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nichtsdesto-TROTZ LX

Tagesmail vom 23.08.2021

nichtsdesto-TROTZ LX,

„Der Rat des heiligen Paulus, „das Böse mit dem Guten zu besiegen“, zieht nicht in der Politik. Eine Kandidatin, die im Wahlkampf davon schockiert ist, wie gemein die Konkurrenten mit ihr umgehen, sollte eher auf Machiavelli als auf Paulus hören. Machiavelli hatte eine Vermutung, woher unsere Besessenheit, nett sein zu müssen, kommt: von Jesus, dem Nettesten von allen. Er brachte es mit Nettigkeit zum Herrscher der Ewigkeit. Aber Machiavelli fand eine Schwachstelle in dieser Geschichte: Aus praktischer Sicht war Jesu Leben eine einzige Pleite. Jesus wurde erniedrigt und verspottet. Er war einer der größten Verlierer der Geschichte. Der Schlüssel zum Erfolg liege darin, folgerte Machiavelli, mit diesem Vorbild Schluss zu machen. Fast jeder hat es erlebt: Die netten Leute kommen kaum weiter, am Ende gewinnen oft die Schufte. Gerade ihre Schäbigkeit verschafft ihnen einen Vorteil gegenüber den Netten. Sie sind bereit, ihre Anliegen mit allen miesen Tricks durchzusetzen. So erobern sie die Welt, während die Netten in ihrer Prinzipientreue stecken bleiben. Machiavellis Rat fürs Leben ist deshalb: Sei so nett, wie du magst, aber sei nie fixiert darauf, nett zu sein. Bediene dich bei Bedarf in der Trickkiste der Ruchlosen, der krummen Gestalten.“ (ZEIT.de)

Jesus, der Netteste von allen, war einer „der größten Verlierer der Geschichte. Aus praktischer Sicht war Jesu Leben eine einzige Pleite. Jesus wurde erniedrigt und verspottet.“

Und dennoch brachte er es mit seiner Nettigkeit „zum Herrscher der Ewigkeit“?

Kann man die Geschichte verlieren, wenn man die Ewigkeit gewinnt? Ist Geschichte kein Teil der Ewigkeit?

Könnte es nicht sein, dass erniedrigt- und verspottet-werden die einzigen Mittel sind, die Herrschaft über die Ewigkeit zu gewinnen? Bestehen Gesetze der Ewigkeit nicht darin, die Gesetze der endlichen Geschichte zu blamieren?

Jesus der Nette ist der „von Gott bestimmte Richter der Lebendigen und der Toten.“

Jesus der Nette wird die Ungläubigen bestrafen, verbrennen, vernichten, in Stücke hauen oder in den Feuerofen werfen: „Geht weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel.“

Jesus der Nette, wird eine Stadt, die ihn nicht mit Halleluja aufnimmt, mit Tod und Untergang bedrohen: „Auch den Staub aus eurer Stadt, der sich an unsre Füße gehängt hat, schütteln wir ab auf euch. Doch sollt ihr wissen: das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen. Ich sage euch: Es wird Sodom erträglicher ergehen an jenem Tage als dieser Stadt.“

Jesus der Nette, ist gekommen, um die Erde mit Feuer abzufackeln (was der heutigen Realität schon in hohem Maße entspricht): „Ich bin gekommen, ein Feuer anzuzünden auf Erden; was wollte ich lieber, als dass es schon brennte!“

Jesus der Nette, verlangt, dass alle, die sich weigerten, ihn als König anzuerkennen, vor ihm niedergemacht werden: „Doch diese meine Feinde, die nicht wollten, dass ich ihr König werde, bringt her und erwürgt sie vor mir.“

Jesus der Nette, fordert, dass jedem, der gegen Ihn ist, „ein Mühlstein an seinen Hals gehängt und er ersäuft würde im Meer, wo es am tiefsten ist.“

Jesus der Nette, ist das heilige Vorbild aller Antisemiten, denn er wünscht den Juden Tod und Verderben: „… damit über euch komme all das gerechte Blut.“ (In keiner Antisemitismus-Debatte der Gegenwart darf der „Heilige des Evangelii“ erwähnt werden. Die Christen müssten ja bekennen, dass ihr Glaube auf dem glühenden Hass gegen die Juden gegründet ist. Antisemitismus ist der Giftkern der Frohen Botschaft. Jede Antisemitismus -Spurensuche, die an diesen christlichen Ursprüngen vorübergeht, ist ein Frevel.)

Jesus der Nette, das sanfte Lamm Gottes, wird am Jüngsten Gericht alle Ungläubigen in den Feuerofen werfen: „Der Menschensohn wird seine Engel senden, und sie werden sammeln aus seinem Reich alles, was zum Abfall verführt, und die da Unrecht tun, und werden sie in den Feuerofen werfen; da wird Heulen und Zähneklappern sein.“

Sollte Machiavelli, der von Deutschen gerühmte Realist, Jesus tatsächlich als den Nettesten der Geschichte bezeichnet haben, muss er „neben der Kapp“ gewesen sein, wie Pfälzer zu sagen pflegen.

Da das Böse stets einem guten Zweck dienen soll, sind die Deutschen von dem Renaissance-Politiker begeistert. Lobreden auf das Gute an sich werden hierzulande als peinlich empfunden. Nein, man habe nichts gegen das Wahre und Gute, aber nur instrumentelle Bosheit mache den idealen Zweck erträglich. Fast bei allen Philosophen und Dichtern des Abendlands wurde das Böse zum Movens des Guten. (… ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft.)

Es ist, als ob die Neugermanen im melodramatischen Schaukampf zwischen Gott und Teufel nicht einfach parteiisch mit dem Heiligen und Allmächtigen sein dürften. Mit dem armen Teufel müssen sie Mitgefühle entwickeln, damit er nicht so erbärmlich einsam ist. Sitzt er doch am schwächeren Ende des metaphysischen Spektakels. Mit Gott, dem Starken sein, das kann schließlich jeder. Aber mit seinem Knecht und Herausforderer, der sich nie scheute, gegen den Unbesiegbaren anzutreten, sich also mit dem Schwächeren zu solidarisieren, das erfordert Mannesmut vor Tyrannenthronen.

Machiavelli wagte es, Gott aus dem Regiment der Geschichte zu entfernen. Das war ein unerhörter Affront gegen die – fast allmächtige – Kirche. Eben dies aber gefällt den Deutschen noch heute. Sie sind offizielle Anhänger abendländischer Werte, untergründig aber kühne Gottesrebellen.

Was geschah, als Machiavelli die Nummer eins des Universums strich?

„Die Handlungen aller Menschen und besonders die eines Herrschers, der keinen Richter über sich hat, beurteilt man nach dem Enderfolg. Ein Herrscher braucht also nur zu siegen und seine Herrschaft zu behaupten, so werden die Mittel dazu stets für ehrenvoll angesehen und von jedem gelobt. Denn der Pöbel hält sich immer an den Schein und den Erfolg; und in der Welt gibt es nur Pöbel. Ein Fürst unserer Zeit führt nur die Worte „Friede und Treue“ im Mund und ist in Wirklichkeit deren größter Feind.“ (Der Fürst)

Hat sich bis zum heutigen Tag etwas verändert? Unsere Politikergarde muss nur die Begriffe skandieren: in die Zukunft schauen, nach vorne schauen, zukunftsfest werden, sich neu erfinden, Demut zeigen – und alles ist in trockenen Tüchern.

Ist die Kanzlerin eine Politikerin, die christlichen Werten folgt – oder ist sie eine astreine Machiavellistin, die sich nur mit Demutsposen schmücken muss, um ihre Schandtaten heiligmäßig aufzuwerten? Oder ist etwa Machiavellis instrumenteller Amoralismus nichts anderes als eine Übersetzung der christlichen Antinomie ins Politische?

Dass das Volk zum Pöbel erniedrigt wird, nimmt die Massenpsychologie Le Bons vorweg, der heute als ein Vorläufer der suggestiblen Masse der Deutschen im Dritten Reich gilt. Das deutsche Volk aber war keineswegs eine passiv lenkbare Masse durch eine hochintelligente, frei über ihr stehende Dämonenelite, wie Historiker noch heute suggerieren, um die Deutschen zu exkulpieren. Die Vielen und der Einzige: sie verhexten sich gegenseitig.

Die messianisch erregbaren Massen trafen auf einen Erlöser, der den Ruf einer am Boden zerstörten Nation vernahm. Die Sehnsuchtsrufe hatte er inbrünstig erwartet, um seine Beglückungszwänge in fieberhafter Eile zu entwickeln.

Als Gott von Machiavelli getilgt wurde (im Gegensatz zu Luther, der den lädierten Herrn der Geschichte mit urchristlichem Geist regenerieren ließ), zeigte sich eine klaffende Lücke im Haushalt der Nationen, die sie füllen mussten.

An die Stelle Gottes traten die Götter der Moderne – Erfolg, Sieg und Herrschaft. Wer Erfolg hat, hat Recht: das war das neue Motto der Massen, die durch die Religion einer ecclesia triumphans an ihren Endsieg in der Heilsgeschichte glaubten. Begriffe ändern sich, Tatsachen bleiben dieselben – bis heute.

Das Urchristentum übernahm die humanen Werte des Hellenismus, um sie unter den Zwängen himmlischer Belohnung und teuflischer Strafe zu austauschbaren Instrumenten zu degradieren.

Die hellenischen Werte waren in autonomer Freiheit um ihrer selber willen erdacht worden, nicht zum Mittel externer Belohnungen und Strafen. Sinn der Tugenden war ein gutes Leben auf Erden, nicht die Legitimation zum Eintritt in einen Himmel oder der Erlass einer Strafe in die Hölle.

Betrachten wir die Bergpredigt:

Selig sind die geistlich Armen (das war ein Hieb gegen die Weltweisen, die jahrelang nachdenken mussten, um klug und verständig zu werden), denn ihrer ist das Reich der Himmel. Das Satzende der Seligpreisungen enthält immer den überdimensionalen Lohn.

Die Einfältigen müssen keinen Mut aufbringen, sich ihres eigenen Kopfes zu bedienen. Sie müssen nur glauben, was ihnen Priester und Heilande predigen. Dann werden sie Gewinner des Himmelreichs. Einen größeren Lohn gibt es nicht.

Selig sind die Trauernden, denn sie werden getröstet werden. Hier geht es nicht um ein flüchtiges Eiapopeia, sondern um endgültige Tröstung am Ende aller Zeiten.

Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden die Erde besitzen. Stellen wir den Satz auf den Kopf, so heißt er: wollt ihr den endgültigen Erfolg, den ultimativen Sieg auf Erden, so müsst ihr die Pose der Sanftmut und Demut einnehmen. Nietzsches Wille zur Macht ist, im Vergleich zu diesen dialektischen Tarnkünsten, eine simple Kraftmeierei.

Selig sind, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit, denn sie werden gesättigt werden. Nein, das ist keine Bestätigung der Marx‘schen Revolution, die eines fernen Tages alle materiellen Bedürfnisse der Menschen sättigen wird. Hier geht es um die Sättigung des Bedürfnisses nach finaler Gottgleichheit. Hier muss niemand mehr malochen, auch nicht vier Stunden am Tag, um eine ordinäre Entfremdung loszuwerden. Hier geht es um die Heimkehr in Gottes jenseitiges Reich.

Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen. Uneigennützige oder altruistische Tugenden gibt es bei den Heiligen nicht. Alles ist ein absolutes do ut des. Ich unterwerfe mich, damit ich einen ewigen Lohn erhalte. Hier den Lohn reziproker Barmherzigkeit.

Selig sind, die reinen Herzens sind; denn sie werden Gott schauen. Zur Stillung der Bedürfnisse gehört die höchste Fähigkeit der Heiden: die Theorie, das Schauen der Wahrheit. Ein wichtiges Buch unterscheidet Griechen von den biblischen Religionen: Griechen schauen, die Frommen hören. Das Schauen ihres Gottes ist ihnen auf Erden verboten.

„Denn wir sehen jetzt nur wie mittels eines Spiegels in rätselhafter Gestalt, dann aber von Angesicht zu Angesicht“. Waren die Griechen stolz auf ihre Erkenntnisfähigkeiten, mit denen sie die Geheimnisse der Natur peu á peu entdecken konnten, bleibt den Frommen nur das Rätselhafte der Mutter Natur und – die gnädigen Offenbarungen des Himmels. Selbst im Himmel geht es nicht um Enträtselung des Seins an sich, sondern nur um das bloße „Angesicht“ eines jenseitigen Vaters. „Schöpfung“ ist keine erkennbare Natur, sondern eine nach außen abgeschlossene, begrenzte Beziehung zwischen irdischem und überirdischem Subjekt.

Selig sind die Friedfertigen, denn sie werden Söhne Gottes heißen. Von Töchtern, versteht sich, ist keine Rede. Hier bleiben Männer unter sich. Die Söhne Gottes bestaunen nicht die Weisheit der Natur, sondern bleiben im Bann des Vaters, der erst hier jenes Erkenntnisverbot aufhebt:

„Du sollst dir kein Gottesbild machen, keinerlei Abbild, weder dessen, was oben im Himmel, noch dessen, was in den Wassern unten auf Erden, noch dessen, was in den Wassern unter der Erde ist. Du sollst sie nicht anbeten und ihnen nicht dienen, denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott.“

Der eifersüchtige Gott will allein erkannt werden, der Mensch soll nicht neugierig sein auf die pure Schöpfung. Ein genialer Erschaffer ist eifersüchtig auf sein eigenes Werk und will partout nicht, dass sich die Geschöpfe von den Reizen mütterlicher Natur ablenken lassen. Auf Erden nennt man das Narzissmus. Wie wär‘s, von göttlicher Eitelkeit und Selbstbespiegelung zu reden?

Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn ihrer ist das Reich der Himmel. Dikaiosyne, Gerechtigkeit, die grundlegende Tugend der Demokratie, um Gleichwertigkeit und Freiheit der Demokraten und ihre materielle Ausgeglichenheit zu gewährleisten, wird in einem Gewaltakt den irdisch gesonnenen Hellenen entwendet, um ausgerechnet die narzisstischen Bedürfnisse eines „Schöpfers“ zu befriedigen – der es nicht verkraften kann, wenn seine „Geschöpfe“ sich mehr mit der Schöpfung denn mit dem Schöpfer beschäftigen.

Selig seid ihr, wenn sie euch schmähen und verfolgen und alles Arge wider euch reden um meinetwillen und damit lügen. Das ist an hinterlistigem Machiavellismus nicht mehr zu überbieten. Hier will eine Religion der Nächstenliebe, dass diejenigen, die die Menschen lieben sollen, sie so teuflisch traktieren, auf dass sie ewigen Lohn nicht mehr kassieren können. Automatisch werden sie sich so verhalten, damit ihre „Liebesobjekte“ sie zum Teufel wünschen werden, damit sie den ewigen Lohn für erlittene Ungerechtigkeit kassieren können. Das ist wahre Nächstenliebe, die eine unheilbare Kluft zwischen Erwählten und Verfluchten aufreißt.

„Freuet euch und frohlockt, weil euer Lohn gross ist in den Himmeln. Denn ebenso haben sie die Propheten verfolgt, die vor euch gewesen sind.“

Das war das Fazit: euer Lohn wird groß sein in den Himmeln. Die neucalvinistischen Amerikaner haben die Himmel auf die Erde verlegt, um das Glück der Erwählten bereits im Irdischen zu kosten. Doch immer, wenn es ihnen schlecht geht – wie gerade jetzt –, fühlen sie sich schmerzlich daran erinnert, dass vor den Freuden des Himmels das Jüngste Gericht steht.

„Und es werden Zeichen geschehen an Sonne und Mond und Sternen; und auf Erden wird den Leuten bange sein, und sie werden zagen, und das Meer und die Wassermengen werden brausen, und Menschen werden verschmachten vor Furcht und vor Warten der Dinge, die kommen sollen auf Erden; denn auch der Himmel Kräfte werden sich bewegen. Und alsdann werden sie sehen des Menschen Sohn kommen in der Wolke mit großer Kraft und Herrlichkeit. Wenn aber dieses anfängt zu geschehen, so sehet auf und erhebet eure Häupter, darum daß sich eure Erlösung naht.“

Und Menschen werden verschmachten vor Furcht beim Erwarten der Dinge, die da kommen sollen: ist das nicht eine exakte Beschreibung ängstlicher Zeitgenossen angesichts akkumulierender Katastrophen?

Gerade Christen sind, trotz ihrer Verdrängungskünste, gelähmt in der Furcht, die Weltereignisse könnten die Unheilsprophetien bestätigen, sodass sie untätig in ihren Machtsesseln verharren.

Ihr habt gehört, daß gesagt ist: „Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen.“ Ich aber sage euch: Liebet eure Feinde; segnet, die euch fluchen; tut wohl denen, die euch hassen; bittet für die, so euch beleidigen und verfolgen, auf daß ihr Kinder seid eures Vater im Himmel; denn er läßt seine Sonne aufgehen über die Bösen und über die Guten und läßt regnen über Gerechte und Ungerechte. Denn so ihr liebet, die euch lieben, was werdet ihr für Lohn haben? Tun nicht dasselbe auch die Zöllner? Und so ihr euch nur zu euren Brüdern freundlich tut, was tut ihr Sonderliches? Tun nicht die Zöllner auch also? Darum sollt ihr vollkommen sein, gleichwie euer Vater im Himmel vollkommen ist.“

Warum lässt Gott regnen über Gerechte und Ungerechte? Warum soll Unkraut stehen bleiben bis ans Ende der Tage, an dem der Herr selbst Hand anlegen wird? Damit seine Erwählten nicht schlapp machen in Nächstenliebe. Ohne Böse haben sie keine Liebesobjekte mehr, an denen sie ihre Liebe beweisen könnten. Denn nur die lieben, die euch lieben, was habt ihr für einen Lohn?

Eben dies ist das Urgeheimnis der Merkel‘schen Politik: nichts zum Besseren verändern in der Welt, damit das Böse nicht abhandenkommt, welches man so innig lieben soll, dass es sicher seine höllischen Strafen erhält.

Was habt ihr für einen Lohn?, was tut ihr Besonderes?, tun nicht die Heiden dasselbe? ihr nun sollt vollkommen sein wie euer Vater vollkommen ist. Ein Christ kann nur vollkommen werden, wenn die irdische Welt böse und sündig bleibt – damit er was zu lieben hat.

Wie könnte die Pastorentochter ihre Untertanen lieben, wenn diese sich selbst und die Welt unaufhörlich humanisieren würden? Nein, der himmlische Lohn wird nur ausgezahlt, wenn es Mühe kostet, die Bösen zu lieben. Vollkommenheit muss was wert sein. Der Lohn im Himmel muss mühsam erarbeitet werden. Das ist das pure Gegenteil zur lutherischen Rechtfertigungslehre: So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerechtfertigt werde ohne Werke des Gesetzes.

Doch was scheren sich fromme Gemüter um den Satz des Widerspruchs, der von Hegel und seinem lutherischen Gott dialektisch mit links harmonisiert wird.

Christliche Liebesgebote sind ein Deal mit Gott, ein Umzu. Es handelt sich um einen transzendenten Egoismus und Autismus, der seinen Lohn in der Ewigkeit erhalten wird. Ein Abklatsch dieses himmlischen Egoismus ist der kapitalistische der modernen Wirtschaft, die die Menschheit unnachgiebig in Erwählte und Verworfene gespalten hat.

Die deutsche Bewunderung für Machiavelli lässt nicht nach. Ist es nicht das Beste, einen guten Zweck für die Menschen zu wollen, wenn auch mit bösen Mitteln?

Typischerweise übersehen die deutschen Gelehrten eine Kleinigkeit. Machiavellis Buch heißt „Der Fürst“. Es geht um einen Fürsten, der das Beste für sich und seine Untertanen will, und wenn nicht anders, mit unguten Mitteln des Betrugs, der Hinterlist, der Bosheit, Gewalt und Heuchelei.

Was gut und schlecht ist für die Menschen, bestimmt ein politischer Alleinherrscher, der seine Untertanen willkürlich drangsalieren, belügen und betrügen kann. Dass Demokraten in allen Dingen mitbestimmen wollen, ist für einen Despoten – eine lächerliche Anmaßung. Gelehrte deutsche Machiavelli-Bewunderer haben, im Zusammenhang mit ihrem amoralischen Heros, den Begriff Demokratie noch nie gehört. Dass eine Demokratie mit einer machiavellistischen Gesamtstimmung nicht lebensfähig ist, scheint deutsche Professoren nicht zu interessieren.

Wie die Bewunderung Machiavellis die jüngere deutsche Geschichte verseucht hat, zeigt ein Satz Friedrich Meineckes aus seinem Buch: Die Idee der Staatsraison:

„Der tiefe Mangel des deutsch-historischen Denkens wurde die beschönigende Idealisierung der Machtpolitik durch die Lehre, dass es einer höheren Sittlichkeit entspräche. Dadurch wurde … Raum gegeben für die Entstehung einer grob naturalistischen und biologischen Gewaltethik.“

Und wir? Stehen in der Dämmerung, starren ins Ferne und fragen uns: wie konnten herzensgute Deutsche, unsere lieben Väter und Vorväter, bitterböse Menschheitsverbrechen begehen?

Und wir? Wollten wir nicht stets das Beste für die Menschheit, indem wir die Natur ruinierten und die Zukunft der Kinder ramponierten?

 Es war doch für einen guten Zweck!

Fortsetzung folgt.