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nichtsdesto-TROTZ LXVII

Tagesmail vom 08.09.2021

nichtsdesto-TROTZ LXVII,

„Und wenn die heiligen Monate abgelaufen sind, dann tötet die Polytheisten, wo immer ihr sie findet, greift sie, belagert sie und lauert ihnen auf jedem Weg auf. Wenn sie umkehren, das Gebet verrichten und die Abgabe entrichten, dann laßt sie ihres Weges ziehen: Gott ist voller Vergebung und barmherzig.“ (Koran)

„Euch aber, die ihr meinen Namen fürchtet, soll aufgehen die Sonne der Gerechtigkeit und Heilung unter ihren Flügeln; und ihr werdet herauskommen und hüpfen wie Kälber aus dem Stall! Und ihr werdet die Gottlosen zertreten; denn sie werden wie Asche sein unter euren Fußsohlen am Tage, da ich handle, spricht der HERR der Heerscharen.“ (Altes Testament)

Tötet die Ungläubigen: das ist die gemeinsame Botschaft der Erlöserreligionen – und dennoch scheint es riesige Unterschiede zwischen der „richtigen“ und der „falschen“ Botschaft zu geben:

Während die entsprechenden Verse im Koran heute als Beweis für den terroristischen Kern des Islams gelten,

sind die Verse aus Maleachi Worte der deutschen Kanzlerin „im Wahlkampfmodus“ (Stefan Aust)

Diese Urheuchelei ist der Grund des verfallenden Ansehens des Westens.

Wenn zwei dasselbe verkünden, ist es nicht das Gleiche. Gründe: beide Religionen bestehen aus dem unveränderlichen Urtext und seiner stets wandelbaren Auslegung. Text und Auslegung (Hermeneutik) entfernen sich immer mehr voneinander.

Das betrifft nur die heiligen Texte der Unfehlbarkeitsreligionen. Weltliche Texte aus jener Zeit kennen keine hermeneutischen Klügeleien, die den Sinn der Originaltexte beliebig verfälschen können, um sich dennoch zu rühmen, angemessene Deutungen vorzulegen.

Würde man Cäsar oder Aristoteles hermeneutisch in den Schwitzkasten nehmen wie heilige Texte, gäbe es einen Aufschrei in den historischen Wissenschaften. Was weltlich der intellektuellen Redlichkeit widerspricht, gilt bei heiligen Texten als Akt fortwährend-wechselnder Erleuchtung.

Heidnische Vernunft bleibt sich immer gleich, während religiöse Erleuchtung sich ständig wechselnden Offenbarungen Gottes anpassen muss.

Gott kennt keine ewigen Wahrheiten, an die er sich halten müsste. Wahrheit kann er nach Belieben neu erfinden. Es ist wie in Orwells Wahrheitsministerium, das die Vergangenheit nach Belieben umschreiben kann.

Seit der Aufklärung steht der Zeitgeist auf der Seite der Humanität – der die intoleranten Religionen entschieden bekämpft: mit Argumenten, nicht mit Feuer und Schwert.

Die Gottesgelehrten der Kirchen befürchteten den Abfall ihrer Gemeinden in die Hände der Vernünftler – oder ließen sich selber von den humanen Ideen inspirieren. Also ergaben sie sich – und setzten sich an die Spitze ihrer bisherigen Gegner.

In allen Erlöserreligionen entstanden zwei Fraktionen: die große Masse derer, die dem Ruf der Vernunft folgten – und der kleine Kern des „totalitären oder terroristischen“ Unfehlbarkeitsglaubens, der dem Urtext die Treue hielt.

Nicht anders als bei Luther, der – wider die Auslegungskünste des Papismus – zum Urtext zurückkehrte mit der Devise: „das Wort, sie sollen lassen stahn und kein Dank dazu haben.“ (Sola scriptura)

Es war der Erfolg der Aufklärungsepoche, die gnadenlosen Religionen allmählich menschenfreundlicher gemacht zu haben. Doch der Erfolg war nicht komplett. Die Religionen spalteten sich in moderne, demokratiekompatible urtextvergessene Gefühlsreligionen und fundamentalistische, superorthodoxe, fanatisch textgetreue oder totalitäre heilige Krieger – die die glaubenslosen Kulturen hassten wie die Pest.

Das deutsche Christentum hält sich heute für aufgeklärt und lehnt hinterwäldlerische Fanatiker ab. In der Tat hatte sich in den letzten Jahrzehnten die Zahl der Biblizisten ziemlich verringert.

Erst seit der Regression der amerikanischen Politik zur militanten Missionsarbeit, die die Welt zur Demokratie und zum christlichen Glauben führen soll, werden die freikirchlichen oder sektiererischen Glaubensgemeinschaften hierzulande wieder stärker.

In prosperierenden Zeiten hielt sich der „bible belt“ zurück und empfand den Machtzuwachs seiner Nation als wohlgefälliges Zeichen des Himmels, dass Gottes Land sich auf dem rechten Weg befinde.

Kaum aber beginnt der Machtkoloss zu wanken, beginnen die Frommen die Krise als Strafe Gottes zu verstehen, der seine Nation zum Glauben der Gründerväter zurückbringen will.

Dem Kurswechsel des großen Bruders standen die Deutschen ratlos gegenüber. Hemmungslos widersprechen die Theologen ihrem Gott. Hätten sie ihn verstehen wollen, hätten sie sich mit dem aufgeklärten wie dem vernunftfeindlichen Glauben auseinandersetzen müssen.

Tun sie aber nicht. Aus Trägheit, die verdrängten Probleme ihrer nationalen Religion wieder hervorzuholen. Wenigstens in diesem Punkt wollen sie ihren Befreiern überlegen sein – aber in wortloser Demut. Was bedeutet: die Erinnerungen an ihre Kirchen in der Nazizeit, in der diese glühende Verehrer eines johanneischen Führers waren, müssen sie komplett verdrängen.

„Wie groß diese Faszination war, zeigte sich selbst an einem Mann wie Karl Barth“, dem Anreger der „Bekennenden Kirche“, der sich in einer Streitschrift als Sympathisant zur neuen Führerbewegung bekannte:

„Wo ist das alles hingekommen, was noch vor einem Jahr und vorher 100 Jahre lang Freiheit, Recht und Geist hieß? Nun, das sind zeitliche und irdische Güter. Alles Fleisch ist Gras … Kein Zweifel: schon manches Volk in alter und neuer Zeit hat diese Güter entbehren müssen und dann auch entbehren können, wenn das kühne Unternehmen des „totalen Staates“ es von ihm verlangt.“ (in Klaus Scholder, Die Kirchen und das Dritte Reich)

Nach dem Krieg erfanden sich die Kirchen – von den Alliierten unterstützt – über Nacht ganz neu. Nach einem nichtssagenden Schuldbekenntnis waren sie plötzlich vorbildliche Widerständler gewesen, wenn auch, gewiss doch, mit vielen passiven Mitläufern. Wieder einmal überstimmte die Singularität einiger Aufrechter (Bonhoeffer etc.) die Begeisterung der Massen für den Führer.

Wird ein Schaf gerettet, müssen 99 verloren gehen.

Erneut zeigten sich die Fähigkeiten der Kirchen, sich im Bad der Wiedergeburt gänzlich neu zu erfinden. Als Widerständler waren sie selbstredend den Werten der Weimarer Republik  treu geblieben – und ergo bestens geeignet, die Glaubensfundamente der Nachkriegsdemokratie zu bilden.

Die BRD ruht nicht auf dem Felsen einer selbsterarbeiteten Vernunft, sondern schwankt auf dem Treibsand einer nationalen Lüge: dass die junge Demokratie geprägt werde von christlichen Werten des Abendlands.

Auf diesem Treibsand schlingern alle Politiker der Nachkriegsparteien, die sich, nehmt alles in allem, als Christen empfinden.

Was aber geschieht, wenn dieser Staat immer mehr muslimische Zuwanderer und Flüchtlinge aufnimmt, unter denen sich einzelne Scharia-Fanatiker befinden, die keine Hemmungen besitzen, ihren dekadenten Gastgebern im Namen Allahs mit Gewalttaten zu danken?

Beginnen die Erlöserreligionen, sich selbstkritisch mit ihrem fanatischen Kern auseinanderzusetzen? Wird der Islam als gespaltene Religion verstanden mit 99% Gutwilligen – und einem unheiligen Rest von Scharia-Fanatikern?

Nein, das wäre zu gefährlich für das Selbstbewusstsein einer erfolgreichen Nation. Eine solche Selbstkritik entlarvte auch die wunden Punkte der eigenen Religion. Das wäre eine Selbstprüfung, die die Fähigkeiten der Kirchen weit überfordern würde.

Das Gegenteil geschah. Die aufkommende Kritik am Islam wurde von der Politik bekämpft. Die rückhaltlose Analyse des Islam würde auch das eigene Christentum schonungslos entlarven.

Ergo wurden beide Religionen gereinigt, die fremden Fanatiker als Einzeltäter angegriffen, die das Böse um des Bösen willen getan hätten. Bei keiner Untat wurden Fragen nach dem Warum gestellt. Das Böse blieb unerforscht oder teuflisch-irrational. Die Unfähigkeit zu verstehen wurde kompensiert durch „blankes Entsetzen“.

Dasselbe bei antisemitischen Terrorakten. Nie wurde die Frage nach den christlichen Entstehungsgründen des Antisemitismus gestellt. Es genügte, seine tiefe Erschütterung und Fassungslosigkeit bekundet zu haben.

Das deutsche Christentum will heute eine menschenrechtliche und humane Religion sein, die ihre schreckliche Vergangenheit entsorgt hat. Die falsche Selbsteinschätzung geht so weit, dass die Theologen Demokratie und Menschenrechte erfunden haben wollen. Die Verdienste der athenischen Polis werden von ihnen totgeschwiegen. Merkels Verachtung Griechenlands hat eine lange christogene Vorlaufzeit.

Eine wahrhaft multikulturelle Gesellschaft wäre eine Meisterleistung. Doch die Multikultigesellschaft der Parteien (besonders der Grünen) war Selbstschutz und Schaumschlägerei. Um die Defizite der eigenen Religion zu überdecken, musste auch der Islam von allen Sünden freigesprochen werden. Der totalitäre Kern der Erlöserreligionen darf nicht aufgedeckt werden.

Die selbstkritischen und warnenden Äußerungen aufgeklärter Muslime werden hartnäckig überhört. Nein, die Religion darf nicht die Ursache böser Taten sein. Das Böse muss grauenhaft sein und sich jedem Verstehen entziehen. Die Kategorie Schuld wurde abgeschafft, prophylaktische Maßnahmen gegen das Übel gab es nicht. Die Welt des Fortschritts wird irrationaler von Tag zu Tag.

Der postmoderne Mythos, es gebe keine objektive Wahrheit, aber unendlich viele subjektive Meinungen, wurde von den Zauberkünsten der theologischen Hermeneutik vorbereitet. Wer heilige Texte beliebig deuten kann, kann unmöglich an einer Wahrheit festhalten.

Die hermeneutischen Künste sind nicht das Privileg der Christen geblieben. Auch muslimische Koranexperten verstehen sich bestens auf diese schillernden Illuminationen. Über einen Übersetzer des Koran heißt es:

„Als Theologe fordert Adel Theodor Khoury besonders die Verständigung zwischen Christentum und Islam. Er schrieb beachtliche Studien über den Islam und die Charakteristika dieser Religion. Eine der bedeutendsten deutschen Übersetzungen des Korans stammt von ihm. Der Übersetzer legte besonderen Wert darauf, in Zweifelsfällen der üblichen Auslegung des islamischen „Mainstream“ zu folgen. Dadurch findet der Leser in diesem Text nicht das Koranverständnis einer religiösen Minderheit, sondern das der großen Mehrheit der Muslime.“ (Wiki)

Die Finesse der christlichen Hermeneutik betrifft viele Themen. Einem ihrer pastoralen Kollegen, der aus biblischen Gründen die Homosexualität verurteilt, widerspricht Ex-Bischöfin Margot Käßmann mit energischen Worten:

„Die Ex-Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Margot Käßmann (63), widerspricht in Bild am Sonntag deutlich: »Für mich sind derart abwertende Äußerungen über andere Menschen nicht von der Religionsfreiheit gedeckt. Sie widersprechen zudem fundamental dem Geist der Nächstenliebe, die Jesus gepredigt hat.« Die evangelische Kirche in Berlin habe »gerade Homosexuelle um Vergebung für die jahrzehntelange Ausgrenzung gebeten.« Theologisch sei geklärt, dass 2000 Jahre alte Äußerungen des Apostels Paulus »nicht Bezug nehmen auf homosexuell liebende Menschen, die heute in vertrauensvoller Partnerschaft zusammenleben.«“ (BILD.de)

„Theologisch sei geklärt“. Das klingt schon nach dem päpstlichen Spruch: Rom hat gesprochen, die Chose hat sich erledigt. Theologen sind keine Wissenschaftler, die rational etwas klären könnten. Sie sind Ausleger eines Glaubens. Ihre hermeneutischen Künste können alles, ergo nichts beweisen.

Viele biblische Sätze widersprechen dem „Geist der Nächstenliebe“. Und doch können sie nicht ignoriert oder gelöscht werden. Das war die Crux aller kirchlichen Hermeneutik von Anfang an.

Für den Lutheraner Hegel waren die elementaren Widersprüche der Schrift der Beweis ihrer göttlichen Qualität. Denn nichts auf Erden könne widerspruchslos sein. Gott schuf die Widersprüche als Salz der Heilsgeschichte, das sie per Spruch und Widerspruch vorwärts brachte. Widersprüche waren das Gärungsmittel des heilsgeschichtlichen Fortgangs.

Wer kein Liebhaber der Dialektik ist und dennoch aus dem Urtext wesentliche Erkenntnisse ziehen will, der muss die Schrift als unfehlbare Offenbarung streichen und kann nur einzelne Sätze herausnehmen, die ihm möglicherweise einleuchten. Ein Christ, der an die Bibel glaubt, kann er nicht mehr sein. Man kann ein Buch nicht fleddern, umdeuten und verfälschen, um dann zu behaupten: ich glaube an die Offenbarung Gottes in der Bibel.

Wie jedem Buch, dem er wesentliche Erkenntnisse verdankt, kann er auch dem Buch der Bücher nur das entnehmen, was seinem Verstand entspricht. Man kann aus allen Büchern lernen – wenn man selbstkritisch lernen kann. Lernen aber heißt, seine prüfende Urteilskraft einschalten – und nichts mehr blind übernehmen.

Die Deutschen wollen aufgeklärt sein, doch das Buch Gottes lassen sie unberührt und ungeprüft. Kants Mahnung zum Selberdenken ist bei ihnen noch nicht angekommen:

„Habe ich ein Buch, das für mich Verstand hat, einen Seelsorger, der für mich Gewissen hat … so brauche ich mich ja nicht selbst zu bemühen.“ (Kant, Was ist Aufklärung?)

Käßmann kennt keine Hemmungen beim geistbegabten Schwindeln. Sie hält es nicht einmal für nötig, in ein theologisches Lexikon zu schauen, um zu erfahren, was biblische Schreiber zur Homosexualität zu sagen hatten:

„Du darfst einem Mann nicht beiwohnen, wie man einer Frau beiwohnt, das wäre ein Greuel.“

„Darum hat sie Gott dahingegeben in schändliche Leidenschaften; denn bei ihnen haben Frauen den natürlichen Verkehr vertauscht mit dem widernatürlichen; desgleichen haben auch die Männer den natürlichen Verkehr mit der Frau verlassen und sind in Begierde zueinander entbrannt und haben Männer mit Männern Schande über sich gebracht und den Lohn für ihre Verirrung, wie es ja sein musste, an sich selbst empfangen.“

„Täuscht euch nicht! Weder Unzüchtige noch Götzendiener noch Ehebrecher noch Lustknaben noch Knabenschänder noch Diebe noch Habgierige noch Trunkenbolde noch Lästerer noch Räuber werden das Reich Gottes ererben.“

„Wir wissen aber, dass das Gesetz gut ist, wenn es jemand recht gebraucht, weil er weiß, dass dem Gerechten kein Gesetz gegeben ist, sondern den Ungerechten und Ungehorsamen, den Gottlosen und Sündern, den Unheiligen und Ruchlosen, den Vatermördern und Muttermördern, den Totschlägern, den Unzüchtigen, den Knabenschändern, den Menschenhändlern, den Lügnern, den Meineidigen und wenn noch etwas anderes der heilsamen Lehre entgegensteht.“

Seit ihrer Entstehung haben biblische Religionen die Homosexuellen verdammt. Nicht zuletzt aus tiefer Abneigung gegen die Hellenen, bei denen der Eros zwischen Männern eine bedeutende Rolle spielte.

Wie ein Theologe die eindeutigen Verurteilungen der Schwulen durch die Schrift in der Luft zerstäuben will, dazu ein Beispiel:

„Homosexualität wird im Neuen Testament nicht eigens zum Thema gemacht. Nur an drei knappen Stellen finden sich Aussagen, die üblicherweise mit gleichgeschlechtlichen Sexualpraktiken in Verbindung gebracht werden. Der Umstand, dass sich die neutestamentliche Wissenschaft in den vergangenen ca. 25 Jahren so intensiv mit Homosexualität befasst hat, kann also kaum mit den neutestamentlichen Texten selbst erklärt werden. Nicht die Aussagenwelt des Neuen Testaments gibt die Beschäftigung mit Homosexualität vor, sondern ein in der (Post-)Moderne geführter Diskurs um Vielfalt und Ausgestaltung zwischenmenschlicher Lebensformen. Das Interesse an verbindlicher Orientierung durch die Bibel wird einerseits von außen an die Exegese herangetragen. Wie bei nur wenigen anderen Themen innerhalb der neutestamentlichen Wissenschaft ragt hier die eigene Gegenwart in den Horizont der Textinterpretation hinein. Persönliche Anschauungen, gesellschaftliche Ideologien und diskursive Effekte prägen massiv das zu erstellende Forschungsdesign im Blick auf Erwartungen und Funktionen der Textauslegung sowie die Formulierung von Ergebnissen. Das in diesem Zusammenhang besonders offensichtliche Ineinander von Konstruktion und Rekonstruktion, von Exegese und Eisegese oder auch von Deskription und Normierung gibt Anlass zu recht grundsätzlichen Diskussionen hinsichtlich des Fach-Profils der neutestamentlichen Wissenschaft, einer Disziplin, die sich seit ihren Anfängen in der Aufklärungszeit vorrangig als historisch orientierte Unternehmung versteht.“ (Bibelwissenschaft.de)

Auf Deutsch: die Bibel habe keinerlei Interesse an Normen, sie sei kein zeitloser Moralkodex. In die Bibel werde immer mehr hineingelesen (Eisegese) als herausgelesen (Exegese). Die Bibel wolle gar keine festen Orientierungen für unsichere Menschen bieten. Sie sei nur ein geschichtliches Werk.

Leute, überstrapaziert nicht die harmlosen Texte mit der Erwartung, unfehlbare Regeln zu erfahren – um euch vor eigenen Entscheidungen zu drücken.

Wäre diese Verharmlosung der Schrift – wenn sie denn wahr wäre – nicht auch ein Grund, die hochgerühmten Nächstenliebe-Forderungen zu relativieren? Wenn alles nur geschichtlich bedingt ist und nichts absolute Gültigkeit besäße: müsste diese Beliebigkeit nicht für alle Sätze der Bibel gelten, auch für die Bergpredigt?

Anstößige, dem Zeitgeist widersprechende Stellen aus der Schrift haben die Prediger in den letzten Jahrzehnten bewusst vermieden, um das Publikum nicht zu verstören. Auch alle Verfluchungsformeln, höllische Verdammungsprophetien – und apokalyptische Untergangsszenerien.

Die Bibel sollte vor Anklagen der Ökologen geschützt werden, die den Vorwurf erheben könnten, die Endzeitlehre der Offenbarung für die wachsenden Klimagefahren verantwortlich zu machen.

Doch in letzter Zeit lässt die Vorsicht der Theologen nach. Das Gefühl, einer nicht mehr zu leugnenden Endzeit mit apokalyptischen Gefahren entgegenzugehen, lässt die Theologen immer kühner werden beim Predigen ihrer Unheilsbotschaften:

„Im letzten Buch des Neuen Testaments, der Offenbarung des Johannes, eines noch immer rätselhaften Sehers, werden zur Darstellung der Endzeit maximal verstörende Bilder von Katastrophen, Kriegen, Seuchen, Feuersbrünsten und Hungersnöten beschrieben. Und ausgerechnet die niederschmetternde Wucht dieser biblischen Apokalypse soll nun wiederbelebt werden. Gregor Taxacher, katholischer Theologe der TU Dortmund, gab jetzt in der christlich geprägten Zeitschrift Publik-Forum zu bedenken, dass apokalyptisches Denken jetzt dringend gebraucht werde: „Apokalypse ist jetzt“, meint er, „wir haben eine Situation, in der die Gesellschaft sich revolutionieren muss.“ Der Mensch habe sich in eine permanente Endzeit gebracht.“ (FAZ.NET)

Geht es um Schreckliches, trägt der Herr der Geschichte keine Schuld. Stets ist es der Mensch, der sich das Unheil selbst eingebrockt hat. Gott bleibt ohne Sünde. Er bewirkt alles Gute, der Mensch das Böse!

Falsch! Die Schrift sagt das Gegenteil. Die Deutungskünste der Theologen gehen in die Irre. Es ist Gott allein, der Gutes und Böses schafft in der Welt.

„Ich bin der HERR, und sonst keiner mehr, der ich das Licht mache und schaffe die Finsternis, der ich Frieden gebe und schaffe Unheil. Ich bin der HERR, der dies alles tut.“

Solche Sätze lassen die Theologen kalt. Sie wollen den Menschen Schuldgefühle einflößen: Menschen, ihr seid es, die ihr das Unheil schafft, aber Gott alles in die Schuhe schieben wollt. Kehrt um, eilt an den Altar des Herrn, um ihn reumütig um Gnade zu bitten.

Für Gottesmänner ist das letzte Buch der Bibel ein wunderbares Mittel, um den Strom der Kirchenflüchter zu stoppen und mit apokalyptischen Ängsten in die ausgebreiteten Arme des VATERs zurückzujagen.

Was ist Hermeneutik? Die Kunst der Prediger, Gott – trotz all seiner Widersprüche – zu rechtfertigen, um das Unheil der Endzeit allein dem Menschen zuzuschreiben.

Fortsetzung folgt.