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nichtsdesto-TROTZ XCIX

Tagesmail vom 22.11.2021

nichtsdesto-TROTZ XCIX,

„Was für Cunhaporanga normal ist, der Verzehr von Insekten, ist Teil dessen, was Experten als Lösung für ein zentrales Menschheitsproblem betrachten: Unser globales Ernährungssystem, das in seiner heutigen Form dysfunktional und nicht zukunftsfähig ist. Herstellung und Transport von Lebensmitteln produzieren nicht nur rund ein Drittel der weltweiten CO₂-Emissionen. Auch 90 Prozent der Abholzung von Wäldern geschieht zugunsten der kommerziellen Landwirtschaft. Nur langsam dringe diese Realität ins Bewusstsein der Allgemeinheit, meint Gernot Laganda, Klimachef beim Uno-Welternährungsprogramm (WFP). »Wir müssen uns endlich klarmachen, dass das, was auf unseren Tellern liegt, auch das Wetter vor dem Fenster bestimmt.« Für Lösungen blicken Experten nicht zuletzt auf indigene Völker.“ (SPIEGEL.de)

Die zurückgebliebenen, primitiven Völker erweisen sich als die vorbildlichsten. Ihre Lebensweise blamiert den Fortschritt der Zukunftsstürmer bis auf die Knochen.

„Für Lösungen blicken Experten nicht zuletzt auf indigene Völker, denen es oftmals gelingt, in ihren Gebieten auf nachhaltige Weise Menschen zu ernähren, also ohne dabei Ökosystem oder Artenvielfalt zu zerstören. »Indigene Völker haben ein wertvolles, von Generation zu Generation weitergegebenes Ahnenwissen«, sagt der Agrarökonom Yon Fernández de Larrinoa, der bei der Welternährungsorganisation (FAO) die Abteilung für indigene Völker leitet. Er glaubt, dass indigene Ernährungssysteme geradezu revolutionäres Potenzial haben. »Wir können viel von ihnen lernen.«“

Wie schont man die Natur – und ernährt die Menschheit? Diese Frage wird über das Schicksal der Menschheit entscheiden.

„Wenig Fleisch, dafür Proteine aus anderen Quellen – es ist eine Diät, die in etwa dem entspricht, was als geeignet gilt, die Menschheit auf nachhaltige und gesunde Weise zu ernähren. »Wenn wir alle unseren Fleischkonsum reduzieren würden, dann hätte das immense Auswirkungen auf das Weltklima«, sagt Laganda vom Welternährungsprogramm. Es sei »eine der größten Schrauben, an denen wir drehen können.«“

Gibt es eine einzige deutsche Partei, eine einzige Politikerin, die solche Fragen stellt und beantwortet?

„Mit einer Weltbevölkerung von neun Milliarden, die wir wohl bald erreichen werden, benötigen wir gesunde Proteine, die sich günstig und klimafreundlich herstellen lassen. Der Mehlwurm hat viele Vorteile: Er braucht wenig Platz – Mehlwürmer lieben es, sich im Dunkeln aneinanderzukuscheln; sie reproduzieren sich schnell und ernähren sich von Abfällen, die bei der Produktion von Getreide- oder Gemüseprodukten übrig bleiben; außerdem stellen sie »hervorragenden, natürlichen Dünger her.«“

Fortschrittlern graust es, solches Gewürm auch nur zur Kenntnis zu nehmen, geschweige, es als vollwertige und naturverträgliche Kost zu akzeptieren. Nichts Verachtungswürdigeres als ein Wurm:

„Ich aber bin ein Wurm und kein Mensch, ein Spott der Leute. Alle, die mich sehen, spotten meiner, verziehen die Lippen und schütteln den Kopf.“ (Ps. 22)

„Es ist ein Ansatz, den FAO-Experte Fernández de Larrinoa wohl als revolutionär im besten Sinne bezeichnen würde: Eine Kreislaufwirtschaft, bei der kein Müll entsteht. In indigenen Gemeinschaften, erklärt er, sei das Konzept Müll ohnehin erst bekannt, seit dieser in Form von Plastiktüten oder Batterien von außen kam.“

„Indigene Ernährungssysteme basierten auf dem spirituellen Glauben daran, dass überall Leben sei, das Respekt verdiene. Wenn ein Tier erlegt werde, würde häufig eine Zeremonie stattfinden. Aber auch Bäume und andere Pflanzen würden als Lebewesen angesehen. Fernández de Larrinoa hält diesen indigenen Zugang zum Ökosystem für entscheidend, um über Ernährung neu nachzudenken. Es werde nur gefischt, was man wirklich benötige. Man sei schlicht vorsichtiger. Auch sei es bei vielen Völkern nicht erlaubt, Lebensmittel in großen Mengen zu speichern, um die Regenerationsfähigkeit der natürlichen Ressourcen nicht zu überfordern.“

Diese Vorstellungen werfen unsere Kultur des Übermaßes und der Verschwendung über den Haufen. Ein neuer Lebensstil, direkt von der Hand in den Mund, ohne endlose Lieferketten und Konsumberge, mit Vertrauen in den morgigen Tag und in eine verlässliche Natur: das wäre notwendig:

Wir müssen uns ändern.

„Viel altes Wissen ist vorhanden, ist aber im Laufe der Zeit verloren gegangen. Wir helfen dabei, es wieder hervorzuholen.“

Das notwendige Wissen liegt nicht in der Zukunft, es liegt in der Vergangenheit, die wir in den Ländern des Fortschritts als „Altes“ erdrosseln, um neue Naturvernichtungsmittel zu ersinnen.

Vorwärts in die Vergangenheit. Die Erfindung des Fortschritts in einer linearen Geschichte, die sich zur Heilsgeschichte entwickelte, war der Beginn des Untergangs. Der Stolz der Fortschrittskulturen – das zeigt die Klimakrise von heute – entlarvt sich als Hochmut und Selbstverblendung.

Am Anfang sieht Fortschritt verheißungsvoll aus. Vergangenheit wird verächtlich, Zukunft erscheint in rosigem Licht.

Doch wie schnell dreht sich der Wind.

„Ein Gutes, das man unerbittlich betreibt, verwandelt sich in steinharte Übel und kann jede weitere Entwicklung hemmen.“ (Mumford, Die Stadt)

Fortschritt in Frage zu stellen, heißt nicht, jegliche Verbesserung der menschlichen Lage durch technische Mittel abzulehnen. Es heißt, den Automatismus eines linearen Fortschritts zu negieren.

Jede Erfindung, die das Geschick des Menschen zu verbessern verspricht, hat sich dem Urteil des Menschen zu stellen. Die Menschheit muss die Möglichkeit erhalten, Neuerungen auf ihre Tauglichkeit zu erproben – und über ihren Einsatz kollektiv abzustimmen. Der Fortschritt der Technik muss kein Fortschritt der Arbeit sein, mit Humanität will er ohnehin nichts zu tun haben. Wie der selbstbestimmte Mensch sein Leben verbringen will, darüber hat er allein zu entschieden – und sonst niemand.

Alles andere ist blinder Glaube an eine Geschichte, die sich in anschwellender Geschwindigkeit in die Zukunft bewegt. Wer sich dieser Bewegung widersetzen und aussteigen will, kommt unter die Räder.

Geschichte wird zur Maschine, deren Bewegung zu einem festgelegten Ziel sich niemand verweigern darf – wenn er nicht lebensmüde ist.

In der Geschichte realisiert sich der Wille eines Gottes, der seine ursprünglich gute, dann aber gefallene Natur vor dem weiteren Zerfall retten und in die anfänglich gute Natur zurückverwandeln will.

So wird Geschichte zur ferngelenkten Heilszeit, die, nach Erfindung der Technik, sich in eine irreversible Fortschrittsgeschichte verwandelt. Doch Heilsgeschichte wird nur für wenige zur Geschichte des Heils. Für die meisten Menschen wird sie zu einem Transport in schreckliches Unheil. Die Menschheit gleicht einer Schafherde von 100 Tieren, von der nur ein Schaf gerettet wird, 99 aber werden verloren gehen.

In der biblischen Variante kündigt Haggai an, dass Jahwe „Himmel und Erde, das Meer und eine neue Erde schaffen und an das Frühere wird man nicht mehr denken.“ Die neue Schöpfung wird unzerstörbar sein.

„Die Erneuerung der Schöpfung wird paradiesische Elemente mit sich bringen: unzählbare Reichtümer, Fruchtbarkeit ohnegleichen, Verschwinden der Krankheiten, Langlebigkeit, ewigen Frieden zwischen Menschen und Tieren, Beseitigung von Unreinheiten. Jerusalem wird Mittelpunkt der Welt sein. Die Originalität des hebräisch-religiösen Denkens unterliegt keinem Zweifel, aber die Königsideologie enthielt Analogien zu der „Erlöserrolle“ des Königs in den großen orientalischen Monarchien.“ (Mircea Eliade, Geschichte der religiösen Ideen, Bd II)

Die Vermutung liegt nahe, dass die Heilsgeschichten der Völker ein verzweifelter Versuch waren, die längst sichtbar gewordenen Naturverwüstungen zu korrigieren, nicht durch schwache Menschen, sondern durch einen Gott, der immer allmächtiger und weltumspannender wird.

Die Grünen wollen die Schöpfung bewahren, ohne einen Blick in die Schrift getan zu haben. Den Theologen glauben sie wie Kinder. So nehmen sie nicht wahr, dass die Erlösung nicht die Veränderung der jetzigen Welt betrifft, sondern, im Gegenteil, die irdische Natur ignoriert und verkommen lässt und das ganze Heil einer neuen Natur am Ende aller Tage vorbehält.

Um unsere heutige Welt sollen sich die Frommen nicht kümmern. Sie ist Inbegriff des verrotteten Alten, das noch notdürftig bis zum Jüngsten Tag erhalten wird – und erst danach in Nichts zerfällt. Das Nichtkümmern wird als Sorglosigkeit propagiert:

„Darum sage ich euch: Sorgt euch nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung? Seht die Vögel unter dem Himmel an: Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel kostbarer als sie? Wer ist aber unter euch, der seiner Länge eine Elle zusetzen könnte, wie sehr er sich auch darum sorgt? Und warum sorgt ihr euch um die Kleidung? Schaut die Lilien auf dem Feld an, wie sie wachsen: Sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht. Ich sage euch, dass auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht gekleidet gewesen ist wie eine von ihnen. Wenn nun Gott das Gras auf dem Feld so kleidet, das doch heute steht und morgen in den Ofen geworfen wird: Sollte er das nicht viel mehr für euch tun, ihr Kleingläubigen? Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Womit werden wir uns kleiden? Nach dem allen trachten die Heiden. Denn euer himmlischer Vater weiß, dass ihr all dessen bedürft. Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen. Darum sorgt nicht für morgen, denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage hat.“

Da Arbeit die Frucht der Sünde war, ist es konsequent, dass die Erlösten mit Arbeit nicht behelligt werden sollen. Das ist das Gegenteil Hesiods, des griechischen Heiden, für den Arbeit eine lustvoll-schwere und zufriedenstellende Tätigkeit war, um sich mit Hilfe der Natur selbständig zu ernähren:

„Keinerlei Arbeit ist Schande; nur Nichtstun ist eine Schande.“ (Hesiod)

„Der Nichtarbeitende gleicht den Drohnen im Bienenstande. Auch die Arbeit ist eine Gottesordnung und die Götter lieben den Fleißigen. In Vermeidung von Gewalt und Unrecht, in rechtlichem Handeln, fleißiger Arbeit und redlichem Erwerb besteht die bürgerliche Tüchtigkeit, die einem nicht in den Schoß fällt, sondern zu der es in harter, aber auch von Erfolg gekrönter Anstrengung sich emporzuringen gilt.“ (Nestle)

„Doch vor die Tüchtigkeit setzten den Schweiß die unsterblichen Götter.“ (Hesiod)

Von Natur aus ist der Mensch nicht träge, sondern erlebt körperlich harte Arbeit als lustvolle Herausforderung seiner Kräfte, mit denen er sich in der Natur sorgenlos ernähren kann.

Der sündige Mensch hingegen scheut anstrengende Arbeit, weil er sie als Fluch empfindet.

Die Sozialdemokraten – die christlichen Parteien ohnehin – kennen nur „harte Arbeit“ als Äquivalent der sündigen. Der Mensch ist für sie von Natur aus faul und arbeitsunwillig, weshalb die Hartz4-Empfänger zur Arbeit gezwungen werden müssen. Von freiwillig-befriedigender Arbeit haben die Sozis noch nie gehört. Sie würden es für Ammenmärchen halten.

Versteht sich, dass sinnvolle Arbeit nur eine freie und selbstbestimmte sein kann, keine Plackerei im Dienste von ArbeitGebern, von denen sie unterwürfig die Arbeit entgegennehmen müssen. Der Kapitalismus hat das freie und selbstbestimmte Arbeitsethos vernichtet.

„Jeder soll in dem Stand bleiben, in dem ihn der Ruf Gottes getroffen hat. Wenn du als Sklave berufen wurdest, soll dich das nicht bedrücken; aber wenn du frei werden kannst, mach lieber Gebrauch davon! Denn wer im Herrn als Sklave berufen wurde, ist Freigelassener des Herrn. Ebenso ist einer, der als Freier berufen wurde, Sklave Christi.“

Das ist Luthers Arbeitsethos. Keine Arbeit ist frei gewählt, sondern beruht auf einer Berufung des Herrn. Was bedeutet, dass selbst der freie Arbeiter Sklave Gottes ist. Arbeit ist immer Sklavenarbeit, entweder als Sklave der Menschen oder als Sklave Gottes.

Nur folgerichtig, dass der Kapitalismus durch Enteignung freier Bauern begann, die in Folge ihres erlittenen Landraubs die schreckliche Fabrikarbeit akzeptieren mussten, wenn sie nicht als Bettler enden wollten. Die Spaltung der Gesellschaft in Arbeitgeber und -nehmer ist die Grundlage der Trennung in immer reicher Werdende und Verelendete.

In einer neuen Gesellschaft, die wir gründen müssen, haben Aufspaltungen in Bevorzugte und Benachteiligte aufzuhören. Kein Tätiger darf abhängiger Knecht von Reichen werden, dessen Schicksal in Händen weniger Erwählter liegt. Die gesamte Wirtschaft muss umgewandelt werden in Genossenschaften, in denen jeder eine gleichberechtigte Mitsprache besitzt. Eine echte Demokratie verträgt keine Wirtschaft von einem Prozent Eigentümer und 99 % Malochern, deren Schicksal in Händen weniger Erwählter ruht.

Desgleichen muss das gesamte Agrarland den heutigen Naturvergiftern aus der Hand genommen und denen gegeben werden, die den Kräften der Natur eine neue Chance geben, sodass all jene Tiere und Pflanzen gedeihen können, die eine unverwüstete Natur ausmachten. Das Vorbild der Indigenen muss Grundlage der Reformen werden.

Ein anderes Beispiel für uralte Waldbewahrungstechnik kommt aus Burkina Faso:

„In Burkina Faso hat Yacouba Sawadogo einen einzigartigen Wald geschaffen. Mit einer alten Technik belebte er staubtrockene Böden. Dass der Wald über die Jahrzehnte so grün und artenreich geworden ist, liegt auch an der sogenannten Zaï-Technik. Sie zeichnet sich durch Pflanzlöcher aus, die in ordentlichen Reihen angelegt werden. Yacouba Sawadogo hat die Technik weiterentwickelt, die Löcher vergrößert und nicht nur Samen, sondern auch Kompost hineingefüllt. Das hilft beim Wachsen und lockt Termiten an, die den Boden auflockern. Viele Familien nutzen die erfolgreiche Technik heute. Allerdings ist sie auch mühsam und arbeitsintensiv.“ (TAZ.de)

Die fortgeschrittenen Länder haben, zuletzt mit globalen Beraubungskünsten, nicht nur die Rohstoffe der schwächeren Länder erbeutet, sondern ihre fruchtbare Vegetation weitgehend zerstört. Immer mehr gehen jene Völker daran, mit uralten Methoden ihre Natur so weit wie möglich wieder zu beleben. Es wäre die Wiedergutmachungspflicht der reichen Länder, jene von den Klimagefahren bedrohten Länder mit allen Mitteln zu unterstützen.

Fortschritt ist zum Fluch geworden. Nie war er eine rationale Methode zur Verbesserung der Lebensverhältnisse – außer für Reiche –, sondern immer war er die technische Realisierung eines naturhassenden Glaubens. Selbst Theologe Albert Schweitzer sah keinen Segen auf dem Fortschritt der Europäer:

„Fortschritt wird nur noch im materiellen Sinne verstanden: mehr Kohle, mehr Öl, mehr Macht, mehr Gewinn. Was nützen die Schätze der Erde, wenn der Mensch an innerem Wert verliert?“

Doch auch die Bewahrung eines inneren Werts genügt nicht mehr – der Fortschritt ist zum Monstrum geworden, der Natur und Mensch zerstört.

Naturverehrende Kulturen kannten weder Fortschritt noch eine linear an ein Endziel rasende Heilszeit. Denn das „Heil“ der Natur war die erfüllte Zeit jedes Augenblicks.

„Der Ethnologe Claude Lévi-Strauss erkannte zwei fundamental unterschiedliche Prinzipien menschlicher Gesellschaften, die er als „kalte und heiße Kulturen“ bezeichnete. Die „kalten“ Kulturen – die sich heute nur noch bei einigen wenigen naturnah lebenden Ethnien finden – beharren auf den bewährten Traditionen, da sie jeglichen menschlichen Eingriff in die kosmischen Zusammenhänge als potentielles Risiko betrachten. Die meisten modernen Zivilisationen und ihre historischen Vorläufer repräsentieren hingegen die „heißen“ Kulturen, die viel stärker der Erkenntnisfähigkeit und Kreativität des Menschen vertrauen und die nach Lévi-Strauss ein „gieriges Bedürfnis“ nach kulturellem Wandel haben.“

Wie trefflich der Begriff „heiße Kulturen“ passt für die Fortgeschrittenen, die glühenden Hitzewellen entgegeneilen. Doch der größeren Erkenntnisfähigkeit der Menschen vertrauen sie nicht, sonst hätten sie längst erkennen müssen, in welch irrationalem Tempo sie dem Desaster entgegeneilen.

Der Begriff Kreativität hingegen trifft zu. Er will Neues schaffen und das Alte vernichten, während die indigenen Völker mehr der Weisheit der Natur vertrauen als ihren eigenen machtgierigen Triebregungen.

„Technischer Fortschritt ist immer ein Entfernen des Menschen von der Verbindung mit der Natur. Diesem voran steht der Glaube, der Mensch sei kein Teil der Natur, sondern wäre dieser überlegen und habe sie planvoll zu entwickeln.“

Für die Hybris, alles besser zu können als die Natur, zumal im Auftrag eines naturverachtenden Erlösergottes, muss der Mensch die Rechnung bezahlen. Bislang konnten die „Hochkulturen“ die Schäden ihrer Naturzerstörung jenen Völkern belassen, die sie schon seit Jahrhunderten schädigen. Zuerst mit missionarischen Methoden, danach mit scheinbar fairen Wirtschaftsmethoden, die, unter dem Vorwand ihrer Hilfsbereitschaft, die schwachen Länder noch mehr ausbluteten.

Jeder Baum und jeder Strauch, jedes Tier und jede Pflanze waren den Völkern der zyklischen Zeiten ein Heiliges. Eine Geschichte, die diese Zyklen zerstört und über verwüstete Landschaften einem kollektiven Ende entgegeneilt, um alles durch Zerstörung zu erlösen, wäre ein Alptraum für sie gewesen.

„Die moderne Vorstellung eines umfassenden Fortschreitens war der Antike grundsätzlich fremd. Die antike Zeitauffassung war zyklisch und nicht linear, sie orientierte sich an den immergleichen kosmischen Prozessen.“ (Friedrich Rapp, Fortschritt)

Natur war für Griechen wie alle anderen naturverehrenden Völker etwas Vollkommenes, das durch den Verlauf der Zeit nicht verbessert, geschweige erlöst werden konnte.

In der Aufklärung war Fortschritt anfänglich ein humaner Verbesserungsprozess. Erst der Rausch der aufkommenden Wissenschaftseuphorie verunstaltete den Fortschritt in einen rein technischen Prozess. Das war die entscheidende Tempoverschärfung auf dem Weg ins Verderben.

Technik sollte dem Menschen das moralische Bemühen um Menschlichkeit gänzlich aus der Hand nehmen. Alles, was menschlich heißt, wird seitdem in unendlich vielen Laboratorien, unter dem Mikroskop, mit immer perfekteren Maschinen überflüssig gemacht – wie gottähnliche Techniker überzeugt sind.

Bei dem englischen Aufklärer Ferguson wird Fortschritt als „geradlinige und unausweichliche, kollektive Selbsterlösung der Menschheit geschildert. Diese Wandlung biblischer Endzeiterwartung zur Utopie einer künftigen Forschungs- und Fortschrittswelt greift von England nach Europa über.“ (Friedrich Wagner, Die Wissenschaft und die gefährdete Welt)

Und ergreift schließlich die ganze Welt.

Da Fortschritt die technische Erlösung einer minderwertigen Natur sein soll, versteht es sich, dass jede Maloche der Abhängigen zur heiligen Pflicht werden muss. Wer nicht sein ganzes Leben lang schuftet, um seiner technischen Erlösungspflicht nachzukommen, ist ein Verräter am Erlösungsprozess der Natur.

Die Menschen dürfen nicht mehr zur Ruhe und Muße, zum Nachdenken und Innehalten kommen. Atemlose Hatz wird zum säkularen Gottesdienst.

Mit indigenen Völkern und all jenen, denen die Natur das Kostbarste ist, müssen wir uns zusammenschließen. Nur wer Natur rettet, kann den Menschen retten.

Fortsetzung folgt.