüssig gemacht haben. Diese Intelligenzbestien brüsten sich, aus ihren Fehlern lernen zu können, bis sie fehlerfrei oder perfekt geworden sind.

Die Menschen, ihre Erbauer, dürfen indes nicht perfekt werden. Das wäre nämlich eine ideale Vision und Visionen haben sie sich verboten. Ihre maschinellen Geschöpfe aber sollen ihre Creatoren übertreffen und vollkommen werden.

Was bedeutet: der Mensch ist dabei, sich zu einer gespaltenen Doppelexistenz zu entwickeln. Einerseits zu vollkommenen Maschinenwesen, die ihre Erfinder überflüssig machen, andererseits zu veralteten Organismen, die sich – warte, warte, balde ruhest auch du – von der Evolution verabschieden müssen.

Perfekte Maschinenwesen könnten unsterblich werden auf dem Planeten, denn jeder Veränderung ihrer Umwelt könnten sie sich mühelos anpassen.

Der organische Mensch der Gegenwart läge demnach im Wettlauf mit der heraufkommenden Umweltgefahr. Denn rechtzeitig müsste er seine KI-Geschöpfe so weit entwickelt haben, dass sie den steigenden Hitzewellen und Katastrophen standhalten. Danach könnte er sich, rundum mit sich zufrieden – ins Messer stürzen.

Wohlauf in Gottes schöne Welt – ade!
Die Luft ist blau und grün das Feld – ade!
Noch einmal wink‘ ich mit der Hand
und nun seitab gewandt.
Wer wandern will, der darf nicht stehn,
der darf niemals zurücke sehn,
muss immer weiter gehn!

Romantische Träume und Ängste werden wahr – durch unromantische Roboter und geistlose Maschinenwesen. Erneut steht der Menschheit ein dialektischer Sprung bevor, jener Sprung, von dem der romantische Theologe Kierkegaard träumte:

„Er ist der festen Überzeugung, dass man sich dem wahren Christsein nicht nach und nach nähern kann, sondern dass ein qualitativer Sprung ins Christsein hinein erfolgen müsse.“ (GRIN.com)

Freuet euch, ihr Christen all. Euch steht der entscheidende Sprung eurer Gattung bevor: eurer selbstverursachten Abschaffung und – eurer Verwandlung in unsterbliche Dummköpfe.

Wer durch die Zeiten wandern will, der darf nicht zurücksehen: das ist das Dogma der Moderne, die alle Ursachen abschaffte, indem sie die gebärende Vergangenheit getilgt hat.

Eine Zunft zeichnet sich vor allen anderen aus in der Abschaffung einer ursachengeschwängerten Vergangenheit: die Zunft der Historiker, der Geschichtsexperten. Nichts Ermüdenderes für sie als die Frage, ob sie Gegenwart nicht durch Erinnerung an die Vergangenheit so erklären könnten, dass die Menschen zum Aha-Erlebnis kommen könnten: ah, jetzt verstehen wir, was wir tun.

„Geschichte wiederholt sich nie“, deklariert Merkels Chefhistoriker Münkler. Wenn sich nichts wiederholt, regiert das ununterbrochen Neue – historische Ursachen ausgeschlossen.

Fast alle geistigen Disziplinen wetteifern miteinander, zur Lösung politischer Probleme möglichst wenig beizutragen.

Als da sind Naturwissenschaftler, die nur mit Ekelgefühlen aus ihrem Reich ewiger Naturgesetze ins irdische Getümmel herabblicken.

Unter ihnen Gehirnexperten, die alles Denken des Menschen auf neurologische Vorgänge reduzieren. Bald werden sie so weit sein, dass sie die Sprache der Menschen überflüssig gemacht haben. Weil sie nicht mehr gebraucht wird. Beobachten sie nämlich die Vorgänge im Gehirn, so wissen sie, was die Köpfe bewegt.

Die Psychologen, die alle geistigen Äußerungen auf unbewusste Triebregungen oder kollektive Außenlenkung durch Konsum- und Geldreize zurückführen.

Die Theologen, die seit alters nur das unerklärliche Böse oder Gottes Interventionen zulassen.

Natürlich die Medien, die berichten, was ist, aber nie, was war, und schon gar nicht, wie das „war“ sich in das „ist“ verwandeln konnte. Natürlich schreiben sie gelegentlich Artikel über die Historie, aber nicht, um die Gegenwart zu verstehen. Sie verfassen pittoresque Berichte wie aus einem Museum für gefährdete Tiere und Pflanzen.

In der Natur gelten zeitlose Gesetze der Kausalität. Beim Menschen aber sind diese Gesetze aufgehoben. Kann der Mensch dann noch zum Bereich der Natur gehören? Wenn er nicht mehr zur Natur gehören kann, ist er dann überhaupt noch fähig, sich für die Erhaltung der Natur einzusetzen?

Die Griechen hatten das Prinzip der Kausalität und die unveränderlichen Gesetze der Natur entdeckt – zu der auch der Mensch gehörte. Dennoch waren sie felsenfest vom freien Willen des Menschen überzeugt. Im Gegensatz zu modernen Gehirnguckern, die alles für determiniert halten.

Kann das die unantastbare Würde des Menschen sein, wenn dessen Willen von physiologischen Prozessen ferngelenkt werden kann? Wenn nicht, müssten die Neurologen wegen Verletzung der Würde in Karlsruhe angeklagt und aus dem Verkehr gezogen werden. Wieder mal wäre das ein Beispiel für exzellenten szientiven Fortschritt, der hinter das Niveau der griechischen Naturwissenschaft zurückgefallen ist.

Wenn es keine Vergangenheit als Revier der Ursachen geben kann; wie sinnvoll ist dann die Frage: haben die Deutschen ihre Vergangenheit bewältigt? Welche Vergangenheit? Unermüdlich propagieren die Politiker – Steinmeier gerade in New York – den Kampf gegen Antisemitismus. Dass dieser Kampf nur durch Erkennen geistiger Verirrungen geführt werden könnte, ist historischen Ursachenleugnern nicht zu vermitteln. Sie müssen abwarten, bis der verführte Mensch zur Gewalt greift, damit die ganze Angelegenheit der Justiz übergeben werden kann.

Gibt es keine Vergangenheit, ist auch nicht zu erklären, wie sie seltsamerweise die Gegenwart bestimmen kann:

„Der gesamte Holocaust, das System aus etwa 7000 Konzentrations- und Vernichtungslagern sowie Ghettos, dieses gesamte Massenverbrechen kann man bis heute nur drei Tätern vorwerfen. Ja, richtig gelesen: Mehr waren es nicht, nur diese drei Täter tragen die alleinige Verantwortung, ihre Namen sind Hitler, Himmler und Heydrich. All die anderen, die Tausenden, die Genickschüsse abgefeuert haben, Menschen in Gruben getreten, bespuckt, beschimpft und ausgelacht haben, in Gaskammern hineingeprügelt und mit Giftgas ermordet, all die, die nach 1945 noch am Leben waren, sie waren bloß willenlose Gehilfen.“ (Sueddeutsche.de)

Jetzt verstehen wir die schleichende Exkulpierung aller deutschen Geistesgrößen, die durch undemokratisches und menschenrechtsfeindliches Denken in vielen Jahrhunderten die deutsche Katastrophe vorbereitet haben.

Nietzsche – und das Dritte Reich? Ja, wo sind wir denn? Fast alle Giganten der deutschen Denker und Dichter waren Antisemiten, die meisten Gegner der Demokratie: die Deutsche Bewegung oder Konservative Revolution berauscht von Heldentot, Kriegsbegeisterung und Herrschaft über die Welt. Der Kreis der Schuldigen muss auf ein fast Nichts geschrumpft werden, damit die Mehrheiten als unschuldige Mitläufer davonkommen.

Querdenker war vor einiger Zeit die Auszeichnung eines kritischen und mutigen Demokraten. Mittlerweilen ist der Begriff Hals über Kopf ins Gegenteil mutiert, der als Sündenbock herhalten muss für alles, was hierzulande schief läuft.

Der allpräsente Vorwurf des Populismus ist über Nacht verschwunden. Medien kennen keine Vergangenheit, warum sollten sie eine solche auf kollektive Fehlleistungen hin untersuchen?

Und wer übt die Zensurpeitsche mit dem Vorwurf: Querdenker? Nennen wir sie Längsdenker oder Mitläufer des „Zeitgeistes“, die unfehlbar wittern, was sich leichtsinnig von ihrem Tross entfernt hat.

Nun stellt sich heraus: waren sie nicht schon immer, seit Niederschlagung der Bauernaufstände in Luthers Zeiten, gehorsame Mitläufer und Untertanen ihrer Obrigkeiten gewesen? Stehen wir vor der Ursache ihrer preußischen Disziplin, die nichts anderes war als mitläuferische Untertanenangst? Kaum aber wittern sie Freiheit, werden sie zu pubertierenden Chaoten, die alles laufen lassen, wie es läuft?

In der Epoche gefühlter Freiheit sind sie erst jetzt angekommen und kümmern sich um nichts als um ihre unterdrückten Triebregungen, es der Welt einmal so richtig zu zeigen.

Wie konnte es geschehen, dass Juristen aus dem Dritten Reich noch so lange das Justizwesen der Nachkriegsrepublik prägten? Weil, so die Antwort des Rechtspositivismus, der heute das Rechtsdenken bestimmt, Recht immer Recht bleibt, gleichgültig, welche Inhalte vertreten werden.

Wie die Naturwissenschaften ein Reich für sich, so ist auch das Recht ein Reich für sich, das sich keinem Pöbel erklären muss. Dass Demokratie ein demokratisches Recht haben muss, halten Rechtspositivisten noch heute für Humbug. Dass Recht die schriftliche Codierung der Moral eines Kollektivs sein muss, ist heutigen Moralhassern ein Gräuel.

Solon, der Versöhner der athenischen Klassenkämpfe war es, der Sätze sagen konnte, die heute nicht mehr denkbar wären:

„Eunomia aber schafft Wohl und Heil für jegliches Wirken
Und den Gesetzlosen legt zügelnde Fesseln sie an.“ (Eunomia = gutes Gesetz)

Die Disziplin des Rechts reiht sich ein in die Riege der modernen Moralvernichter: was hat denn Recht mit Moral zu tun? Je verhängnisvoller Untaten und Verbrechen, umso weniger sind konkrete Ursachen und verantwortliche Täter zu ermitteln. Ist bislang ein einziger Staatsmann wegen Naturschädigung, Klima- und Existenzgefährdung vieler Völker von einem internationalen Gericht verurteilt worden?

„Als Ökozid wird eine kriminelle menschliche Aktivität bezeichnet, die gegen die Prinzipien der Umweltgerechtigkeit verstößt, z. B. durch erhebliche Schädigung oder Zerstörung von Ökosystemen oder durch Schädigung der Gesundheit und des Wohlbefindens einer Art (einschließlich des Menschen). Ökozid wurde von den Vereinten Nationen noch nicht als international strafbares Verbrechen anerkannt.“

Fast alle Regierenden müssten wegen unterlassener Maßnahmen gegen den Ökozid vor ein internationales Gericht gestellt werden. Stattdessen werden Ökodemonstranten wegen Kinkerlitzchen festgenommen. Ach wisset: die Verbrechen gegen die Menschheit sind zu komplex und unfassbar, als dass man sie den Mächtigen vorwerfen könnte. Sind sie doch auch nur Menschen.

Die gigantische Schuld in Klima, Corona & Weltfinanzen lässt sich nicht Einzelnen in die Schuhe schieben, behauptete di Lorenzo bei Maybrit Illner. Natürlich nicht, niemand kann sich freisprechen, wenn er sich die Frage stellt: habe ich wirklich alles getan, was ich konnte, um das Unheil abzuwehren?

Und dennoch bleibt gültig: der Fisch stinkt vom Kopfe her. Die Gewählten bleiben die Hauptverantwortlichen. Sie besitzen die größte Macht und damit die größte Verantwortung. Und die Mächtigste im Kanzleramt bleibt die Generalverantwortliche.

Nicht so in Deutschland, das ritterlich seiner Mutterfigur beistehen muss. Hauptverantwortliche können nicht allpräsent sein, um überall Hand anzulegen. Sie brauchen viele Hände und Ausführende, die vor Ort ins beschädigte Räderwerk eingreifen. Wer aber Verantwortung für das Ganze übernommen hat, muss vor der Gesellschaft Rechenschaft ablegen über die Maßnahmen, die sie angeordnet hatte. Muss nachweisen, dass das Menschenmögliche getan wurde – oder welche Gründe es gab, dass gepfuscht wurde.

Was geschieht in Berlin? Da ist die Meisterin wochenlang abwesend oder stumm, um im entscheidenden Augenblick aufzutauchen und unheilvoll die Situation zu schildern, als ob sie mit ihr nichts zu tun hätte.

Was nicht passiert: die Kanzlerin denkt gar nicht daran, mit ihrem Volk regelmäßig im streitbaren Gespräch zu bleiben. Höchstens hält sie salbungsvolle Predigten.

Sie spielt die stumme Kassandra, die anklagt, bevor sie selbst angeklagt werden kann. Trick 17, nachlesbar in jeder Führungs-Postille für leitende Manager.

Deutschland ist zur Maschine heruntergekommen oder zum System. Hier gibt es keine Ursachensuche mehr, kein verantwortliches Eingreifen, keine Analyse der Vergangenheit, kein Verstehen historischer Entwicklungen. In Luhmanns System gilt das Gesetz:

„Wenn im sozialen System (=Unternehmen) etwas schief läuft, kann das psychische System (=Mensch) nichts dafür.“

Deutschland ist wie ein schlafender Riese, der von unheilvollen Träumen heimgesucht wird. Sollte er aufwachen und sich der Realität stellen?

Wach auf, wach auf, du deutsches Land!
Du hast genug geschlafen.
Die Wahrheit wird jetzt unterdrückt,
will niemand Wahrheit hören;
die Lüge wird gar fein geschmückt,
man hilft ihr oft mit Schwören;
Gott warnet täglich für und für,
das zeugen seine Zeichen,
denn Gottes Straf ist vor der Tür.
Deutschland (o Land), lass dich erweichen fürwahr,
die Axt ist angesetzt
und auch zum Hieb sehr scharf gewetzt.“ (Johann Walther 1561)

Nie und nimmer wird das christliche Land aufwachen, sich erweichen und von einem Gott mit der Axt bestrafen lassen. Solche Kindermärchen sind ausgeträumt. Gegen solches Apokalypse-Getue sind freiheitsbewusste Postlutheraner immun.

Also schlafen sie weiter, grummeln, ächzen, stöhnen, ja schreien im Schlaf. Aber aufwachen werden sie nicht. Haben sie doch die beste Schlafbegleiterin der Welt, die sie tröstet und beruhigt, nebenbei ihre Apfelbäumchen pflanzt – und neugierig den fröhlichen Jüngsten Tag erwartet.

Fortsetzung folgt.