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nichtsdesto-TROTZ LXV

Tagesmail vom 03.09.2021

nichtsdesto-TROTZ LXV,

„dass die US-Wahl weitaus mehr Entertainment bietet als die deutsche Bundestagswahl, ist kein Geheimnis.“ (BILD.de)

Entertainment – das Betriebsgeheimnis der Politik ist gelüftet: weshalb es auch keine Talk-Dispute geben darf, sondern nur Talk-Shows. Und weshalb die Kanzlerin wegen Schlagfertigkeit gerühmt wird: Schlagfertigkeit hinter den Kulissen wohlgemerkt, wo ausgesuchte Journalisten die Kanzlerin in „geschütztem Rahmen“ erleben dürfen.

Geschützt vor wem? Vor dem Pöbel, der seit Urzeiten den Fehler begeht, Politik als ernsthaftes Geschäft misszuverstehen.

Wenn die politische Show nichts zu bieten hat, muss sie kurzweiligeren Quiz- und Sportshows weichen. Quote ist eine unerbittliche Punktrichterin aller Shows, auch der politischen.

Die Presse folgt der Strategie einer paradoxen Intention. Sind Politiker zu radikal, werden ihnen miserable Umfrage- oder Wahlergebnisse prophezeit: das hätten sie sich selbst zuzuschreiben.

Sind sie nichtssagend, wird ihnen Langweile vorgeworfen. Sie können machen, was sie wollen: ihre Punktrichter können sie nicht hinters Licht führen.

Wieder mal ist die standardisierte Minimalshow der Normalität für wenige Wochen unterbrochen. Jetzt gibt es tägliche Bewertungen der aufgeheizten Großspektakel der Wahlkandidaten. Heidewitzka, da strömt heißes Blut in den leicht erregbaren Adern der Neugermanen.

Es ist verboten, vergangene Zeiten mit unserer kühnen Gegenwart zu vergleichen. Historiker vor allem können es nicht leiden, ihre kostbaren Erkenntnisse den Säuen der Jetztzeit vorzuwerfen.

Warum sollte man Geschichte studieren, Gentlemen? Nicht, um aus der Vergangenheit für die Gegenwart zu lernen? Nicht um das Vorbildliche zu übernehmen und das Schlechte zu vermeiden?

Iwo, was sind denn das für piefige Plagiierungswünsche. Bildung eignet man sich um ihretwillen an, nicht um einer ordinären Anwendung willen. Bildung ist das Knowhow zum Bau jener Elfenbeintürme, in denen die Gelehrten ganz oben sitzen und auf die Niederungen der Menschen herabblicken. Bildung darf sich nicht gemein machen, weder mit der schlechten noch der guten Sache.

Historiker sind Vorbilder der Journalisten, nur mit dem kleinen Unterschied, dass sie riesige Zeiten des Menschengeschlechts überblicken, während die Perspektiven der Tagesschreiber um 24 Uhr jeden Tages enden. Am nächsten Morgen erwachen sie und vergessen alles, was dahinten lag und schauen nach vorne in eine glänzende Zukunft.

Ein Deutscher macht jede Sache um ihretwillen, also darf Bildung nicht dazu dienen, sich mit politischen Mitteln eine humane Zukunft zu erarbeiten. Sollte Bildung nicht dazu beitragen, die Menschlichkeit des Menschen zu entwickeln?  

Auf keinen Fall. Wir haben keine Menschen, sondern Diener des Fortschritts zu werden. Mit seiner exquisiten Bildung soll man sich umgeben wie mit Spiegeln, um sich im Spiegelbild wie ein Pfau zu betrachten.

„Die US-Zeitung „New York Times“ stellt dem deutschen Wahlkampf ein besonderes Langeweile-Zertifikat aus. Grund dafür: die Kanzlerkandidaten! Der frühere US-Botschafter John Kornblum bezeichnet SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz (63) in der US-Zeitung sogar als „langweiligsten Typ bei der Wahl – vielleicht im ganzen Land“. Sein Fazit: Selbst Wasser beim Kochen zuzusehen, sei interessanter.“ (BILD.de)

Hier tun sich Abgründe auf zwischen Old Germany und Gods own Country. Kann es sein, dass die New York Times mit ihrer Analyse danebenliegen? Gibt es heuer ein einziges Land in der Welt, in dem Langeweile herrschen könnte? Niemals.

Wenn die ganze Welt durch Klimagefahren bedroht ist, muss jedes Land um seine Existenz fürchten. Kann Langweile aufkommen, wenn die planetarischen Verhältnisse global bedroht sind? Wer sich hier langweilt, der muss nicht mehr von dieser Welt sein. In Wirklichkeit krepiert er bereits vor Angst, die er aber nicht wahrhaben will.

„Ich habe Angst. Ich habe Angst, die Zeitung aufzuschlagen beim Gedanken an mögliche Schlagzeilen: Hitzerekorde auf der ganzen Welt, der nächste auf die USA zu rasende Hurricane, Flutkatastrophe auf der ganzen Welt und vor unserer Haustür. Ich lese diese Schlagzeilen in dem Wissen, dass sie sich in Zukunft immer weiter häufen werden, und dass die Regierenden keine Antwort auf diese stetig sich verschlimmernde Krise haben. Denn neben all dieser Angst spüre ich Hoffnung. Ich weiß, die Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze ist noch möglich! Wir müssen einfordern, was uns zusteht: einen lebenswerten Planeten. Wir können nicht nur viel verlieren, wir können auch eine nachhaltigere, gerechte und solidarische Welt gewinnen“. Schreibt Annika Rittmann von der FFF-Jugend. (Frankfurter-Rundschau.de)

Auch hier sind die Jugendlichen vorbildlich, sie machen sich nichts vor. Ehrlich gestehen sie sich ihre Ängste. Nur wer sein Innenleben sortiert hat, kann sich dran machen, die Außenwelt mit der Natur in Einklang zu bringen.

Die meisten Erwachsenen und fast alle Regierungen der Welt haben sich in Gefühllosigkeit zurückgezogen, unfähig, mit ihren Ängsten umzugehen. Es liegt eine gespenstische Lähmung über dem Land. Deutsche Wahlkämpfer scheuen sich, mit radikalen Parolen einen Überbietungswettbewerb zu entfachen, der in einem Bürgerkrieg enden könnte.

Von außen sieht es aus wie Langeweile, innerlich aber ist jeder von Furcht und Schrecken erfüllt. Gehören unbewusste Gefühle nicht mehr zu den Tatsachen, die Journalisten wahrnehmen sollten? Sind sie dem äußeren Schein verpflichtet oder dürfen auch sie hinter die Kulissen gucken?

Amerika bildet sich ein, Langweile nicht zu kennen. Entweder hätten sie technischen Fortschritt oder die Hoffnung auf den wiederkehrenden Herrn – oder beides zusammen. Hier regiert die Energie jugendlicher Träume, die – anders als in Europa – keine bleiben dürfen, sondern im Erwachsenenalter zügig realisiert werden müssen. Stolz blicken sie zurück und sagen: ich habe an meine Träume geglaubt.

Deutsche haben keine Träume. Sollten sie dennoch welche haben, müssen sie sie so schnell wie möglich im Hades der Vergangenheit entsorgen.

Anders fromme Amerikaner, die daran festhalten, dass Gott ihnen die Träume gesandt hat:

„Und es träumte ihnen beiden, dem Mundschenk und dem Bäcker des Königs von Ägypten, in einer Nacht einem jeden ein eigener Traum, und eines jeden Traum hatte seine Bedeutung. Als nun am Morgen Josef zu ihnen hineinkam und sah, dass sie bedrückt waren, fragte er sie und sprach: Warum seid ihr heute so traurig? Sie antworteten: Es hat uns geträumt, und wir haben niemand, der es uns auslege. Josef sprach: Auslegen steht bei Gott – doch erzählt mir’s!“

Es ist Gott persönlich, der mit seinen Geschöpfen in Träumen spricht. Wer sich Gottes Stimme nicht widersetzen will, muss diese Botschaft entschlüsseln, um sie unverzüglich in Wirklichkeit umsetzen.

„Ich habe einen Traum, dass eines Tages unten in Alabama mit den brutalen Rassisten, mit einem Gouverneur, von dessen Lippen Worte der Einsprüche und Annullierungen tropfen, dass eines Tages wirklich in Alabama kleine schwarze Jungen und Mädchen mit kleinen weißen Jungen und weißen Mädchen als Schwestern und Brüder Hände halten können. Ich habe einen Traum, dass eines Tages jedes Tal erhöht und jeder Hügel und Berg erniedrigt werden. Die unebenen Plätze werden flach und die gewundenen Plätze gerade, und die Herrlichkeit des Herrn soll offenbart werden und alles Fleisch miteinander wird es sehen. Dies ist unsere Hoffnung. Dies ist der Glaube, mit dem ich in den Süden zurückgehen werde. Mit diesem Glauben werden wir den Berg der Verzweiflung behauen, einen Stein der Hoffnung.“ (Martin Luther King)

Das war ein echter amerikanischer Traum, voller Hoffnung auf Emanzipation der Schwachen und Unterdrückten, aber auch voller Hoffnung, die Natur zu planieren, um die Machtphantasien der Menschen zu erfüllen. Beide Träume müssen zusammenwirken, um die amerikanische Vision eines neuen Lebens in Realität zu verwandeln.

In Deutschland darf es weder Visionen noch Utopien geben, schon gar keine realisierten Träume. Für eschatologische Amerikaner muss das wie enttäuschende Langeweile aussehen.

Trotz all dieser tatendurstigen Zukunftsfreudigkeit muss die These „gewagt“ werden: die Moderne ist ein Zeitalter der Langeweile. Die Amerikaner verdrängen sie durch hektischen Fortschritt und durch den Glauben an die Wiederkehr ihres Herrn. Die Deutschen verdrängen sie durch den Stumpfsinn bloßen Wohlstands. Beide Länder sind davon überzeugt, dass sie ihre Verbündeten, Freunde und Gegner in fast allen Dingen übertreffen.

Amerikaner machen kein Geheimnis aus ihren Größenphantasien, die Deutschen – die einstigen Verbrecher und Verlierer des Weltkrieges – übten sich bislang in erzwungener Demut, die sie erst in den letzten Jahren abzuschütteln begannen.

Einerseits überlassen sie dem Großen Bruder die internationalen Aufräumpflichten, andererseits liebäugeln sie damit, sich aus dem Schatten ihrer Befreier unauffällig zu befreien. Sie würden gern eine selbständigere Rolle spielen, doch sie trauen sich nicht. In dieser Zwickmühle werden sie immer bewegungsunfähiger und lassen die einfachsten Dinge schleifen.

Anstatt mit den Amerikanern in Klarheit über die zukünftige Politik des Westens zu debattieren, flüchten sie in gedankliche Unklarheiten und politische Lähmung. Vor Dezennien standen sie an der Spitze der ökologischen Bewegung, heute laufen sie in fast allen Dingen hinterher.

Immer mehr erstarren sie in Schlendrian und Vernachlässigung einfachster Pflichten. Die Last ihres schlechten Gewissens beginnt sie zu unterdrücken. Was tun sie dagegen? Sie beten ihre nationale Mutterfigur an, die ihre Ängste und Unsicherheiten in scheinbarem Gleichmut zu tragen weiß.

Ihrem Volk signalisiert die Kanzlerin mit unaufgeregter Stimme: Ihr müsst keine Angst haben – solange ich eure Ängste auf meinen Schultern trage. Denn dies ist die Aufgabe einer christlichen Obrigkeit, die Lasten ihres Volkes auf sich zu nehmen und vor Gott hinzutreten: Herr, gib mir Kraft, die Schwächen und Ängste meines Volkes zu ertragen.

Solange die Magd des Herrn in gleichmütiger Demut verharrt, bleibt ihr Volk von ihrer Mittlerfunktion überzeugt. Was Mose den Kindern Israels zukommen ließ, versucht sie, den Deutschen zu vermitteln:

„Und wenn Mose seine Hand emporhielt, siegte Israel; wenn er aber seine Hand sinken ließ, siegte Amalek.“

In den letzten Zügen ihrer Herrschaft werden Merkels Schultern rapide schwächer. Wird sie es schaffen, ihren Abschied mit Würde hinter sich zu bringen?

Was haben Fortschritt und eschatologischer Glaube mit Langeweile zu tun? Der Drang in eine bessere Zukunft hat die Funktion, die desolate Lage der Menschen vergessen zu machen oder ins Gegenteil zu verwandeln.

Was ist Langeweile?

Wem fielen dazu nicht die Begriffe ein: Überdruss, Lästigkeit, unerträgliche Stagnation der Zeit?

Langeweile ist „Anekelung seiner eigenen Existenz aus der Leerheit des Gemüts an Empfindungen.“ (Kant)

„Im Gegensatz zur Muße, die dem Menschen willkommen ist, wird Langeweile als unangenehm und unlustvoll empfunden. Im Gegensatz zur Acedia (Trägheit des Herzens) und zum Taedium vitae (Lebensekel, Lebensüberdruss) ist sie jedoch oft vorübergehender Natur.“ (Wiki)

Wie tröstlich, dass es noch Schlimmeres gibt als Langeweile: die verzweifelte Lust am Untergang, der Drang, aus dem Leben auszuscheiden. Diese Steigerungen stehen uns noch bevor. Hatten wir heuer doch erst den Beginn konkreter Klimakatastrophen.

Waren wir bislang nicht immer davon überzeugt: das Glück ist da, wo wir nicht sind? Das war das Grundgefühl der Romantik:

„Wo bist du, mein gelobtes Land,
Gesucht, geahnt und nie gekannt?
Wo meine Träume wandeln geh’n,
Wo meine Todten aufersteh’n,
Das Land, das meine Sprache spricht,
Und alles hat, was mir gebricht?
Es bringt die Luft den Hauch zurück:
„Da, wo du nicht bist, ist das Glück“ (Georg Philipp Schmidt von Lübeck)

Bei uns hatte sich dieses Gefühl der Verlorenheit ins Gegenteil verkehrt. Wo wir waren, da war das Glück – der Wohlstandsmacher und des Wirtschaftswachstums. Spätestens nach der Wahl wird das Glück des Habens sich ins Gegenteil verkehren.

Lasst die Psyche erst mal die Folgen der Sintfluten bewusst werden, dann werden sie wehklagen: wo wir sind, da ist das Verhängnis. Die Alten unter uns sollten froh sein, dass sie die besten Zeiten des Wirtschaftswunderlandes miterlebt haben. Denn ab jetzt geht’s bergab.

Langeweile ist die Unfähigkeit des Menschen, im Hier und Jetzt erfüllt und fröhlich zu leben. Das hängt mit der Zeit zusammen, in der er lebt: eine Zeit, die nie ankommen darf, immer der Erfüllung der Zeit nachhastet, die sich endlos ad calendas graecas oder an den Sankt Nimmerleinstag ausdehnen darf.

Das ist der Unterschied zwischen zirkulärer Zeit der Natur bei den Griechen – und der linearen Heilszeit der Christen.

In griechischer Zeit war jedes Jetzt Mittelpunkt der Zeit, in der man die „Meeresstille der Ewigkeit“ spüren konnte.

In christlicher Zeit ist jedes Jetzt eine Durchgangsstation, die man hastig durcheilen muss, um ans selige Ende zu kommen – das nie eintreten wird. Zeit als Haschen nach Wind, als ewiges Flüchten und Eilen.

Im Abendland beginnt die Langweile in der Neuzeit. Manche behaupten, weil die Kraft des Glaubens verloren gegangen war und der Glaube an den Fortschritt sich noch nicht verbreitet hatte. Der fromme Mathematiker Pascal fand ergreifende Worte:

„Nichts ist so unerträglich für den Menschen, als sich in einer vollkommenen Ruhe zu befinden, ohne Leidenschaft, ohne Geschäfte, ohne Zerstreuung, ohne Beschäftigung. Er wird dann sein Nichts fühlen, seine Preisgegebenheit, seine Unzulänglichkeit, seine Abhängigkeit, seine Ohnmacht, seine Leere. Unaufhörlich wird aus dem Grund seiner Seele der Ennui aufsteigen, die Schwärze, die Traurigkeit, der Kummer, der Verzicht, die Verzweiflung.“

Das Gefühl schlechthinniger Vergeblichkeit des Lebens steigert sich beim dänischen Philosophen Kierkegaard zur existentiellen Klage:

„Langeweile ist die Macht, die den Menschen vor das Nichts rückt. Langeweile, diese inhaltlose Ewigkeit, diese genußlose Seligkeit, diese oberflächliche Tiefe, diese hungrige Übersättigung. Die Götter langweilten sich, darum schufen sie die Menschen, Adam langweilte sich, weil er allein war, darum wurde Eva erschaffen. Langeweile ist die Erstorbenheit … eine Kontinuität im Nichts.“

Baudelaire nennt die Langweile „das böseste aller Laster, das die Erde zertrümmern und gähnend die Welt schlucken möchte.“

Heidegger schließlich nennt das Grauen der Langeweile „das Gefühl einer namenlosen Leere, in dem den Menschen nichts mehr wichtig ist und in dem sie an nichts mehr teilnehmen können.“

Das war jenes unterirdische Gefühl der Verlorenheit der Deutschen, das sie in die Arme des Einzigen trieb, der ihre Sehnsucht nach Heilung erfüllen sollte. Nur wer sich nichtig fühlt, muss erlöst werden und benötigt einen Führer ins 1000-jährige Reich.

War das kapitalistische Evangelium nicht die Arbeit? Wer nicht arbeiten will, der soll auch nicht essen? Noch heute gilt bei der SPD das Credo: nur wer hart gearbeitet hat, hat sich seine Rente redlich verdient. Alle anderen sind Faulenzer. Natürlich gehören Arbeitgeber nicht zu den Faulenzern. Im Schweiße ihres Geldbeutels müssen sie lebenslang den Reichtum zusammenkratzen, um ihn steuerfrei ihren Erben zu übergeben.

Marx war kein Freund der Faulenzer und Arbeitsverweigerer. Mit diesem verfaulten Lumpenproletariat wollte er nichts zu haben. Doch welche Boshaftigkeit des Geschicks, dass er einen kubanischen Arzt als Schwiegersohn erhielt, der das Büchlein schreiben sollte: „Das Recht auf Faulheit“. Hatte Paul Lafargue keine Angst vor der Langeweile beim Nichtstun? Lauschen wir seinen Worten:

„O über diese kläglichen Geschenke ihres Götzen Fortschritt! Philanthropen nennen diejenigen, die, um sich zu bereichern, Fabriken errichten und Arbeiter für sich arbeiten lassen, Wohltäter der Menschheit – es wäre besser, man vergiftete die Brunnen, man säte die Pest, als inmitten einer ländlichen Bevölkerung kapitalistische Fabriken zu errichten. Wo diese erst ihren Einzug gehalten, da heißt es: Adieu Freude, Gesundheit, Freiheit – adieu alles, was das Leben schön, was es wert macht, gelebt zu werden.“

Entweder lebenslange Mühsal der Arbeit als Sündenstrafe – oder verbotenes Nichtstun, das zur verfluchten Langeweile führt:

„Und zum Mann sprach er: Weil du gehorcht hast der Stimme deiner Frau und gegessen von dem Baum, von dem ich dir gebot und sprach: Du sollst nicht davon essen –, verflucht sei der Acker um deinetwillen! Mit Mühsal sollst du dich von ihm nähren dein Leben lang. Dornen und Disteln soll er dir tragen, und du sollst das Kraut auf dem Felde essen. Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du wieder zu Erde wirst, davon du genommen bist. Denn Staub bist du und zum Staub kehrst du zurück.“

Gott selbst verflucht den Acker der Natur, den die Grünen wider seinen Beschluss bewahren wollen. Im Leben des Kapitalismus gibt es nicht nur fluchwürdige Arbeit, die zur Monotonie und Ausbeutung führt, sondern auch fluchwürdiges Nichtstun, das begleitet wird von Ausgrenzung und demütigender Langeweile.

Aus all diesen heiligen Gründen wurde Langweile zur Strafe für gottlose Arbeitsverweigerung. Die heidnische Lust am Leben war dahin. Um der Pest der Langeweile zu widerstehen, blieben nur die Mittel: hektischer Fortschritt, lebenslange Maloche oder Glauben an ein unerfüllbares Ziel der Heilsgeschichte.

Die jetzige Weltkrise destruiert die Zuversicht in die Betäubungsmächte des Fortschritts und eines naiven Glaubens an das Ende der Heilsgeschichte, wo Erwählte belohnt und Verfluchte bestraft werden.

Die Zeiten des politischen Entertainments sind vorüber. Vorhang zu – und keine Fragen offen.

Fortsetzung folgt.