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nichtsdesto-TROTZ LXXI

Tagesmail vom 17.09.2021

nichtsdesto-TROTZ LXXI,

Mächtigster Mann der Welt gegen mächtigste Frau der Welt:

Durch KO-Sieg in der ersten Sekunde entschied der Mann das Duell für sich. Von der Frau war nichts zu sehen und nichts zu hören. Sie sei, so das infame Gerücht, wortlos in den Tiefen der mecklenburgischen Seenplatte verschollen. Einer Vertrauten soll sie noch zugeflüstert haben, heute bedaure sie, sich am Gerangel der Rabauken überhaupt beteiligt zu haben. In einem zweiten Leben würde ihr das nicht wieder passieren.

Es war ein präzises Spiegelbild der globalen Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern. Über das Schicksal der Welt entscheiden noch immer gigantische Herren des Universums. Wenn‘s hoch kommt, dürfen Frauen gegen sie demonstrieren – sofern sie das Hohngelächter der Phallusträger über ihren weibischen Aktivismus nicht fürchten.

Die armseligen Weibchen kommen mit nichts als Moral, platzieren sich mit ihren Plakaten tollkühn vor hochbewaffneten Soldaten und glauben ernsthaft, die Militanz der Männer im Namen des Lebens überwinden zu können.

Die große Politik – die im deutschen Wahlkampf nicht die geringste Rolle spielt – wird, daran gibt es ab gestern keinen Zweifel mehr, zwischen angelsächsischen Weltherren und dem chinesischen Reich entschieden. Jenem Reich, das viele Jahrhunderte lang das mächtigste, in sich ruhende, Reich der Mitte gewesen war.

Dann wurde es vom imperialen Westen zum pittoresquen Land des Lächelns und zum Schauplatz schrecklicher Menschenvernichtung erniedrigt, bevor es sich in einer unglaublichen Kraftanstrengung an die Spitze der Welt zurückkämpfen konnte.

Die Nachkriegszeit ließ die Hoffnung aufkommen, die Menschheit könne endlich zu sich kommen und die Grundlagen für einen globalen Frieden errichten.

Die UN wurde zum Parlament der Völker, in dem ihre Konflikte auf demokratische Weise besprochen und entschärft werden konnten. Selbst der Kalte Krieg zwischen beiden Atommächten konnte mit friedlichen Mitteln beigelegt werden. Noch nie schien das Ende der gewalttätigen Geschichte so nahe. Kants Vision vom ewigen Frieden war dabei, sich von einer lächerlichen Utopie in Realität zu verwandeln.

Dann der Umbruch. Die aufgeschreckten Religionen in Amerika meldeten sich zurück und forderten den korrekten apokalyptischen Verlauf ihrer Heilsgeschichte: der Vernichtungskampf zwischen Recht- und Ungläubigen – mit dem von Gott zugesagten Sieg der Seinen – durfte durch glaubensloses Friedensgesäusel nicht gefährdet werden.

Eine Mehrheit der Rechtgläubigen hielt daran fest, „die Offenbarung des Johannes ebenso wörtlich zu verstehen wie die Schöpfungsberichte. Das schließt vor allem die Idee einer Phase der Bedrängnis und Trübsal ein, („tribulation“) von der nur die auserwählten Christen, die 144 000 Heiligen der Bibel, verschont bleiben. Diese würden in einem Akt der rapture (Begeisterung) rechtzeitig vor Beginn der Trübsal von der Erde entfernt, um sich bereits vor allen anderen der seligen Anschauung Gottes zu widmen. Der Rest werde gegen die Mächte Satans kämpfen müssen, um sich zu bewähren und im Endgericht gerettet zu werden. Die auserwählten Heiligen Gottes würden demnach von jeder Anfechtung und Trübsal der Endzeit verschont bleiben. Diese Hoffnung, gleichzeitig Ausdruck eines gewissen Überlegenheitsgefühls, ist für Neofundamentalisten unerlässlich. Zudem hat die Wende zum Jahr 2000 mitsamt der Aufregung um das Computervirus dafür gesorgt, dass die endzeitliche Naherwartung in den vergangenen Jahren deutlich angestiegen ist. Dies führte gleichzeitig zur intensiven Kommerzialisierung der Apokalypse. Die Endzeit wird zum epischen Ereignis, das den herrschenden Konsumgesetzen gemäß dargestellt wird. In kolossalen Schlachten und andauernden Einzelgefechten werden Hekatomben von Menschen dahingemetzelt.“ (Hochgschwender, Amerikanische Religion, Evangelikalismus, Pfingstlertum und Fundamentalismus)

Der Aufstand der Neokonservativen mit christlich-jüdischem Hintergrund war eine Attacke gegen den drohenden Sieg der humanen Aufklärung über die Heilsgeschichte, die mit dem Sieg der Erwählten und dem Untergang der Verworfenen enden würde.

Es war eine Auseinandersetzung zweier Geschichtsauffassungen: der Geschichte der areligiösen Vernunft mit dem Ziel eines globalen Friedens – und dem lang ersehnten Ende der Heilsgeschichte mit dem absoluten Sieg der Gläubigen über die Gottlosen.

Der Kampf dieser beiden Geschichtsauffassungen prägte die gesamte Moderne, die das kommende Heil in ein technisches Reich der Zukunft transformierte, das die Erwählten (die Anhänger des Fortschritts) als Sieg über die „Ungläubigen“ (die Feinde des Fortschritts) für sich gewinnen werden.

Selbst der phänomenale Erfolg der Jugend in Silicon Valley war ohne diese Endzeitperspektive nicht möglich. Die nach Indien schauende Hippiejugend wurde vom Heiligen Geist der Technik erfasst und begann, von der Weltherrschaft ihrer digitalen Erleuchtungen zu träumen.

Mit dieser Abwendung Amerikas vom säkularen Vernunftfrieden der Nachkriegszeit erfüllte sich, was Kirchenvater Augustin bereits vor 2000 Jahren prophezeit hatte:

„Die Welt ist jetzt wie eine Kelter: es wird ausgepresst: Bist du Ölschaum, so fließt du in die Kloake; bist du Öl, so bleibst du im Ölfass. Dass gepresst wird, ist unumgänglich. Nur beachte den Schaum, beachte das Öl: Pressung geht in der Welt vor sich: durch Hungersnot, Krieg, Armut, Teuerung, Not, Sterben, Raub, Geiz; das sind die Mühsale der Staaten; wir erleben es … Da finden sich Leute, die in solchen Drangsalen murren und sagen: „wie schlecht sind die christlichen Zeiten …“ Das ist der Schaum, der aus der Presse fließt und durch die Kloaken rinnt; sein Ausfluss ist schwarz, weil sie lästern, er glänzt nicht. Das Öl hat Glanz.“

Das war das religiöse Urmuster von Kapitalismus, Marxismus und Darwinismus. Ohne Druck geht nichts, die Starken glänzen, die Schwachen kommen in die Kloake.

In seinem Werk „Weltgeschichte und Heilsgeschehen“ brachte Karl Löwith den Kampf der Heilsgeschichte auf den säkularen Begriff:

Das Buch wolle zeigen, „ dass die moderne Geschichtsphilosophie dem biblischen Glauben an eine Erfüllung entspringt und dass sie mit der Säkularisierung ihres eschatologischen Vorbilds endet.“

Wie ist es möglich, dass der Friedensverlauf der Nachkriegsgeschichte fast über Nacht ins Gegenteil umschlagen konnte? Weil der Kampf zwischen der zirkulären Geschichte der Griechen und der christlichen Heilsgeschichte in der abendländischen Entwicklung bis heute keinen eindeutigen Sieger gefunden hat:

„Um konsequent zu sein, müsste das Vertrauen in die Geschichte zurückkehren zur klassischen Theorie einer kreisförmigen Bewegung; denn nur unter der Voraussetzung einer Bewegung, die ohne Anfang und Ende ist, ist Kontinuität erweisbar. Der neuzeitliche Geist ist unentschieden, ob er christlich oder heidnisch denken soll. Er sieht auf die Welt mit zwei verschiedenen Augen: mit dem des Glaubens und mit dem der Vernunft. Daher ist seine Sicht trübe, verglichen mit entweder griechischen oder biblischen Denken.“ (Löwith)

Die Heilsgeschichte diente nicht nur als Motivator des technischen Fortschritts, sondern auch der Prägung nationaler Politik:

„Das dritte Testament des Joachim di Fiore erschien als „Dritte Internationale“ wieder und als „Drittes Reich“, verkündet von einem dux oder Führer, der als Erlöser bejubelt und von Millionen mit „Heil“ begrüßt wurde. Die Quelle dieser Versuche, die Geschichte durch Geschichte zu vollenden, ist die Erwartung, dass ein letzter Kampf das Heilsgeschehen zu seiner weltgeschichtlichen Erfüllung und Vollendung führen werde.“ (ebenda)

Sollten Löwiths Geschichtsanalysen zutreffen, wäre die heutige deutsche Polit- und Medienszenerie von allen guten Geistern verlassen. Von all diesen Deutungen liest und hört man hierzulande – presque rien.

„America first“, das neue Militärbündnis zwischen Amerika, England und Australien, um die immer stärker werdende chinesische Großmacht im Zaum zu halten, ist keine Neuerfindung Joe Bidens. Auch nicht von Donald Trump. Es gehört zum Grundreservoir Amerikas seit seinen Anfängen. Den Europäern zeigten die drei Mächte die kalte Schulter.

Gelegentlich trat der nationale Narzissmus in den Hintergrund, etwa im zweiten Weltkrieg, als die USA im Dienst der freien Welt die Nazis zur Strecke brachten. Doch immer, wenn der Frieden drohte, in Langeweile umzuschlagen, begann die Kehre zurück in die zwiegeteilte Heilsgeschichte: die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen.

Die heutige Regression begann bei Dabbelju Bush, der den nationalen 9/11-Schock mit dem Krieg gegen muslimische Terroristen und gegen Afghanistan beantwortete.

Wohl gab es vereinzelte Stimmen, die vor blindwütigen Rachefeldzügen gewarnt und die Forderung gestellt hatten, die Gründe der Scharia-Attentäter selbstkritisch zu erforschen. Dann hätte man sehen können, dass der Hass gegen Amerika nicht ganz unberechtigt war.

Hätte sich dieser rationale Kurs durchgesetzt, hätte die amerikanische Außenpolitik sich nicht unwesentlich ändern müssen:

„Solche Veränderungen hätte der militärisch-industrielle Komplex, der beide Parteien dominierte, niemals akzeptieren können. Denn sie hätten den Abzug aller amerikanischen Truppen in der Welt bedeutet und damit die Preisgabe politischer und wirtschaftlicher Herrschaft über andere Länder – kurz: das Ende der mit Stolz gepflegten Rolle der USA als Supermacht.“ (Howard Zinn, Eine Geschichte des amerikanischen Volkes)

Was wären die konkreten Folgen dieser Veränderung gewesen?

„Statt 300 bis 400 Milliarden Dollar pro Jahr für die Rüstung auszugeben, hätte man solche Riesensummen dafür einsetzen können, die Lebensbedingungen von Amerikanern und Menschen in anderen Teilen der Welt zu verbessern. Schon ein geringer Teil des amerikanischen Militärhaushalts hätte Millionen von Menschenleben retten können, wenn man ihn zur Behandlung von Tuberkulose einsetzen würde. Die USA wären nach einem solchen Paradigmenwechsel keine militärische Supermacht geblieben, sie hätten sich aber zu einer humanitären Supermacht entwickeln können, die ihre Reichtümer verwendet, um die Not der Menschen zu lindern.“ (ebenda)

Zu früheren Terroranschlägen gegen amerikanische Botschaften in Kenia und Tansania hatte ein ehemaliger Oberstleutnant der US-Luftwaffe die radikalen Überlegungen veröffentlicht:

„Wir sind nicht verhasst, weil wir die Demokratie pflegen, die Freiheit wertschätzen oder die Menschenrechte achten. Wir werden gehasst, weil unsere Regierung den Menschen in der Dritten Welt diese Dinge vorenthält, auf deren Rohstoffe unsere multinationalen Unternehmen lauern. Dieser Hass, den wir gesät haben, schlägt nun in Form von Terrorismus auf uns selbst zurück … Statt unsere Söhne und Töchter rund um den Globus zu schicken, um Araber zu töten, damit wir das Öl unter ihrem Sand haben kriegen, sollten wir sie dorthin schicken, um sauberes Wasser bereit zu stellen und hungernde Kinder satt zu machen.“ (ebenda)

Das war die Wasserscheide der jüngsten Vergangenheit, die Rachegeister wie Dabbelju Bush oder Trump erst möglich machte. Bei uns hingegen erzählten die Medien das Märchen, die Parole America first sei die Wahngeburt eines Irren, die mit der Vergangenheit der USA nichts zu tun habe.

Die Kohäsion der alt-angelsächsischen Weltherrschaft funktioniert. Amerika, England und Australien: sie haben die Nase voll vom geschwätzigen Europa mit dem sich stets überschätzenden Frankreich, den ach so vorbildlichen Deutschen, die nie den Status der Altnaziverbrecher verlieren würden und jenem Gewimmel überflüssiger europäischer Kleinstaaten.

Mit ihrem Brexit hatten die Engländer deutlich gemacht, was sie von diesem aufgeplusterten Europa hielten: fast nichts. Selbst drohende wirtschaftliche Einbußen hielt die einstige Weltmacht nicht davon ab, sich von diesem aufdringlichen Europa abzunabeln.

Deutschlands mächtigste Frau, die noch nie einen Gedanken an den künftigen Frieden der Welt verschwendet hat, kann nur eins: sie kann zwischen allen Stühlen hin und her lavieren.

Bellizistisch will sie nicht sein, pazifistisch schon gar nicht. Die NATO muss sein, aber bitte als Gurkentruppe. Nächstenliebend will sie sein, aber bitte mit robustem Machiavellismus; die Natur will sie retten, aber nur, wenn deutsche Kohlebergwerke freiwillig schließen. Stolz ist sie darauf, ihr Scherflein zum – noch – herrschenden Wohlstand der Deutschen beigetragen zu haben.

Was hat sie alles geleistet, um den Ruf der Deutschen in der Welt zu verbreiten. Gäbe es das neue Amt einer Königin Europas: es wäre die Krönung ihrer Laufbahn.

Majestät: was wird bleiben von Euren guten Taten in Deutschland?

Ehrlich – oder für die Geschichtsbücher?

Ehrlich!

Nichts.

Ihr überrascht uns.

Das Klima wird uns alle fressen. Nicht nur ich: wir alle haben versagt im Kampf gegen die Klima-Gefahr. Darf ich offen sein?

Ausnahmsweise – zum Abschied!

Ich bedaure nichts, auch meine angebliche Visionslosigkeit nicht. Wisset, ihr Tumben: die Vision vom apokalyptischen Untergang ist die allein wahre und gehört zu unserem gemeinsamen Glauben – den ihr nie ernst genommen habt. Der Strafe des Himmels werdet ihr nicht entkommen. Nur wer auserwählt ist, wird beim Vater landen. Ich aber weiß, dass mein Erlöser lebt.

Bye bye ihr Törichten.

Fortsetzung folgt.